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IV.

 

– Er schaut sich um, und sieht von Speeren
Sich jeden Ausweg abgeschnitten.

W. Scott.

 

 

Schon läutete die kleine Eßglocke in der Gallerie, als Miß Plowden in den düstern Gang eintrat, und ihre Schritte beschleunigte, um zu ihren Freundinnen zu gelangen, und durch ihre Abwesenheit nicht länger Verdacht zu erregen. Alix Dunscombe war bereits nach dem Speisezimmer gegangen, als Katharine die Thüre des Gesellschaftsaales öffnete. Cecilie hatte noch gezögert. Sie waren beide allein.

»Du hast es also wirklich gewagt, so herumzuschwärmen?« rief Cecilie.

»Ja,« antwortete Katharine, und warf sich in einen Sessel, um Athem zu schöpfen. »Ich habe es gewagt, Cecilie. Ich sprach mit Barnstable. Bald wird er in der Abtei und Sieger seyn!«

Das Blut, das erst in Ceciliens Wangen stieg, als sie ihre Base sah, floh wieder nach dem Herzen zurück. Sie ward bleich, wie ein Marmorbild.

»Wir sollen also eine blutige Nacht haben?« begann sie wieder.

»Wir werden die Freiheit in dieser Nacht erringen! Ich und Du, Merry und Griffith und sein Kamerad!«

»Was bedürfen Mädchen, wie wir, einer größern Freiheit? Glaubst Du, ich werde schweigen und sehen können, wie mein Onkel vor meinen Augen verrathen wird, wie vielleicht sein Leben in Gefahr kommt?«

»Dein Leben, Deine Person soll nicht heiliger seyn, als das Leben Deines Onkels! Wenn Du Griffith in's Gefängniß und an den Galgen gebracht sehn, Barnstable verrathen willst, wie Du jetzt drohtest, – an Gelegenheit dazu wird Dir's beim Essen nicht fehlen. Ich will Dich hinbringen. Die Herrinn des Hauses scheint ihre Schuldigkeit zu vergessen.«

Katharine stand auf. Mit festem Schritte, stolzem Blicke, ging sie in der Gallerie nach dem Zimmer hin, wo ihre Gegenwart von den übrigen Mitgliedern der Familie erwartet wurde. Cecilie folgte schweigend. Die ganze Gesellschaft nahm ihre Plätze an der Tafel ein.

Die ersten Augenblicke vergingen, ohne daß gesprochen wurde. Die Herren bedienten ihre Damen, und beobachteten die Pflicht, welche die Tafel auflegte. Katharine hatte die Herrschaft über ihre Unruhe so weit wieder erlangt, daß sie jeden Blick, jedes Benehmen des Vormundes und Borroughcliffe's beobachten konnte. Sie achtete immerfort darauf, bis die gefürchtete Stunde da war, wo Barnstable auftreten sollte.

Der Oberst Howard beherrschte sich bereits, wieder zu sehr, um nicht so ernst zu seyn, wie früher. Manchmal glaubte Katharine zu bemerken, er fühle sich vollkommen sicher, zeige aber auch den strengen, entschlossenen Blick, den sie als sicheres Merkmal seines Zornes kannte, wenn er gegründete Ursache dazu hatte. Borroughcliffe seinerseits war kalt, höflich, und langte, wie gewöhnlich, zu, nur mit dem Unterschiede, daß man weniger seine Lieblingsneigung zur Flasche bemerkte, als sonst bei solcher Gelegenheit der Fall war.

