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V.

 

Willkommen, Signor, Ihr tretet gerade ein,
dem Kampf ein Ende zu machen!

Shakespeare.

 

 

»Streckt das Gewehr, Engländer!« war das erste Wort des kühnen Fremdlings. »Ihr, die Ihr für die Sache der geheiligten Freiheit fechtet, haltet an, daß kein unnöthiges Blut fließt! Ergebt Euch, stolzer Britte, der Macht der dreizehn Staaten!«

»Ha!« rief Borroughcliffe aus und ergriff entschlossen ein Pistol. »Die Sache wird verwickelt! Den Mann hatte ich in meine Berechnung nicht mit aufgenommen. Ist er ein Simson, daß allein sein Arm die Gestalt der Dinge so schnell umändern kann? Wirf Deine Waffen hin, Du Verkappter! Beim ersten Schuß aus dieser Pistole wird Dein Körper zum Ziel von zwanzig Musketen!«

»Und der Deinige von hunderten!« erwiederte der Lootse – »Auf denn! Gieb das Zeichen, Bursche! Bring unsere Mannschaft herein! Wir wollen den zu vorsichtigen Ehrenmann seine Schwäche fühlen lassen!«

Noch hatte er das letzte Wort nicht ausgesprochen, da dröhnte schon die gellende Pfeife eines Bootsmanns in die Ohren aller Anwesenden, bis der Ton allmälig, obschon nur unvollkommen, von dem Bogengewölbe der Halle verschlungen und in die entferntesten Theile der Abtei getragen wurde. Ungestüm stürzte sich eine Menge Männer herein, die Borroughcliffe's zitternde, in der Halle gefundene Soldaten vor sich her trieben. Draußen füllte sich Alles mit einer schwarzen Masse von Menschen.

»Laßt hören, Bursche,« rief ihnen der Führer zu, »daß die Abtei Euer ist!«

Der Sturm hätte weniger laut brüllen können, als jetzt das Geschrei aller Matrosen und Soldaten tönte. Von Mann zu Mann lief es, und alle Hallen des Gebäudes schienen zu beben. Mannigfach bedeckte Köpfe wogten am Eingang zahlreich hin und her. Einige hatten Matrosenmützen, Andere trugen den gelbbordirten Hut der Seesoldaten. Der letztere Anblick fesselte gleich Manuel's Aufmerksamkeit, und im Nu war er mitten in den dicken Haufen. In zwei Augenblicken kehrte er mit einem Trupp seiner Leute zurück, und nahm gleich die Posten ein, welche Borroughcliffe's Soldaten besetzt gehalten hatten.

Die Verhandlung zwischen den Befehlshabern beider Parteien ging inzwischen fort. Bis jetzt hatte der Oberst Howard, aus Ehrfurcht vor kriegerischem Gehorsam, das Kommando seinem Gast unbedingt gelassen. Jetzt schien die Sache wesentlich verändert. Er glaubte daher wohl berechtigt zu seyn, die neuen Feinde in's Verhör zu nehmen.

»Auf wessen Geheiß,« fragte er den Lootsen, »wagt Ihr es, in das Schloß eines Unterthanen von diesem Lande zu dringen? Kommt Ihr in Auftrag des Lord Lieutnant dieser Grafschaft, oder hat Euer Befehl das Siegel von Sr. Majestät Secretair für das innere Departement?«

»Mein Auftrag ist von Beiden nicht!« erwiederte der Lootse. »Ich bin blos ein armer Anhänger von Amerika's Sache. Durch mich waren diese Männer in Gefahr gekommen, und so hielt ich es für meine Pflicht, sie wieder herauszubringen. Jetzt sind sie gerettet, und alle meine Ansprüche auf das Kommando gehn nun auf Herrn Griffith über, der vom Congreß dazu bestellt ist.«

Damit zog er sich aus der Mitte des Saales in eine Ecke, lehnte sich an's Getäfel, und wurde ein schweigender Zuschauer der fernern Begebenheiten.

