Karel Čapek
Hordubal
Karel Čapek

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III

Und jetzt weiß Juraj Hordubal nicht, was er sagen soll: so viele Anfänge hat er sich ausgedacht, wie kommt es, daß keiner hierher paßt? Man hält Polana nicht mit den Händen die Augen zu, pocht nicht nachts an ihr Fenster, kehrt nicht mit dem Herdengeläute und mit Segenswünschen heim; sondern man bricht struppig und ungewaschen hier ein; nun, ist es da ein Wunder, daß die Frau erschrickt? Auch die Stimme würde wunderlich und erstickt aus meiner Kehle kommen – Herrgott, gib mir einen Rat, was man mit so einer menschenunmöglichen Stimme sagen soll.

Polana tritt aus der Vorlaube zurück, viel zu weit weicht sie zurück, ach, Polana, ich wäre auch so durchgeschlüpft; und sagt mit einer Stimme, die fast keine Stimme ist, und fast nicht die ihrige: »Komm herein, ich – rufe Hafia.« Ja, Hafia, aber zuvor möchte ich dir die Hände auf die Schultern legen und sagen, nun, Polana, hab' dich nicht gern erschreckt; Gottlob, daß ich wieder daheim bin. Sieh mal an, wie du dich eingerichtet hast: neu ist das Bett und hoch gebettet, der Tisch neu und schwer, an der Wand Heiligenbilder, meiner Treu, Bruderherz, das hat man nicht einmal in Amerika besser; der Fußboden aus Brettern und Muskattöpfe in den Fenstern, gut hast du gewirtschaftet, Polana! Juraj Hordubal setzt sich ganz still auf sein Köfferchen. Klug ist Polana und weiß sich Rat; es sieht so aus, man muß glauben, sie hat zwölf Kühe, zwölf und mehr – Gott sei gelobt, nicht umsonst hab' ich gerobotet; aber diese Hitze in dem shaft, Seelchen, wenn du wüßtest, was für eine Hölle!

Polana kommt nicht; Juraj Hordubal spürt eine Beklemmung wie einer, der allein in einer fremden Stube ist. Ich werde im Hof warten, sagt er sich, vielleicht könnt' ich mich mittlerweile waschen. Joj, das Hemd ausziehn und mir das kalte Wasser auf Schultern, Kopf und Haar pumpen, Wasser in Fluten herumspritzen und vor Behagen wiehern! Aber das schickt sich wohl nicht, noch nicht; nur ein wenig Wasser aus der eisernen Pumpe (früher war da eine hölzerne Einfassung und ein Eimer am Waagebalken, und wie feucht und kühl hat es heraufgeweht, wenn man sich über die Einfassung beugte), das hier ist wie in Amerika, dort haben die farmers solche Pumpen (mit gefülltem Eimer in den Stall und die Kühe tränken, bis ihnen die Nüstern vor Feuchtigkeit glänzen und sie geräuschvoll schnauben), nur mit etwas Wasser benetzt er das zerknüllte Taschentuch und reibt Stirn, Hände, Nacken, ach, das kühlt, windet das Taschentuch aus und sucht, wohin er es hängen soll, noch nicht, noch bin ich hier nicht zu Hause, und stopft es naß in die Tasche. »Da hast du den Vater, Hafia«, hört Hordubal, und Polana schiebt ihm ein elfjähriges Mädchen mit verängstigten blaßblauen Augen entgegen: »Also du bist Hafia«, brummt Hordubal verlegen (mein Gott, für so ein großes Kind einen Teddybär!) und will ihr Haar berühren, nur so mit dem Finger, Hafia; aber das Mädchen weicht aus, schmiegt sich an die Mutter und hält die Augen auf den fremden Mann gerichtet.

»So grüß' doch, Hafia«, sagt Polana hart und stößt das Mädel in den Rücken. Ach, Polana, laß sie doch – was liegt daran, daß das Kind erschrocken ist! »Guten Tag«, flüstert Hafia und kehrt sich ab. Juraj fühlt plötzlich etwas Seltsames, seine Augen haben sich mit Tränen gefüllt, das Kindergesicht vor ihm zittert und verschwimmt; aber, aber, was ist denn das – eh nichts, das ist nichts, hab' bloß schon so viele Jahre kein »Guten Tag« gehört. »Komm, sieh mal an, Hafia«, sagt er rasch, »was ich dir mitgebracht habe.«

»Geh', du Dummerchen«, schubst die Polana.