So ging das Abendessen zu Ende. – Das Tischtuch ward weggenommen, obschon die Damen länger als gewöhnlich, zu bleiben, Miene machten. Wir erinnern an die englische Sitte, zufolge welcher das Wegnehmen des Tischtuches das Zeichen zum Trinken ist, indem die Frauen abgehen. D. Ueb. Der Oberst schenkte sich und der Alix Dunscombe ein, schob dann dem Kapitain die Flasche zu, und rief mit einer Art von Zwang, darauf berechnet, die schlummernde Fröhlichkeit der Gäste zu wecken:

»Stoßt an, Borroughcliffe! die Rubinlippen Eurer Nachbarin würden noch schöner werden, wären sie mit dieser kräftigen Herzstärkung befeuchtet, und von etwas loyalern Gesinnungen belebt! Miß Alix ist immer bereit, ihre Treue gegen den König an den Tag zu legen. In ihrem Namen trinke ich auf das Wohl Sr. geheiligten Majestät. Tod und Verderben allen Verräthern!«

»Wenn das Gebet eines demüthigen Unterthanen, eines Mädchens, die mit den Händeln der Welt wenig zu thun hat, und noch weniger darauf Anspruch machen darf, die Weisheit eines Staatsmannes zu beurtheilen, einem mächtigen, großen Fürsten nützen kann, wie dem, welcher auf unserm Throne sitzt; so soll er nie die Leiden dieser Welt kennen lernen!« entgegnete Alix sanft. »Aber ich kann Niemandem den Tod wünschen. Auch meinen Feinden nicht, wenn ich solche hätte; und noch vielweniger einem Volke, das mit den Kindern des meinigen Eine Familie macht!«

»Eine Familie?« wiederholte der Oberst langsam und bitter, in einer Art, daß er Katharinen ganz ängstlich machte. »Kinder einer Familie! Ach ja, Absalon war auch der Sohn David's, und Judas gehörte zur Gesellschaft der heiligen Apostel! Doch lassen wir das jetzt an seinen Ort gestellt! Der unselige Dämon der Rebellion ist in mein Haus gedrungen, und ich weiß nicht, wo ich rings herum unter den Meinigen Einen finden soll, der nicht von seinem bösen Einfluß bestürmt wäre.«

»Bestürmt mag ich seyn, gleich den Andern,« erwiederte Alix, »aber nicht verdorben, wenn Reinheit der Gesinnung in diesem Augenblicke statt Loyalität gelten kann!«

»Was ist das für Geräusch?« unterbrach sie der Oberst, und sprang erschrocken auf. »War es nicht, als bräche Etwas zusammen, Borroughcliffe?«

»Es war vielleicht einer von meinen Burschen, der die Treppe heruntergefallen ist, indem er von Tische ging. Ihr wißt ja, ich hab' ihnen heut' Abend ein Fest zu Ehren unseres Sieges bereiten lassen!« – versetzte der Kapitain mit bewundernswerther Gleichgültigkeit. »Vielleicht ist es aber auch gerade der Dämon, von dem Ihr jetzt so offen spracht. Eure Worte können ihn verdrossen haben, und er eilt also vielleicht aus den gastfreundlichen Mauern von St. Ruth in das Freie, ohne sich erst die kleine Mühe zu machen, das Thor zu suchen. Im letztern Falle kostet es morgen einige Dutzend Ellen Mauersteine einzusetzen!«

Der Oberst stand noch immer. Er blickte verlegen nach der Thüre. Man sah ihm offenbar an, daß er gar nicht gestimmt war, in die Späschen seines Gastes einzugehn.

»Das ist ein ungewöhnliches Geräusch, Kapitain, entweder in der Nähe der Abtei oder gar im Innern!« sagte er endlich, und ging mit festem militairischen Schritte von der Tafel vor. – »Als Herr vom Hause muß ich sehen, was diese Wohnungen so zur Unzeit beunruhigt. Sind es Freunde; sollen sie willkommen seyn, obschon ihr Besuch ganz unerwartet ist. Als Feinde mögen sie auf einen Empfang rechnen, wie er einem alten Soldaten zukommt!«

»Nein! Nein!« schrie Cecilie, sich bei dem Benehmen, der Rede des Obersten ganz selbst vergessend, und in seine Arme stürzend. »Guter Onkel, geht nicht; geht nicht der schrecklichen Gefahr entgegen, mein lieber, theurer Onkel! Ihr seyd alt. Ihr habt schon mehr als Eure Pflicht gethan. Warum wolltet Ihr Euch so der Gefahr Preis geben?«