»Es scheint, als müßte ich an Euch, den ausgearteten Sohn des würdigsten Vaters, meine Frage richten!« nahm Howard wieder das Wort. »Mit welchem Rechte wird meine Wohnung so roh bestürmt? Warum die Ruhe, der Friede, den ich schätze, so keck gestört?«

»Ich könnte Euch blos antworten, Oberst, daß es nach dem Rechte des Stärkern geschieht, daß es eine Vergeltung des tausendfachen Elends ist, was englische Truppen auf Amerika gehäuft haben, so weit seine Gränzen gehn. Aber ich will nicht das Bittere dieses Auftritts erhöhen, und sage daher weiter nichts, als unser Vortheil soll mit Mäßigung benutzt werden. So wie unsere Leute geordnet, unsere Gefangenen gesichert sind, wird dies Gebäude Eurer Verfügung zurück gegeben. Wir sind keine Seeräuber. Nach unserm Abzuge werdet Ihr das wahrnehmen. – Kapitain Manuel, Ihr führt die Gefangenen ab. Ordnet Alles zum Rückzuge nach den Boten! Laßt die Matrosen abtreten. Marsch! Fort! Rasch! Tummelt Euch, Ihr Wichte!«

Der freundschaftliche Befehl ward vom jungen Lieutnant mit dem kurzen, strengen Tone des Dienstes gegeben, und würkte auf die schwarzen, gedrängten Gestalten an und vor der Thüre wie ein Talisman. Auch die Matrosen, welche Barnstable herbeigeführt hatte, folgten ihren Kameraden in den Hofraum. Das ganze Zimmer war nun zur Verfügung der Offiziere von beiden Theilen und der Familie Howard gestellt.

Barnstable hatte, seitdem sein Oberer das Kommando übernahm, schweigend jeder Sylbe gelauscht, die von beiden Seiten gesprochen wurde. Jetzt waren so wenig da. Der Augenblick dünkte ihm wichtig. Er redete nun also auch:

»Wenn wir so geschwind uns wieder einschiffen wollen, Griffith;« sprach er, »so dächte ich, machten wir auch Anstalt, die Damen aufzunehmen, die uns mit ihrer Gegenwart beehren werden. Soll ich dies Geschäft betreiben?«

Der unerwartete Antrag brachte allgemeine Ueberraschung hervor. Nur Katharinens Verwirrung, ihr Erröthen, zeigte deutlich, daß er ihr nicht ganz fremd war. Lange hörte man kein Wort. Endlich unterbrach der Oberst die Stille.

»Ihr habt hier zu befehlen! Verfügt über Alles, was Euch am Meisten gefällt! Meine Wohnung, meine Habe, mein Mündel – es steht Euch Alles zu Diensten. Vielleicht sagt auch Miß Alix, die gute, sanfte Miß Alix Dunscombe, dem Geschmacke von Einem oder dem Andern unter Euch zu! Ach Griffith! Eduard Griffith! Nie hätte ich gedacht –«

»Sprecht nicht den Namen noch einmal leichtsinnig aus, Spötter! Sonst möchten Euch die Jahre selbst wenig Schutz verleihen!« ließ sich eine zürnend auffahrende Stimme aus dem Hintergrunde vernehmen. Aller Augen schauten unwillkürlich nach dem Punkte, wo sie hergekommen war. Die kräftige Gestalt des Lootsen hatte schon wieder die ruhige Lage an der Wand eingenommen; allein jede Muskel seines Antlitzes arbeitete, und suchte Herr des Zornes zu werden.

Griffith sah staunend auf den Mann, der eine so ungewöhnliche Theilnahme an ihm bezeugte. Dann blickte er bittend seine schönen Basen an, die immer noch im fernen Winkel bebten, wohin sie die Flucht getrieben hatte.

»Ich habe es schon gesagt, daß wir keine Räuber sind,« sagte er endlich. »Ist aber Jemand hier, der sich unserm Schutze anvertrauen will; so denke ich, es wird wohl unnöthig seyn, ihm zu sagen, wie er aufgenommen wird.«

»Zu unnützen Komplimenten ist jetzt keine Zeit,« fiel Barnstable ungeduldig in's Wort. »Hier ist Merry. Jahre und Verwandtschaft machen ihn zum besten Gehülfen der Damen, wenn sie ihr kleines Gepäck ordnen. – Was sagst Du Kleiner? Kannst Du im Nothfall ein Kammermädchen spielen?«

