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Sechstes Kapitel.

Chillingly Gordon verfehlte nicht, seine Bekanntschaft mit Kenelm zu cultiviren. Er sprach sehr oft morgens bei ihm vor, begleitete ihn bisweilen auf seinen Nachmittagsritten und machte ihn mit Männern seiner Gesellschaft bekannt, die der Mehrzahl nach vielbeschäftigte Mitglieder des Parlaments, junge strebsame Advocaten und politische Journalisten waren, unter denen aber auch reiche Müßiggänger, Clubmitglieder, Sportsmen und andere fashionable Leute von Rang und Vermögen nicht fehlten. Er that das nicht ohne Absicht; denn diese Leute sprachen gut von ihm, nicht nur von seinen Talenten, sondern auch von seinem ehrenwerthen Charakter. Sein Spitzname bei ihnen war: der rechtschaffene Gordon. Kenelm meinte 198 zuerst, dieser Spitzname müsse ironisch gemeint sein, aber nichts weniger. Er war ihm wegen der Aufrichtigkeit und Kühnheit beigelegt, mit welchen er bei der Kundgebung seiner Ansichten einen von jedem Humbug freien Cynismus zur Schau trug. Er war sicherlich kein Heuchler, er brüstete sich nicht mit Ueberzeugungen, die er nicht wirklich hatte, und hatte überhaupt sehr wenige Ueberzeugungen außer der einen, daß die erste Hälfte des Sprichwortes: Jeder für sich und Gott für uns alle, die Richtschnur seines Lebens sein müsse.

Wie stark aber auch immer Chillingly Gordon's Unglaube in Betreff der Dinge sein mochte, welche die gangbaren Glaubensartikel der Tugendhaften ausmachen, so war doch in seinem Benehmen nichts, woraus man auf lasterhafte Neigungen hätte schließen können, er war in allen seinen Handlungen durchaus rechtlich und wurde von seinen Altersgenossen bei delicaten Ehrensachen vorzugsweise gern zum Schiedsrichter gewählt. Obgleich er so wenig Hehl aus seinem Ehrgeiz machte, konnte ihn doch niemand beschuldigen, auf den Schultern von Patronen emporklimmen zu wollen. In seiner Natur lag nichts Serviles, und obgleich er ganz bereit war, erforderlichen Falls Wähler zu bestechen, so hätte er selbst sich doch nimmermehr mit 199 Geld erkaufen lassen. Die eine ihn ganz beherrschende Leidenschaft war der Wunsch, Macht zu erlangen. Er spottete über Patriotismus als ein abgenutztes Vorurtheil und nannte Philanthropie eine sentimentale Spiegelfechterei. Er trug kein Verlangen, seinem Lande zu dienen, wohl aber es zu regieren, kein Verlangen, die Menschheit zu erheben, wohl aber selbst emporzusteigen. Er war deshalb gewissenlos und ohne Principien, wie es die für sich selbst nach Macht Dürstenden nur zu oft sind. Aber doch würden ihn, wenn er in den Besitz dieser Macht gelangt wäre, die Klarheit und Stärke seines Geistes wahrscheinlich vermocht haben, einen guten Gebrauch von derselben zu machen.

Welchen Eindruck er auf Kenelm machte, mag man aus folgendem Briefe ersehen:

»Lieber Vater!