Hordubal kniet bei dem Koffer, Heilige Jungfrau, alles ist unterwegs durcheinander geraten, und sucht die elektrische Batterie, da wird Hafia staunen! »Siehst du, Hafia, hier drückst du auf den Knopf, und es leuchtet.« Na, was heißt das, es will nicht leuchten: Hordubal drückt auf den Knopf, dreht die Batterie hin und her und wird traurig. »Was ist damit passiert? Aha, wahrscheinlich ist es da drinnen ausgetrocknet, dort, wo die Elektrizität ist, – du mußt wissen, es war so heiß auf dem lowerdeck. – Nun ja, es hat so klar geleuchtet, Hafia, wie die liebe Sonne. Aber warte, ich habe dir Bildchen mitgebracht, da wirst du Augen machen!« Hordubal angelt aus dem Koffer die Blätter aus Magazinen und Zeitungen heraus, mit denen er die paar Kleidungsstücke unterlegt hatte. »Komm her, Hafia, sollst sehn, wie Amerika ausschaut.«

Das Mädchen dreht sich verlegen und blickt sich nach der Mutter um. Polana deutet trocken und streng mit dem Kopf: geh! Das Kind trippelt ängstlich, ungern zu dem langen fremden Herrn hin – ach, zur Tür hinausschießen und rennen, zur Marica, zur Žofka, zu den Mädchen rennen, die dort am Dorfrand so ein liebes kleines Hündchen in ein Federbettchen packen – »Sieh mal, Hafia, hier diese Damen – und da, schau, wie sie sich prügeln, haha, was? Das ist football, weißt du? So ein Spiel, wie es in Amerika gespielt wird. Und hier die hohen Häuser –«

Hafia berührt ihn bereits mit der Schulter und fragt schüchtern: »Und was ist das da?«

Freude und Rührung haben Juraj Hordubal überflutet: sieh mal an, das Kind gewöhnt sich schon! »Weißt du . . . weißt du, das ist Felix the cat

»Aber das ist ja eine Katze«, protestiert Hafia.

»Haha, natürlich ist es eine Katze! Bist klug, Hafia! Ja, es ist . . . so ein amerikanischer Kater, all right

»Und was macht er denn da?«

»Er . . . er schleckt ein tin aus, verstehst du? So eine Blechbüchse von Konserven. Das ist das advertisment für die Konserven, weißt du?« –

»Und was steht da geschrieben?«

»Das ist . . . das wird etwas auf Amerikanisch sein, Hafia, das verstehst du nicht; aber hier, schau, die Schiffe«, lenkt Hordubal rasch das Gespräch ab. »Auf so einem bin ich gefahren.«

»Und was ist das hier?«

»Das sind die Rauchfänge, weißt du? Diese Schiffe haben drinnen eine Dampfmaschine und hinten so einen . . . so einen Propeller . . .«

»Und was steht hier geschrieben?«

»Das liest du dir ein andermal durch, du kannst doch lesen, nicht wahr?« weicht Hordubal aus. »Und hier, siehst du, da sind zwei cars zusammengestoßen –«

Polana steht in der Vorlaube, die Arme vor der Brust, und blickt mit trockenen, starren Augen in den Hof. Dort hinten in der Stube schmiegen sich zwei Köpfe aneinander, eine langsame Männerstimme bemüht sich zu erklären, was dies und jenes darstelle, »das machen sie halt so in Amerika, Hafia, und das da, schau, das hab' ich selber einmal gesehen«, und dann stockt die Stimme, zögert und brummt: »Geh, Hafia, schau nach, wo die Mutter ist.«

Hafia rennt wie erlöst hinaus.

»Halt«, hält sie Polana auf, »frag ihn, ob er etwas essen will . . . oder trinken.«

»Nicht nötig, Seelchen, nicht nötig«, schallt Hordubals Stimme, und er tritt auf die Schwelle. »Lieb von dir, daß du daran gedacht hast, danke vielmals, aber das eilt nicht. Hast wohl was anderes zu tun –«

»Arbeit gibt's immer«, bemerkt Polana unbestimmt.

