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III.

Mit der Heimkehr des jungen Ehepaares und den Gästen war reges Leben eingezogen in Waltershofen. Schon mehrere Tage waren seit ihrer Ankunft verflossen und noch hatte Hilda nicht zur Ruhe kommen können. Zu ihren verschiedenen Obliegenheiten im Haushalte hatte sich nun noch die Obsorge für den so unangesagt gekommenen Besuch gesellt, dem gegenüber die Ehre des Hauses vertreten werden mußte, und Hilda, die nun schon so lange Jahre an der Seite ihres Bruders demselben vorstand, setzte ihren Stolz darein, auch das tadelsüchtigste Auge keinen Mangel gewahren, die verwöhntesten Wünsche nichts vermissen zu lassen.

Es war weniger die junge Frau, die für alles ein freundliches und anerkennendes Wort hatte, welche dabei in Betracht kam, als vielmehr deren Mutter. Die Art, wie sie sich um alles bekümmerte, Erkundigungen über jegliche Angelegenheit einzog und über dies und jenes Bemerkungen fallen ließ, war eben nicht geeignet, ihr Hildas Zuneigung im Fluge zu erwerben, aber sie entschuldigte dieses »in die Töpfe gucken« mit dem natürlichen Interesse, das eine Mutter für die künftige Heimat ihrer Tochter haben mag, die sie weggibt und der sie ja die freundlichste Umgebung, die glücklichste Zukunft wünschen muß. Wer wollte es ihr da übelnehmen, wenn sie sich selbst von den Verhältnissen zu überzeugen suchte, mochte dies auch nicht immer gerade in der delikatesten Weise geschehen. Der Zärtlichkeit mußte man da gutschreiben, was an Zartgefühl dem Herzen gebrach, und Hilda besaß an diesem selbst zu viel, um sich die Unbequemlichkeit merken zu lassen, auch dort, wo dieselbe durch Einmischungen und Anforderungen verursacht wurde, für welche nicht die gleiche Entschuldigung geltend gemacht werden konnte.

Die alte Dame – obwohl erst im Beginne der Fünfziger, machte sie doch durch ihre Schwerfälligkeit diesen Eindruck – gab sich ungemein anspruchsvoll; vielleicht weniger, weil sie es wirklich von Hause aus war, als weil sie sich hier in der Fremde vor den Augen ihres Schwiegersohnes und seiner Familie dadurch einen besonders vornehmen Nimbus zu geben glaubte.

Es war Hilda recht wohl bekannt, daß jener frühere Gatte, mit dessen adeligem Namen Frau Rohrwek gleich bei der ersten Begegnung auf sie Eindruck zu machen gesucht, nur ein armer Hungerleider auf der letzten Stufe der Beamtenhierarchie gewesen, der das schöne Bürgerskind, das er geehelicht, nach seinem Tode in größter Not zurückließ, so daß der hilflosen Witwe keine Wahl blieb, als ihr von einem ältern Manne Herz und Hand und der Mitgenuß eines ansehnlichen Vermögens angetragen wurde. War sie nun in dem ärmlichen Haushalte des kleinen Beamten nicht gerade verwöhnt worden, so mochten ihre späteren Verhältnisse trotz aller Behäbigkeit wohl auch kaum dazu angethan gewesen sein, ihr die Prätensionen anzuerziehen, mit denen sie hier die große Dame zu spielen versuchte.

Hilda ließ es sich trotzdem nicht verdrießen, den ihr zu Ohren kommenden Wünschen möglichst gerecht zu werden, und griff in ihrer energischen Art dort selbst mit ein, wo sich Liese und die andern, welche alle Frau Rohrwek noch neben der von ihrer Tochter mitgebrachten Jungfer zu beschäftigen und auf die Beine zu bringen verstand, keinen Rat mehr wußten.

So war es auch an diesem schönen Herbstmorgen gegangen. Hilferufe hatten das ganze Schloß alarmiert. Frau Rohrwek war auf den Einfall geraten, einen Heizversuch in ihrem Zimmer anstellen zu lassen; während sie sich ankleidete, war es dann der vollsaftigen Dame zu heiß geworden, Liese mußte die Fenster aufreißen, Wasser auf das Feuer gießen; als Hilda herbeikam, fand sie das Gemach voll Rauch und die Bewohnerin in einem Erstickungsanfall. Sie hatte Mühe, dieselbe zunächst aus dem Zimmer zu schaffen, wo deren Geschrei und Gehaben nun allen die Köpfe verwirrte.

Es war bald wieder Ordnung geschafft, doch kam Hilda darob später zum Frühstückstisch hinab. Die Herren waren schon bei der Zigarre und selbst die Unheilstifterin hatte über Kaffee und Kuchen den Schreck schon so ziemlich verwunden. Sie saß in ihrem bunten Kaschmirschlafrocke mit aller Grandezza nur noch an der Tafel, um ihr Hündchen, das sie zärtlich auf dem Schoße hielt, mit den ausgewähltesten Bissen zu füttern.

»Was ist denn das mit dem Ofen?« wurde die Eintretende von ihrem Bruder gefragt.

Sie war es gewöhnt, ihm in allen Dingen Rechenschaft zu geben, so daß sie zu andrer Zeit kaum Anstoß an diesem Ersatz für einen herzlichen »Guten Morgen« genommen hätte. In Gegenwart der Fremden aber fühlte sie sich von dieser echt brüderlichen Nachlässigkeit ein wenig verletzt. Doch vermied sie es, sich dies merken zu lassen.

»Ein kleines Versehen. Ich habe mich überzeugt, daß alles in Ordnung ist, übrigens soll der Töpfer gerufen werden,« sagte sie ruhig, indem sie sich an ihrem Platze niederließ.

Die Kannen standen aber nicht vor demselben wie gewöhnlich, sondern dort, wo ihre Schwägerin die letzten Tage gesessen war. Edwin reichte sie ihr, seine Zeitung im Stiche lassend, dienstfertig zu.

»Es thut mir leid, daß Albertine sich bemühen mußte,« sagte sie leichthin.

»Es ist jedoch nur ihres Amts und steht ihr ganz gut,« meinte der Gutsherr und bewirkte dadurch ein überraschtes Aufblicken seiner Schwester.

»Mein Gott,« fiel hier Frau Rohrwek mit dem süßesten Lächeln, das ihr zu Gebot stand, ein. »Wir müssen uns ohnedem schwere Vorwürfe machen, daß wir Ihnen so viel zu schaffen geben. Ich kann wirklich nicht genug danken, meine liebe Hilda, Sie haben mich gerettet, ich wäre ohne Ihre Hilfe verloren gewesen.«

»Das ist wohl eine kleine Uebertreibung der Gefahr sowohl als des Beistandes,« versuchte Hilda zu scherzen; aber Frau Rohrwek ließ die Ablehnung nicht gelten.

