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Achtzehntes Kapitel. Ein Gift, das Arzenei ist

Ganz gewiß ist eine so ernste Frage niemals in so kurzer Zeit so abgethan worden.

Denn in diesen wenigen kurzen Augenblicken wurde die Angelegenheit so vollständig erledigt, als wenn sie ganze Stunden der Erörterung derselben geopfert hätten.

Er wußte kaum, wie es zuging, daß er mit solcher Bestimmtheit im Herzen fühlte, wie überflüssig es sei, weiteres zu reden: wie die brave, schlichte, hübsche Georgy seine armseligen, schwächlichen Pläne mit solcher Leichtigkeit und doch mit solcher Zartheit beiseite geschoben hätte.

So tief auch seine Bewunderung und Verehrung für sie war, so lag doch in ihrer mädchenhaften Natur eine Tiefe, die er niemals ergründet hatte.

Mit Georgy Esmond war alles für ihn aus, wenn er auch nicht zu fürchten brauchte, daß ihre Freundschaft jemals schwanken würde.

»Wenn ich bloß weise genug wäre, Ihnen Beistand zu leisten,« wiederholte sie – »wenn Sie mir bloß Vertrauen schenken wollten und mich den Versuch machen ließen!«

»Wenn mir jemand helfen könnte, dann wären Sie es,« sagte er; »aber mir ist nicht zu helfen.«

Er hatte sich niemals das Zugeständnis gemacht, daß diese ärmliche Leidenschaft ihn jemals glücklich machen könnte.

Es war ihm niemals der Gedanke gekommen, daß ihr Ende anders als kläglicher, demütigender Natur sein könnte.

Wie Georgy gesagt hatte: er liebte, hatte aber nicht verziehen, und sagte sich nun selbst, seine Liebe wäre eine verschlechterte Verblendung.

Wie ging es zu, daß er sich an ein solches Gefühl kettete? Setzte er Vertrauen in das Weib, dessen Sklavin er heimlich war?

Nein! er setzte heute nicht mehr Vertrauen in sie, als er vordem in sie gesetzt hatte. Nichtsdestoweniger aber übte sie auf seine Nerven einen ganz seltsamen Reiz.

Die alte Zauberei wirkte mit ihrer vollen Kraft auf ihn. Sie war zuletzt so stark geworden, daß er auf das wahnsinnige Beginnen verfallen war, den feigen Versuch zu seiner Befreiung zu machen.

Wenn Georgy ihre Hand ausstrecken wollte, so konnte sie ihn vor verhängnisvoller Schwäche bewahren; und darum hatte er sich, selbst trotzdem er sich um seiner selbstischen Thorheit willen verachtete, dahin entschlossen, sich Georgys Gnade anheimzugeben.

Und das war nun das Ende davon! Georgy war klüger als er, besaß einen klaren Blick, eine aufrichtigere, wahrhaftigere Seele, war stärker an Willen und schlichteren Sinnes dabei.

Sie hatte ihm bewiesen, was für eine garstige, beschämende Thorheit es war.

Georgy würde sich solcher Sachen nicht schuldig machen wie er; und doch, wie lieb und süß war sie, Gottes Segen über das liebe Mädchen!

»Ich werde morgen Pen'yllan verlassen,« sagte er. »Hier hält mich jetzt nichts, seitdem Sie mich nicht haben wollen. Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen, Georgy – und wir wollen einander für jetzt Adieu sagen.«

»Sie müssen nicht meinen, als ob ich für irgend etwas Verzeihung zu gewähren hätte,« gab sie zur Antwort: »aber ich sage nicht, daß Sie, wenn Sie fortreisen, unrecht thun. Ich glaube, es wird das beste sein, was Sie thun können. Sie verstehen sich selbst noch nicht vollständig. Gehen Sie und lassen Sie sich Zeit, sich Klarheit zu verschaffen darüber, ob Sie Ihr Herz erobern können oder nicht. Die Zeit wird kommen, wo Sie das wissen werden.«

»Und dann?« gab er nicht ohne Bitterkeit zur Antwort.

»Etwas wird, denke ich, sich zutragen,« sagte sie, und ihr schlichter Glauben an die Güte des Schicksals lieh ihr Festigkeit des Ausdrucks – »ich kann nicht glauben, daß Sie beide immer so unglücklich bleiben werden wie Sie es jetzt sind. Einer von Ihnen beiden wird ganz sicher etwas machen oder sprechen, was dem anderen hilfreich sein wird.«

Eine jähe Röte zog über sein Gesicht. Ihre Worte bargen eine Andeutung, an die er kein einziges Mal bisher gedacht hatte und die seine Pulse in energische Bewegung setzten.