»O ja, und besser, als den Krämerjungen!« versetzte der muntere Kadet. »Um meine lustige Base Käthchen und meine gute Base Cecilie zu Kameraden zu bekommen, könnte ich die Rolle unserer gemeinschaftlichen Großmutter übernehmen! Kommt, Mühmchen, laßt uns gehn. Ihr müßt schon manchmal Nachsicht haben, wenn ich ein wenig ungeschickt bin!«

»Zurück, junger Freund!« rief ihm Miß Howard zu, und wehrte dem vertrauten Versuch, ihr den Arm zu bieten. Dann ging sie mit jungfräulicher Würde zu ihrem Vormund hin:

»Ich kann nicht wissen, welche Verabredungen mit meiner Base Plowden statt gefunden haben, als sie und Herr Barnstable am Abend zusammen sprachen. Für mich nur soviel, daß ich als Tochter von Eurem Bruder hier Euer Zutrauen in Anspruch nehme, wenn ich sage, mir seyen die Ereignisse dieser Stunde so unerwartet, als Euch selbst.«

Der Alte sah sie einen Augenblick an. Es schien, als ob seine Zärtlichkeit neu auflebe. Doch bald kehrte düsteres Mißtrauen auf seine Stirn zurück. Er schüttelte das Haupt, und ging stolz von ihr weg.

»Nun,« setzte Cecilie hinzu, und ließ ihr Köpfchen herabsinken, »mag mir auch mein Onkel nicht trauen! Ich kann nur durch eine Handlung des eignen Willens entehrt werden!«

Sie faßte wieder Muth und blickte sanft auf den Geliebten. Eine plötzliche Röthe überflog das liebliche Antlitz.

»Eduard,« bemerkte sie sanft, »ich kann nicht sagen, wie demüthigend der Gedanke ist, Du könntest einen Augenblick glauben, ich möchte mich soweit vergessen, den Mann, den mir Gott zum Schützer gab, gegen den vertauschen zu wollen, welchen mein irrendes Herz wählte. Du, Merry, lerne die Tochter von Deiner Mutter Schwester achten, wenn Du sie nicht selbst achten willst, die Deine Wiege bewachte!«

»Hier scheint ein Mißverständniß zu walten!« trat Barnstable dazwischen, der in nicht geringem Grade an der Verwirrung des beschämten Knaben Antheil nahm. »Wie jedes solches Mißverständniß wird es ja wohl, denk' ich, zu lösen sein!. – Griffith, an Dir ist die Reihe, zu sprechen! Zum Guckuck!« raunte er ihm in's Ohr, »bist Du denn stumm, wie ein Fisch? Ich dächte doch, ein so hübsches Mädchen wäre ein paar süßer Worte werth? Du bist ja stummer, als eine vierfüßige Bestie!«

»Wir müssen mit dem Abzuge eilen, Barnstable!« erwiederte dieser tiefseufzend, und wie aus einem schweren Traume erwachend. »So ein wilder Auftritt muß den Frauen schrecklich seyn. Gebt Befehl zum Abmarsch nach der Küste! Kapitain Manuel hat die Gefangenen zu bewachen; sie müssen Alle mitgenommen werden, um für gleich viel unserer Landsmänner zu haften!«

»Ja, und unsere Landsmänninnen!« setzte Barnstable hinzu. »Sollen sie bei dem Gedanken für unsere Sicherheit vergessen werden?«

»Mit ihnen haben wir nichts zu thun, als wenn sie selbst darauf dringen!«

»Beim Himmel, Griffith! das klingt sehr gelehrt, und es können deine Bücher solche Dinge sagen; aber ich muß Dir auch erklären, wie eines Seemanns Liebe sieht das nicht aus!«

»Ist es einem Seemann, einem Ehrenmanne verwehrt, das Weib, welches er Gebieterinn heißt, nicht auch als Gebieterinn handeln zu lassen?«

»Ich bedaure Dich von Herzen, Griffith! Lieber wollte ich das Glück, das mir so leichten Kaufs wird, durch einen harten Kampf erringen, als Dich so hart getäuscht sehn. Mich darfst Du nicht tadeln, Freund, wenn ich Fortuna's Wink benutze! Miß Plowden, gebt mir Eure schöne Hand! Oberst Howard, tausend Dank für die Sorge, die Ihr bis jetzt für diese kostbare Beute trugt. Glaubt mir, ich rede ehrlich, wenn ich sage, nächst mir würde ich sie Keinem lieber anvertrauen, als Euch!«

