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Sechstes Kapitel. Zwei Freundinnen

Es paßte Lisbeth an diesem Vormittag gerade, sich von ihrer bezaubernden Seite zu zeigen, und sie war thatsächlich auch sehr nett und angenehm.

Sie hatte genug Verständnis für die Künste und von der Kunst, um sich mit Vorteil unter Gemälden zu bewegen und zu zeigen; und es war ihr außerdem eine gewisse versteckte, bescheidene Weise zu eigen, ihre Unwissenheit einzugestehen – was ihr nicht übel anstand und ihren Liebreiz nicht im geringsten verminderte.

Sie war munter, gemütlich und, wie es schien, in ihrer besten Stimmung. Sie schloß Freundschaft mit Miß Georgy und entzückte den Colonel Esmond; sie nahm Miß Estabrook für sich ein und versetzte den entzündlichen ältlichen Stutzer, den Bruder von Miß Estabrook, durch ihre freundliche Herablassung in die glückseligste Stimmung; sie verkehrte mit Anstruthers, als sei von irgendwelchem anderen Vorgange in ihrem Leben, als der Zusammenkunft an diesem selben Vormittag und dieser netten kleinen Gesellschaft, in der sie sich hier zusammenfanden, gar keine Rede.

Sie machte, daß der Imbiß fröhlicher und unterhaltender verlief, als es bei solchen kleinen Festen in der Regel der Fall ist. Kurz: sie war Lisbeth Crespigny in ihrer besten, pikantesten, fesselndsten Laune.

»O!« sagte die offenherzige Georgy, als sie ihr beim Abschied die Hände drückte – »o! ich habe mich so über die Maßen gefreut! Es macht mich so glücklich, daß ich Sie getroffen habe. Ich hoffe, wir werden einander recht bald wiedersehen. Bitte, besuchen Sie mich, Mrs. Despard,« – (dabei lachte sie allerliebst) – »es liegt mir so sehr viel daran, Sie bei mir zu sehen! Es ist mir so verhaßt, Leute missen zu müssen, die ich gern habe.«

»Soll das heißen, daß Sie so nett sein wollen, mich ein bißchen gern zu haben?« fragte Lisbeth in ihrem liebenswürdigsten Tone, während sie sich gleichzeitig verwundert und neugierig fragte, wie bloß dies Mädchen so lange hätte auf der Erde leben und sich das harmlose, zuversichtliche Wesen und das frische, flotte Temperament wahren können. »Hoffentlich soll's das heißen?«

Georgy errötete jäh vor unschuldiger Inbrunst.

»Freilich heißt's das,« antwortete sie – »wenn's das nicht hieße, so würde ich es doch nicht sagen. Und ich bin überzeugt, daß, wenn ich Sie öfter sehe, ich Sie noch lieber und viel lieber haben werde. Es ist so köstlich, jemand im Leben zu begegnen, von dem man sicher ist, daß man ihn gerne haben kann.«

Es war eine wunderliche Sache; aber als Lisbeth sie jetzt einen Moment lang ansah, da hatte sie das bestimmte Gefühl, daß sie matt errötete – errötete zufolge einer merkwürdigen Empfindung, sich vor Lisbeth Crespigny einigermaßen schämen zu müssen.

Es würde ja schrecklich sein, wenn ein solches Mädchen wie dieses sie auffände; sie just so sähe, wie sie wäre; genau erführe, wie ihre Vergangenheit sich abgespielt hätte. Sie fühlte sich halb und halb geneigt, etwas derartiges für ganz außerhalb aller Möglichkeit gelegen anzusehen.

»Ich möchte, daß Mama Sie kennen lernt,« sagte Georgy; »Mama verkehrt so gern mit klugen Menschen, liebt kluge Menschen so sehr, daß sich schon oft der Wunsch in mir geregt hat, ein anderes als solch ein hausbackenes, alltägliches Mädchen zu sein.«

»Wir werden uns recht sehr freuen, Sie bei uns zu sehen, mein teures Kind,« sagte Mrs. Despard. »Davon dürfen Sie sich überzeugt halten. Kommen Sie sobald wie möglich und so oft wie möglich!«

Und so wurde die Sache abgesprochen, und Lisbeth hatte die Kraft nicht, sich fern zu halten, wenn sie auch willens war, so zu thun.