»Das Mädchen ist irre geworden – vor Schrecken, Borroughcliffe!« rief der Oberst, und heftete den feurigen Blick auf sie. – »Ihr müßt schon einem alten Podagristen, der nichts mehr werth ist, einen Korporal mit vier Mann geben, die Nachtmütze zu bewachen,« fuhr er scherzend zum Kapitain fort, »sonst wirft sich das arme Mädchen im Bette herum, bis die Sonne aufgeht. – Aber steht Ihr denn nicht auf?«

»Wozu?« antwortete jener kalt. »Miß Plowden leistet mir noch Gesellschaft, und mein Regiment ist nicht daran gewöhnt, Fahne und Bouteille zusammen zu verlassen. Für einen braven Soldaten gilt im Gesellschaftszimmer das Lächeln einer Dame so viel, als das Flattern seiner Fahne im Felde.«

»Ich bin ganz ruhig, Kapitain,« sagte Katharine, »weil ich in St. Ruth lange genug gelebt, und gelernt habe, wie mancherlei wunderliches Geräusch der Wind in den alten Essen und Gallerien hervorbringt. Der Lärm, welcher den Obersten aus seinem Sessel aufjagte, und der meine Base Cecilie so unnöthig erschreckte, ist nichts als die Aeolsharfe der Abtei, die im Grundton anstimmt.«

Der Kapitain sah sie, als sie so redete, durchdringend an. So ruhig sie auch war, jetzt kam dadurch das Blut doch in ihre Wangen.

Ungemein zweideutig in Wort und Ton, setzte der Kapitain hinzu:

»Ich habe meine Ergebenheit erklärt und will dabei verharren. So lange Miß Plowden mir die Ehre ihrer Gesellschaft gewährt, soll sie mich als ihren treuesten und standhaftesten Verehrer finden, mag kommen, wer und was da will!«

»Ihr nöthigt mich, fortzugehn!« bemerkte diese aufstehend. »Mag meine Absicht in dem Betracht noch so unschuldig gewesen seyn; so muß doch selbst die weibliche Eitelkeit erröthen, wenn sie einen Kapitain Borroughcliffe nach dem Essen an die Tafel gefesselt und so huldigen sieht. – Da Dein Schreck nachgelassen hat, liebe Cousine, willst Du wohl den Anfang machen? Miß Alix und ich warten nur auf Dich!«

»Nur nicht in dem Park gegangen!« rief der Kapitain. »Die Thüre, die Ihr eben geöffnet habt, geht in die Vorhalle. Diese führt in das Gesellschaftszimmer!«

Katharine lächelte ein wenig, als ob sie in der That zerstreut gewesen wäre. Sie machte eine Verbeugung, und wollte nach der andern Thüre gehn.

»Ich glaube,« sagte sie gezwungen scherzend, »die Angst hat auch Leute gepackt, welche sie nur besser zu verstecken wußten, als meine Cousine!«

»Meint Ihr die gegenwärtige Gefahr oder die noch im Hinterhalte lauschende?« fragte der Kapitain. »Nun, da Ihr so edelmüthig zu Gunsten meines würdigen Wirths und noch von Jemanden, den ich nicht nennen will, weil er solche Freundschaft von Euch nicht erwarten durfte, stipulirt habt; so soll Eure Beschützung in solcher Zeit eine meiner besondern Pflichten seyn!«

»Hier ist Gefahr!« rief Cecilie auf's Neue. »Euer Blick sagt es, Kapitain! Die blasse Wange meiner Base verkündet mir, daß meine Furcht nur zu gegründet ist!«

Der Soldat war jetzt auch aufgestanden. Er entsagte dem Tone des Scherzes, welchen er so gern annahm. Wie ein Mann, der wohl fühlt, es sey jetzt Zeit, ernsthaft zu seyn, trat er mitten hin.

