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Viertes Kapitel: Konzentrizität des Angriffs und Exzentrizität der Verteidigung

Es kommen diese beiden Vorstellungen, diese beiden Formen in dem Gebrauch der Kräfte bei Angriff und Verteidigung, in Theorie und Wirklichkeit so häufig vor, daß sie sich der Phantasie unwillkürlich fast als notwendige, dem Angriff und der Verteidigung innewohnende Formen aufdringen, welches doch, wie die kleinste Überlegung zeigt, nicht eigentlich der Fall ist. Wir wollen sie daher so früh als möglich betrachten und uns ein- für allemal klare Vorstellungen davon verschaffen, um dann bei unseren weiteren Betrachtungen des Verhältnisses von Angriff und Verteidigung davon ganz abstrahieren zu können und nicht unaufhörlich durch den Schein von Vorteil und Nachteil, den sie auf die Dinge werfen, gestört zu werden. Wir betrachten sie also hier als reine Abstraktionen, ziehen den Begriff wie einen Alkohol heraus und behalten uns vor, in der Folge auf den Anteil, welchen er an den Dingen hat, aufmerksam zu machen.

Der Verteidiger in der Taktik wie in der Strategie wird als abwartend, also als stehend, der Angreifende als in Bewegung gedacht, und zwar sich bewegend in Beziehung auf jenes Stehen. Es folgt hieraus notwendig, daß das Umfassen und Umschließen nur in der Willkür des Angreifenden liegt, nämlich solange seine Bewegung und das Stehen des Verteidigers dauert. Diese Freiheit des Angriffs, konzentrisch zu sein oder es nicht zu sein, nachdem es vorteilhaft oder nachteilig ist, würde ihm als ein allgemeiner Vorzug angerechnet werden müssen. Allein diese Wahl ist ihm nur in der Taktik, in der Strategie aber nicht immer frei gegeben. In der ersteren sind die Anlehnungspunkte für beide Flügel fast niemals absolut sichernd, in der Strategie sehr häufig, wenn sich die Verteidigungslinie in gerader Richtung von Meer zu Meer oder von neutralem Gebiet zu neutralem Gebiet fortzieht. In diesem Fall kann der Angriff nicht konzentrisch vorgehen, und die Freiheit seiner Wahl ist beschränkt. Noch unangenehmer wird sie aber beschränkt, wenn er konzentrisch vorgehen muß. Rußland und Frankreich können Deutschland nicht anders als mit umschließenden, also nicht mit vereinigten Kräften angreifen. Dürften wir nun annehmen, daß die konzentrische Form in der Wirkung der Kräfte in der Mehrheit der Fälle die schwächere sei, so würde der Vorteil, welchen der Angreifende von der größeren Freiheit in der Wahl hat, wahrscheinlich dadurch völlig aufgewogen, daß er in anderen Fällen gezwungen ist, sich der schwächeren Form zu bedienen.

Jetzt wollen wir die Wirkung dieser Formen in Taktik und Strategie näher betrachten.

Bei der konzentrischen Richtung der Kräfte, vom Umfang nach dem Mittelpunkt, hat man es als einen ersten Vorzug betrachtet, daß sich die Kräfte im Vorschreiten immer mehr vereinigen; das Faktum ist wahr, der vermeintliche Vorzug aber nicht, denn das Vereinigen findet bei beiden Teilen statt, hält sich also das Gleichgewicht. Ebenso ist es mit dem Zerstreuen bei der exzentrischen Wirkung.

Ein anderer und der wahre Vorzug aber ist, daß die konzentrisch bewegten Kräfte ihre Wirkung nach einem gemeinschaftlichen Punkt richten, die exzentrisch bewegten nicht. - Welches sind nun diese Wirkungen? Hier müssen wir Taktik und Strategie trennen.

Wir wollen die Analyse nicht zu weit treiben und geben daher folgende Punkte als die Vorteile dieser Wirkungen an:

1. Eine doppelte oder wenigstens verstärkte Wirkung des Feuers, sobald sich nämlich alles schon bis auf einen gewissen Punkt zusammengeschoben hat.

2. Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten.

3. Das Abschneiden des Rückzuges.

Das Abschneiden des Rückzuges kann strategisch auch gedacht werden, es ist aber offenbar viel schwieriger, weil sich die großen Räume nicht gut sperren lassen. Der Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten wird überhaupt um so wirksamer und entscheidender, je kleiner dieser Teil, je näher er der äußersten Grenze, nämlich dem einzelnen Kämpfenden gedacht wird. Ein Heer kann sich füglich von mehreren Seiten zugleich schlagen, eine Division schon weniger, ein Bataillon nur, wenn es eine Masse macht, ein einzelner Mensch gar nicht mehr. Nun nimmt aber die Strategie das Gebiet der großen Massen, Räume und Zeiten ein, und die Taktik liegt auf der entgegengesetzten Seite. Hieraus geht schon hervor, daß der mehrseitige Anfall in der Strategie nicht die Folgen haben kann, die er in der Taktik hat.

