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Zweiundzwanzigstes Kapitel: Der Kordon

Der Name des Kordons wird jeder Verteidigungsanstalt gegeben, welche durch eine Reihe aneinanderhängender Posten einen ganzen Landstrich unmittelbar schützen will. Wir sagen unmittelbar, denn mehrere nebeneinander aufgestellte Korps eines großen Heeres könnten einen bedeutenden Landstrich vor dem feindlichen Eindringen schützen, ohne einen Kordon zu bilden; dann würde dieser Schutz aber nicht unmittelbar, sondern durch die Wirkung von Kombinationen und Bewegungen stattfinden.

Daß eine so lange Verteidigungslinie, wie die sein muß, die einen bedeutenden Landstrich unmittelbar decken soll, nur einen sehr geringen Grad der Widerstandsfähigkeit haben kann, springt in die Augen. Selbst bei den größten Truppenmassen würde dies der Fall sein, wenn ähnliche Truppenmassen dagegen wirkten. Die Absicht eines Kordons kann also nur sein, gegen einen schwachen Stoß zu schützen, sei es daß die Willenskraft schwach ist, oder die Streitkraft, mit der der Stoß erfolgen kann, klein.

In diesem Sinn ist die chinesische Mauer errichtet, ein Schutz gegen die Streifereien der Tataren. Diese Bedeutung haben alle Linien- und Grenzverteidigungsanstalten der mit Asien und der Türkei in Berührung stehenden europäischen Staaten. Bei dieser Anwendung hat ein Kordon weder etwas Widersinniges, noch erscheint er unzweckmäßig. Freilich wird dadurch nicht jede Streiferei abgehalten werden können; aber sie werden doch erschwert und folglich seltener, und bei Verhältnissen wie die mit asiatischen Völkern, wo der Kriegszustand fast nie aufhört, ist das sehr wichtig.

Dieser Bedeutung eines Kordons am nächsten kommen die Linien, welche in den neuen Kriegen auch zwischen europäischen Staaten entstanden sind, wie die französischen am Rhein und in den Niederlanden. Sie sind im Grunde nur errichtet, um das Land gegen solche Angriffe zu schützen, die bloß darauf abgesehen sind, Kontributionen einzutreiben und auf Unkosten des Gegners zu leben. Sie sollen also nur Nebenunternehmungen abhalten, und folglich nur mit einer untergeordneten Macht. Aber freilich wird in den Fällen, wo die feindliche Hauptmacht die Richtung gegen diese Linie nimmt, auch der Verteidiger genötigt sein, sie mit seiner Hauptmacht zu besetzen, woraus denn nicht die besten Verteidigungsanstalten entspringen. Um dieses Nachteiles willen, und weil der Schutz gegen Streifereien in einem vorübergehenden Kriege ein Zweck von sehr untergeordneter Wichtigkeit ist, für den durch das Dasein solcher Linien leicht ein zu großer Kraftaufwand abgezwungen werden kann, sind sie in unseren Tagen als eine schädliche Maßregel angesehen worden. Je stärker die Kraft ist, mit welcher der Krieg tobt, um so unnützer und gefährlicher ist dieses Mittel.

Endlich sind noch alle sehr ausgedehnten Vorpostenlinien, welche die Quartiere eines Heeres decken und dazu einen gewissen Widerstand leisten sollen, als wahre Kordons zu betrachten.

Dieser Widerstand ist hauptsächlich gegen Streifereien und andere kleine, gegen die Sicherheit einzelner Quartiere gerichtete Unternehmungen bestimmt, und dazu kann er, wenn die Gegend die Hand bietet, hinreichende Stärke gewinnen. Gegen die anrückende Hauptmacht des Feindes kann es nur ein relativer, d. h. auf Zeitgewinn berechneter Widerstand sein; aber auch dieser Zeitgewinn wird in den meisten Fällen nicht sehr beträchtlich sein und also auch weniger als der Zweck des Vorpostenkordons angesehen werden können. Das Versammeln und Anrücken des feindlichen Heeres selbst kann niemals so unbemerkt geschehen, daß der Verteidiger erst durch seine Vorposten davon Nachricht erhielte, und er würde in einem solchen Fall sehr zu bedauern sein.

Es ist also auch in diesem Fall der Kordon nur gegen den Angriff einer schwachen Kraft bestimmt, und insoweit hat er wie in den anderen beiden Fällen nichts Widersprechendes.

Daß aber die zur Verteidigung eines Landes bestimmte Hauptmacht gegen die feindliche Hauptmacht sich in eine lange Reihe von Defensivposten, also in einen Kordon auflöst, scheint so widersinnig zu sein, daß man sich nach den näheren Umständen umsehen muß, welche dieses Vorkommen begleiten und motivieren.

