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Drittes Kapitel. Ein junger Löwe

Lisbeth widmete ihm ein flüchtiges, schwaches Kompliment und einen süßen Blick aus ihren gewaltig großen, tiefen Augen.

»Das war in der That ganz allerliebst gesagt von Ihnen,« sagte sie mit einer Miene scheinbar ernstlich empfundener Dankbarkeit. »Bitte, nehmen Sie doch eins von meinen Stiefmütterchen.« Und ein Blümchen aus ihrem Strauße wählend, reichte sie es ihm, und Hektor Anstruthers, der zufällig nach ihnen hinsah, genoß das Vergnügen. Augenzeuge dieser reizenden Scene zu sein.

Es war das Mißgeschick der Herren, welche sich vor Miß Crespignys Triumphwagen spannten, daß sie sich über sie nur in höchst seltenen Fällen klar waren.

Sie hatte eine angenehme Art, etwas zu sagen und etwas anderes zu meinen. Während sie mit der größten Gesetztheit und Ruhe von einer Sache sprach, versetzte sie gleichzeitig ihren Zuhörer in Zweifel der stärksten und unangenehmsten Art. Sie war eine herrliche junge Dame, eine sarkastische junge Dame, und das war ihre Weise so, mit jungen Männern und Frauen zu verkehren, die ja sonst zuviel Befriedigung mit sich hätten schöpfen können.

Bertie Lyon fühlte sich immer halbwegs in Verlegenheit vor ihr. Es war nicht leicht, ihr zu widerstehen, wenn sie unwiderstehlich zu sein beliebte; aber es wurde ihm bald heiß und bald kalt über ihren »vertrackt spitzfindigen Reden«. Und dies war so eine von ihnen.

Sie foppte ihn um seines hölzernen Komplimentes willen; und doch war er gezwungen, das Stiefmütterchen von ihr anzunehmen und an seinen Rock zu stecken mit einer Miene, als wenn er dankbaren Herzens sei.

Herr Hektor Anstruthers war an diesem Abend zufolge einstimmiger Wahl als eine Art von jungem »Löwen« erklärt worden, dessen kavaliermäßiges Brüllen des Hörens wert wäre. Junge Damen hatten seitens ihrer Brüder von ihm sprechen hören, und die eine und die andere hatten auch jene kleinen lieblichen Bilder gesehen, die er auf der letzten Saison ausgestellt hatte. Matronen hatten von seiten ihrer Männer über ihn sprechen hören als über einen bemerkenswerten jungen Gesellen, der unerwarteterweise zu einem großen Vermögen gekommen war und trotzdem, wenn ihn die Lust dazu ankam, Aufsätze für die Zeitungen schrieb und malte, als wenn's ihm zum Leben not thäte. Ein wirklich außergewöhnlicher junger Mann und in den höheren Kreisen sehr beliebt.

»Ziemlich frei vielleicht und ungeniert,« pflegten sie zu sagen, »und wohl auch etwas von einem Cyniker, wie ja diese jungen Narren öfters beanlagt sind; nichtsdestoweniger aber ein prächtiger Mensch – ein ganz prächtiger Mensch!«

Und Anstruthers hatte geruht, sich bei den jungen Damen, denen er vorgestellt wurde, sehr angenehm zu machen, hatte ein Tänzchen mitgemacht, hatte sich außerordentlich höflich mit den älteren Matronen unterhalten und sich kurz und gut außerordentlich populär gemacht. Thatsächlich war er so lebhaft in Anspruch genommen bis zum letzten Teil des Abends, daß Lisbeth ihn nur sehr wenig zu sehen bekam. Dann schien er sich plötzlich darauf zu besinnen, daß sie auch noch am Leben sei, und begab sich pflichtschuldig zu ihr, sie um eine Tour zu ersuchen, und dieser Aufforderung wurde mit ziemlich großer Gleichgültigkeit entsprochen – und mit ziemlich großer Gleichgültigkeit tanzten sie zusammen eine Quadrille durch.

