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XI.

Es dämmerte schon ziemlich stark, als endlich auch Franz mit seiner jungen Frau nach Waltershofen heimkehrte. Schon beim Vorfahren des Landauers an der Treppe kam Mimi gesprungen, die Eltern zu begrüßen. Sie hatte nun die nur durch den Mittagstisch unterbrochene selbstgewählte Einsamkeit genügend genossen, und es war doch bei allem Seelenschmerz auch nicht so gleichgültig, ob die langgenährte Sehnsucht nach einem eigenen Pferde gestillt werden sollte oder nicht. Als Amazone konnte man stolzer über alles Erdenleid hinwegsetzen, als wenn man nur so als graue Fledermaus über den nebelfeuchten Grasboden hinwegflatterte.

»Abgeschlossen, abgeschlossen, Kleine,« lautete Papas beruhigende Antwort. »Morgen treffen sie ein, dann noch ein paar Rasttage und Montag heißt's: in den Sattel; da beginnen wir mit den Reitstücken. Etwas zu zierliche Beine hat das für dich bestimmte braune Ding, ich wollte mir's eigentlich überlegen, aber bedanke dich bei Mama, die meinte, eine Mücke wie dich, werde es schon tragen, und im Grunde war's ein guter Handel. Saldorff wollte das Pferd einmal aus dem Stalle haben. Aber das sag' ich dir, wenn du Furcht hast –«

»Eine Beleidigung, Papa, du wirst sehen, daß ich keine Furcht habe.«

»Na, glaub's auch,« sagte er schmunzelnd, während er seiner Frau aus dem Wagen half. »Wer zur Jagd Mut hat, wird auch eine kouragierte Reiterin. Wollen sehen, wer von euch beiden raschere Fortschritte macht. Wirst dich zusammennehmen müssen, Albertine, ich traue dem Wildfang da zu, daß er dich aussticht. Bah, vielleicht gewinnst du zu Pferde auch anderem Sport Geschmack ab.«

»Ein andermal will ich gern mit dir gehen, aber heute bin ich müde,« entgegnete die junge Frau, ihm freundlich die Hand bietend, indem sie sich auf einen offenbar schon während der Fahrt gemachten Vorschlag bezog. »Du solltest dir auch Ruhe gönnen.«

»Man sollte meinen, es handle sich um einen Feldzug,« spottete er, den Arm in Arm ins Hans tretenden Damen folgend. »Der kleine Spaziergang bis zu den Laufdohnen im Jungholz!«

»Ich begleite dich!« erbot sich Mimi in ihrer freudig dankbaren Erregung.

»Brav! – Ja, ja, ihr sollt auch mit. Pfui Diana, nimm dir ein Beispiel an Hektor, du ungestümes Geschöpf! – Wie ist's, Schwager, kommst du auch mit? Saldorff sagt mir, daß schon gestern der erste Zug bei ihm eingefallen. Da will ich doch nachsehen, ob Halder die Dohnen auch frisch gerichtet hat. Na, da gibt's ja kein Blutvergießen dabei und die Schnepfe wird dich mit ihren brechenden Augen auch kaum vorwurfsvoll ansehen, daß du deinem Prinzip untreu wirst. Ich denke, du wagst es. Will nur mein Festgewand abthun, bin gleich wieder da.«

Er schüttelte Edwin, der auf den Korridor herausgetreten war, die Heimkommenden zu begrüßen, kräftig die Hand und eilte auf sein Zimmer. Ehe noch Albertine dazugekommen, von den Erlebnissen des Tages zu berichten, war er auch schon wieder zurück.

Er fand die beiden Begleiter schon seiner wartend, rief noch einmal die Hunde an, die beim Anblick des Gewehrs, das er nur so aus Gewohnheit über die Schulter geworfen hatte, ihrem Entzücken deutlich Ausdruck gaben, und wendete dann seine Schritte dem Walde zu.

Unterwegs erzählte er von seinem Besuche, von den beiden Pferden, von der Unmöglichkeit, die Einladung zum Mittag auszuschlagen, von diesem und jenem, es fiel ihm dabei nicht auf, wie Mimi und Edwin stets nur mit ihm, aber gar nicht untereinander verkehrten. Die Spannung hatte jedoch einen ernsten Charakter angenommen, während er einmal zurückbleiben mußte, die auf eigene Faust jagende Diana abzustrafen und an den Riemen zu nehmen.

Als er das Paar wieder einholte, war die Feindseligkeit offen zum Ausbruche gekommen.

»Und sie hat doch einen heimlichen Gast,« hörte er seine Tochter sagen.

»Wer hat einen heimlichen Gast?« fragte er in guter Laune, ohne es gerade auffällig zu finden, daß er nicht sofort eine Antwort erhielt.

