Karel Čapek
Hordubal
Karel Čapek

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III

»Stefan daheim?«

»Nein, er ist in die Stadt gegangen.«

Biegl stößt Michal Manya zur Seite und eilt ins Haus hinein. Gelnaj beginnt mittlerweile mit dem alten Manya und Michal ein Gespräch über das Wetter, über die Hasen und über die Jauche, die ihnen da auf die Straße fließt.

Biegl kommt zurück, hinter ihm Stefan, bleich, trotzig, die Kleider voll Heu.

»So, und Ihr habt gesagt, daß er nicht zu Hause ist?« brüllt Biegl den Michal an.

»Er hat in der Früh gesagt, daß er in die Stadt geht«, murmelt Michal. »Bin ich sein Wächter?«

»Und hat sich indessen im Heu versteckt. Warum haben Sie sich dort versteckt?«

»Ich hab' mich nicht versteckt«, sagt Stefan grimmig. »Warum soll ich mich verstecken? Geschlafen habe ich.«

»Sie haben wohl in der Nacht nicht genug geschlafen?«

»Doch. Warum soll ich nicht geschlafen haben, bitte schön?«

»Warum haben Sie dann jetzt geschlafen?«

»Weil – weil ich nichts zu tun hab'. Hab' genug gearbeitet im Dienst.«

»Gestern hat er gearbeitet, bitte untertänigst, den ganzen Tag hat er das Feld geackert«, hilft der alte Manya flugs nach.

»Euch hab' ich nicht gefragt«, herrscht ihn Biegl an.

»Geht in die Stube, marsch, und Michal auch.«

»Ach ja«, seufzt Gelnaj. »Und was sagt Ihr, Stefan, dazu, was mit Hordubal passiert ist?«

»Ich hab's ihm nicht getan«, entfährt es Stefan.

»Sie wissen also schon, daß er ermordet ist?« fährt Biegl triumphierend dazwischen. »Wer hat's Ihnen gesagt?«

»Niemand. Aber wenn man Gendarmen sieht – errät man, da wird mit Hordubal etwas los sein.«

»Warum gerade mit Hordubal?«

»Weil – weil wir uns gestritten haben.« Stefan preßt Zähne und Fäuste zusammen. »Hinausgeworfen hat er mich, der Hund.«

Biegl ist etwas enttäuscht. »Geben Sie acht, Manya: Sie gestehen also, daß Sie und Hordubal im Zorn auseinandergegangen sind.«

Stefan zeigt zornig die Zähne. »Das weiß doch ein jeder.«

»Und Sie wollten sich rächen.«

Stefan schnaubt. »Wenn ich ihn getroffen hätte – weiß nicht, was ich gemacht hätte.«

Biegl überlegt einen Moment: leicht kommt man an Stefan nicht heran.

»Wo waren Sie heute nacht«, schlägt er direkt los.

»Zu Haus war ich, hier. Geschlafen hab' ich.«

»Das wird sich zeigen. Kann es Ihnen jemand bezeugen?«

»Ja, Michal – Djula – unser Alter – fragen Sie sie!«

»Mir haben Sie keine Ratschläge zu erteilen«, donnert ihn Biegl an. »Gestern nachmittag haben Sie mit der Hordubal gesprochen. Worüber?«

»Ich hab' nicht mit ihr gesprochen«, erklärt Stefan hart und gesammelt. »Hab' sie überhaupt nicht gesehn.«

»Sie lügen! Sie selbst hat gesagt, daß sie mit Ihnen ein Stelldichein hatte – daß Sie sie gefragt haben, wann Sie Ihre Sachen holen sollen –«

»Ich hab' sie schon zehn Tage nicht gesehn«, beharrt Stefan auf seiner Aussage. »Seit ich nicht mehr im Dienst bin, war ich nicht in Krivá und hab' die Bäuerin nicht gesehn.«

Biegl wütet. »Nehmen Sie sich in acht, sonst werde ich Ihnen andre Töne beibringen. Vorwärts, Sie werden mir jetzt zeigen, wo Sie in der Nacht geschlafen haben.«

Stefan zuckt die Achseln und führt Biegl hinein.