»Ein Soldat ist immer in Gefahr, wenn die Feinde seines Königs in der Nähe sind!« sprach er. »Und dies ist jetzt der Fall. Miß Plowden kann mir dies bezeugen, wenn sie sonst will. Doch Ihr seyd mit beiden Parteien im Bunde, Mylady's, also geht auf Euer Zimmer, und wartet da den Ausgang des Kampfes ab, der gleich beginnen wird!«

»Ihr sprecht von Gefahr und verborgenen Feinden?« fiel Alix ein. »Wißt Ihr denn Etwas, das solche Furcht rechtfertigt?«

»Ich weiß Alles!« erwiederte Borroughcliffe kalt.

»Alles?« schrie Katharine.

»Alles?« wiederholte Alix voller Entsetzen. »Nun dann, wenn Ihr Alles wißt; so müßt Ihr auch seinen verzweifelten Muth, seinen furchtbaren Arm kennen, falls er Widerstand findet! Laßt ihn in Ruhe, und er thut Euch nichts. Glaubt mir, glaubt einem Weibe, das ihn ganz kennt: kein Lamm ist sanfter, als er, wenn er ein schwaches Weib trifft. Aber kein Löwe tobt auch ärger gegen seine Feinde!«

»Ja, da wir nicht zum weiblichen Geschlechte gehören;« versetzte Borroughcliffe etwas finster; »so müssen wir schon den Klauen des Königs der Thiere Trotz bieten. Noch hat er die Tatze außer der Thüre. Sind meine Befehle gehörig beachtet; so wird er aber noch leichter Eingang finden, als der Wolf bei der Großmutter von Rothkäppchen, respektabeln Andenkens!«

»Nur einen Augenblick!« flehte Katharine fast ohne Athem. »Ihr wißt mein Geheimniß? Blutvergießen könnte nur die Folge seyn. Noch kann ich hinauseilen und vielleicht das unschätzbare Leben von Vielen retten. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß die, welche in dieser Nacht als Feinde kommen, ruhig abziehen dürfen, und stehe Euch mit meinem Leben dafür, daß die Abtei geborgen ist!«

»O hört auf sie! Vergießt kein Blut!« flehte auch Cecilie.

Ein lautes Krachen unterbrach alles Gespräch. Im nahen Vorgemach hörte man die schweren Tritte, als liefen viele Männer über den steinernen Boden herbei. Borroughcliffe zog gelassen auf die andere Seite des Zimmers, nahm einen Degen von der Tafel, der schon darauf gelegen hatte, und im nämlichen Augenblicke flog die Thüre auf. Barnstable trat allein, aber mit entblößtem Säbel ein.

»Ihr seyd meine Gefangenen!« rief er beim Vorwärtsgehen dem Kapitain und Obersten zu. »Widerstand ist unnütz, und übrigens sollt Ihr gut behandelt werden. – Ha! Miß Plowden! Meine Meinung war, Du solltest bei dem Auftritt nicht gegenwärtig seyn!«

»Barnstable, wir sind verrathen!« jammerte die Arme. »Aber noch ist es nicht zu spät. Noch ist kein Blut geflossen, und Du kannst, ohne daß es zu diesem Schrecklichen kommt, mit Ehren zurück. Geh, verschiebe es auf ein ander Mal; denn eilen die Soldaten des Kapitains Borroughcliffe herbei; so wird die Abtei ein Schauplatz des Entsetzens!«

»Geh fort Katharina! Geh!« sagte ihr Geliebter ungeduldig, »dies ist nicht der Ort für Dich. – Aber Kapitain Borroughcliffe, wenn Ihr so heißt, Ihr müßt doch einsehen, daß Widerstand umsonst ist. Ich habe zehn gute Piken draußen in zwanzig noch bessern Händen, und gegen solche Uebermacht ist nicht aufzukommen!«

»Zeigt mir Eure Mannschaft,« entgegnete der Engländer, »daß ich mit meiner Ehre zu Rathe gehn kann.«

»Eure Ehre soll beruhigt werden, braver Kamerad: denn ich lasse Eurem Muthe gern Gerechtigkeit widerfahren, ob Ihr gleich mein Feind seyd, und Eure Sache nicht gerecht ist.– Herein, Bursche, aber nicht ohne Befehl angegriffen!«

Die wilden Matrosen drängten sich auf diesen Zuruf in's Zimmer: doch trotz ihrer drohenden Blicke und des rauhen Aeußern in Kleidung und Ausrüstung machten sie keine Miene, eine Feindseligkeit zu verüben. Die Mädchen verkrochen sich bleich wie der Tod, als die kleine Schreckensbande das Zimmer füllte, und selbst Borroughcliffe zog sich nach einer Thüre, die in gewisser Art seinen Rückzug decken konnte.