»Glauben Sie ihr nicht, lieber Franz,« wandte sie sich an ihren Schwiegersohn. »Nur die Bescheidenheit spricht so aus ihr. Ersticken hätte ich können. Man kann so leicht vergiftet werden. Und dann ein Schlagfluß – auch mein seliger Mann ist daran gestorben. Ich weiß wirklich nicht, wie es gehen wird. Der Ofen scheint mir einer gründlichen Untersuchung zu bedürfen! Denken Sie, wenn ein Feuer auskäme! Ich begreife überhaupt nicht, lieber Franz, wie Sie noch eine hölzerne Treppe in Ihrem Schlosse dulden können und dazu noch eine so steile, daß ich mit meinem Asthma sie kaum ersteigen kann. Ich darf gar nicht daran denken, was geschähe, wenn ein Feuer auskäme. Sie stände in Flammen, ehe ich sie nur erreicht hätte. Allmächtiger Gott, ich mit meiner Nervosität, meiner Unbehilflichkeit – ich wäre ein Kind des Todes!«

»Beruhigen Sie sich nur, Mama,« sagte Herr von Reinach, ein wenig ungeduldig auf dem Sessel rückend. »Es wird nicht dahin kommen. Zum Glücke brauchen Sie ja nicht zu heizen. Es sind noch ganz warme Tage, selbst die Nächte – gerade heute Morgen hatten wir nicht einmal einen Reif. Ich begreife nicht –«

Er sprach nicht aus, dafür griff Edwin die abgebrochene Frage auf und beantwortete sie auch gleich.

»Wahrscheinlich war der Spiritus ausgegangen und Mama wollte ihre Lockeneisen heiß machen.«

Die verräterische Mitteilung klang – besonders im Hinblick auf die große Haube, unter der sich nur ein paar gekräuselte Haarbüschelchen auf die Stirne hervorstahlen – so komisch, daß sich auch Hilda eines kleinen Lächelns, das sich freilich in die Tasse versteckte, nicht enthalten konnte.

Für Frau Rohrwek aber bot sich im Momente glücklicherweise ein Mittel, über diese unangenehmen Enthüllungen hinwegzukommen.

»Um Gotteswillen, die Katze! die Katze ist wieder da! die Katze!« schrie sie und fuhr, als ob sie von derselben schon an der Kehle gefaßt wäre, entsetzt empor, um wieder, einer Sterbenden gleich, unter Zuckungen auf ihren Sitz zurückzufallen.

Der kleine, weiße Pintscher, auf diese Weise unangenehm aus seinem trägen Wohlleben aufgestört, glitt zur Erde und gab seinen Unmut in einem wütenden Gekläffe kund, wobei er mit der possierlichsten Entrüstung, so schnell es ihm seine Wohlbeleibtheit erlaubte, auf die arme Bußbuß losfuhr, die pfauchend aufs Büffet flüchtete und sich dann mit einem ungeheuren Buckel in ihrer unzugänglichen Stellung zur Gegenwehr rüstete. Während der Belagerer bellte, bis er heiser wurde und an seinem Zorngekeife zu ersticken drohte, lag seine Herrin mit zurückgeworfenem Kopfe und geschlossenen Augen in ihrem Fauteuil, focht mit den Händen und ächzte und stöhnte, wie in den heftigsten Krämpfen. Dazu rief noch Edwin ein über das andremal ein vergebliches

»Ruhig, Fipps! Hierher, kleine Kanaille! Wirst du Friede geben!«

Es war ein Spektakel, daß die Eile begreiflich war, mit der plötzlich die junge Frau und Mimi auf der Schwelle erschienen. Die offengebliebene Thür wurde von der armen Mieze, die sich in ihrem eignen Territorium nicht mehr sicher sah, sofort für den Rückzug ins Auge gefaßt und dieser konnte um so geordneter ins Werk gesetzt werden, als es nun auch Edwin gelungen war, den atemlosen und nur noch hustenden und quäkenden kleinen Köter am Genick zu fassen und vom Boden aufzuheben.

»Bußbuß muß mit mir hereingekommen sein,« suchte Hilda in bedauerndem Tone zu entschuldigen. »Sie ist so gewöhnt daran, beim Frühstück zu sein, und unsre Hunde vertragen sich alle mit ihr.«

»Ach was, die sind auch nicht hier. Warum sperrst du das Vieh nicht ein, wenn du schon weißt –«

Sie nahm ihres Bruders Vorwurf, der sich in ein ärgerliches Brummen verlief, ohne Entgegnung hin, aber das Schweigen war nicht das der Ergebung, sondern nur das der guten Sitte, welche Zurückhaltung gebot. Der Unmut war ihr am Ende nicht zu verargen, hatten sich doch ähnliche Szenen in den letzten Tagen schon einigemale wiederholt. Sie beeilte sich daher auch nicht übermäßig, der aus ihrem nervösen Anfalle nur langsam zu sich Kommenden mit einem Glase Wasser, oder wie dieselbe für gewöhnlich vorzog, mit einem Tropfen Rum auf Zucker zu Hilfe zu springen. Sie empfand wenig Mitleid. Ihrer starken, geistig und körperlich in gleicher Gesundheit blühenden Natur waren solche Idiosynkrasieen unfaßbar. Welche Forderung, daß die übrige Welt darauf Rücksicht nehmen sollte! Weil der einzelne zu schwach war, sich zu beherrschen, mußten darunter dann alle übrigen leiden. So etwas verlangen hieß selbst die Aufmerksamkeit des Hausherrn dem Gaste gegenüber zu weit treiben. Bußbuß einsperren! Als ob das so leicht ginge und für was hatte man denn die Katze, wenn sie nicht vom Boden bis zum Keller das Haus durchstreifen durfte? War es nicht schon schmählich, daß des streitsüchtigen weißen Seidenballs wegen Hektor von seinem angestammten Erbsitz zu Füßen seines Herrn verbannt war? Oder sollte das arme Tierchen, wenn es sich nicht verjagen oder gefangen halten ließ, am Ende gar umgebracht werden? Dagegen war doch wohl noch ein Wort zu sprechen.

Indessen hatte die junge Frau, von dem ganzen Vorgange sichtlich weniger entzückt als Mimi, in aller Gelassenheit ihrer Mutter Beistand geleistet und diese ergab sich in die Notwendigkeit, die Augen endlich aufzuschlagen

»Ach, wie mich das wieder alteriert hat!« stöhnte sie mit eigentümlichem, durch das rumgetränkte Zuckerstückchen verursachten Wispern. »Mich greift alles so sehr an. Ich verstehe nicht, wie man diese abscheulichen Tiere in seiner Umgebung dulden kann; mir flößen sie das unüberwindlichste Grauen ein und ich habe doch sonst wirklich keine Vorurteile und Schwächen. Ich könnte, glaube ich, eine Spinne fortkehren oder das Abschlachten einer Henne mit ansehen. Aber Katzen! Huhu! Mich schüttelt's, wenn ich nur den Namen aussprechen soll. Und so ein widerliches Geschöpf hätscheln? Solche Altjungfernliebhabereien sollte man, meine ich, denen überlassen, die schon wirklich auf dies letzte Subjekt ihrer Zärtlichkeit beschränkt sind – auf die Katze.«

» Objekt meinst du, Mama,« korrigierte Edwin mit Humor.