Der Oberst sah sich um, verbeugte sich, und erwiederte mit steifer Förmlichkeit:

»Ihr bezahlt meine geringen Dienste mit großem Danke. Wenn Miß Katharine unter meiner Obhut nicht Alles geworden ist, was ihr guter Vater, Kapitain Plowden der königlichen Marine, von seiner Tochter wünschen konnte; so muß der Fehler ohne Frage einer mangelhaften Leitung, und nicht ihrem Mangel an Talent zugeschrieben werden. Ich will nicht sagen: nehmt sie! Denn Ihr seyd schon im Besitz des Mädchens, und es läg’ außer dem Bereiche meiner Kraft, diesen Schritt zu hemmen. So wünsch' ich also: daß sie Euch immer treu als Weib seyn möge, wie sie bisher als Mündel und Untergebene war!«

Katharine hatte leidend ihre Hand in der des Geliebten gelassen, und war ihm mehr in die Mitte des Saales gefolgt. Jetzt aber machte sie sich los, und schüttelte die schwarzen Locken, die unordentlich über die Stirn herabgeflossen waren. Stolz schaute sie auf. Ihr Auge war voll Feuer. Die Wange aber ward, wie ihre Unruhe zunahm, immer blässer.

»Wohl mag der Eine mich so gern verstoßen wollen,« sagte sie, »als der Andere mich aufnehmen will. Aber hat denn die Tochter von John Plowden keine Stimme bei solcher gleichgültigen Verfügung? Wenn ihr Vormund ihrer Gegenwart überdrüssig ist; so findet sich ja wohl ein anderer Aufenthalt, ohne diesem Manne die harte Strafe aufzulegen, sie in einem Schiffe aufzunehmen, wo der Raum bereits enge genug seyn muß!«

Sie zog sich zu ihrer Base zurück, so erzürnt, wie es nur immer ein Mädchen seyn kann, das sich in die Bande der Ehe fügen soll, ohne ihr eignes Herz befragt zu sehn.

Barnstable war mit den geheimen Falten des weiblichen Herzens so wenig vertraut, als er wußte, wie trotz ihrer frühern Erklärung, Katharine die Zustimmung Ceciliens unentbehrlich nöthig hatte. Er konnte nicht begreifen, wie ein Mädchen sich so weit in ein Geheimniß zu seinem Gunsten verstricken, so oft ihre Schwäche gestehn, und dann in solchem entscheidenden Augenblicke anstehen konnte, sollte auch die ganze Welt Zeuge seyn! Bald sah er diese, bald jene an. Auf jeder Miene las er besorgte Zurückhaltung: nur der Vormund seiner Geliebten und Borroughcliffe machten eine Ausnahme.

Der erstere warf ihr wieder einen Blick des rückkehrenden Wohlwollens zu. Er sah in ihr seine reuige Mündel. Der letztere aber, überlistet, blickte noch immer halblachend, halbwild um sich, wie seit dem Augenblicke, da er an seinem Unglücke nicht zweifeln konnte.

»Vielleicht nehmt Ihr in der Dame etwas wahr, das Euch Spaß und zur Unzeit lustig macht!« redete ihn Barnstable derb an. »Wir sind aber nicht gewohnt, unsere Weiber in Amerika so behandeln zu lassen!«

»Und wir in England zanken uns nicht im Angesicht der Unsrigen!« erwiederte jener eben so trotzig. »Allein ich versichere Euch, meine ganzen Gedanken waren mit nichts als der schnellen Veränderung beschäftigt, die ein Augenblick herbeiführen kann. Vor noch keiner halben Stunde dacht' ich, der glücklichste Mensch zu seyn; meinen Plan, Euch zu überrumpeln, als Ihr mich überfallen wolltet, ganz sicher entworfen zu haben; und jetzt bin ich so ein erbärmlicher Hund, wie nur einer mit einer Epaulette seyn kann, der nie Hoffnung hat, die zweite zu sehn.« Bekanntlich hatten sonst die Subalternoffiziere nur eine Epaulette. D. Uebs.

»Und in welcher Art geht denn diese schnelle Änderung mich an?« fragte Katharine äußerst lebhaft.