»Was?« rief er aus; und die neue Empfindung die sein Gemüt erfüllte, gestattete ihm keine Zeit zu ruhigem Denken – »was und Sie meinen also nicht, daß die Zeit je kommen werde, wo auch sie – wo auch sie fühlen könnte –«

»Ich meine,« sagte das Mädchen mit ernster, fast ehrfürchtiger Stimme – »ich meine, daß die Zeit jetzt gekommen ist.«

Als sie nach Haus zurückkehrten, sah Lisbeth sie vom Fenster des Wohnzimmers aus kommen und stellte im Geiste die folgende Betrachtung an.

»Nach seinem Gesicht zu urteilen,« bemerkte sie für sich, »möchte ich sagen, daß er um ihre Hand angehalten und daß sein Antrag Annahme gefunden hätte. Nach ihrem Gesicht zu urteilen möchte ich sagen: ihre Antwort hätte auf ›Nein!‹ gelautet. Aus Dir wird man nicht gleich auf den ersten Blick gescheit, Georgy. Was soll denn dieser zweifache Ausdruck heißen?«

Georgy kam ins Haus mit einer weit gefaßteren und ruhigeren Miene als ihr Gesicht seit mehreren Tagen gezeigt hatte.

Sie legte ihren Gartenhut auf den Tisch, der im Flure stand, und begab sich ohne Verzug in die Wohnstube zu ihrer teuren Lisbeth.

Sie hatte eine sehr entschiedene Vorstellung, daß ihre teure Lisbeth nichts von der Absicht ihres Gastes abzureisen wüßte, und sie wünschte die Neuigkeit ihr zuerst vor allen zu bringen.

Wenn einige kleine Geheimnisse ihr dabei entschlüpften, das würde nichts ausmachen; darum ging sie zum Fenster hin und legte Lisbeth die Hand auf die Schulter.

»Hat Hektor Dir erzählt, daß er abreisen wird?« fragte sie, als wäre sein Vorhaben die natürlichste Sache auf Erden gewesen.

»Daß er abreisen wird?« wiederholte Lisbeth.

Georgy blickte bedächtig hinaus in den Garten.

»Ja. Wieder nach London, weißt Du – und zwar morgen. Ich denke mir, er sagt sich, er sei nun lange genug Müßiggänger gewesen.«

Lisbeth zuckte die Achseln.

»Einigermaßen plötzlich – nicht?« fragte sie. »Du bist wohl die erste gewesen, der die Neuigkeit zu Ohren gekommen ist?«

»Herren verrichten immer alles plötzlich,« bemerkte Georgy mürrisch.

Sie hätte es nicht nötig gehabt, so behutsam und zart vorzugehen.

Lisbeth war sehr kalt geblieben, als sie die Nachricht hörte. Ein gleichgültiger Beobachter dürfte leicht zu dem Schlusse gelangt sein, daß sie sich sehr wenig aus der Sache machte: daß ihr persönliches Interesse an Hektor Anstruthers Gehen und Kommen in äußerst scharfer Kontrolle von ihr gehalten würbe.

Als er ein paar Minuten später selbst in die Stube trat, hatte sie hinreichende Fassung erlangt, den Gegenstand mit höflichem Bedauern zu berühren.

»Tante Clarissa wirb ganz bestimmt da sein,« schloß sie mit einer ihrer unverständlichen lächelnde» Mienen. »Sie hat ja während Ihres Besuchs beinahe gestrahlt vor Seligkeit.« Und ihr Anteil an der ganzen Sache schien hiermit abgeschlossen.

Sie sprach kein Wort, als die drei alten Damen über die ihnen zu Ohren gekommene Neuigkeit herzliche Klagen laut werden ließen, kein Wort während des ganzen Verlaufs der Mittagsmahlzeit.

Sie horchte gefaßt und mit Ruhe zu, ohne etwas zu äußern, wenn sie auch mit gewissem Interesse den Blick ein paarmal auf Georgy hin lenkte.

Es war jetzt an ihr, Empfindungen seltsamer Art zu bekommen, und seltsam und merkwürdig war sie in ausreichendem Maße.

Georgy errötete, wenn sie mit schärfer forschenden Blicken angesehen wurde; aber ihr Benehmen und ihre Weise waren ganz entschieden nicht das Benehmen und die Weise eines Mädchens, das eben erst einem Liebhaber ihr Jawort gegeben hatte.