»Ach geh, du machst mich nur verwirrt. Ich werde doch wissen, was ein Subjekt ist. Oder soll ich dich vielleicht ein loses Objekt nennen?«

Hilda hatte diesen kleinen Zweikampf, wie er zwischen Mutter und Sohn öfters vorkam, vollständig überhört. Es gab eine Grenze, wo auch ihr Blut sich in Bewegung setzte, wenngleich die weibliche Milde und Höflichkeit ihr noch immer nicht so weit zu gehen gestattete, als es ihr Bruder in solchen Fällen that. Doch nahm auch sie in ihrer Art Stellung gegen einen feindlichen Angriff. Sie hatte recht gut die mißbilligende Bewegung bemerkt, mit welcher Albertine der Mutter Aeußerung begleitete, und wandte sich nun lächelnd an die junge Frau.

»Ich bin ja aber eine alte Jungfer, da darf man mir die Liebhaberei wohl gönnen.«

»Du darfst das nicht auf dich beziehen!«

»Warum denn nicht? Mit fünfunddreißig Jahren hat man wohl Anspruch auf diesen Ehrentitel.«

»Ist es möglich, daß Sie das auf sich bezogen?« eignete sich Frau Rohrwek, indem sie das ungemäßigtste Erstaunen heuchelte, den Einspruch ihrer Tochter an. »Ach, wie empfindlich heutzutage die jungen Leute sind, man kann gar nichts mehr sagen! Jedes Wort muß man auf die Wagschale legen, und ich bin so gewohnt, ohne alle Arglosigkeit zu reden! Nein, meine liebe Hilda, nicht einmal im Scherze dürfen Sie mir eine solche Taktlosigkeit zutrauen. Ich sollte mich eigentlich ernstlich beleidigt fühlen. Hätte ich denn meine Meinung gesagt, wenn sie nicht ganz unverfänglich wäre? Gerade weil ich es unpassend finde, daß sich junge Mädchen selbst vorzeitig so alt machen, durfte ich mir erlauben – ich die alte Frau an das Kind – in aller Delikatesse eine Mahnung ergehen zu lassen. Ach ja – ein wahres Kind! Und es liegt ja noch ganz in Ihrer Hand, der Fatalität vorzubeugen, wenn Sie selbst auf die Jahre ein so großes Gewicht legen – obwohl ich immer sage, die Jahre sind es nicht, die alt machen, auf die kommt es nicht an. Sie brauchen ja bloß zu heiraten. Glauben Sie mir, Liebste, das ist das beste Mittel. Ein altes Mädchen wird eine junge Frau. Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht lange bedenken und rasch den Sprung thun. Es ist nichts schrecklicher, als eine alte Jungfer zu werden.«

»Aber nichts bequemer und friedlicher als es zu bleiben

»Zu bleiben! Nein, so hören Sie doch. Es ist schrecklich, diese Empfindlichkeit! Aber so sag' ihr doch du, Edwin – der junge Mann – dir wird sie doch glauben – daß sie ein Kind ist.«

»Unsinn!« brummte der Gutsherr ziemlich vernehmlich. Der Aufgerufene aber verbeugte sich mit dem artigsten Lächeln vor Hilda.

»Wenn ich mich auch Mamas letztem übertreibenden Ausspruch nicht anzuschließen vermag,« erklärte er, »da man darin vielleicht auch eine Beleidigung erblicken könnte, so muß ich, mit Rücksicht auf meinen Zeugeneid, doch nach bestem Wissen und Gewissen meine Ueberzeugung aussprechen, daß hier offenbar eine böswillige Fälschung des Taufscheins durch die Besitzerin dieses wichtigen Dokuments selbst stattgefunden hat. Leugnen nützt nichts. Sie müssen mich schon als Sachverständigen in dem Wettkampfe gelten lassen, in dem Wettkampfe, aus dem Sie siegreich selbst gegen die jüngsten Ihrer schönen Schwestern hervorgehen müssen.«

»Bravo, wenn auch Rokoko. Aber das wird ja wieder Mode,« rief scherzend seine Schwester.

Und er hatte in der That nicht so ganz unrecht mit seiner letzten Behauptung, so sehr sie auch nach einer Schmeichelei klang.

Die feine Röte, welche bei dem Anhören der von Frau Rohrwek vorgebrachten Widersprüche trotz der angenommenen Ruhe in Hildas für gewöhnlich nur matt gefärbtes Antlitz getreten war, dessen reinen Teint keine Sonne zu bräunen, kein Wetter, dem es sich tapfer aussetzte, rauh zu machen vermochte, zauberte eine Jugendfrische über diese reizvollen Züge, die ganz mit den anmutigen Bewegungen der feinen elastischen Gestalt harmonierte.

So war Hilda Mimis ansprechender aber noch nicht zur vollen Entwicklung gereifter Erscheinung weit überlegen und durfte für den Moment selbst den gefährlichen Vergleich mit der üppigen strahlenden Schönheit der jungen Frau nicht scheuen.

Nur ein Lächeln fehlte auf diesen jetzt eben herb geschlossenen Lippen, um unwiderstehlich hinzureißen, aber es fand sich nicht ein, auch über die Lobsprüche nicht, wenn ihr dieselben auch nicht ganz mißfielen.

Der Gutsherr hatte den Rest seiner Zigarre weggelegt und war aufgestanden.

»Ja, das kann ja recht schön werden, wenn mit den Komplimenten so fortgefahren wird. Am Ende trifft auch mich eins an den Kopf, da will ich mich beizeiten aus dem Staube machen,« sagte er und fügte dann mit einem Blick auf seine, wie es schien, ein wenig mißgestimmte Tochter hinzu: »Ich meinte, du wollest mich begleiten, kleine Hexe, aber du bist wohl auch abtrünnig geworden, wie Edwin. In solchem Wichs geht man nicht auf die Birsch in den Wald.«

»In der That, man sollte eher glauben, zu einer Visite bei Hof,« stimmte Hilda mit etwas erkünsteltem Scherze zu. Sie war froh, von dem unbehaglichen Gesprächsthema abzukommen, und nahm somit lebhafter einen Umstand auf, den sie vielleicht sonst kaum der Beachtung wert gefunden hätte. »Du hast ja große Toilette gemacht, wie ich sehe. Schon jetzt am frühen Morgen das neue Tuchkleid mit der Goldstickerei?«

Mimi zuckte die Achseln und erwiderte schnippisch: »Wann soll ich es denn tragen? Mama hat es mir doch nicht gebracht, damit es im Kasten liege.«

»Da darf ich dich kaum auffordern, mich zu begleiten, wenn dir auch ein Morgenspaziergang ganz wohl bekäme,« sagte Hilda. Sie wollte vor den andern ihrem Tadel keine schärfere Form geben, milderte ihn sogar noch durch die Erklärung, zu einem eigentlichen Spaziergange habe sie doch keine Zeit. Da kein Reif gefallen, sei das Gras trocken und so recht ein Tag zum Auflesen des Frühobstes. Sie habe schon Befehl gegeben, die Bäume zu schütteln.