»Sie müssen Miß Crespigny schon seit recht langer Zeit gekannt haben,« sagte Georgy Esmond heiter und froh zu Anstruthers, ehe sie mit ihrem Vater fortging. – »Mrs. Despard sprach etwas davon, daß Sie mit ihr in jenem kleinen Örtchen draußen in Wales, Pen'yllan heißt es ja wohl, nicht wahr? zusammen gewesen seien. Und in Pen'yllan haben Sie sich doch seit zwei, drei Jahren nicht aufgehalten!«

»Sie hätten ein so reizendes Wesen nicht drei Jahre lang für sich allein in Verwahrsam halten sollen, mein Junge,« sagte der alte Colonel.

»Das hätten Sie, sollt' ich auch meinen, nicht thun dürfen,« fiel Miß Georgy ein – »es war das recht selbstsüchtig und wir sind doch niemals selbstsüchtig ihm gegenüber – nicht wahr, Papa? Wir zeigen ihm doch immer alle netten Leute, über die wir zu verfügen haben – nicht wahr?«

»Aber ich habe ja doch,« sagte Anstruthers, »Miß Crespigny während der ganzen drei Jahre nicht ein einziges Mal gesehen. Nachdem wir von Pen'yllan fort sind, haben wir einander aus den Augen verloren, Gott weiß wie, und einander erst vor ganz kurzer Zeit wieder gesehen, und auch das nur ganz zufällig.«

»Dann war es sehr unaufmerksam von Ihnen, sie aus den Augen zu verlieren,« protestierte Miß Georgy, »ich hätte sie um alles in der Welt nicht aus den Augen verloren. Kavaliere sind immer so kaltherzig in ihren Freundschaftsverhältnissen. Ich glaube nicht, Herr Hektor, daß Sie jemals in Ihrem ganzen Leben an irgend einem von Ihren Freunden mit wirklicher Liebe gehangen haben.«

Anstruthers lächelte auf wunderliche, satirische Weise.

»Hätte ich Miß Crespigny lieben sollen?« fragte er. »Sollte ich jetzt anfangen, sie zu lieben? wenn Sie meinen, daß dies meine Pflicht sei, Georgy, dann will ich auf der Stelle damit den Anfang machen.«

Das Mädchen schüttelte vorwurfsvoll ihre zierliche Hand.

»O!« sagte sie. »Das ist immer so Ihre Art zu sprechen, Sie großer junger Kavalier! Es ist so die Mode, sarkastisch zu sein und nicht für eine Person oder Sache sonderlich Bewunderung zu hegen außer für sich selbst,« setzte sie bitter hinzu, »und lieber, als die Mode nicht mitzumachen, würden Sie über Ihre besten Freunde mit Spott herziehen. Wahrlich! ich weiß nicht, wohin es noch mit der Welt kommen wird.«

»Wer ist denn jetzt sarkastisch? das möchte ich denn doch wissen!« sagte Anstruthers. »Mir scheint, als ob es Miß Georgy Esmond wäre, die jetzt Herodes noch übertrumpft. Wir uns selbst bewundern! na, wahrhaftig! Wir thun doch nur, was uns gelehrt wird. Worin uns die Frauen selbst Lehrmeisterinnen sind –«

»Was!« rief Georgy. »Lehren wir euch etwa, euch selbst zu bewundern, und sonst nichts?«

»Nein,« war seine Antwort. »Das lehrt ihr uns nicht, sondern ihr thut Schlimmeres. Nicht Sie, meine herzige, rechtschaffene Georgy, sondern Frauen, die in uns den Glauben erwecken wollen, sie seien ebenso rechtschaffen und zärtlich wie Sie. Die lehren uns, daß wir, wenn wir uns an unseren ersten Jugendglauben klammern, Thoren sind und ausgelacht zu werden verdienen; die lehren uns spöttisch und höhnisch werden, und halten uns dann darüber, daß wir spotten und höhnen, allerliebste Moralpredigten; die lassen uns nichts, woran wir glauben könnten, und halten uns dann trübselige, poetische Vorlesungen über unseren Mangel an Glauben. Es giebt Männer auf dieser Welt, für die es besser gewesen sein würde, wenn sie niemals ein Weib gesehen hätten.«

Georgy Esmonds Augen wurden weiter und immer weiter. Sie hatte kein Verständnis für solche Bitterkeit. Sie war ein schlichtes Mädchen mit gesundem Sinne und hatte von der Welt, ausgenommen ihre angenehme Seite, sehr wenig gesehen.