Du und meine liebe Mutter werden es gern hören, daß ich in London fortwährend sehr gut aufgenommen werde. Diese » arida nutrix leonum« reiht mich unter die Lieblingslöwen ein, welche die fashionablen Damen in die Gesellschaft ihrer Schooßhunde zulassen. Es ist ungefähr sechs Jahre her, seit es mir gestattet war, in diesen Guckkasten durch die mir von Herrn Welby in seiner Zurückgezogenheit eröffneten Gucklöcher zu blicken. Es scheint mir, vielleicht 200 mit Unrecht, daß sich schon während dieses kurzen Zeitraums der Ton der Gesellschaft merklich verändert hat. Zu behaupten, daß diese Veränderung eine zum Besseren sei, überlasse ich denen, die zur Partei der Progressisten gehören. Ich glaube, daß vor sechs Jahren bei weitem nicht so viele junge Damen ihre Augenlider malten und ihr Haar färbten. Damals gab es vielleicht einige wenige, welche bemüht waren, den von Schuljungen erfundenen und von kleinen Romanschreibern in Umlauf gesetzten Jargon nachzuahmen, und Ausdrücke wie pyramidal, kolossale Frechheit, riesig, amüsant u. s. w. gebrauchten. Aber jetzt begegne ich sehr vielen, die es zu mehr als einem sprachlichen Jargon, zu einem Jargon des Geistes, des Gefühls, kurz so weit gebracht haben, daß von der echten Weiblichkeit und dem Wesen einer wahrhaft vornehmen Dame sehr wenig übrig geblieben ist. Feuilletonisten behaupten, daß die Schuld daran die jungen Leute unserer Zeit treffe, welche Geschmack an jenem Unwesen finden, und daß die schönen Anglerinnen nach Ehemännern beim Fischen einen Köder zur Anwendung bringen, auf dessen bunte Farben die Gründlinge sicher anbeißen werden. Ob diese Erklärung begründet ist, das zu entscheiden maße ich mir nicht an; aber es frappirt mich, daß die Männer meines 201 Alters, welche die Prätension haben, ein fashionables Leben zu führen, ein mattherzigeres Geschlecht sind als die zehn bis zwanzig Jahre älteren Männer, die jenen als Philister gelten. Die Gewohnheit, schon am Morgen Branntwein zu trinken, gehört auch zu jenen neuen Ideen, die jetzt an der Tagesordnung sind. Adonis verlangt nach einem Schnaps, um sich für die Beantwortung eines billet doux von Venus zu stärken. Adonis hat nicht die Kraft, sich ordentlich zu betrinken, aber seine zarte Constitution verlangt Reizmittel und er trinkt fortwährend.

Die Männer von hoher Geburt oder die durch ihre gesellschaftlichen Erfolge berühmten Männer, die Deiner Zeit, lieber Vater, angehören, unterscheiden sich noch immer durch das Gepräge einer guten Erziehung und die Art ihrer mehr oder weniger eleganten und von literarischer Bildung zeugenden Unterhaltung vortheilhaft von Männern desselben Ranges aus meiner Generation, die sich etwas darauf zu gute zu thun scheinen, daß sie niemand achten und nichts, nicht einmal Grammatik wissen. Und doch versichert man uns, daß die Welt beständig im Fortschreiten begriffen sei. Diese neue Idee erfreut sich der höchsten Geltung.

Die Gesellschaft ist gegenwärtig von einem merkwürdigen Dünkel auf ihren Fortschritt und ihre 202 Vorzüglichkeit erfüllt, und die Individuen, welche diese Gesellschaft bilden, hegen dieselbe selbstgefällige Meinung von sich. Es gibt natürlich, selbst nach meiner kurzen und unvollkommenen Erfahrung, viele Ausnahmen von dem, was mir als vorherrschend charakteristisch für die aufstrebende Generation in der sogenannten guten Gesellschaft erscheint. Ich muß mich damit begnügen, von diesen Ausnahmen die bemerkenswerthesten hervorzuheben. Place aux dames! Ich nenne zuerst Cecilia Travers. Sie und ihr Vater sind jetzt in London und ich sehe sie oft. Ich kann mir keine civilisirte Aera in der Welt denken, welcher ein Weib wie Cecilia Travers nicht zur Zierde gereichen würde, weil sie recht eigentlich der Typus eines Weibes ist, wie der Mann sich das Weib vorzustellen liebt, wenn er sich die schönere Seite des weiblichen Charakters vergegenwärtigt. Und ich sage absichtlich Weib und nicht Mädchen, weil Cecilia Travers nicht unter die Mädchen unserer Zeit gezählt werden kann; man kann sie Jungfrau, Fräulein, Demoiselle, aber man kann sie so wenig Mädchen nennen, wie man eine französische Demoiselle von guter Familie fille nennen kann. Sie ist schön genug, den Augen jedes noch so wählerischen Mannes zu gefallen, aber nicht von jener Art von Schönheit, welche alle Männer zu sehr blendet, um 203 einen Mann zu bezaubern; denn, ich sage das Gott sei Dank als reiner Theoretiker, ich fürchte, daß von der Liebe für ein Weib ein starkes Eigenthumsgefühl unzertrennlich ist, daß man in der Liebe seinen Besitz als einem ganz allein gehörig zu individualisiren verlangt und nicht wünscht, daß dieser Besitz von dem ganzen Publikum als ein legitimer Gegenstand seiner Bewunderung betrachtet werde. Ich kann sehr gut begreifen, wie ein reicher Mann, der einen als Sehenswürdigkeit geltenden Landsitz hat, welcher mit seinen prächtigen Gemächern und schönen Gärten für alle Beschauer offen steht, sodaß er auf seinem eigenen Besitz kein Plätzchen für sich hat, sich in ein hübsches Landhäuschen flüchtet, das er für sich allein hat und von dem er sagen kann: Dies ist mein Haus, dies gehört mir allein.