»Und einen Korb,« sagte Lisbeth, sie mit kaltem Blicke musternd, »einen Korb würde sie ihm nicht geben. Sie muß ihm recht gut sein; und wenn sie ihm gut ist, dann ist sie zu weichherzig und zu offen und ehrlich, daß sie mit ihm kokettieren sollte. Und doch – nun, zum Gescheitwerden ist die Sache nun wirklich ganz gewiß nicht!«

Der Abend war ihr im großen und ganzen recht langweilig, fast unausstehlich.

Wie ging es zu, daß er sich, aller ihrer Anstrengungen ungeachtet, so hinschleppte?

Sie meinte schier, er würde überhaupt zu keinem Ende kommen.

Als Hektor mit geradezu beispielloser Gutmütigkeit das Schachbrett herbeitrug und die entzückte Miß Clarissa zu einer Partie aufforderte, da ging sie ihrer Geduld fast verlustig.

Sie suchte Zuflucht bei dem Piano und sang ein Lied ums andere, bis sie nicht mehr singen konnte.

Als hierauf Georgy ihren Platz einnahm, schlich sie sich verstohlen aus dem Zimmer und schlüpfte über den Flur und zu einer Seitenthür hinaus nach dem Garten.

Was bewog sie, die Schritte zu Miß Clarissas Rosendickicht zu lenken? Sie wußte es nicht. Aber sie ging hin.

Dort hatte sie dem Knaben, der sich als ihr Liebhaber aufgespielt hatte, den Abschied gegeben und das Herz gebrochen: dort hatte sie Georgy und Hektor ihr Liebchen vorgesungen.

Bei beiden Anlässen war es warm und balsamisch und mondhell gewesen: und auch jetzt war es wieder warm und balsamisch und mondhell.

Sie stand und blickte durch die Bäume, auf die glänzenden Silberstreifen hinaus, die sich über das Meer hin erstreckten.

In der nächsten Minute etwa bewegte sie die Hand mit einer Gebärde der Ungeduld.

»Ich bin all dieser Dinge überdrüssig,« rief sie, das Schweigen brechend. »Die ganze Welt ist mir zuwider – von mir selbst mag ich noch weniger wissen als von allem anderen. Ach, wie wünschte ich doch, so zu sein wie Tante Clarissa!«

Sie fing an ruhelos umher zu gehen, riß an den Rosen mit keiner anderen besonderen Absicht, als weil sie sich nicht ruhig verhalten konnte.

Knospen und Blüten, rote, cremefarbene und weiße, wurden mit rauhem Griffe von ihren Stengeln gerissen, bis sie die Hände voll hatte: und dann hielt sie ein, halb verwundert über sich selbst.

»Wo sind denn meine Gedanken?« sagte sie. »Wozu brauche ich sie denn? Arme Dinger!« rief sie, sich mit Bitterkeit ihres Gleichnisses erinnernd – »morgen hätten sie so süß, so lieb und süß sein können!«

Sie hielt die kalten, frischen Dinger dicht ans Gesicht und atmete mit Gier ihren Duft; und als sie sie wegnahm, da glitzerten ihre Blüten hie und da – vielleicht war's Tau. Gewiß war's Tau, wenn's Tau war, der ihre fieberheißen Wangen feuchtete und ihren Augen so seltsame Linderung brachte.

Kaum drei Minuten später, so schreckte sie zusammen und wandte sich hinweg – und dann stand sie da und lauschte.

Es hatte jemand das Haus verlassen und kam quer über die Wiese auf den Platz zu, wo sie stand. Sie wartete ein paar Sekunden, um sich zu vergewissern, daß sie sich nicht irrte, und dann beugte sie sich nieder über einen Busch und fing wieder an, mit lässiger Gebärde Rosen abzupflücken, obgleich sie mit Rosen schon beinahe überladen war.

»Wo ist Georgy?« fragte sie ruhig den Eindringling, als er neben sie gelangt war.

»Georgy,« erwiderte eine ziemlich gezwungene Stimme, »unterhält sich mit Miß Hetty. Miß Clarissa schickt mich heraus, um Sie daran zu erinnern, daß der Tau fällt, und daß Sie nicht kräftig genug seien, die Nachtluft zu ertragen.«

»Miß Clarissa ist sehr gütig,« antwortete Lisbeth. »Und Sie sind's – auch! Aber die teure Miß Clarissa hat mir mit frühzeitigem Grab als der unausbleiblichen Folge vor Nachtluft gedroht, als ich erst ein halbes Jahr alt war; darum bin ich ihr vielleicht für ihre Warnung so dankbar nicht, wie ich es sein sollte. Mir ist, alles in allein, Dunkelheit lieber als Licht, und ich merke nicht, daß sie mir unangenehm ist, oder schlecht bekommt – vielleicht weil mein Thun schlimmer Art ist.«

»Vielleicht,« gab er trocken zur Antwort.