Noch war die Ruhe nach diesem Auftritte nicht wieder hergestellt, als sich großer Lärm von einer andern Seite des Gebäudes her hören ließ, der ungemein schnell näher kam. Mit Einem Male that sich eine Thüre des Zimmers auf, und zwei Soldaten von der Garnison in der Abtei traten, durch doppelt so viel Matrosen kräftig vorwärts gedrängt, herein, indem Griffith, Manuel, Merry an der Spitze standen. Diese hatten sich mit Allem bewaffnet, was gerade zur Hand war, als sie so unvermuthet in Freiheit gesetzt wurden.

Von Seiten der Matrosen, die bereits das Zimmer besetzt hielten, war eine allgemeine Bewegung. Sie drohte den Soldaten gefährlich zu werden; doch Barnstable schlug mit dem Säbel die Piken seiner Leute herunter, und befahl ihnen streng, sich zurück zu ziehen. Die gegenseitige Ueberraschung bewirkte unter allen Streitern einen Augenblick Ruhe. Die Soldaten suchten hastig hinter dem Rücken ihres Kapitains Schutz zu finden. Die befreiten Gefangenen reihten sich Barnstable und ihren Kameraden an. Bald schien in der Halle, die so plötzlich in Aufruhr gerathen war, Alles still geworden.

»Ihr seht,« sprach Barnstable zum Engländer, als Griffith's und Manuel's Händedruck warm und herzlich erwiedert war, »ihr seht, mein Plan ist vollkommen gelungen. Eure Mannschaft liegt im Schlafe, und ein Theil meiner Leute bewacht ihre Kaserne. Unsere Offiziere sind in Freiheit gesetzt. Hier stehen die Schildwachen, die Ihr hingestellt hattet. Ich habe mich der Abtei versichert, und bin im eigentlichen Sinne Herr Eurer Person. In Betracht von dem, was die Menschheit fordert und die Gegenwart dieser Damen heischt, laßt keinen Kampf Statt finden. Ich werde keine harten Bedingungen machen, nicht einmal lange Kriegsgefangenschaft verlangen.«

Der Engländer bewies während des ganzen Auftritts eine Gelassenheit, die bei einem Feinde Verdacht hätte erregen müssen, wäre zu einer genauern Beobachtung nur Zeit gewesen. Indessen allmählig zeigte sich auf seinem Gesicht eine Unruhe, die immer größer wurde. Er drehte sich oft um, als horchte er, ob nicht neuer, heftigerer Lärm die Scene unterbrechen würde. Endlich antwortete er auf den Antrag sich zu ergeben, mit seiner gewöhnlichen Umsicht:

»Ihr sprecht vom Siege, bevor er erfochten ist. Mein würdiger Herr Wirth und ich sind nicht so ohne Schutz, als Ihr wohl denken mögt!«

Indem er so sprach, nahm er von einem Seitentische den Teppich weg, und er, wie der Oberste, hatten sich mit ein Paar Pistolen in einem Augenblick bewaffnet.