Und so gibt es gewisse Schönheiten, die man im eminenten Sinne Sehenswürdigkeiten nennen kann und von denen das Publikum meint, es habe dasselbe Recht, sie zu bewundern, wie der Eigenthümer, und auch diese Sehenswürdigkeiten selbst würden öde werden und verfallen, wenn man dem Publikum ihren Anblick untersagen könnte.

Die Schönheit von Cecilia Travers ist nicht die einer solchen Sehenswürdigkeit. Man fühlt sich sicher bei 204 ihr. Wenn Desdemona ihr geglichen hätte, würde Othello nicht eifersüchtig auf sie gewesen sein. Cecilia würde aber auch ihren Vater nicht betrogen und schwerlich einem Schwarzen gesagt haben, sie wünsche, der Himmel hätte sie zu einem solchen Mann gemacht. Ihr Geist steht im Einklang mit ihrer Erscheinung; es ist ein Geist, mit dem es sich gut verkehren läßt. Ihre Talente sind nicht glänzend, aber sie bilden doch ein anmuthiges Ganzes; sie hat ein gutes Verständniß für die Angelegenheiten des praktischen Lebens und besitzt so viel von jener undefinirbaren weiblichen Gabe, die man Takt nennt, um so launenhafte Naturen wie die meinige zu bändigen, und doch Sinn genug für den Humor des Lebens, um nicht Alles, was ein launenhafter Mensch wie ich sagt, allzu buchstäblich zu nehmen. Was das Temperament anlangt, so kann man darüber bei einem Weibe nie urtheilen, bis man es außer Fassung gebracht hat. Aber ich denke mir das ihrige in seinem normalen Zustande als heiter und zur Munterkeit geneigt. Nun würdest Du, lieber Vater, wenn Du nicht einer der gescheidtesten Männer wärest, unfehlbar aus dieser lobpreisenden Erwähnung von Cecilia Travers schließen, ich sei in sie verliebt. Aber Dir wird es ohne Zweifel nicht entgangen sein, daß ein Mann, der in ein Mädchen 205 verliebt ist, nicht im Stande ist, dessen Verdienste mit so fester Hand zu wägen, wie es die ist, welche diese Feder führt. Ich bin nicht in Cecilia Travers verliebt; ich wollte, ich wäre es. Wenn Lady Glenalvon, die fortwährend von der liebenswürdigsten Güte für mich ist, Tag für Tag zu mir sagt, Cecilia Travers würde eine vortreffliche Frau für mich sein, so weiß ich ihr nicht zu antworten, ich fühle mich aber nicht im mindesten geneigt, Cecilia Travers zu fragen, ob sie ihre Vollkommenheit an jemand verschwenden möchte, der dieselbe so kalt zugesteht.

Ich erfahre, daß sie beharrlich bei ihrer Weigerung, den Mann der Wahl ihres Vaters zu heirathen, geblieben ist und daß jener sich durch die Heirath mit einer Andern getröstet hat. Ohne Zweifel werden sich bald ebenso würdige Bewerber präsentiren.

O Du theuerster aller meiner Freunde, Du einziger Freund, den ich als einen Vertrauten betrachte, sage mir, werde ich jemals verliebt sein? Und wenn nicht, warum nicht? Bisweilen geht es mir mit der Liebe wie mit dem Ehrgeiz: mir ist, als müßte ich, weil mir in beiden Beziehungen ein unerreichbares Ideal vorschwebt, für immer gegen die Art von Liebe und die Art von Ehrgeiz, die mir erreichbar sind, gleichgültig bleiben. Ich stelle mir vor, daß, wenn ich 206 einmal liebte, ich so heiß lieben würde wie Romeo, und dieser Gedanke flößt mir in Voraussicht der Zukunft ein banges Entsetzen ein. Ebenso würde ich, wenn ich einen Gegenstand fände, der meinen Ehrgeiz reizen könnte, in der Verfolgung desselben grade so energisch sein wie – wen soll ich nennen? Cäsar oder Cato? Cato's Ehrgeiz gefällt mir noch besser als der Cäsar's. Aber heutzutage nennen die Leute Ehrgeiz eine unpraktische Grille, sobald derselbe sich einer verlierenden Sache zuwendet. Cato würde Rom vom Pöbel und vom Dictator gerettet haben; aber Rom konnte nicht gerettet werden und Cato stürzte sich in sein eigenes Schwert. Hätten wir jetzt einen Cato, so würde das Verdict bei der Todtenschau auf Selbstmord, verübt in einem Zustande der Geistesstörung, lauten und dieses Verdict würde sich auf seinen unvernünftigen Widerstand gegen einen Pöbel und einen Dictator gründen! Die Erwähnung des Ehrgeizes führt mich auf die zweite Ausnahme von der Regel des Tages; ich habe eine Demoiselle genannt, ich will jetzt einen Damoiseau nennen. Stelle Dir einen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren vor, der moralisch etwa fünfzig Jahre älter ist als ein gesunder Mann von sechzig Jahren! Stelle Dir ihn vor mit dem Gehirn des Alters und in der Blüte der Jugend, mit einem 207 Herzen, das ganz in dem Gehirn aufgeht und das eisigkalten Gedanken warmes Blut verleiht, stelle ihn Dir vor als einen Mann, der über Alles höhnt, was ich erhaben nenne, aber doch nichts thun würde, was er für niedrig hält, dem Laster und Tugend so gleichgültig sind, wie sie es für die ästhetische Anschauung Goethe's waren, der als praktischer Denker niemals durch unvorsichtige Tugend seine Carrière gefährden und niemals seinen Ruf durch niedrige Laster aufs Spiel gesetzt haben würde. Stelle Dir diesen Mann mit einem lebhaften, starken, raschen, durch keine Scrupel gehemmten, furchtlosen Geist vor, ganz Verstand und ohne Genie, stelle Dir diesen Mann vor und dann erstaune nicht, wenn ich Dir sage, daß er ein Chillingly ist.