Volle zwei Minuten lang pflückte sie stillschweigend ihre Blumen, während Anstruthers wartend dastand und sie ansah.

Aber endlich richtete sie sich auf, und ihre Augen trafen sich.

»Es ist eine wunderschöne Nacht,« bemerke sie sententiös.

»Ja.«

»Wir haben in letzter Zeit recht viele so liebliche Nächte gehabt.«

»Ja.«

Sie machte sich ein Weilchen mit ihren Rosen zu thun, unter Ausschluß jedes anderen Gedankens und Thuns, und dann leistete sie Verzicht auf die Rosen.

»Gut,« sagte sie – »wollen wir hinein gehen – was meinen Sie? Ich kann hier nichts mit den Dingern anfangen. Die Wahrheit ist, daß ich nicht weiß, weshalb ich sie gepflückt habe, wenn's nicht gerade ein Zerstörungstrieb gewesen ist, der mich befallen hat. Kommen Sie! wir wollen gehen.«

»Halten Sie einen Moment!« sagte er – nein, befahl er ihr fast.

Sie blieb stehen, ohne indes im mindesten verwirrt oder unangenehm berührt zu sein.

Sie hätte sich fast lieber die rechte Hand abgehauen, als daß sie eine Erregung an den Tag gelegt hätte.

»Ich hatte einen persönlichen Grund, hierher zu kommen,« fuhr er fort, »abgesehen von der Weisung, die mir Miß Clarissa erteilte. Ich wollte Ihnen Lebewohl sagen.«

»Sie müssen,« half sie ihm, »morgen sehr zeitig in der Frühe reisen.« Und doch schlug ihr das Herz wie ein Hammer.

»Das ist nicht der Grund,« lautete seine Erwiderung, »wenn ich auch zeitig aufbreche. Es überkam mich eine Laune – Sie besinnen sich doch auf die Laune, die ich für das Lied hatte – eine Einbildung, daß ich Ihnen hier mein Abschiedswort sagen müßte, wo ich es Ihnen schon einmal vordem gesagt habe.«

»Das ist bald abgemacht und leicht gesprochen,« erwiderte Lisbeth und hielt ihm eine ihrer Hände hin – »Adieu!«

Er nahm die Hand, bestrebt den gleichen Grad von Kälte zu zeigen, wie sie es so meisterhaft verstand: aber er brachte es nicht zu stande.

Er gab einer jähen, leidenschaftlichen, unerklärlichen Regung Raum und hatte die Hand im Nu bedeckt mit Küssen, hatte sogar ihr zartes Handgelenk stürmisch geküßt.

Außer Atem vor Zorn, riß sie ihm die Hand fort – sie vergaß ihren Entschluß sich zu beherrschen.

»Was fällt Ihnen ein?« rief sie – »Sie sind von Sinnen. Wie können Sie es wagen?«

Er trat einen Schritt zurück und blickte ihr trotzig ins Auge – mit einem Hohn so bitter wie das Grab.

»Ich weiß nicht, was mir einfällt,« gab er zur Antwort; »ich weiß nicht wie mir ist –es sei denn, daß ich, wie Sie sagen, von Sinnen bin. Ja, ich glaube, ich bin von Sinnen; und darum, weil ich von Sinnen bin, will ich Sie nicht um Verzeihung bitten. Es war ein Lebewohl. Jetzt ist's indes vorüber. Wollen Sie mir gestatten, Ihre Rosen zu nehmen und nach zu Hause tragen.«

Sie würdigte ihn keiner Antwort, sondern wandte sich hinweg und gab ihm anheim, ihr zu folgen, sofern ihm das beliebte.

Daß sie sich wider ihn keinen Rat wußte, machte sie fast rasend.

Nichts was sie sagte, nichts was sie thun konnte, würde je imstande sein, die Erinnerung an die wahnsinnigen Küsse zu tilgen.

Er liebte sie entweder oder verachtete sie maßlos; und wenn sie sich seines Benehmens gegen Georgy erinnerte konnte sie bloß zu dem Schlusse gelangen, daß er sie verachtete und ihr einen tödlichen Schimpf angethan hätte.