»Na, aber,« rief sie, »das ist ja schrecklich. Und Sie sagen das so, als wenn Sie es wirklich so meinten. Ich werde mit Mama 'mal über Sie reden müssen, Hektor. Solche Fälle, wie Ihr Fall, gehen über meinen Horizont. Damit kann ich mich nicht befassen, ganz und gar nicht. Was nutzt Ihnen denn da all Ihr Geld und all Ihr Genie und all Ihre Popularität, und – und all Ihr gutes Aussehen?« Bei diesen Worten schnitt sie ihm ein reizendes, ein wenig malitiöses Kompliment. »Was können Ihnen denn dann für Freuden aus Ihren hübschen Zimmern erwachsen und aus Ihren lieblichen Gemälden und aus allen Ihren schönen Nipp- und anderen Sachen, wenn Sie sich mit dergleichen sündhaften Gedanken tragen? Es sollte Ihnen jeder Ihre Sachen fortnehmen, wie wir's mit Harrys Spielzeug machen, wenn er garstig und böse ist; und all Ihre Sachen sollten in einen Schrank eingeschlossen werden, so lange, bis Sie wieder in einer Verfassung sind, die Ihnen gestattet, sich daran zu freuen.«

Anstruthers sah ihr mit einer Art von trauriger Bewunderung in das süße, heitere Gesicht. Warum war seine Liebe nicht auf dieses Mädchen gefallen, anstatt auf jenes andere? Es war ein hartes Geschick, das ihn geleitet oder getrieben hatte. Was für ein ganz anderer Mensch hätte er sein können, wenn vor drei Jahren, an Stelle von Lisbeth Crespigny, Georgy Esmond ihm gegenüber gestanden hätte!

»Sie verstehen mich durchaus nicht, Georgy,« sagte er mit leiser, ziemlich zärtlicher Stimme. »Sie sind zu gut und zu lieb, mein herziges Mädchen, um volles Verständnis dafür zu haben, was den Menschen das Herz verhärtet und verbittert und was sie alt macht vor der Zeit.«

Und als jetzt Colonel Esmond in das Zimmer trat, um sie hinweg zu holen, da gab er ihrer zierlichen kleinen Hand, als sie sie ihm zum Lebewohl hinreichte, eine leise Idee von zärtlichem Drucke.

Und während Herr Hektor Anstruthers sich in dieser exaltierten Weise über die Falschheit des weiblichen Geschlechts ausließ, kutschierte die harte Ursache seiner ketzerischen Gesinnung in einer ziemlich unerquicklichen Gemütsstimmung nach Hause.

Es ist niemals angenehm zu spüren, daß man an Kraft eingebüßt hat, und für Lisbeth Crespigny war es eine ganz besonders empfindliche Sache, wenn sie merkte, daß ihr Einfluß irgendwann oder irgendwie Einbuße litt. Es kam ihr nicht eben angenehm vor, der Thatsache ins Auge zu blicken, daß einer von ihren Sklaven seine Freiheit erkauft hatte, und zwar auf Grund seiner Welterfahrung und Weltkenntnis. So geringfügig wie die Erregung gewesen, so hatte sie doch an diesem Morgen eine Empfindung gehabt, die mit Ärger halbwegs verwandt war, als sie sich gezwungen gesehen hatte, wie es thatsächlich doch ein paarmal der Fall gewesen war, anzuerkennen, daß das Opfer ihrer Launen sie mit völliger Ruhe ansprechen, ihren Blick mit höflicher Gleichgültigkeit aushalten, sie alles in allem genommen ansehen konnte, als wenn er das erste beste Mädchen von größerer Talenten und Fähigkeiten angesehen hätte.

»Wenn ich vor weniger denn vier Jahren,« sprach sie bei sich selbst mit Ingrimm, »auf ihm herumgetreten hätte, würde er mir die Füße geküßt haben. Heute erblickt er in mir bloß ein ungemütliches junges Frauenzimmer, das er überschätzt hat, und nährt demzufolge statt Liebe Groll und Verdruß wider mich. Ich bezweifle ganz und gar nicht, daß seine Blicke, als wir zusammen saßen, jenem niedlichen frischen Fräulein Esmond galten, und daß er abscheuliche Vergleiche zwischen uns gezogen hat.«

Eins indessen müssen wir ihr zum Guten anrechnen. Sie fühlte keinen Groll wider das Mädchen, das ihrer Einbildung nach ihren Platz eingenommen hatte. Gott weiß wie es gekommen war, aber Georgy Esmond mit ihren hellen Augen und ihren Rosen und ihrer flinken Gutmütigkeit hatte in Lisbeths ziemlich hartem Herzen ein weiches Plätzchen gefunden.