Jede Stellung im Gebirgsboden, wenn sie auch in der Absicht einer Schlacht mit ganz vereinigter Macht genommen ist, kann und muß notwendig ausgedehnter sein wie in der Ebene. Sie kann es, weil der Beistand des Bodens die Widerstandsfähigkeit sehr erhöht, sie muß es, weil man eine breitere Rückzugsbasis braucht, wie wir das in dem Kapitel von der Gebirgsverteidigung schon gezeigt haben. Ist aber die Aussicht zu einer Schlacht nicht nahe, ist es wahrscheinlich, daß der Gegner uns geraume Zeit gegenüber bleiben wird, ohne etwas anderes zu unternehmen, als wozu sich ihm gerade eine vorteilhafte Gelegenheit darbietet, ein Zustand, der in den meisten Kriegen der gewöhnliche war, so ist es auch natürlich, sich in betreff der Gegend nicht auf den notwendigsten Besitz zu beschränken, sondern Herr zu bleiben von so viel Land rechts und links, als es die Sicherheit unseres Heeres uns gestattet, woraus, wie wir das noch näher angeben werden, mancherlei Vorteile für uns entspringen. In einer offenen und zugänglichen Gegend kann dies durch das Prinzip der Bewegung in einem höheren Grade erreicht werden als im Gebirge, daher ist die Ausdehnung und Zersplitterung der Streitkraft dort zu diesem Zweck weniger notwendig; sie würde aber auch viel gefährlicher sein, weil jeder Teil weniger Widerstandsfähigkeit hat.

Im Gebirge aber, wo aller Besitz der Gegend mehr von ihrer örtlichen Verteidigung abhängt, wo man nicht so schnell nach einem bedrohten Punkt hinkommen kann, und wo man, wenn der Feind ihn früher erreicht hat, diesen nicht so leicht wieder durch einige Überlegenheit vertreiben kann, - im Gebirge wird man unter solchen Umständen immer zu einer solchen Aufstellung kommen, die, wenn sie auch nicht ein eigentlicher Kordon wird, doch als eine Reihe von Verteidigungsposten demselben näher kommt. Von einer solchen, in mehrere Posten aufgelösten Aufstellung bis zum Kordon ist freilich noch ein großer Schritt, aber die Feldherren tun ihn nichtsdestoweniger oft, ohne es selbst zu wissen, weil sie von einer Stufe zur anderen fortgezogen werden. Anfangs ist die Deckung und der Besitz des Landes der Zweck der Teilung, später wird es die Sicherheit der Streitkraft selbst. Jeder Befehlshaber eines Postens berechnet den Vorteil, welcher ihm aus der Besetzung dieses oder jenes Zugangspunktes entspringen würde, der rechts oder links neben seinem Posten liegt, und so kommt das Ganze unmerklich von einer Stufe der Teilung zu anderen.

Ein Kordonkrieg mit der Hauptmacht ist also, wenn er entsteht, nicht als eine absichtlich gewählte Form zu betrachten, jeden Stoß der feindlichen Kräfte aufzuhalten, sondern als eine Lage, in welche man durch die Verfolgung eines ganz anderen Zieles hineingeraten ist, nämlich durch die Behauptung und Deckung des Landes gegen einen Feind, der keine Hauptunternehmung beabsichtigt. Immer bleibt eine solche Lage ein Fehler, und die Gründe, die dem Feldherrn nach und nach einen kleinen Posten nach dem anderen abgelockt haben, sind in Beziehung auf den Zweck einer Hauptmacht kleinlich zu nennen; allein diese Ansicht zeigt wenigstens die Möglichkeit einer solchen Verirrung. Daß es eine solche Verirrung, nämlich ein Verkennen des Gegners und der eigenen Lage ist, übersieht man und spricht nur von dem fehlerhaften System. Man läßt aber dies System stillschweigend gelten da, wo es mit Vorteil oder wenigstens ohne Schaden befolgt worden ist. Jedermann rühmt die fehlerfreien Feldzüge des Prinzen Heinrich im Siebenjährigen Kriege, weil der König sie so benannt hat, obgleich diese Feldzüge die allerstärksten und unbegreiflichsten Beispiele von so ausgedehnter Postenstellung enthalten, daß sie den Namen eines Kordons so sehr verdienen wie irgend andere. Man kann diese Stellungen vollkommen rechtfertigen, wenn man sagt: der Prinz kannte seine Gegner, er wußte, daß er keine entscheidende Unternehmungen zu fürchten hatte, und da übrigens der Zweck seiner Aufstellung war, immer einen so großen Landstrich als möglich innezuhaben, so ging er so weit, wie die Umstände nur irgend gestatten wollten. Wäre der Prinz in einem solchen Spinngewebe einmal verunglückt und zu einem tüchtigen Verlust gekommen, so hätte man sagen müssen, nicht daß der Prinz ein fehlerhaftes Kriegssystem befolgte, sondern daß er sich in seiner Maßregel vergriffen, sie auf einen ungeeigneten Fall angewendet hatte.

Wenn wir uns auf diese Weise bemühen, begreiflich zu machen, wie ein sogenanntes Kordonsystem bei der Hauptmacht des Kriegstheaters entstehen, ja wie es vernünftig und nützlich sein kann, also dann nicht mehr als eine Absurdität erscheint, so wollen wir nur zugleich bekennen, daß es wirklich Fälle gegeben zu haben scheint, wo die Feldherren oder ihr Generalstab die eigentliche Bedeutung eines Kordonsystems übersehen, seinen relativen Wert für einen allgemeinen gehalten und es wirklich zur Deckung gegen jeden feindlichen Angriff geeignet geglaubt haben; wo also keine Verwechslung der Maßregel, sondern ein vollkommenes Mißverstehen derselben stattgefunden hat. Wir wollen es gestehen, daß diese wahre Absurdität unter anderen dagewesen zu sein scheint in der Verteidigung der Vogesen durch das preußische und österreichische Heer 1793 und 1794.


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