Der Krieg war auch hier, wie so häufig, dem Annäherungsversuche der einen Partei entsprungen. Edwins Herz war nicht gebrochen. »Es taugt entschieden nichts, wenn eine Frau älter ist als der Mann, da will sie immer dominieren,« hatte er sich gesagt und sich wieder der »gefügigeren, anschmiegsameren Jugend« zugewendet. Hier jedoch sprang ihm nur der zurückgehaltene Groll entgegen, und so schmeichelhaft ihm derselbe auch war, bedauerte er nun doch, ihn gerade jetzt entfesselt zu haben, wo er mit Enthüllungen drohte, denen er seinem Versprechen getreu nicht einmal mit einer Richtigstellung begegnen durfte. Sein Wink zu schweigen hatte bei Mimi auch gerade die entgegengesetzte Wirkung. Mit eigensinniger Beharrlichkeit ließ sie den Gesprächsstoff nun erst recht nicht fallen.

»Ich weiß, was ich weiß; sie mag Ihnen am Heckenkreuz gesagt haben, was sie will.«

»Sie sahen uns?«

»O, bloß zufällig,« beeilte sich Mimi, die Bedeutung der ihr unbedacht entschlüpften Bemerkung möglichst abzuschwächen. »Es ist mir wahrlich ganz gleichgültig, wo, wann und worüber die Herrschaften sprachen.«

»Mir aber nicht,« fiel ihr Vater scherzhaft ein. »Ich verstehe kein Wort. Worüber streitet ihr denn eigentlich, Kinder?«

»Nicht der Rede wert – bloß ein Irrtum,« wollte Edwin ablenken, rief dadurch jedoch nur verstärkten Widerspruch hervor.

»So war also auch jene Flasche Madeira ein Irrtum, welche Trine von der Köchin holte, als die Tante damals früh fortging, und der Thee, der so wunderbar aus der Büchse verschwand.«

»Du hast ja gehört, daß Hilda wieder einen ihrer Kranken hat.«

»Gut, Papa, das bestreite ich ja gar nicht. Aber Trine ist gesund und Halder auch. So muß es, wie du zugeben wirst, ein dritter sein, dem ihre Besuche im Jägerhause gelten. Und etwas anderes als die Anwesenheit dieses fremden Mannes, dem dort Aufnahme gewährt worden ist, habe ich auch gar nicht behauptet.«

»Seltsam! – da fällt mir ein, daß mir der Ortsvorsteher gestern von einem verdächtigen Subjekte sprach, das sich in der Gegend hier umhergetrieben und allerlei Betrügereien und Spitzbübereien ausgeführt haben soll. Eine Art Taschenspieler, Bauchredner, was weiß ich, der unter andern auch dem geizigen Hollerbauern drüben in Großdorf einen Schatz zu heben versprach, für den er ihm eine hübsche Summe ablockte. Der Aberglaube geht eben immer wieder auf dieselben Leimruten, mit denen schon seit Jahrhunderten schlaue Vogelsteller ihre Gimpel fangen. Seit ein paar Tagen ist der Mann verschwunden und doch meint man, er müsse noch nicht weit fort sein. Wär' er am Ende erkrankt und wäre er es –«

»O nein, o nein, Papa! den kenn' ich gut, der sieht ganz anders aus – alt, dick und häßlich – nein, dem fällt man nicht so ohne weiteres in die Arme.«

»Wie? weißt du das?«

»Heute kam Trine abermals durch den Garten ans Fenster und pochte. Nach einer Weile trat die Tante mit ihr wieder heraus und dann gingen sie dem Walde zu – und ich – ja es war eben nur Neugierde, ich wollte doch sehen – ich habe dann freilich nur durch den Nebel – aber wenn auch nicht die Züge, so sah ich doch die Gestalt, die schon an der Thüre wartete und hörte, wie er sie »einen Engel« nannte und – nun ja, dann umarmten sie sich. Es ist doch nun einmal die Wahrheit!«

»Du spioniertest also?« fragte ihr Vater, der ihr mit Befremden zugehört hatte, sehr ernst.