»Und da wollen Sie selbst sich bemühen?«

»Bemühen?« entgegnete sie lächelnd auf Edwins Frage. »Es muß doch jemand die Leute beaufsichtigen.«

»Wie fleißig! Immer thätig! Siehst du, Edwin!«

Der Anruf enthielt aber vielleicht noch eine andere geheime Mahnung von Seite der Mutter, denn Edwin bat Hilda sofort um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen, so daß seine Schwester den verwunderten Ausruf nicht zurückhalten konnte:

»Du warst ja selbst gegen jeden Ausgang.«

»Nur gegen die Jagd, nur speziell gegen die Jagd,« befliß er sich zu erläutern. »Genau genommen, ist sie doch eigentlich ein sehr barbarisches Vergnügen.«

»Danke schön, das war nicht immer deine Meinung.«

»Ja siehst du, Schwager, ohne daß ich dir zu nahe treten will, kann ich doch nicht revozieren. Man lebt so hin und thut und treibt, was man so bei andern sieht – findet sogar Gefallen daran, ich will es nicht leugnen. Aber es kommt ein Tag – ein Tag, an dem man plötzlich stutzt und sich Rechenschaft zu geben anfängt.«

»Wenn das bei dir nur der Fall wäre,« ließ seine Schwester einfließen, aber er hatte kein Ohr für diesen Seufzer; mit einer gewissen Beredsamkeit, die sich an sich selbst anfeuert, fuhr er fort:

»Das ist der große Moment, wo man sich Rechenschaft zu geben anfängt. Was ist es eigentlich, was uns an der Jagd Vergnügen macht? das Schießen? Nein, dazu braucht man nur Soldat oder Mitglied einer Armbrustgesellschaft zu werden. Das Treffen? Nein, das kann man in jede Scheibe. Der Todeskampf des erlegten Wildes? Gewiß nicht; wer könnte es ungerührt mit ansehen, wenn sich der brechende Blick des armen Thieres mit fast menschlichem Ausdruck auf den Mörder richtet. Ein Schatz von Poesie liegt in diesem vorwurfsvollen brechenden Auge, den ich heben würde, wenn er – nicht schon so häufig gehoben und in gangbarstes lyrisches Kleingeld ausgemünzt wäre. Was also, frage ich dich, Nimrod, was ist die Freude an der Jagd?«

»Die Jagd,« antwortete Franz mit Nachdruck, aber da war der nur in seine eigenen Argumentationen Versunkene schon längst wieder darüber weg, das gehörte so zu seinen Gewohnheiten.

»Der Braten,« beantwortete er sich seine Frage selbst. »Pfui über die leidige Prosa! Der Braten, hören Sie doch, meine Damen! Als ob man den nicht beim Wildprethändler zu kaufen bekäme!«

»Wo er auch nicht lebendig hinkommt,« warf Franz auch diesmal ungehört ein.

»Das ist mir plötzlich alles in einem Momente klar geworden. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen und es war entschieden. Ich habe gebrochen. Ich entsage der Jagd – für heute wenigstens, denn der Mensch kann nie für seine Regungen stehen. Er ist Sklave äußerer Einflüsse – Sklave!«

Mimi, zu welcher sein Blick bei der Wiederholung dieses tragischen Ausrufes seltsamerweise hinüberirrte, bezwang ihr unverhohlenes Mißvergnügen, um ihm eine vorwurfsvolle Mahnung zuzuwerfen, welche beinahe wie eine Einladung klang.

»Wir rechneten so sicher auf Sie zur Begleitung unseres Duetts.«

»Wenn du vielleicht doch mitkommen wolltest, da es nun einmal gestört ist,« schlug Hilda freundlich vor. »Ich fürchte, Herr von Tonner wird an mir eine unaufmerksame und anderwärtig beschäftigte Begleiterin haben und dir dürfte die frische Luft gut thun.«

Das gute Wort fand aber keinen guten Ort. Schmollend nickte die Kleine:

»Ich danke. Wir können uns auch vierhändig durchhelfen.«

»Das heißt, wenn du es erlaubst, liebe Schwägerin,« sagte Albertine. »Bis mein Instrument ankommt, müssen wir schon das deine verunglimpfen.«

»Es freut sich der Ehre,« ging auch Hilda in den scherzenden Ton ein. »Vielleicht ist es mir auch später gestattet, ein wenig dem Konzerte beizuwohnen. Ein Viertelstündchen etwa, wenn ich nach neun Uhr ins Haus komme, den Leuten das zweite Frühstück herauszugeben.«

»Warum sollst du dir so viel Mühe machen? Willst du das nicht lieber mir überlassen? Ich brauche nur die Schlüssel.«

»Die Schlüssel?«

Hilda hob unwillkürlich den Kopf.

»Ja, das Schlaraffenleben muß wohl ein Ende nehmen,« entgegnete die junge Frau mit ruhigem Lächeln und jener sanften Gelassenheit, aus der sich vielleicht in späteren Jahren eine Aehnlichkeit mit dem trägen Hindämmern ihrer Mutter entwickeln konnte, die eben zur Zeit noch dieser blonden, weichen Frauenerscheinung einen besonderen sinnlichen Reiz verlieh, der seine Anziehungskraft nicht allein auf die Männerherzen übte, sondern ihr auch aus den Reihen ihres eigenen Geschlechts Freundinnen warb. »Seit drei Tagen schon gehe ich hier umher und lasse mich bedienen, als ob ich ein Gast in diesem Hause wäre,« fuhr sie fort. »Ich beginne mich wirklich zu schämen. Was mußt du eigentlich von mir denken, daß ich so alles auf dir ruhen lasse, deine Zeit und deine Mühe in Anspruch nehme, als ob ich ein Recht darauf hätte? Ich weiß, daß ich Vorwürfe verdiene und muß dir danken, daß du mich dein Urteil nicht merken ließest; es kann nur ein geringschätziges gewesen sein, – aber ich will mir ein besseres verdienen, bei dir und – bei Franz. Er soll in mir nicht seine Hausfrau vermissen. Ich fand es sehr angenehm, von der Reise auszuruhen, aber es ist nun an der Zeit, auch an die Pflicht zu denken. Sollte ich mich nicht gleich zurechtfinden in allem, so wirst du mir ja deinen Rath nicht vorenthalten, oder ich werde mir eine Wirtschafterin zur Hilfe nehmen, aber dir darf das Opfer nicht länger zugemutet werden. Erlaube also, daß ich dir die Schlüssel abnehme. Mit der Bürde kommt wohl auch ein wenig von der Würde.«

»Die Schlüssel!« wiederholte Hilda mit seltsam zitternder Stimme. Sie trat dabei einen Schritt zurück und ihre ganze Haltung verriet Bestürzung und Empörung. Sie stand da wie ein Krieger, dem man ein anvertrautes Heiligtum entreißen will. Alsbald aber senkte sich ihr kampfbereiter Blick, das Antlitz rötete sich und neigte sich langsam auf die Brust.