»O, ich werde das nicht dem Eifer zuschreiben, mit dem Ihr meinem Feinde die Hand botet!« versetzte jener mit spöttischer Höflichkeit. »Eben so wenig trägt Euer Feuer, daß Alles so glücklich ablief, Eure meisterhaft geheuchelte Kälte beim Abendessen die Schuld davon! – Doch ich sehe – es ist Zeit, daß ich in Pensionszustand komme. Mit Ehren kann ich nicht mehr dem Könige dienen, und so muß ich schon meinem Gott dienen, wie Alle, die außer den Dienst der Welt kommen! Mein Gehör ist mir untreu geworden, oder eine Gartenmauer hat die Zauberkraft, das Ohr zu täuschen.«

Katharine wartete nicht, bis er zu Ende war. Sie ging in einen entferntern Theil des Zimmers, um die Röthe zu verbergen, die brennend ihre Wange überzog. Die Art, wie Borroughcliffe den Plan seines Feindes kennen gelernt hatte, war nun kein Geheimniß mehr.

Ihr Gewissen warf ihr eine kleine Koketterie vor. Sie erinnerte sich, daß die halbe Unterredung mit dem Geliebten am Fuße der Mauer, von welcher der Kapitain sprach, ganz andere Dinge betroffen habe, als Kampf und Streit. Barnstable's Gefühl war keinesweges so zart, wie das des Mädchens. Seine Gedanken blieben nur mit der Art beschäftigt, wie er zum Zweck käme. Kaum hatte er daher die Anspielung des Engländers gehört, als er sich schnell an Griffith wandte, und ernsthaft äußerte:

»Ich fühle, daß es mir Pflicht ist, Herr Lieutnant, an die Weisung zu erinnern, alle Feinde Amerika's aufzuheben, wir mögen sie finden, wo wir wollen. Ihr werdet daran denken, daß die vereinigten Staaten nicht anstanden, bei mehrern Gelegenheiten Frauen aufzuheben.«

»Bravo!« schrie Borroughcliffe. »Wenn die Damen nicht als Geliebten mitgehn; so nehmt Ihr sie als Gefangene fort!«

»Dankt Gott, daß Ihr selbst Gefangener seyd; sonst solltet Ihr für dies Wort Rede stehn müssen!« brausete ihm Barnstable zornig entgegen. – »Die Verantwortung fällt auf Euch, Griffith, und darf nicht in den Wind geschlagen werden!«

»Geht an Euer Werk, Barnstable!« war Griffith's Gegenrede, als er wieder wie aus einem tiefen Traume erwachte. »Ihr habt Eure Ordres! Daß sie gleich ausgeführt werden!«

»Ich habe auch meine Befehle von unserm gemeinschaftlichen Obern, dem Kapitain Munson,« versetzte Jener fest, »und sage Euch, daß, als er mir meine Instruktion für den Ariel mitgab – ach der arme Bursche! Nicht zwei seiner Planken hängen an einander! – diese Instruktionen ganz besonders darauf gerichtet waren!«

»Jetzt gelten meine Befehle zuerst!«

»Bin ich denn gerechtfertigt, wenn ich der mündlichen Ordre eines Subalternen gehorche, die der schriftlichen vom höhern Offizier gerade entgegen ist?«

Bis jetzt hatte Griffith nur eine kalte Entschlossenheit geäußert. Allein nun drang das Blut in jede Ader seiner Wangen. Sein schwarzes Auge sprühte Feuer.

»Wie?« rief er mit aller Würde des Dienstes; »Ihr nehmt Anstand zu gehorchen?«

»Beim Himmel! Ich würde die Ordre des Congresses selbst in Zweifel ziehn, wenn er mir befehlen wollte, meine Pflicht gegen – gegen«

»Sagt: gegen Euch selbst!« ergänzte Griffith. »Laßt dies das letzte Wort seyn, und thut Eure Schuldigkeit!«

»Diese ruft mich hierher!«

»So muß ich denn handeln, oder mir von meinen eignen Offizieren widersprechen lassen! – Kadet Merry, sagt dem Kapitain Manuel, daß er einen Korporal und vier Mann hereinschicke!«