Miß Crespigny hätte nicht sagen können, weshalb es an dem war, – aber sie hatte eine ganz seltsame Laune für Georgy Esmond gefaßt. Sie hatte sie lieb und wünschte, daß diese Empfindung auf Gegenseitigkeit beruhen möchte. Sie würde eine Empfindung wie Weh bekommen haben, selbst in diesem frühen Stadium ihrer Bekanntschaft, wenn sie hätte denken sollen, daß das süße, redliche Geschöpf sie jemals mit Hektor Anstruthers' Augen ansehen würde.

»Männer sind immer unverhältnismäßig besser,« sagte sie zu sich selbst. »Es liegt in ihrer Art, von sich hören zu lassen, wenn sie verletzt oder betroffen wurden. Es scheint, als wenn in ihrem Schmerz eine Art von Stolz läge. Jedes Weib mit Durchschnittsverstand könnte wahrnehmen, daß diesen Mylord aus dem Maler-Atelier irgendwas das Herz bedrückt.«

»Lisbeth,« sagte Mrs. Despard, in ihre Träumerei verfallend, »ist's nicht ziemlich erstaunlich, wie sehr sich dieser junge Mensch zu seinem Vorteil verändert hat?«

»Er hat sich zum Vorteil verändert,« sagte Lisbeth, »weil er aufgehört hat ein junger Mensch zu sein. Er ist nun ein Mann geworden.«

»Und ein sehr repräsentabler, unterhaltender Mann, muß ich sagen,« versetzte Mrs. Despard, indem sie dies Lob seiner Persönlichkeit durch ein Kopfnicken bekräftigte. »Er ist thatsächlich hübsch. Und dieser Imbiß war eine ziemlich angenehme Sache, die man sich sehr wohl gefallen lassen konnte – eine Sache, die gewissermaßen einzig dasteht. Ich werde ihm bei diesem schönen Wetter demnächst wieder einen Besuch machen.«

Nachdem er dermaßen zu einem der Günstlinge von Mrs. Despard erhoben worden, war es durchaus nicht sonderbar, daß sie von nun an recht viel von dem jungen Manne zu sehen und zu hören bekamen. Und auch persönlich sahen sie ihn ziemlich oft.

Nach und nach vergaß er, was er dagegen gehabt hatte, mit Lisbeth zusammen zu treffen, und im Stillen spottete er sogar halb und halb über die Heftigkeit, mit der sein Widerwille bei jenem erstmaligen Zusammentreffen hervorgebrochen war.

Jetzt wäre dies alles vorüber; sagte er, und warum sollte ihn denn ein solches Weib in Verwirrung setzen? In der That, welchen größeren Beweis davon, daß er sich absolut sicher fühlte, konnte er sich selbst geben als die Thatsache, daß er sie fast täglich sehen und doch völlig gleichgültig bleiben konnte?

Es muß gesagt werden, daß er sich auf seine Gleichgültigkeit ziemlich viel zu gute that.

Er wurde auch in vertrauteren Verkehr mit dem Hause durch Georgy Esmond gezogen. Denn in der Äußerung ihres Wunsches, mit Lisbeth Freundschaft zu schließen, war Georgy aufrichtig und offen gewesen, wie es in ihrer Gewohnheit lag.

Eine sehr kurze Zeit nach dem Imbiß wurde ihrerseits der erste Besuch gemacht, und der erste Besuch war der Vorbote von vielen anderen.

»Mama,« die das hauptsächlichste Bewunderungsobjekt des Töchterchens war, befand sich in ihrer Begleitung, und »Mama« wurde ganz ebenso bezaubert auf ihre Weise, wie Georgy auf ihre Weise bezaubert worden war.

Lisbeth konnte ganz unmöglich anders als Gefallen erwecken und die Leute für sich einnehmen, sobald sie bei rechter Laune war; und Mrs. Esmond und Georgy setzten sie immer in die rechte Laune. Sie konnte gar nicht anders als diesen beiden lieben Temperamenten gegenüber sich von ihrer besten Seite zeigen.


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