»Hier sind für vier von Euch die Bürgen des Todes!« rief er. »Die braven Bursche hinter mir können noch zwei andern von Euch die Rechnung machen. Ich glaube, mein tapferer Kamerad vom atlantischen Meere jenseits, daß wir uns ungefähr so gegenüberstehen, wie Cortez und die Mexikaner, als dieser Euer Land eroberte. Ich bin Cortez, bewaffnet mit künstlichem Donner und Blitz. Ihr seyd die Indianer, mit nichts als Piken und Stöcken und solchen Dingen, die vor der Sündfluth Mode waren. Schiffbruch und Seewasser löschen das beste Schießpulver!«

»Ich läugne es nicht, Gewehre gehn uns ab!« versetzte Barnstable. »Aber wir sind Männer, die von Jugend auf ihren Arm brauchen lernten, um Leben und Freiheit zu vertheidigen, und wissen sie zu führen, sollten wir auch mit dem Tode kämpfen! Was die Spielerei in Euern Händen anbetrifft; so werdet Ihr doch nicht glauben, daß sich Leute davor fürchten sollen, die einem Zwei-und-dreißig-Pfünder in's Auge sahen, der mit Kartätschen geladen war, als die Lunte aufgelegt wurde. Und wenn Ihr Funfzig dergleichen hättet! Was sagt Ihr, Kameraden? Ist ein Pistol eine Waffe, die Euch vom Entern abhält?«

Das gellende, verächtliche Lachen unter den Matrosen war ein sicherer Beweis, wie gleichgültig sie bei so einer unbedeutenden Gefahr waren. Borroughcliffe bemerkte wohl, wie keck und kühn sie um sich blickten. Er griff nach der Tischglocke, und läutete eine Minute aus allen Kräften. Schwere Tritte von einem Zuge Menschen folgten dem ungewöhnlichen Tone. Mehrere Thüren des Zimmers gingen mit Einem Male auf, und eine Menge Soldaten in Englands Uniform füllten das Zimmer.

»Wenn Ihr diese kleine Waffe so sehr verachtet;« rief Borroughcliffe, als er wahrnahm, alle Zugänge seyen von seinen Leuten besetzt, »so steht es bei mir, eine furchtbarere zu versuchen. Ihr habt nun meine Streitkräfte gesehn, ich denke, Ihr nehmt jetzt keinen Anstand, Euch gefangen zu geben!«

Die Matrosen hatten sich während dessen durch Manuel's Hülfe in einer gewissen Ordnung aufgestellt, und als die verschiedenen Thüren die neue Verstärkung ihrer Feinde darthaten, bildete der Seesoldatenoffizier sorgfältig so lange eine Fronte nach der andern, bis die ganze kleine Partei in einem Viereck stand, das mit den scharfen Piken vom Ariel bewaffnet nach allen Seiten die Spitze bot.

»Hier ist wohl ein Mißverständniß,« sagte Griffith, als er auf die furchtbare Linie der Soldaten sah. »Ich habe höhern Rang, als Barnstable, und will Euch daher einige Bedingungen vorschlagen, Kapitain Borroughcliffe, um diesem Auftritt des Schreckens in der Wohnung des Obersten Howard ein Ende zu machen.«

»Die Wohnung des Obersten Howard,« rief dieser, »ist die des Königs, und jetzt des geringsten Dieners Seiner Krone. Meinetwegen verschont nicht die Verräther! Geht keinen Vertrag ein, der nicht unbedingte Unterwerfung festsetzt, wie sie Unterthanen gebührt, die gegen den Gesalbten des Herrn rebellirten!«

Während Griffith sprach, kreuzte Barnstable mit erzwungener Ruhe die Arme, und heftete den Blick auf die bebende Katharine, die mit ihren Freundinnen noch immer ängstliche Zuschauerinn des ganzen Auftritts war, und wie durch die Furcht gefesselt in einem Winkel mit ihnen unverändert stand. Allein dieser furchtbaren Aufforderung des Veterans glaubte er doch begegnen zu müssen.