»Siehst du, Polana, nun, da siehst du es ja, ich werde dich nicht stören; geh nur deinen Sachen nach, ich werde mittlerweile – nun, ich –«

Polana hebt den Blick zu ihm empor, als wollte sie etwas sagen, als wollte sie auf einmal gar viel sagen, so daß es um ihre Lippen zuckt; aber sie schluckt es herunter und geht an ihre Arbeit, denn es gibt immer was zu tun.

Hordubal steht in der Tür und blickt Polana nach; soll ich ihr in den Schuppen nachgehen – noch nicht; der Schuppen ist finster, nun, wohl schickt es sich nicht. Acht Jahre, Bruderherz, sind acht Jahre. Ein vernünftiges Weib ist Polana, fällt dir nicht um den Hals wie ein Mädel; du möchtest sie nach dem und jenem fragen, nach dem Feld, nach dem Vieh, aber Gott mit ihr, wenn sie zu arbeiten hat. Immer war Polana so. Arbeitsam, hurtig, klug.

Nachdenklich betrachtet Hordubal den Hof. Ein sauberer Hof mit Fingerkraut und Kamillen bewachsen, keine Jauchenrinne fließt über. Was das anbelangt, die Wirtschaft besichtigen – noch nicht, noch nicht; Polana wird schon selber sagen, komm, Juraj, sieh dir an, wie ich gewirtschaftet habe; alles gemauert und eisern, alles neu, soundsoviel hat es gekostet. – Und ich werde sagen: Gut, Polana. Auch ich bringe dir was für die Wirtschaft mit.

Gut schafft es Polana; und aufrecht ist sie, aufrecht wie ein junges Mädel, Herrgott, dieser gerade Rücken! Immer hat sie den Kopf so hoch getragen, schon als Mädchen – Hordubal seufzte und kratzte sich am Hinterkopf; wohlan, Polana, es geschehe nach deinem Willen; acht Jahre bist du deine eigene Herrin gewesen, das läßt sich nicht einfach übers Knie brechen; wirst selber sagen, gut ist ein Mann im Haus.

Nachdenklich betrachtet Hordubal den Hof. Alles ist anders und neu, alles ist Polana wohlgeraten; aber der Dünger, meiner Treu, der Dünger will mir nicht gefallen; das ist kein Viehmist; das ist Stalldünger. An der Wand zwei Kummete, auf dem Hof Pferdeäpfel – Polana hat gar nicht erwähnt, daß sie Pferde hat; aber, hör mal, Pferde, das ist doch nichts für ein Weibsbild. In den Stall gehört ein Mann, so ist es. Hordubal runzelt besorgt die Stirn: ja, das ist ein Hufschlag gegen den Bretterverschlag; ein Pferd scharrt mit dem Huf, vielleicht will es trinken; ich könnte ihm Wasser im Leinwandeimer bringen, aber nein: erst wenn Polana sagt, komm Juraj, sieh dich auf unserer Wirtschaft um. In Johnstown hatte man Pferde dort unten in den Stollen; ich ging immer hin, um sie am Maul zu tätscheln – weißt du, Polana, Kühe gab's dort nicht; so eine Kuh am Horn packen und ihr den Kopf rütteln – na – na – na, Alte, heda! heda! Aber ein Pferd – nun, gottlob, wirst jetzt einen Mann hier haben.

Aber jetzt fing etwas Bekanntes und Altes zu duften an, etwas, das hier seit der Kindheit geduftet hatte. Hordubal schnuppert lange und dankbar: Holz, der Pechduft von Holz, der Geruch von Fichtenscheiten in der Sonne. Juraj zieht es zu dem Holzhaufen hin, wohl tut der rauhen Hand die rauhe Rinde, da ist auch der Block mit eingerammter Axt, Holzbock und Säge, seine alte Säge, von seinen Pranken geglättet. Hordubal atmet tief auf, heil wiedergekehrt und schön willkommen daheim, er zieht den Rock aus und rammt einen Klotz in die festen Arme des Bocks.

Verschwitzt und glücklich schneidet Juraj Holz für den Winter.


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