»O, sagt ihm, er soll selbst kommen!« schrie Barnstable, durch den Widerspruch ganz zum Wahnsinn gebracht. »Seine ganze Mannschaft kann mich nicht entwaffnen! Sie sollen kommen! Hierher, Bursche, vom Ariel! Sammelt Euch um Euern Kapitain!«

»Wer es wagt, ohne meine Ordre, diese Schwelle zu überschreiten, ist ein Kind des Todes!« rief Griffith den Matrosen mit entblößtem Säbel drohend zu. Sie hatten sich auf den Zuruf ihres alten Kommendanten gleich in Bewegung gesetzt. »Gebt Eure Waffen ab, Lieutnant, und erspart Euch, sie mit Gewalt von einem gemeinen Soldaten entrissen zu sehn!«

»Den Hund will ich sehn, der das wagen soll.« donnerte Jener, und zog in wildem Zorn den Degen.

Griffith hatte den seinigen in der Hitze der Leidenschaft entgegenstreckt. Die Klingen kreuzten sich mit einander. Das Klirren des Stahls wirkte wie die schmetternde Trompete auf ein Streitroß. Hieb auf Hieb wechselte wie Blitzesschnelle, und ward mit gleicher Gewandtheit ausparirt.

»Barnstable, Barnstable!« schrie Katharine, und stürzte sich zwischen die Kämpfenden. »Ich gehe mit Dir bis ans Ende der Welt!«

Cecilie sprach nicht. Aber als Griffith wieder zur Besinnung kam, sah er die schöne Gestalt vor sich auf den Knieen liegen, und ihr blasses Antlitz heftete sich flehend auf seine zerstörten Züge.

Miß Plowden's Schreckensruf hatte die Kämpfenden getrennt, ehe noch Blut geflossen war. Aber die jungen Männer wechselten noch wilde Blicke mit einander, trotz dem, daß die Mädchen sich in's Spiel gemischt hatten. In diesem Augenblicke trat der Oberst Howard vor, und hob seine Nichte von der Erde.

»Diese Stellung paßt nicht für eine Tochter des Harry Howard,« sagte er mit Würde. »Mag sie in Gegenwart und vor dem Throne des Königs knieen! Siehe, meine theure Cecilie, die natürlichen Folgen dieser Rebellion. Sie säet die Zwietracht in ihren eignen Reihen, und durch ihre verdammten, Alles gleichmachenden Grundsätze hebt sie jeden Unterschied des Ranges auf. Selbst diese jungen Thoren wissen nicht, wem sie Gehorsam schuldig sind.«

»Nein!« sagte der Lootse, und trat mitten in den Kreis. »Es ist Zeit, ihn geltend zu machen: – Herr Griffith steckt den Degen ein! Ihr, Herr Barnstable, habt Eurem obern Offizier die Stirn geboten, die Pflicht verlassen, die Euch Euer Eid auflegte. Fügt Euch und kehrt zu Eurer Schuldigkeit zurück!«

Griffith staunte, als er die ruhige Stimme hörte. Schnell schien er sich zu besinnen. Er verbeugte sich tief, und senkte den Degen. Barnstable hingegen hielt noch sein schlankes Mädchen mit der einen Hand umschlossen, während die andere den Säbel schwang, indem er höhnisch diese außerordentliche Anmaßung verlachte.

»Wer ist es denn, der mir so einen Befehl zu geben wagt?« fragte er.

Das Auge des Lootsen sprühte Feuer. Glühender Zorn schien seine ganze Gestalt zu ergreifen. Er bebte vor Leidenschaft. Doch endlich ward er durch kräftige, plötzliche Anstrengung Herr seiner Gefühle. Mit Nachdruck antwortete er:

»Einer, der das Recht hat, zu befehlen und Gehorsam verlangt!«

Die außerordentliche Art, in der er sich zeigte, und die Versicherung selbst bewogen Barnstable gleich sehr, mitten in seiner Ueberraschung, die Waffe zu senken. Er that es in einer Art, die wohl für Nachgiebigkeit gelten konnte. Der Lootse sah ihn einen Augenblick mit feuersprühendem Auge an, und dann fuhr er, zu Allen im Kreise gewendet, sanfter fort:

»Es ist wahr, wir kamen nicht als Räuber her. Unser Wunsch ist, Alten und Hülflosen so wenig Leides zu thun, als möglich. Aber dieser Offizier der Krone, dieser müssige Amerikaner insbesondere, sind gute Kriegsgefangene. Als solche müssen sie an Bord der Fregatte gebracht werden.«

»Aber der Hauptzweck unserer Expedition?« – fragte Griffith.