»Ich hoffe,« sagte er mit peinlicher Höflichkeit, »daß die Damen Tregarthyn sich Wohlbefinden werden.«

»Es thut mir leid sagen zu müssen,« erwiderte Lisbeth, ihr Gegenüber mit ihren großen Augen anstarrend, »daß ich das nicht weiß.«

»Dann muß ich Sie mißverstanden haben. Ich war der Meinung, aus Ihrem Munde gehört zu haben, daß Sie von Miß Clarissa einen Brief bekommen hätten.«

»Das war kein Mißverständnis Ihrerseits,« erwiderte Lisbeth. »Ich hatte eben einen Brief bekommen, leider aber schreiben sie in dem Briefe nichts über sich selbst; sie schreiben darin bloß über mich.«

»Das muß doch ihre Briefe notwendigerweise interessant machen,« sagte Anstruthers.

Lisbeth geruhte kaum, matt mit ihren Achseln zu zucken.

»Notwendigerweise,« entgegnete sie, »wenn man so glücklich beanlagt ist, seiner selbst niemals satt zu werden.«

»Es würde ja schändliche Ketzerei sein, die Annahme zu hegen.« sagte Anstruthers, »daß einer von Miß Crespignys Freunden es für möglich halten wollte, daß jemand Miß Crespignys satt werden könnte – und wenn es Miß Crespigny selbst wäre.«

»Dies, glaube ich, ist die dritte Tanzfigur,« war Lisbeths einzige Erwiderung, und da die Musik in diesem Augenblick einsetzte, traten sie wieder zum Tanze an.

»Er meint,« sagte die junge Dame ingrimmig zu sich selbst, »daß er den großen Herrn mir gegenüber spielen kann, wie er es mit anderen Damen macht. Er wünscht sich, so kommt es mir gerade vor, Glück zu der Aussicht, daß er mich eines Tages in Herzeleid wird versetzen können – mich! Sind denn die Männer immer Einfaltspinsel? Es scheint wirklich so. Und die Frauen sind's, die wir um deswillen tadeln. Bah! er war der Beachtung weit mehr würdig, als er nichts weiter war als ein lästiger, leidlich netter, junger Schermichel. Ich hasse diese Pinsel, die immer meinen, sie hätten sich in der Welt Witz geholt und diesen ihren vermeintlichen Witz bei jeder Gelegenheit in Anwendung bringen.«

Sie war sehr hart und streng gegen ihn, wie sie es ziemlich gegen alle Welt sein konnte, ausgenommen gegen Lisbeth Crespigny. Und daß sie um so härter und strenger war, weil er sie in unangenehmer Weise an Dinge erinnerte, die sie durchaus nicht ungern vergessen hätte, war nicht unwahrscheinlich. War sie denn so herzlos, daß sie keine einzige heimliche Erinnerung an das Aufflackern ihrer ersten jugendlichen Leidenschaft mehr hatte, an seinen unschuldigen Glauben an die Güte und Ehrlichkeit ihres Mädchenherzens, an seinen edelsinnigen Eifer, all ihre selbstsüchtigen Launen nicht zu bemerken, an seine zärtliche Bereitwilligkeit, all ihre Grausamkeit zu ertragen – denn grausam genug war sie gewesen – grausam bis zur Herzlosigkeit. Das weiß der liebe Gott!

War sie denn so über alle Maßen herzlos, mit keiner Faser ihres Herzens an die Leiden und Kämpfe zu denken, die er in seinem jugendlichen Empfinden durchgelitten, an sein leidenschaftliches rasendes Flehen damals, wo sie den Höhepunkt ihrer Selbstsucht und Gleichgültigkeit gegen das Unrecht, das sie beging, erstiegen hatte?

Ganz sicher konnte kein Weib so hart und so streng sein, und ich will nicht sagen, daß sie es war, und daß sie nicht innerlich dabei gefoltert worden wäre an diesem Abend durch den Gedanken, daß, wenn er hart und streng geworden wäre und Rücksicht und Glauben gänzlich außer Acht gelassen hätte, die Chancen dann so stünden, daß sie selbst es wäre, die dazu beigetragen hätte, die Wandlung zum schlimmsten zu gestalten.