»Sie sind auf meinem Zimmer,« sagte sie langsam, aber fest.

Der Kampf war vorüber.

Vielleicht hatte auch der jungen Frau davor gebangt, denn ihr voller Busen schwoll sichtbar unter den reichgestickten Falten des weißen Peignoirs. Sie atmete freier und sah lächelnd zu ihrem Gatten auf, der sie unter heiteren Lobsprüchen an sich zog.

»Gesprochen wie ein Salomo und gehandelt wie – na, wie eine tüchtige, brave kleine Frau. Ich habe eigentlich schon seit unserer Ankunft darauf gewartet. – So,« sagte er dann, »jetzt will aber auch ich gehen und mir Hektor mitnehmen – die Diana ist doch noch zu kindisch. Einen Begleiter finde ich, da mich alles im Stiche läßt, wohl im Jägerhause. Hoffentlich bringen wir fürs Nachtessen ein paar Hühner heim. Sag ›Weidmanns Heil!‹, Albertinchen.«

»Und ich, Papa?« verlangte Mimi eifersüchtig ebenfalls ihren Kuß auf die Stirne.

Frau Rohrwek nickte vergnügt vor sich hin, streichelte ihr Hündchen und folgte mit schlauem Blicke Hilda, die langsam das Gemach verließ, auf Edwins Zuruf, er hole nur sein Skizzenbuch, sie helfe ihm vielleicht einen hübschen Baumschlag aufsuchen, kaum achtete und stumm nach ihrem Zimmer schritt.

»Wie schade um meinen Bruder!« äußerte Albertine, welche sich ihr angeschlossen hatte. »Er ist talentiert. Zu allem Möglichen hat er Anlage, Malerei, Musik, Poesie, auch mit den verschiedensten Wissenschaften hat er sich schon beschäftigt, in allen Fächern eine Weile debütiert, aber ihm fehlt die Ausdauer und so bringt er es zu nichts. Und das Schlimmste ist, daß er für jede Untreue an seinen Vorsätzen immer wieder die schlagendsten Gründe findet, wie eben jetzt. Ich kann mir nicht denken, was noch aus ihm werden soll, und bei einem Manne, der nicht mehr weit von seinem dreißigsten Jahre ist, sollte sich das doch schon entschieden haben.«

Sie hatte das wohl nur gesagt, weil sie die Peinlichkeit des Schweigens in diesem Moment fühlte und in irgend einer Weise darüber hinweghelfen wollte. Hilda hatte keine Erwiderung darauf; sie wäre auch schwer gewesen, selbst Mimis vorwitziges Züngelchen unterließ hier den Versuch.

Mit einschmeichelnder Zudringlichkeit hatte sie ihren Arm in den der Stiefmutter geschlungen, wie um ihrer Unzertrennlichkeit auch äußerliche Form zu geben. Sie liebkoste sie, schäkerte, nannte sie ihr liebes schönes Mamachen, spielte mit ihrem Haare und stahl ihr plötzlich das Häubchen vom Kopfe, daß die goldenen Wellen in breitem Fall über den losen Pudermantel herniederrieselten.

»Ach wie prächtig!« rief sie entzückt. »Warum trägst du dich nicht so?«

»Du Närrchen!« schalt sie Albertine. »Das paßt nur für Kinder.«

»Dann mag ich aber auch nicht mehr so gehen. Nicht wahr, du zeigst mir eine Frisur? Ich möchte sie so haben, wie die deine. Ach könnte ich nur dir gleichen, so groß sein wie du, so hübsch und elegant, dann –«

Was dann geschehen sollte, blieb unverraten, die Kleine war ja auch zu emsig beschäftigt, die blonde Flut aufstecken und unter dem Morgenhäubchen bergen zu helfen, was nicht ohne kleine Neckereien und einen Kuß zum Schlusse abging.

Hilda hörte all diese Zärtlichkeiten der kleinen Ueberläuferin und sah sie auch in dem Pfeilerspiegel, vor dem sie das dort stehende Schlüsselkästchen öffnete, und sie thaten ihr fast noch weher als die Auslieferung der Attribute der Hausfrau. Aber mannhaft that sie ihrer Bewegung Gewalt an.

»Hier!« sagte sie, auf die geöffnete Kassette von zierlicher Stahlarbeit weisend. »Jeder hat seine Bezeichnung.«

Die Demission in aller Form war erfolgt.

Die künftige Hausfrau nickte nur freundlich und hütete sich wohl, mit einem taktlosen Worte – und welches wäre es nicht gewesen – die scheinbare Ruhe und Gleichgültigkeit zu stören, die dem großen Akte das Gewicht benehmen sollte, und kein Zug in Hildas ernstem Antlitze verriet anderseits die Bedeutung, welche er für sie hatte.

Ohne Eile raffte sie ihr einfaches graues Kleid auf, daß die festen und doch zierlich schmalen Stiefelchen frei wurden, setzte den schmucklosen schwarzen Strohhut auf, streifte die Handschuhe aus dickem Rehleder, die nicht ohne Spuren der Benützung in der Wirtschaft waren, an und verließ, ein Henkelkörbchen ergreifend, das Zimmer über die Stufen, die in den Blumengarten hinabführten, wobei sie noch hörte, wie Mimi der Mama versprach, ihr alles zu zeigen und sie überall einzuführen.

»Man braucht mich nicht mehr,« das war der Gedanke, mit dem sie gesenkten Blickes durch den Garten schritt, der hier vor dem südwestlichen Flügel den Parkgrund ersetzte, welcher auf der andern Seite und gegen die Wirtschaftsgebäude hin das Haus umschloß.

Diesmal hatte sie kein Auge für die Lieblinge, die sie unter ihre spezielle Pflege genommen. Der Herbst hatte die Blumen schon gelichtet, sie schnitt die verwelkten nicht ab, wie sonst im Vorüberstreifen. Langsam trat sie durch das Gatterthürchen hinaus auf den Wiesplatz, wo die Aepfel und Birnen schon im Grase unter den Bäumen kollerten und Diana mit täppischem Spiele denselben nachsprang, um sie lüstern den auflesenden Mägden abzujagen.

Sie hatte keinen Zuruf für den Hund, der ihr übermütig entgegen kam, kein aneiferndes Wort für die Dienstleute, kaum einen Gruß für sie. Beinahe hatte sie vergessen, daß sie hier Aufsicht üben wollte. Was sich begeben hatte, war doch von größerer Wichtigkeit als die Frage, ob nicht etwa ein unrichtiger Baum geschüttelt oder die Sortierung genau durchgeführt wurde.