»Ist dahin!« versetzte der Lootse hastig. »Ist einem Privat-Interesse aufgeopfert worden. Wie hundert andere endet sie mit Täuschung, und wird in ewiger Vergessenheit begraben. Der Vortheil der Republik darf darunter nicht leiden. Wir durften nicht thöricht das Leben dieser tapfern Leute auf's Spiel setzen, um ein Lächeln der Liebe von einem dieser schönen Mädchen zu erbeuten. Aber wir dürfen auch nicht die möglichen Vortheile vergessen, um den Beifall der andern zu erhalten. Dieser Oberst Howard wird als ein Liebling der Krone gut zur Auswechselung dienen, und die Freiheit eines Patrioten erkaufen können, der diese wohl verdient. – Nein, nein, entsagt diesem stolzen Blicke, wendet ihn auf jeden Andern, nur nicht auf mich! Er geht an Bord der Fregatte und das im Augenblick!«

»Dann will ich mit ihm gehn!« sagte Cecilie, furchtsam sich dem Orte nähernd, wo ihr Onkel stand, und mit verächtlichem Blicke dem Streite zugeschaut hatte. – »Dann will ich mit! Er soll nicht unter seinen Feinden allein seyn!«

»Es wäre edler, und meines Bruders Tochter würdiger!« bemerkte der Veteran kalt, »wenn sie ihre Bereitwilligkeit mit zu gehen, ihrem eignen Herzen zuschriebe!«

Den Blick tiefen Schmerzens, mit welchem Cecilie diese kränkende Zurückweisung ihrer Zärtlichkeit dem Onkel erwiederte, beachtete der alte Mann nicht. Er ging zu Borroughcliffe, der an seinem Degengefäß kaute, weil er es nicht vergessen konnte, wie mit Einem Male alle seine stolzen Hoffnungen nichtig geworden waren. Mit ungemeiner Würde sich in das Geschick ergebend, sagte der Veteran zu den Amerikanern:

»Handelt nach Belieben! Ihr seyd die Sieger, wir müssen uns fügen. Ein braver Mann weiß eben so mit Würden zu unterliegen, als sich tapfer zu vertheidigen, wenn er nicht, gleich uns überfallen wird. – Sollte sich aber die Gelegenheit finden! – – Ganz nach Belieben Ihr Herren! Nicht zwei Lämmer sollen halb so sanft seyn, als ich und Kapitain Borroughcliffe.«

Er setzte sich neben ihm nieder. Sein erzwungenes, aber bitteres Lächeln, ward von diesem auf eine Art erwiedert, daß die Unruhe, die ihn peinigte, nur desto deutlicher war. Beide wußten indessen sich soweit zu beherrschen, daß sie mit hinlänglicher Ruhe, die fernern Anordnungen der Sieger beobachten konnten.

Der Oberst wies fest und kalt das entgegenkommende Benehmen seiner Nichte von sich. Sie fügte sich endlich sanft in seinen Willen, und gab für den Augenblick die Hoffnung auf, daß er seine Ungerechtigkeit einsehen werde. Dagegen bemühte sie sich ernstlich, alle Anordnungen zu treffen, die zur Ausführung ihres Entschlusses nöthig waren. Ihre Base war bei diesem unerwarteten Geschäft eine treue, rasche Gehülfinn. Ohne daß Cecilie etwas davon wußte, hatte Katharine schon, ein solches Ereigniß ahnend, im Stillen alle Maaßregeln getroffen, die bei einer plötzlichen Flucht aus der Abtei nothwendig werden konnten.

Mit dem Geliebten in Uebereinstimmung eilte sie, Alles aufzubieten, um die Dinge fortzuschaffen, die schon eingepackt waren. Barnstable hatte gleich gesehen, daß der Plan des Lootsen seine Absicht förderte, und daher weislich darauf verzichtet mit ihm noch ferner zu hadern. Mit Merry folgte er ihrem flüchtigen Fuße durch die engen dunkeln Irrgänge der Abtei, vor Freude außer sich. Immer pries er ihren Witz, ihre Schönheit und alle andre Verdienste, während Merry lachte, und alles Feuer geltend machte, das ein junger Mensch von seinen Jahren, seinen Ansichten, in so einem Augenblicke, unter solchen Umständen fühlen konnte.