Die beiden jungen Männer, Lyon und sein Freund hatten im Verlauf dieses Abends zusammen über das Vergnügen, das sie dabei gehabt, eine kleine Unterredung, und diese gestaltete sich in folgender Weise.

Lyon trug, als er Anstruthers nach seinem Quartier begleitete, trotzdem er nichts weniger als ein sentimentaler Mensch war, Miß Crespignys golden- und purpurfarbiges Stiefmütterchen in seinem Knopfloch und in dem Augenblicke, wo er seinen Frack mit einem Gesellschaftsrocke seines Freundes vertauschte, fand er es und nahm es heraus und legte es in eine kleine, schmale Vase, die auf dem Tische stand.

Anstruthers hatte sich, mit seinem Tschibuk im Munde, in einen Lehnstuhl geworfen und durch die Rauchwolken hindurch, die aus dem duftigen Kraut aufstiegen, sah er, was der junge Mann trieb.

»Woher haben Sie denn das?« fragte er schroff.

»Es ist eins von den Dingern, die Miß Crespigny getragen,« lautete die mit bescheidenem Triumph gegebene Antwort. »Sie haben sie doch an ihrer Robe und in ihrem Haar und auf ihrem Fächer gesehen. Das hier ist jedoch eine richtige Blume aus ihrem Strauße, den sie in der Hand getragen. Ich glaube, man nennt die Blume Herzensschmerzen.«

»Herzensschmerzen sind –« fing Anstruthers mit kräftiger Betonung an; aber er that sich rechtzeitig Zwang an. »Sie ist gerade das Weib darnach, um Herzensschmerzen zu fühlen!« setzte er mit sardonischem Lachen hinzu. »Sie sollte solche Herzensschmerzen-Blumen tragen, und Veilchen und Lilien und Schneeglöckchen und wilde Rosen in der Knospe dazu,« und bei jeder Blume, die er nannte, stieß er ein herberes Lachen hervor – »dergleichen frische, harmlose Dinge passen vortrefflich zu Damen ihres Schlages.«

»Aber bitte,« rief Lyon, ihm betroffen in das höhnische Gesicht starrend, »was ist denn los? Sie reden ja ganz so, als wenn Sie einen Groll wider die Dame im Herzen trügen. Woher rührt denn das?«

Anstruthers höhnische Weise schien sich an Heftigkeit nur zu vertiefen

»Einen Groll!« wiederholte er seines Freundes Rede. »Was los ist? O! nichts – nichts von irgendwelcher Bedeutung. Bloß wünschte ich, sie hätte mir ihre Herzweh-Blume gegeben, oder Sie möchten sie mir geben, damit ich Ihnen zeigen könnte, was ich Ihnen mit den hübschen Dingern zu machen rate, die Sie von solchen Geschöpfen geschenkt bekommen. Ins Feuer damit, alter Junge! und dort lassen Sie sie versengen und verräuchern und sich krümmen, als wär's ein Ding mit Leben, das auf der Folter läge. Oder schleudern Sie sie auf die Erde und setzen Sie Ihre Ferse darauf und zertreten sie zu Atomen.«

»Ich kann mir nicht denken, wozu das gut sein würde,« sagte Lyon, indem er zu dem Kaminsimse trat und seine Meerschaumpfeife herunter langte, »ich habe mir nicht denken können, daß Sie Bekanntschaft mit dem Mädchen hätten.«

»Ich Bekanntschaft mit ihr?« versetzte Anstruthers mit wiederholtem Hohn, »o! ich kenne sie nur allzu gut.«

»Beim Zeus!« rief Lyon plötzlich aus, wie wenn ihm ein Gedanke gekommen sei. »Dann hat sie was damit im Sinne gehabt.«

»Sie hat in der Regel etwas im Sinne,« versetzte der andere. »Derartige Weiber haben ausnahmslos – den Teufel im Nacken.«

»In der Regel wohl dann, wenn sie so unheimlich lacht,« fuhr Lyon unvorsichtig fort. »Sie lacht nämlich in der Regel über einen männlichen Jemand, statt mit ihm zu sprechen, wie sie zu thun vorgiebt. Und als sie heute Abend lachte und in jener absonderlichen Weise nach Ihnen hinsah, da meinte ich, gleich Unrat wittern zu sollen.«

Anstruthers wurde käseweiß – Jene Todesblässe verfärbte sein Gesicht, die das deutliche Anzeichen verhaltener Leidenschaft ist.