Freilich hier hatte sie noch Teil, das schlug in die Bewirtschaftung des Gutes, und auf diesem stand ja, mit Ausnahme des kleinen, ihr später zugefallenen Kapitals, welches auf des Bruders eigenen Wunsch unter andere Verwaltung gestellt wurde, ihr ganzes Vermögen. Freiwillig hatte sie nach des Vaters Tode, als sie sah, mit welchen Schwierigkeiten ihr ältester Bruder zu kämpfen hatte, auf die Herausbezahlung desselben verzichtet. Das Gut gehörte nicht zu den großen, es hätte eine so schwere Belastung kaum ertragen, sie selbst aber forderte keine Verzinsung ihres Anteils, das Gedeihen des Gutes war ihr alles, von Kindheit auf hatte sie da gelebt, es nie verlassen, sie fühlte sich mit demselben verwachsen und nichts hatte dies Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu sprengen vermocht, selbst nicht die Aussichten, die sich ihr von Zeit zu Zeit geboten, in ein eigenes Hauswesen einzuziehen und eigene Familie zu gründen. Sie hatte ja beides und trug kein Verlangen nach einem Wechsel. Mit Pflichten und Rechten war sie auch hier reichlich bedacht. Seit dem früh erfolgten Tode ihrer Schwägerin war sie an deren Stelle getreten; wie sie dem kleinen zappelnden Dinge, das von seinem Verluste noch nichts wußte, Mutter wurde, so suchte sie auch die Schwere des Verlustes den andern zu mildern. Schon zu Lebzeiten des Vaters hatte sie die Leitung des Haushaltes übernommen, und da Franz das Gut als Haupterbe übernahm, war es so geblieben – geblieben bis auf den heutigen Tag.

Hatte sie gemeint, es müsse ewig so bleiben? Und wie war es eigentlich gekommen, daß sie nie an eine Aenderung gedacht, selbst da nicht, als sie den Ausschlag in den zögernden Entschlüssen ihres Bruders gab? Seit Jahren hatte sie immer wieder von Zeit zu Zeit ihrem Mitleide mit der Einsamkeit Ausdruck gegeben, in der Franz durchs Leben ging. Was für sie selbst in keinen Betracht kam, schien ihr für den frühverwitweten Bruder eine Entbehrung. Er war noch zu jung, um allein zu bleiben, sein Gemüt bedurfte der Aufheiterung, die er an der Seite eines liebevollen Weibes finden könnte, das waren die Gründe, welche sie ihm in erster Linie vorführte. Aber ihr fürsorgliches Zureden prallte immer wieder von seiner tiefen Trauer um das dahingegangene geliebte Weib ab. Es war eine Anhänglichkeit weit über das Grab hinaus, wie sie sich bei so ernsten abgeschlossen lebenden Männern häufiger findet als bei den von dem leichten Wellenspiel des Gesellschaftsverkehrs stetig geschaukelten Weltleuten. Sie wollte lange selbst materiellen Nötigungen nicht weichen.

Die Zeit hatte ihre Fortschritte gemacht, rücksichtslos diejenigen zurücklassend, welche nicht mitkonnten. Am schwersten aber ringt der Besitzer von Grund und Boden um den Erfolg, wo ihm die Hände gebunden sind. Schon anfänglich mußte Franz alle Kräfte anspannen, als er das Erbe seines jüngeren Bruders aus der Masse zu lösen hatte; als aber dann Ereignisse eintraten, welche die Geschwister moralisch zwangen, für eben diesen Bruder einzustehen und die Lücke zu decken, die sein unverantwortlicher Leichtsinn in das eigene Ehrenkleid, wie in den fleckenlos bewahrten Ruf seiner Familie gerissen, da wollten alle Anstrengungen nicht mehr genügen. Das war nun schon mehrere Jahre her und so waren es endlich ganz praktische Erwägungen, welche eine zweite Heirat für den Herrn des bedrängten Gutes Waltershofen notwendig erscheinen ließen. Daß dieselbe schließlich doch nicht den Charakter einer finanziellen Spekulation trug, lag nur in dem Widerwillen des stolz denkenden Mannes gegen eine solche und in dem glücklichen Zufalle, der im rechten Momente ihm ein Wesen wie Albertine begegnen ließ, an dem sein für Frauenreize längst unempfindlicher Blick sich wieder entzünden konnte.

Niemand war nach jener ersten Rückkehr aus dem Bade ein eifrigerer Fürsprecher der noch nicht fest bestimmten Verbindung gewesen als Hilda, des Bruders eigenes, noch leise zögerndes Herz nicht; aber an eine Aenderung ihrer Verhältnisse hatte sie – wie es scheint seltsamer- und doch so natürlicherweise – dabei nicht gedacht. Ihre Gewalt in Haus und Hof war so fest begründet, daß ihr die Abtretung derselben gar nicht in den Sinn kam. Sie war ja eins mit derselben.

Und jetzt stand sie vor dem Faktum, das sich so plötzlich und ganz sachte vollzogen hatte. Einen Moment lang hatte sich alles in ihr dagegen aufgebäumt, doch nur Sekunden waren verstrichen von dem Schrecke der Ueberraschung bis zum Verständnis der Lage und zur Ergebung in dieselbe. Hilda war zu klardenkend, um die logische Entwicklung der Dinge nicht sofort zu würdigen. Selbst der Verdruß trübte ihren Gerechtigkeitssinn nicht. Wie hätte die junge Frau denn anders vorgehen sollen? Wie wäre manche andre derb und rücksichtslos vorgegangen? Die Anerkennung durfte ihr nicht versagt werden: Wort für Wort war alles richtig und unwiderleglich, was sie gesprochen, und Hilda hätte in ähnlichem Falle auch nichts andres zu sagen vermocht. Aber was auch nun an Erwägungen noch nachgetragen wurde, es milderte kaum die schmerzlichen Empfindungen, die bei der Loslösung von der Gewohnheit eines halben Lebens unvermeidlich sind. Alle die einzelnen rasch an der Phantasie [vorbeiziehenden] Bilder des erlahmten Einflusses und der abgerissenen Beziehungen sammelten sich in dem einen umfassenden Bewußtsein:

Sie war abgesetzt.

Es ist dies kein leichtes Gefühl für irgend einen Machthaber, in welcher Sphäre er auch sei; weit drückender aber empfand Hilda noch ein anderes, dessen Vorkommen sie gerade bei sich immer für unmöglich gehalten. Es war ihr, als verlasse man sie. Der Bruder stand, wie am Ende nur lobenswert, auf Seite seiner Frau. Ja, dies junge Verhältnis sich festigen zu sehen, konnte nur erfreuen, und daß die Schwiegermutter mit ihren boshaften Bemerkungen bei allem heuchlerischen und schmeichlerischen Wesen sich gegen die bisherige Herrscherin im neuen Reiche ihrer Tochter wandte, verdiente kaum den leisen Aerger, welchen Hilda nicht ganz zurückzudämmen vermocht hatte. Daß aber auch Mimi sich nicht nur ohne Widerstreben, sondern wie es schien, sogar frohgemut in die neue Ordnung der Dinge fand, ohne das geringste Zeichen von Mitgefühl für das, was in der Seele der Verletzten vorgehen mochte, das that weh. Es war eine harte Enttäuschung.