Die Wirkung des Feuers ist gar kein Gegenstand der Strategie, an dessen Stelle tritt aber etwas anderes. Es ist die Erschütterung der Basis, welche jede Armee mehr oder weniger empfindet, wenn der Feind, nahe oder weit, hinter ihrem Rücken siegreich ist.

Es steht also fest, daß die konzentrische Wirkung der Kräfte einen Vorzug hat, dadurch, daß die Wirkung gegen a zugleich eine gegen b wird, ohne darum gegen a schwächer zu sein, und daß die gegen b zugleich eine gegen a, das Ganze also nicht a + b, sondern noch etwas mehr ist, und daß dieser Vorteil in der Taktik und in der Strategie, wiewohl in beiden etwas verschieden, stattfindet.

Was steht nun diesem Vorteil bei der exzentrischen Wirkung der Kräfte entgegen? Offenbar das Nahebeisammensein, das Bewegen auf inneren Linien. Es ist unnötig zu entwickeln, auf welche Weise dies ein solcher Multiplikator der Kräfte werden kann, daß der Angreifende ohne eine große Überlegenheit sich diesem Nachteil nicht aussetzen darf. -

Hat die Verteidigung einmal das Prinzip der Bewegung in sich aufgenommen (einer Bewegung, die zwar später anfängt wie die des Angreifenden, aber immer zeitig genug, um die Fesseln der erstarrenden Passivität zu lösen), so wird dieser Vorteil der größeren Vereinigung und der inneren Linien ein sehr entscheidender und meistens wirksamer zum Siege als die konzentrische Figur des Angriffs. Sieg aber muß dem Erfolg vorhergehen; erst muß man überwinden, ehe man an das Abschneiden denken kann. Kurz, man sieht, es besteht hier ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Angriff und Verteidigung überhaupt; die konzentrische Form führt zu glänzenden Erfolgen, die exzentrische gewährt die ihrigen sicherer, jenes ist die schwächere Form mit dem positiveren Zweck, dieses die stärkere Form mit dem negativen Zweck. Dadurch, scheint uns, sind diese beiden Formen schon in ein gewisses schwebendes Gleichgewicht gebracht. Fügt man nun hinzu, daß die Verteidigung, weil sie nicht überall eine absolute Verteidigung ist, sich auch nicht immer in der Unmöglichkeit befindet, sich der konzentrischen Kräfte zu bedienen, so wird man wenigstens kein Recht mehr haben, zu glauben, daß diese Wirkungsart allein hinreichend sei, dem Angriff ein ganz allgemeines Übergewicht über die Verteidigung zuzusichern, und sich von dem Einfluß losmachen, den diese Vorstellungsart bei jeder Gelegenheit auf das Urteil auszuüben pflegt.

Was wir bisher gesagt haben, umfaßte Taktik und Strategie, jetzt muß noch ein höchst wichtiger Punkt herausgehoben werden, der die Strategie allein angeht. Der Vorteil der inneren Linien wächst mit den Räumen, worauf sich diese Linien beziehen. Bei Entfernungen von einigen tausend Schritten oder einer halben Meile kann natürlich die Zeit, welche man gewinnt, nicht so groß sein wie bei Entfernungen von mehreren Tagemärschen oder gar von 20 bis 30 Meilen; die ersteren, nämlich die kleinen Räume, gehören der Taktik an, die größeren der Strategie. Wenn man nun freilich in der Strategie auch mehr Zeit zur Erreichung des Zweckes braucht als in der Taktik, und eine Armee nicht so schnell überwunden ist als ein Bataillon, so nehmen doch diese Zeiten in der Strategie auch nur bis zu einem gewissen Punkt zu, nämlich bis zur Dauer einer Schlacht, und allenfalls die paar Tage, welche sich eine Schlacht ohne entscheidende Opfer vermeiden läßt. Ferner findet ein noch viel größerer Unterschied in dem eigentlichen Vorsprung statt, den man in dem einen und dem anderen Fall gewinnt. Bei den kleinen Entfernungen in der Taktik, in der Schlacht, geschehen die Bewegungen des einen fast unter den Augen des anderen; der auf der äußeren Linie Stehende wird also die seines Gegners meistens schnell gewahr. Bei den größeren Entfernungen der Strategie geschieht es wohl höchst selten, daß eine Bewegung des einen nicht wenigstens einen Tag dem anderen verborgen bleiben sollte, und es gibt Fälle genug, wo, wenn die Bewegung nur einen Teil betraf und in einer beträchtlichen Entsendung bestand, dies wochenlang verborgen geblieben ist. - Wie groß der Vorteil der Verbergung für denjenigen ist, welcher durch die Natur seiner Lage am meisten geeignet ist, davon Gebrauch zu machen, läßt sich leicht einsehen. -

Hiermit schließen wir unsere Betrachtungen über konzentrische und exzentrische Wirkung der Kräfte und ihr Verhältnis zu Angriff und Verteidigung und behalten uns vor, in beiden noch darauf zurückzukommen.


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