»Lachen!« sagte er. »Sie – lachte!«

»Na, wissen Sie,« erklärte Lyon, »sie hatte sich nach Ihnen erkundigt, und als ich ihr zu Ende erzählt hatte, was ich wußte, da guckte sie unter ihren Wimpern hervor nach Ihnen hin, während Sie bei Mrs. Despard standen und mit der Dame sich unterhielten, und dann lachte sie, und als ich sie fragte, ob sie über Sie lachte, da sagte sie: ›Ach nicht doch!‹ Nicht über Sie, sondern über einen andern Kavalier des gleichen Namens, den sie vor langer Zeit gekannt hätte.«

Es war nicht das beste für ihn, was Hektor Anstruthers hätte hören können.

Er hatte seine Knaben-Passion verwunden, aber der Stachel, den sie ihm ins Herz gedrückt, war noch zurückgeblieben. Nachdem sein erster Jugendglauben zertrümmert worden, hatte er allen Glauben aus seinem Herzen gestrichen als eine Sache, die purer Hohn sei. Er war cynisch und höhnisch. Bah! warum sollte er sich an seine alten Ideale von Wahrheit und Lauterkeit klammern? Wozu war es nötig, daß er ringen sollte, solcher Visionen würdig zu werden, wie sie sich erwiesen hatten? Was war denn schließlich Wahrheit? Was war in letzter Reihe Lauterkeit? Was war ihm die eine oder die andere gewesen, als er nach ihnen gerungen und an sie geglaubt hatte?

Der zufällige Tod seines Vetters hatte ihn zum reichen Manne gemacht und er hatte sich ganz seinen Launen überlassen. Er hatte die Welt gesehen und gelebt – im vollsten Sinne des Wortes gelebt während der letzten paar Jahre. Was war es gewesen, das ihm einen Halt gegeben hatte? Liebe nicht. Damit hatte er glatten Tisch gemacht, redete er sich selbst ein. Hoffnung auch nicht auf einen künftigen friedlichen Segen. Wenn er sich jemals verheiratete, dann würde er irgend ein weibliches Wesen heiraten, das genau wüßte, was sie nähme, wenn sie das nähme, was er zu bieten hätte.

Und dann war er nach und nach in sein künstlerisches und litterarisches Arbeiten hineingesteuert, und der Erfolg, der ihm beschert war, hatte seine Eitelkeit aufgestachelt. Er wollte etwas mehr sein als die übrige Menge und angespornt von diesem edlen Beweggründe und von seiner wirklichen Liebe zur Arbeit, hatte er es erreicht, etwas mehr als die übrige Menge zu werden.

Er hatte keinen höheren Trieb gehabt als diese Eitelkeit und eine Grille nach Popularität. Es war seine unangenehme Sache, als Genie hingestellt zu werden – als ein Mann, der obwohl er nicht nötig hatte zu arbeiten, die Schrulle hatte, so energisch zu arbeiten, wenn ihn die Laune befiel, wie der ärmste Landstreicher unter ihnen, der noch dazu für seine Arbeit bezahlt sein wollte. »Lob und Preis werden sie mir zollen für nichts,« pflegte er spöttisch zu sagen. »Geld würden sie mir nicht für nichts geben. So lange sie mich bezahlen werden, hat meine Arbeit einigen Sinn. Wenn sie aufhört, eines Preises würdig zu sein, ist sie auch meiner Zeit nicht mehr wert.«


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