Wie ihr eigenstes Eigentum, wie ihr Kind hatte Hilda sie betrachtet. So innig hatte sie sich mit ihr verbunden gefühlt, daß ihr nur eine Schwierigkeit vorgeschwebt in der Entwicklung der künftigen Familienbeziehungen, die nämlich, welche ihr als Vermittlerin zwischen dem eifersüchtigen Mädchen, das alle Liebe allein für sich haben wollte, und den gerechten Anforderungen, die an dasselbe herantreten mußten, zufiel. Was war das noch für eine Szene kurz vor der Ankunft der Stiefmutter! Und jetzt – –

Wie im Handumdrehen hatte sich die Wandlung vollzogen. So wogen denn die Jahre der Sorgfalt und Hingebung nichts in diesem jungen flatterhaften Herzen, das sich ganz dem Reize der Neuheit, den bezaubernden Einflüssen gefangen gab. Es war ja recht hier, und thöricht war es zu klagen, daß die gehegten Wünsche übertroffen wurden, nur ließ sich die Bitterkeit der Erkenntnis nicht durch Verstandesgründe bewältigen. Da war es, das so oft als sentimentale Regung verspottete Empfinden, für das sich Hilda in lebenskräftiger Zuversicht immer unzugänglich erklärt; da war es und ließ sich nicht verscheuchen:

Sie fühlte sich allein.

Alle hatten ihre eigenen Interessen, alle fanden sich auch in denselben zusammen, sie nur blieb ausgeschlossen aus dem Kreise. Wie einem Kinde war ihr zu Mute, das abseits steht und keinen Platz mehr findet in dem Ringe, zu dem sich die andern im Spiele die Hand gereicht, und das nun zusehen muß, wie sich die andern heiter drehen. Ihr fehlte die Hand, die sie fassen konnte, das Auge, das ihren Blick verstand, die Seele, bei der sie Teilnahme zu finden sicher war. Wendet man sich in solcher Vereinsamung wirklich an eine unvernünftige Kreatur und hatte sie sich schon in unbewußter Vorahnung dieses Gemütszustandes die Trösterin in der Verlassenheit herangezogen? Bußbuß, nicht deine Nützlichkeit und dein Wohlverhalten hat dir die Neigung deiner Herrin erworben, es war – wie die alte Frau gesagt – doch am Ende nur eine »Altjungfernliebhaberei«!

Wohl umspielte ein Lächeln Hildas Lippen, aber es glich nur einem matten Sonnenstrahl im Herbste. Nein, so weit war es noch nicht. Die Menschen standen ihr doch noch höher als ein Tier, für sie verloren dieselben die Bedeutung nicht, mochten sie sich auch mehr und mehr ihrem Einfluß entziehen. Und bei allen war es ja auch gar nicht so. Käme es dazu, daß sich die ganze Welt von ihr wandte, Einer that es gewiß nicht, der Eine blieb ihr treu.

Aber wo blieb er denn, der alte Freund, die verläßliche Stütze, der wohlmeinende Vertraute und Ratgeber, der immer bei der Hand war und an dessen Gegenwart sie fast wie an die eines Familiengliedes gewöhnt war? Einst hatte sie ihm wohl wehthun müssen, aber das war lange her und seitdem vergeben und vergessen. Die Freundschaft ist doch das Beste und Dauerhafteste auf Erden. Aber wo blieb er denn? Es hieß doch allzu weit gehen in der Rücksicht, daß er sich gerade die letzten Tage her seltener gemacht. Fürchtete er das junge Ehepaar zu stören, so war doch noch sie da. Er hätte gerade jetzt in diesem Augenblick ihr erwachendes Mitteilungsbedürfnis ahnen sollen.

Sehnsüchtig wendete sich ihr Blick der Stadt zu. Von dem Punkte, wohin sie im achtlosen Aufwärtswandeln über die sanft geneigte Fläche gelangt war, konnte man zwischen dem Schlosse und der kleinen Dorfansiedlung hindurch in das breite Flußthal sehen, wo sie lag. Lange gerade Dunstbänke zogen sich dort über die Niederung, nur ein paar Kirchtürme stiegen darüber sonnbeglänzt auf in den fahlblauen Himmel. Zarte Duftstreifen, die sich abgelöst hatten und weitergeflattert waren, hingen wie Schleier an der niederen Berglehne noch höher hinan. Dort stand der Wald. Auch er nur noch im dunklen Grün der Fichte. Die Buche rötete sich schon und gelblich färbte sich das dünne Laub der Birke.

Da fiel ein welkes Blatt vor Hildas Füße, langsam und leise wie ein müdes sanftes Abschiedswort. Ein Seufzer hob ihre Brust:

»Es ist Herbst

Sie mußte es, ohne zu wissen, halblaut vor sich hingesagt haben, denn das Wort weckte ein Echo.

»Ja, Herbst. Und die melancholischeste Jahreszeit ist es bei Gott, wenn man sie in dieser matten charakterlosen Weise vor sich hat. Dort der Flußnebel und hier der Obstmost, beide im ersten Stadium ihrer Entwicklung und beide ungesund. Aber für uns Maler hat sie ihren besondern Wert. Man muß nur die richtige Perspektive wählen. Wenden Sie sich gefälligst um. Der Wein und der Wald. Da ist Kraft und Farbe. Da aber die erstere sich zu ihrer Entwicklung noch etwas Zeit läßt, so wollen wir uns an die zweite halten.

»Malen wir vorerst – ein guter Schluck folgt nach. Ich lobe mir den Herbst!«

Es war Edwin, der sich so in einer seiner Rhapsodieen erging. Hilda erinnerte sich, ihn tags zuvor mit noch mehr Begeisterung ein Lob des Frühlings deklamieren gehört zu haben, der Wonnezeit der Dichter, aber das that ja nichts zur Sache. Die Worte brauchte man nicht ernst zu nehmen und Edwin hatte sich in den paar Tagen schon als viel zu angenehmer Gesellschafter erwiesen, um ihr nicht in dieser Stunde – da doch kein anderer zur Hand war, willkommen zu sein. Besser als einsam!

Sie gab sich Mühe, in seinen Ton einzustimmen und heiter zu erscheinen, denn sie schämte sich ihrer schwermütigen Anwandlung. Es brauchte ja auch niemand zu wissen, daß ihr die kleinen Begegnisse so nahe gingen und für sie eigentlich große waren.

Im Plaudern und Scherzen kamen sie allmählich an die Grenze des Baumgartens. Edwin war auf seinen Plan, eine malerische Stelle im Walde zu suchen, zurückgekommen, und Hilda – noch unter der Nachwirkung der bittern Stimmung – meinte auch, einmal ihren Aufsichtsposten verlassen zu dürfen, da ja am Ende doch die Dienstleute am liebsten der Hand gehorchen, die sie nährt. So hatten sich beide der Hecke genähert, die Wiese und Wald schied, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch ein wütendes Gebell von ihrem Gespräche abgelenkt wurde.