»So gewiß ich hoffe, alter Mann! wieder auf Salzwasser zu schlafen:« donnerte er ihm entgegen, »so gewiß würde ich mich versucht fühlen, Euch den Titel Eures Königs streitig zu machen, wären nicht diese zitternden Frauen da! Mögt Ihr ein Abkommen mit Herrn Griffith treffen, welches Ihr wollt! So bald es eine Sylbe von Unterwerfung gegen Euern König, oder sonst einen andern Punkt enthält, dem meine Pflicht gegen den Congreß und den Staat von Massachusets entgegenläuft; so denkt nur, es sey im Voraus gebrochen. Ich werde einen solchen Artikel weder für mich noch die, so mir folgen, als verbindend anerkennen!«

»Hier giebt es nur Zwei, die zu befehlen haben, Lieutnant!« unterbrach ihn Griffith stolz; »der Eine auf feindlicher Seite, der Andere an der Spitze von Amerikanern! – Kapitain Borroughcliffe, an Euch, den Erstern, wende ich mich. Der große Kampf, der unglücklicher Weise England mit seinen alten Kolonieen entzweit, kann durch die Ereignisse dieser Nacht nicht ausgeglichen werden. Auf der andern Seite würde treue Befolgung militairischer Grundsätze viel Elend und häusliches Unglück erzeugen, sobald es in diesen Wohnungen zum Kampfe käme. Wir dürfen nur ein Wort sagen, und diese rohen Menschen, die schon ihre Tod bringenden Waffen schütteln, trachten einander nach dem Leben. Wer will behaupten, er sey im Stande, zu bestimmen, wenn und wie er ihrem Arme Einhalt zu thun vermöge? Ich kenne Euch als tapfern Krieger, und als Mann, der wohl weiß, es sey viel leichter, zum Blutvergießen zu reizen, als die Rache zu zähmen!«

Borroughcliffe war nicht gewohnt, sich von heftiger Leidenschaft hinreißen zu lassen. Er wußte wohl, daß er mehr und besser ausgerüstete Mannschaft habe. Mit der größten Kälte ließ er Griffith ausreden, und dann erwiederte er mit aller Ruhe:

»Volle Achtung für Eure Logik! Die Vordersätze sind unbestreitbar, und die Schlußfolge ergiebt sich von selbst. Uebergebt die braven betheerten Leutchen dem ehrlichen Drill. Er wird schon sorgen, daß ihr ausgehungerter Magen mit verschiedenen eßbaren Dingen und einer gehörigen Portion Flüssigkeit versorgt wird. Dann wollen wir bei einer Flasche ächten Madera von der Südseite, die Art und Weise besprechen, wie Ihr in die Kolonieen heimkehren könnt! Bei meinem Gaume! Die Freude lacht den Burschen aus den Augen bei dem Gedanken! Der Instinkt sagt's ihnen, daß ein armer schiffbrüchiger Matrose besser zu einer Portion Rindfleisch und einem Krug Porter paßt, als zu solchen häßlichen Dingen, wie Bajonette und Piken sind.«

»Scherzt nicht zur Unzeit!« rief der ungeduldige Griffith. »Ihr pocht auf die Uebermacht! Aber ob Ihr Euch in einem tödtlichen Kampfe von Mann gegen Mann versuchen dürft, ist eine Frage, die ich Eurer Klugheit anheimstelle. Wir sind hier, Bedingungen zu machen, nicht anzunehmen. Faßt Euch kurz: denn die Umstände lassen keine Zeit übrig.«

»Ich habe Euch gezeigt, wie Ihr die drei ältesten Stücke der zahlreichen Familie aller Künste: Essen, Trinken, Schlafen, in der vollkommensten Weise erhalten könnt. Was wollt Ihr noch mehr?«

»Ihr befehlt, den Leuten, welche die Thüre zur Gallerie hier besetzen, abzutreten und uns durchzulassen! Ich möchte gar zu gern in Frieden diese bewaffneten Männer den Augen derer entziehen, die an solches Schauspiel nicht gewöhnt sind. Bevor Ihr dieser Forderung entgegen seyd, überlegt, wie leicht diese tapfern Burschen sich einen Weg durch Eure getheilten Kräfte bahnen können!«

»Euer Kamerad, der wohlerfahrne Kapitain Manuel, wird Euch sagen, daß so ein Manoeuvre gegen alle Regeln wäre, sobald im Rücken eine bedeutende Masse steht!«

»Ich habe nicht Zeit, solche Possen mehr anzuhören!« rief Griffith erzürnt. »Bewilligt Ihr keinen Abzug aus der Abtei?«

»Niemals!«

Griffith sah nach den Frauen. Er war außer sich. Unfähig, ein Wort zu sprechen, bedeutete er sie durch ein Zeichen, sich zu entfernen. Nach einem Augenblicke, während dessen tiefes Schweigen herrschte, redete er, im Tone der Versöhnung, Borroughcliffe nochmals an.