Sie schlug vor seinem Blick die Augen nieder, sie sah auch nicht zu Edwin hinüber, dessen verlegene Winke den Strom so wenig einzudämmen vermocht hatten. Beschämt und doch trotzig, dem Weinen nahe, brach sie endlich in die entrüstete Anklage aus:

»Weil es abscheulich ist von der Tante, es mit zweien zugleich zu halten, – abscheulich! – Und weil ich nicht begreife, wie man selbst absichtlich die Augen schließen kann, um sich täuschen und verraten zu lassen. Ich habe es Edwin schon heute mittag gesagt und jetzt ist sie ganz gewiß wieder dort. Wo wäre sie denn sonst als bei ihrem heimlichen Gast? O es ist grundhäßlich! Es empört sich alles in mir!«

Franz hatte jetzt nicht acht auf die völlige Zusammenhangslosigkeit dieser leidenschaftlichen Erklärung mit dem von ihm erteilten Tadel. Finstern Blickes und in einem Tone, der jeden Einwurf abschnitt, sagte er:

»Geht nur zu den Dohnen und seht nach, ob sich etwas gefangen hat. Ich habe noch etwas ins Reine zu bringen.«

Damit schwenkte er ab und ließ die beiden allein miteinander im dunkelnden Walde. Vergeblich hatte sich Edwin zu seiner Begleitung angeboten, jetzt stand derselbe Mimi gegenüber, welche ganz verbittert und trotzig auf die Erde starrte, in die sie mit der abgebrochenen Haselrute tiefe Löcher bohrte. Zärtlich blickte er sie an und seine Stimme hatte nicht ganz den rechten Ernst des Vorwurfs, wie er ja auch die Hälfte der Verantwortung großmütig auf sich nahm, als er kopfnickend sagte:

»Jetzt haben wir etwas Schönes angerichtet.«

Groß und verwundert schlugen sich ihre Augen zu ihm auf und fragten nach Aufklärung.

Diese war sich ihr Vater selbst suchen gegangen. Er hatte nur wenige hundert Schritte quer durch den Wald aufwärts bis zum Jägerhause. Vor demselben stand des Doktors eigentümlicher kleiner Wagen, in welchem er über Land zu fahren pflegte. Der Kutscher war jedoch nicht bei dem Pferde, sondern saß, wie Franz beim Eintritt in die Stube gewahr wurde, mit noch einem Manne am Tische und zwar im eifrigsten, wenn auch gedämpften Gespräch mit Trine, welche die Flasche Wein, aus der sie beiden eingeschenkt, über dem Interesse ihrer eigenen Mitteilungen wieder hinzusetzen vergessen hatte.

»Jesus, der gnädige Herr!« rief sie, erst durch die auf den Tisch schnüffelnden Hunde aufmerksam gemacht.

Staunend erkannte Franz in dem früher im Dunkel gesessenen, jetzt sich erhebenden Manne einen Gendarmen, doch zuweilen kam es ja vor, daß ein solcher auf seinen Streifzügen in dem einsamen Hause einsprach und Erkundigungen einzog.

»Ist ein Kranker hier?« fragte er daher nur kurz, »bei dem der Doktor zu thun hat?«

»Wir sind just zuvor erst gekommen,« erklärte der Kutscher, dem dies das Wichtigste scheinen mochte.

»Gerade wie gerufen,« übernahm nun Trine die Antwort in ihrer unwirschen Weise, »aber doch schon zu spät. Der Doktor wird da auch nichts mehr machen und es ist nur gut, wenn der Halder den Herrn Pfarrer trifft und recht bald herüberbringt. Ich hab's gleich gewußt, daß es so kommen wird. Das Elend und der Jammer, das ist's, was einen Menschen herunterbringt, und wenn einer so schwach ist, da reißt es ihn gleich zusammen, man weiß nicht wie. Es ist kein Wunder. Muß da noch der schlechte Mensch kommen! Ich hab' ihm von allem Anfang nichts Gutes zugetraut, aber der Jäger, der wäre noch gut Freund mit ihm geworden. Ja, die jungen Leut', wenn bei denen einer nur recht unterhaltlich ist und was zu erzählen weiß! – Und so ein Lump muß auch noch den Angeber spielen, weil er selber nicht mehr aus kann. Der verdient den Galgen, wenn noch eine Gerechtigkeit auf der Welt ist.«

»So viel wird ihm wohl nicht geschehen,« meinte der Gendarm, an den sie sich mit den letzten Worten, wie wenn sie ihn persönlich verantwortlich mache, gewendet hatte.

»Was ist denn vorgefallen?« fragte ihn nunmehr auch Franz, der aus dem Gerede der Alten nicht klug zu werden vermochte.