Diana, die sich ihnen, als sie eine Exkursion in den Wald witterte, ganz stille angeschlossen, war mit einemmale in mächtigen Sätzen gegen das Drehkreuz in der Heckenöffnung losgefahren und gab mit voller Stimme Laut. Im Nu und ehe Hilda den Hund nur zurückrufen konnte, hatte sich der lärmende Angriff aber in einen kläglichen Rückzug verwandelt. Mit eingezogenem Schweif und allen Zeichen des Entsetzens kroch der Hund winselnd rückwärts, hielt stille und retirierte wieder, ohne daß man die Ursache sofort erkennen konnte.

»Es muß ein Igel sein,« meinte Edwin, »und Diana wird sich an ihm die Schnauze verletzt haben. Wir wollen doch sehen!«

»Wünsch' recht guten Morgen!« ließ sich da eine tiefe glucksende Stimme vernehmen.

»Teufel, ist das der Igel?« rief Edwin.

»Mein Gott, was thut der Mensch nicht alles für sein tägliches Brot! Ein Igel hat's vielleicht gar nicht so schlecht und ist jedenfalls sicher, nicht von einem solchen Galgenvieh gefressen zu werden.«

Hilda stieß einen leisen Laut der Verwunderung aus, jetzt hatte auch sie den Sprecher ersehen. Es war kein anderer als der Taschenspieler und Bauchredner, den sie in der Geschäftigkeit und unter den neuen Eindrücken der letzten Tage beinahe ganz vergessen hatte.

Auch diesmal war es wieder eine ungewöhnliche Situation, in der er sich hier zeigte. Niedergebeugt und mit den Händen gestützt kniete er auf der Erde, mehr einem vierfüßigen Tiere als einem Menschen ähnlich. Da Diana, während er sprach, wieder Mut gefaßt und mit erneuertem Bellen auf ihn zufuhr, faßte er rasch den zu Boden gefallenen Hut mit den Zähnen an der Krämpe auf und bewegte ihn so nach rechts und links, daß dabei die innere Höhlung gegen den Hund gekehrt war. Dieser erschrak auch sofort von neuem und nahm, wie gebannt von den starr auf ihn gerichteten Augen, seinen Rückzug abermals auf.

Hilda gedachte der Worte Meinhards von den kleinen Mitteln dieser Gattung Leute, machte aber der Szene ein Ende, indem sie den Hund scharf abrief und zugleich in sein Halsband griff.

»Schade!« meinte ihr Begleiter. »Sie sollten das amüsante Duett nicht unterbrechen. Diana scheint ihre guten Gründe zu haben, auf solche Landstreicher nicht gut zu sprechen zu sein. Es schadet gar nichts, wenn sie ihnen dieses verdächtige Herumlungern abgewöhnt. – Darf ich fragen, was Sie hier zu thun hatten?« wendete er sich barsch an den sich langsam von den Knieen Erhebenden, dem solche Anstrengung seiner alten Glieder alles Blut in das feiste Gesicht getrieben hatte.

Er verbeugte sich nichtsdestoweniger mit dem Aplomb eines Granden von Spanien vor Hilda.

»Ich darf mich wohl auf Sie berufen, mein schönes gnädiges Fräulein!« sagte er, den Fragesteller völlig übersehend. »Ich genoß bei einem Morgenspaziergang auf diesem günstig gelegenen Punkt die herrliche Aussicht und mein sehr frugales Frühstück. Zweifelsohne hat dasselbe die Gier des Hundes erweckt. Es ist hart für einen Mann meiner Jahre, sein Leben gegen einen solchen Gegner verteidigen zu müssen. Ein starkes Tier, aber von edler Rasse. Diana also heißest du? Komm her, Diana, wir wollen Freundschaft schließen.«

Aber das Stückchen Speck und Brot versagte vollkommen seine Wirkung und damit war auch am unzweideutigsten die Behauptung von der Verlockung, die es auf den noch zitternden und knurrenden Hund ausgeübt haben sollte, widerlegt.

»Mir scheint vielmehr, daß Sie sich hier in den Hinterhalt gelegt hatten, um etwas auszuspionieren,« beharrte Edwin auf seiner ungünstigen Meinung. Er wollte dem Mann befehlen, sich zu entfernen, aber Hilda kam ihm zuvor.

Sie hatte ihr Geldtäschchen hervorgelangt und entnahm demselben, ohne jedoch den Hund loszulassen, ein kleines Geschenk, das der Tausendkünstler unter den Gesten einer verschämten Weigerung schließlich doch mit einem geschickten Taschenspielergriff verschwinden ließ.

»Ich bin noch Ihre Schuldnerin von neulich,« hatte Hilda gesagt. »Aber Sie machten sich so schnell unsichtbar.«

»O, es ist nicht meine Absicht, gnädiges Fräulein – in der That, ich bin es nicht gewohnt, es ist sehr drückend für einen Mann in meiner Lage,« stammelte er scheinbar gerührt. »Ich glaubte nicht gezwungen zu sein – meine Kunst – aber ich darf nicht stolz sein. Ich glaubte schon am kommenden Tage meine Einladung wiederholen zu können, aber der Tag meiner Vorstellung ist immer noch nicht fixiert. Allerlei Schwierigkeiten bei der Erteilung des magistratlichen Konsenses verzögern sie wider mein Erwarten. Ueberall Schikanen! In dieser unfreiwilligen Muße sehe ich mich Verlegenheiten ausgesetzt – ich verwende die Zeit wenigstens so gut ich kann, zu Promenaden in der reizenden Gegend – aber ich habe mir einmal in den Kopf gesetzt, nicht weiter zu gehen, ohne meinen hohen Gönnern eine Probe meiner Kunst geliefert zu haben. Ich will zeigen, was ich kann. Sie sollen jedenfalls noch von mir hören!«

Grüßend schwenkte er den Hut und schritt in den Wald hinein.

»Oho! Das klang ja zuletzt wie eine Drohung,« meinte Edwin, der schon begonnen hatte, sich an dem komisch pathetischen Wesen zu belustigen, plötzlich wieder stutzig geworden.

Hilda jedoch redete ihm seine Bedenken aus. Ganz ohne unangenehmen Eindruck war allerdings diese Begegnung auch für sie nicht vorübergegangen. Was aber hatte das zu besagen neben der viel tiefer gehenden Bewegung in ihrer Seele? Hier waren es Menschen, die ihr unmittelbar gegenüberstanden und ihre Gedanken in Anspruch nahmen, dort – unfaßbare Schemen, heraufbeschworen durch eine Selbsttäuschung, wie sie jetzt vollkommen überzeugt war – weiter nichts.

Für den Spaziergang aber hatte sie doch die Lust verloren und sie hieß den Knecht willkommen, der sich in einer wichtigen Angelegenheit von ihr Rat erholte, was ihr den Vorwand bot, ihren Begleiter zu verabschieden und sich nach dem Stalle zu begeben.


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