»Wenn Manuel und ich,« sagte er, »wieder in's Gefängniß zurückkehren, und wir beide uns dem Willen Eurer Regierung Preis geben; kann dann die übrige Mannschaft ungehindert nach der Fregatte abziehn?«

»Niemals!« rief der Engländer, der nun den entscheidenden Augenblick vor der Thüre sah, und mit der zunehmenden Spannung des Augenblicks seine erkünstelte Ruhe ablegte. »Ihr und alle, die Ihr so gern den Frieden hier im Lande störtet, müßt nun auch den Ausgang abwarten!«

»Dann schütze Gott die Unschuld und vertheidige das Recht!«

»Amen!« setzte spöttisch der Kapitain hinzu.

»Macht Platz, Schurken!« schrie Griffith wieder, und drang gegen die Soldaten vor, welche die Thüre zur Gallerie besetzt hielten. »Macht Platz, oder Ihr werdet mit unsern Piken an die Wand genagelt!«

»Zeigt ihnen nur Euren Flintenlauf, Bursche!« brüllte ihnen Borroughcliffe zu; »aber drückt nicht ab, bis sie hinaus wollen!«

Es war nun ein Augenblick der Verwirrung; Alles griff zu den Waffen. Die Gewehre klirrten. Halb unterdrückte Flüche und Verwünschungen hörte man von beiden Seiten der sich rüstenden Kämpfer. Cecilie und Katharine verhüllten das Antlitz, um das schreckliche Schauspiel nicht zu sehn, das mit jedem Athemzuge zu erwarten stand. Da ging Alix Dunscombe ruhig zwischen die drohenden Piken und Bajonettspitzen hinein, und sprach in einer Weise, die jede bereits gezückte Hand lähmte:

»Hört mich, Ihr Menschen! wenn Ihr Menschen und nicht Teufel seyd, die nach dem Blute gegenseitig dürsten, ob Ihr schon im Aeußern Dem gleicht, welcher starb, daß Ihr zu Engeln werden möchtet! Nennt Ihr dies Krieg? Ist dies der Ruhm, der selbst das Herz eines raschen und keine Gefahr fürchtenden Weibes ergreifen soll? Soll der Friede einer Familie zerstört werden, um Eure sündliche Lust zum Kampfe zu befriedigen? Sollen Menschen umkommen, nur damit Ihr in Euren bösen Gelagen der bösen That Euch rühmen könnt? Weicht zurück, Britanniens Krieger, wenn Ihr dieses Namens werth seyd, und laßt ein Weib hindurch! Vergeßt es nicht, der erste Schuß, welcher losgeht, findet sein Grab in ihrem Busen!«

Die Soldaten, von ihrem befehlshaberischen Blick eingeschüchtert, öffneten eine Bahn für sie in der Thüre, deren Oeffnung Griffith für sich und seine Mannschaft umsonst verlangt hatte. Doch Alix, statt vorzugehn, schien plötzlich alle die Kraft verloren zu haben, welche jetzt so viel gewirkt hatte. Ihre Gestalt schien auf der Stelle, wo sie gesprochen hatte, eingewurzelt. Ihr Auge starrte in gleicher Richtung, als sey es von einem schrecklichen Anblick ergriffen.

Während sie so bewußtlos und ohne Kraft da stand, that sich die Thüre wieder zu. Die Gestalt des Lootsen erschien auf der Schwelle. Er war, wie gewöhnlich, in die dürftige Kleidung seines Handwerks gehüllt, aber mit Waffen reichlich versehen. Einen Augenblick stand er schweigend da, und schaute ruhig zu. Dann schritt er unerschrocken und kaltblütig vor.


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