Das Blut schoß ihr in die Wangen gleich einem Feuerstrom, und ihre Augen flammten unheilvoll.

»Meine teure Lisbeth,« rief die gute kleine Miß Clarissa in dem Augenblick, wo sie ihrer ansichtig wurde, »Du hast Dich wieder erkältet, davon bin ich überzeugt. Du bist ja ganz im Fieber.«

Freilich im Fieber! Nie in ihrem Leben war sie in einem solchen Fieberzustande gewesen – aber es war ein Fieber aus Ärger und infolge von Demütigung.

»Ich halte es für wahrscheinlich,« sagte sie mit einem Anflug von Ernsthaftigkeit, »daß ich die Masern oder vielleicht Scharlach bekommen werde, Tante Clarissa? Was hättest Du denn lieber?«

Georgy kam die Treppe hinauf, nachdem sie lange in ihrer Stube eingeschlossen gewesen war, und fand sie am offenen Fenster sitzen – ihr Aussehen war abgespannt und elend.

»Lisbeth,« wagte sie zu fragen, »es kann doch nicht sein, daß Du uns am Ende gar noch krank wirst?«

Wahrscheinlich hatte Georgy Esmond niemals in ihrem Leben eine solche Rede zu hören bekommen wie jetzt, als ihre süße Lisbeth sich infolge dieser einfachen Bemerkung nach ihr herum drehte.

»Meine liebe Georgy,« sagte sie, »wenn Du noch einmal eine solche Frage an mich stellst, dann dürfte ich am Ende imstande sein, Dich aus dem Zimmer hinaus zu weisen und die Thüre abzuschließen.«

Georgy sah sie einen Augenblick lang in stummem Entsetzen an; nachher aber gelang es ihr, sich zu fassen.

»Ich – ich bitte um Verzeihung, Lisbeth,« stotterte sie und lenkte dann behutsam und in aller Ruhe ihre Aufmerksamkeit auf die Herrichtung ihrer Nachttoilette, um sich zu Bett zu begeben.

Am Morgen aber war es Lisbeth, die von weicher Stimmung befallen wurde.

Sie war so ganz umgeschlagen und so erstaunlich demütigen Sinnes, daß Georgy ordentlich beängstigt wurde.

»Du hast mehr Geduld mit mir, als ich mit mir selbst habe, Georgy,« sagte sie – »sonst wüßte ich, daß es für mich der Mühe nicht wert wäre, ein Wort an Dich zu richten. Habe Rücksicht mit mir. Ich – nun ja – ich war gestern Abend ganz aus dem Häuschen, oder was sonst mit mir gewesen sein muß – und mir ist so ganz schrecklich zu Mute.«

Wirklich schien es, als wenn ihr Dämon in dieser Nacht von ihr gewichen wäre.

Sie legte keine Heftigkeit mehr an den Tag; sie wurde fast so umgänglich, wie ein mehr dem Durchschnitt angepaßtes junges Frauenzimmer.

Sie ließ so wenig spöttische Reden fallen, daß die Damen Tregarthyn zu fürchten anfingen, die zarte Gesundheit des Mädchens hätte ihrem gewöhnlichen Geistesflug Eintrag gethan; und das war die Ursache, daß sie um ihretwillen im Stillen Traurigkeit fühlten, da sie sich mit solcher Stimmung nicht offen heraus getrauten.

»Sie war doch immer so frohgelaunt und so witzig,« seufzte Miß Hetty über ihrer Näharbeit, sich nach George herum drehend – »bemerken Sie seine Veränderung an ihr, mein Herzchen? Schwester Clarissa und Schwester Millicent, und ich selbst, wir wissen in der That nicht, was wir davon denken sollen. Es würde für uns ein solcher Trost sein, wenn sie sich einreden ließe, Dr. Puddifoot zu konsultieren. Er ist doch ein so lieber Mann und versteht doch seine Sache so ausgezeichnet.

»Weil ich mich eines artigen Benehmens zu befleißigen versucht habe, denken sie, ich sei krank,« sagte Lisbeth, mit mattem traurigen Lächeln auf dem Gesicht – »denke doch nur, wie ich sie behandelt haben muß, Georgy! sie sind so gewöhnt an meine garstigen Grillen, daß sie sich, wenn ich mich einmal nicht wirklich unliebsam benehme, einbilden, es geschähe deshalb, weil es mir an Kraft dazu gebricht. Wenn ich Tante Hetty recht grob und Tante Clarissa recht schnippisch behandelte, dann würden sie, glaube ich, Freudenthränen weinen.«


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