Gelnaj klopft ans Fenster: »Hej, Alter, kommt heraus.«

Der alte Manya schlürft heraus und blinzelt mißtrauisch. »Bitte schön, was ist geschehen?«

Gelnaj schwenkt die Hand. »Den Hordubal hat man heute Nacht verprügelt. Einen Stockhieb auf den Rüssel hat er erwischt. Hört mal, Alter, hat das nicht der Stefan gemacht?«

Der Alte schüttelt den Kopf. »Das nicht, bitte ergebenst, das konnte der Stefan nicht. Der Stefan war zu Hause, hat geschlafen. Hej, Michal, komm her. Sag, wo war Stefan heute nacht?«

Michal denkt nach und sagt langsam: »Na, wo er war? Geschlafen hat er oben mit mir und mit Djula.«

»So, so«, nickt Gelnaj, »das hab' ich mir gleich gedacht. Hordubal ist halt im Dorf nicht sehr beliebt. Ihr wißt ja, so ein reicher Amerikaner, und hat nicht mal die Nachbarn freigehalten.«

Der alte Manya hebt die Hände. Oje, und wie reich, am Hals trägt er ein Säckchen mit lauter Dollars – »Ihr habt sie gesehn?«

Gewiß hat er sie gesehn, er war doch einmal hier, um den Bauernhof zu kaufen, und hat das Geld gezeigt. Mehr als siebenhundert Dollar, bitte schön. Unbeliebt im Dorf, so wird's wohl sein: bitt' ergebenst, ein stolzer Mensch hat keine Freunde.

Gelnaj nickt ernsthaft: »Und wovon, Manya, ist hier die Tür so zerstochen?«

»Das ist von der Korbflechternadel, die wird hineingebohrt, das ganze Jahr ist sie immer dort.«

»Laßt sehn, wie sie ausschaut«, interessiert sich Gelnaj. »Hab' nicht gewußt, daß man Körbe mit einer Nadel macht.«

»Da werden, bitte, nur die Ruten mit der Nadel geflochten, – so«, zeigt Manya in der Luft. »Noch gestern war die Nadel da«, ärgert er sich, »Michal, weißt du nicht, wohin sie geraten ist?«

»Ah, laßt es bleiben«, brummt Gelnaj gleichgültig. »Wenn ich mal vorbeikomme, seh' ich's mir an. Aber die Jauche, Manya, die darf nicht auf den Weg rinnen. Der Weg gehört nicht Euch, verstanden?«

»Bitte ergebenst, wenn wir das Feld düngen, wird der Misthaufen ausgeräumt –«

»Ihr solltet einen ordentlichen Fangdamm haben, aus Zement. Könntet wohl Geld brauchen für den Hof, was?«

»Bitte schön, könnten wir brauchen«, kichert der Greis. »Eine neue Scheune bauen – aber hier der Michal ist ein Dummkopf. Stefan hat mehr Verstand für die Wirtschaft. Stefan, das wäre ein Gazda.«

Djula kommt vom Feld zurück. Er hat ein Bündel Heu aufgeladen, fährt aber wie der Blitz.

»Komm her, Junge«, ruft ihn Gelnaj väterlich an. »Ich frage nur ordnungshalber. Wo war Stefan heute nacht?«

Djula hat den Mund geöffnet und blickt fragend auf den Alten und auf Michal: keiner zuckt mit der Wimper. »Hier war er«, murmelt Djula. »Mit mir und Michal hat er auf dem Boden geschlafen.«

»Gut hast du das gesagt«, belobt ihn Gelnaj. »Na, wirst Kavallerist werden?«

Der Junge zeigt die blanken Zähne. »Freilich.«

Aus der Stube kommt Biegl und wütet still. »Kommen Sie her, Gelnaj. Stefan hat ein paar über die Schnauze gekriegt. Jetzt hab' ich ihn vorderhand in der Stube eingesperrt.«

»Das sollen Sie nicht«, meint Gelnaj. »Einschränkung der persönlichen Freiheit und so weiter.«

Biegl grinst unhöflich. »Ich pfeife darauf. Schlimmer ist, daß ich nichts gefunden habe. Und Sie?«

»Ein Alibi, ein ganz gewaltiges Alibi, Karlchen. Die ganze Nacht hat er im Heu geschlafen wie ein braves Knäblein.«

»Sie lügen«, zischt Biegl scharf.