Es war gut für Cecilien, daß Katharine da vorher gesorgt hatte: denn jene achtete doch mehr darauf, ihren Onkel zu trösten, als auf das, was sie selbst nöthig hatte. Von Alix Dunscombe begleitet, ging sie durch die einsamen Zimmer der Abtei, und hörte schweigend den sanften Trost ihrer frommen Freundinn. Manchmal erwachte das Gefühl der eben erlittenen Kränkung; dann aber gab sie wieder den Dienerinnen so ruhig ihre Befehle, als ob von einem gewöhnlichen Geschäft die Rede sey.

Die ganze Zeit über blieben alle andere in dem Speisezimmer. Der Lootse, zufrieden mit dem was er gethan hatte, nahm wieder seine Stellung an der Wand ein, obschon sein Auge jede Zurüstung scharf und einzeln beobachtete, und als die Seele des Ganzen galt. Griffith hatte dem Scheine nach indessen wieder das Kommando übernommen. Alle Matrosen und Soldaten holten bei ihm allein die Befehle ein.

So war eine Stunde vergangen, als Cecilie und Katharine in Reisekleidern erschienen. Das ganze Gepäck war bereits einem Korporal und dessen Mannschaft übergeben. Griffith gab die Ordre, daß sich Alles in Marsch setzen sollte. Die gellende, durchdringende Pfeife des Bootsmanns drang noch einmal durch alle Gallerien und Zellen der Abtei, und eine rauhe Stimme: »Macht Euch fertig, Ihr Seehunde! Fort, an Bord! Piken in die Faust genommen, Ihr Küstenkrebse!« ließ sich unmittelbar darauf hören.

Dem wunderlichen Aufrufe folgte das Wirbeln der Trommeln, und das Gequike der Querpfeifen, worauf das Ganze sich aus der Abtei in Bewegung setzte. Kapitain Manuel machte bei der Gelegenheit den Generalfeldmarschall, und von ihm war der Zug im Voraus geordnet.

Der Lootse hatte seinen Ueberfall mit so viel Gewandtheit und Stille ausgeführt, daß jeder in der Nähe der Abtei, Mann und Weib, Soldat und wer nur sonst, fest genommen wurde. Es konnte gefährlich seyn, irgend jemand im Rücken zu lassen, der im Lande Lärm machte. Griffith befahl jetzt jeden Bewohner der Abtei mit an den Strand zu nehmen, und ihn dort mindestens so lange festzuhalten, bis das letzte Boot nach dem Kutter abginge, der, wie er erfahren hatte, dicht am Ufer lag, und auf die Wiedereinschiffung wartete.

Die Eile, mit welcher der Abmarsch betrieben wurde, hatte das Anzünden einer Menge Lichter veranlaßt. Sie leuchteten hell im Innern, und draußen war es so finster. Dieser Kontrast fiel den Frauen, als sie in den Park kamen, besonders auf. Eines jener Gefühle, die kein Wort nennen und bezeichnen kann, wenn sie das Herz ergreifen, bewog Cecilien am großen Thore Halt zu machen. Sie sah nach der Abtei zurück, und ihr Herz sagte ihr daß sie sie zum letzten Male schaue. Die dunkeln Mauern zeigten sich nach Norden hin in allen Umrissen, und die offenen Fenster, die unverschlossenen Thüren, ließen die Einsamkeit darin wahrnehmen. Zwanzig Kerzen warfen ihren Schein umsonst in den leeren Gemächern umher, als spotteten sie der verlassenen Mauern. Cecilie wandte sich furchtsam um, und schmiegte sich dichter an ihren erzürnten Onkel. Wohl fühlte sie im Stillen, daß ihre Gegenwart ihm bald nöthiger, als je seyn werde.

Das dumpfe Geräusch der Vorausziehenden, bisweilen von der Pfeife, oder von den ernsten Weisungen der Offiziere unterbrochen, versetzte sie indessen bald aus ihren Träumereien in die Wirklichkeit, während der ganze Zug eilig den Weg nach der Küste verfolgte.


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