»Eigentlich nur ein paar leichte Prellereien,« lautete der Rapport, »aber die Bauern haben Anzeige gemacht und er war signalisiert. Heute nachmittag hat der Jäger Halder einen Wagen in Großdorf drüben bestellt und dann im Wirtshause so ein paar Kunststücke mit Karten, Messern und Gläsern zum besten gegeben. Der Hallerbauer hat ihm auf den Kopf zugesagt, die könne er nur von dem Taschenspieler gelernt haben und ist geradeswegs zum Ortsvorsteher, wo wir gerade auf Patrouille waren. Es hat sich so eins aus dem andern ergeben und zuletzt haben wir den Patron auch richtig hier aufgegriffen. Mein Kamerad hat seine Eskortierung übernommen. Er genügt auch allein und ich muß doch dableiben, bis er zurückkommt und weiteren Befehl bringt. Es wäre doch am Ende möglich, daß es mit der Denunziation seine Richtigkeit hat. – Das gnädige Fräulein hat eigentlich auch nicht widersprochen – und so weiß ich nicht –«

»Als ob ein Mensch noch reden könnte bei all dem Jammer und Elend,« brummte die Alte. »Das Fräulein wird zuletzt auch noch krank davon werden.«

»Sprechen Sie von meiner Schwester?« wandte sich Franz, dem das Gerede sonderbar ungereimt erschien, wieder an sie. »Wo ist sie?«

In diesem Augenblick legte sich eine Hand, aus der alles Blut gewichen war und die sich kalt anfühlte wie die des Todes, auf die seine. Er drehte sich rasch zur Seite und sah in Hildas bleiches Angesicht, dessen tiefernster schmerzlicher Ausdruck ihn seltsam ergriff.

»Du hier? Also doch hier?« rief er. »Was ist das mit dem Kranken? Wo ist er?«

Ohne ein Wort zu erwidern, führte sie ihn an der Hand an die hinter ihr offengebliebene Thüre. Dort in der anstoßenden kleinen Schlafstube stand Doktor Schöller neben dem Bette und zählte die Pulsschläge seines Patienten, den man während eines tiefen Ohnmachtanfalles nur schleunig auf all die hoch aufgebauschten Kissen gelegt hatte.

Als Franz in das leichenhafte Gesicht sah, dessen Augen geschlossen waren und an dem keine Regung mehr Leben verriet, da zuckte er in mächtiger Erschütterung, sein Fuß hielt an und weigerte sich, die Schwelle vollends zu überschreiten. Dann schweifte sein Blick von dem Arzte, der ihm mit leisem, bedeutungsvollem Kopfschütteln begegnete, zur Schwester und es sprach sich ein harter Vorwurf darin aus, während er die Hand mit einer heftigen Bewegung aus der ihrigen zog.

»O sei nicht unversöhnlich in seiner letzten Stunde,« bat sie ihn da mit sanfter Mahnung.

So leise sie gesprochen, rief doch der Ton ihrer Stimme den Sterbenden aus den Schatten der Agonie zurück. Die Augen öffneten sich und hingen eine Weile an des Bruders Zügen. Ein Lächeln flog die bleichen Lippen an und ging wie ein scheidender Sonnenstrahl über das schon vom Kuß des Todes berührte Antlitz.

»Hast du ihn gebracht, Hilda?« fragte der Sterbende sanft. »Es ist lieb von dir, Franz, daß du gekommen bist. Es ist doch noch gut, Abschied zu nehmen, ehe man verreist. – Und es geht diesmal weit weg – noch weiter. – Vielleicht sehe ich da drüben die arme liebe Any wieder. Arme Kleine, es war doch zu einsam für sie allein! Ob die recht haben, die da sagen – Aber es ist mir wirklich eine Freude, dich noch einmal zu sehen. Fürchte dich nicht, ich mache dir keine Schande mehr – ich ziehe weiter. – Der dumme Schlaukopf hat sich selbst in die Daumschrauben gebracht und ich – ziehe dennoch weiter …« Noch einmal flog es wie das matte Aufleuchten eines schadenfrohen Lächelns um die blutleeren Lippen, dann aber fuhr er noch viel weicher und fast unhörbar fort: »Es hat mir immer leid gethan, daß ich deinen Zorn erweckt hatte. – Wir waren doch so gute Kameraden immer – einst – als kleine Jungen – weißt du noch?«

»Gerade weil ich dich – weil ich dich so sehr geliebt – ...« preßte Franz hervor, aber es war ihm unmöglich, weiter zu sprechen.

»Gott lohn' es dir, möcht' ich sagen, – aber meine Wechsel sind schlecht,« sagte Wilhelm mit bitterem Humor.

Er versuchte die Hand auszustrecken, aber er vermochte sie kaum zu heben. Doch hielt sie im nächsten Moment schon Franz mit festem krampfhaften Druck in der seinen.

»Mein lieber armer Willi!« sprach er zitternd, indem er sich hinabbeugte, und eine schwere Thräne rollte ihm über die braune Wange in den Bart.

Der große Versöhner, der allen Hader schlichtet und jedem Groll ein Ende macht, senkte sich langsam hernieder. Vor seinem Winke thun sich die verriegelten Herzen auf und seine Berührung bringt ihnen Frieden.


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