»Allerdings, das haben sie nun mal im Blut, Kamerad.«

»Vor Gericht werden sie schon klein beigeben«, droht Biegl.

»Da kennen Sie sie schlecht. Sie werden sich entweder der Zeugenaussage entschlagen oder Meineide schwören wie geölt. Das ist auf dem Dorf fast ein Nationalbrauch.«

»Was soll ich also tun?« sagt Biegl mißmutig. »Was meinen Sie, Gelnaj, sollen wir den Stefan schon jetzt verhaften? Daß er's getan hat, darauf können Sie Gift nehmen.«

Gelnaj nickt. »Ich weiß. Aber geben Sie nur acht, Biegl«, beginnt er und beendet den Satz nicht; denn in diesem Moment klirrt es leise und Biegl brüllt: »Halt!« Und rast schon hinter das Gebäude. Gelnaj folgt ihm langsam.

Auf der Erde liegen zwei Menschen, aber Biegl ist obenauf »Ich werde zupacken, Karlchen«, bietet sich Gelnaj an.

Biegl erhebt sich und zerrt Stefan an dem gewaltsam verkrümmten Arm hoch. »Auf und marsch«, keucht er atemlos. »Ich werde dich ausreißen lehren!«

Stefan zischt durch die Zähne, sein Gesicht ist schmerzverzerrt. »Lassen Sie mich los«, zischt er. »Ich – ich wollte nur nach Krivá – meine Sachen holen –«

Djula drängt sich zwischen die Gendarmen. »Laßt ihn los«, schreit er, »laßt ihn los, sonst –«

Gelnaj faßt ihn bei der Schulter. »Langsam, Junge. Und Ihr, Michal, mischt Euch nicht ein. Stefan Manyas, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes. Und nun komm schön mit, du Esel.«

Sie fahren den Stefan Manya nach der Stadt: es ist nicht das Hengstlein mit dem stolz aufgereckten Kopf eingespannt, und doch bleiben die Leute stehen und schauen ihm nach. Auf jeder Seite ein Gendarm, das Gewehr zwischen den Knien, und Stefan in der Mitte; er hat kein Hütchen im Nacken und blickt nicht in der Ebene herum. Dort drüben der Fluß; hier weiden Pferde, im Schilf blinkt der Sumpf aber Stefan starrt nur auf den rostfarbenen Buckel irgendeines Kutschers. Gelnaj knöpft seine Montur auf und beginnt ein Gespräch, er duzt den Stefan, erwähnt aber Hordubal mit keinem Wort: nur von der Landwirtschaft, von dem Bauernhof in Rybáry, von den Pferden – Stefan tut anfangs kaum den Mund auf aber dann wird er gesprächig. Ja, dieser Hengst; schlecht hat ihn der Gazda verkauft, wer weiß wem und um wieviel; acht Tausender hätte man für ihn kriegen können, ins Gestüt hätten sie ihn geben sollen, zuvor aber ihn auf die schwarze Stute loslassen – ach, Herr, das möchte ich sehn. Manyas Augen leuchten. Und so ein Pferd hat der Gazda verkauft. Eine Sünde ist es – den Wallach hätte er verkaufen sollen oder die Mähre mit dem Fohlen, aber diesen Hengst – Stefan regt sich auf bis ihm der Schaum in den Mundwinkeln steht; und Biegl denkt verärgert, man solle mit einem Verhafteten nicht sprechen, es sei denn amtlich.

»Eh, Herr«, sagt Stefan fast für sich, »wenn uns der Hengst führe – – ich würde selber die Zügel nehmen – – das wäre eine Fahrt!«


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