Das Geschlecht der Chillinglys culminirt in ihm, er ist ein gesteigerter Chillingly. Mir scheint, wir leben in einer Zeit, die ganz für die Chillingly'schen Idiosynkrasien paßt. Während der zehn oder mehr Jahrhunderte, seit unser Geschlecht einen festen Wohnsitz und seinen Namen behauptet, hat es so viel bedeutet wie ein luftiges Nichts. Seine Vertreter lebten in heißblütigen Zeiten und waren genöthigt, sich mit ihren Wappen-Weißfischen in stillen Wassern verborgen zu halten. Aber jetzt, lieber Vater, ist die Zeit 208 so kaltblütig, daß man nicht kaltblütig genug sein kann, wenn man gedeihen will. Was hätte wohl Chillingly Mivers in einem Zeitalter sein können, wo die Leute Werth auf ihren religiösen Glauben legten und wo die politischen Parteien ihre Sache für geheiligt und ihre Führer für Helden hielten! Chillingly Mivers würde nicht fünf Subscribenten für seinen »Londoner« gefunden haben. Aber jetzt ist der »Londoner« das Lieblingsblatt des gebildeten Publikums; es spottet alle Grundlagen unseres gesellschaftlichen Systems hinweg, ohne auch nur den Versuch zu machen, dasselbe wieder aufzubauen, und jedes neu auftauchende Blatt nimmt, wenn es sich über Wasser halten kann, den »Londoner« zum Muster. Chillingly Mivers ist ein großer Mann und der mächtigste Journalist unserer Zeit, obgleich niemand weiß, was er geschrieben hat. Chillingly Gordon ist ein noch merkwürdigeres Beispiel des steigenden Werthes der Chillinglys, auf dem modernen Markt.

In den maßgebenden Kreisen herrscht allgemein die Meinung, daß Chillingly Gordon einen hohen Platz in der Gesellschaft der künftigen Generation einnehmen wird. Sein Selbstvertrauen ist so gewaltig, daß es sich allen, die mit ihm in Berührung kommen, mich selbst mit einbegriffen, mittheilt.

209 Neulich sagte er zu mir mit einem des eisigsten Chillingly würdigen sangfroid: »Ich denke Premierminister von England zu werden; es handelt sich dabei für mich nur um Zeit.« Wenn aber Chillingly Gordon wirklich bestimmt wäre, Premierminister zu werden, so würde das nur die Folge davon sein, daß die zunehmende Kälte unserer moralischen und socialen Atmosphäre grade die der Entwickelung seines Talents förderlichste ist.

Er ist recht eigentlich der Mann, die Lobpreiser altmodischer Empfindungen: Liebe zum Vaterlande, Sorge für den Rang desselben unter den Nationen, Eifer für seine Ehre und Stolz auf seinen Ruhm, zum Schweigen zu bringen. O, wenn Du hören könntest, wie er den Begriff des Préstige mit philosophischen und logischen Argumenten verhöhnt! Solche Begriffe werden nächstens unter die Dinge classificirt werden, die man als dummes Zeug über Bord wirft, und wenn diese Classification erst einmal complet sein wird, wenn England keine Colonien mehr zu vertheidigen, keine Flotte mehr zu bezahlen, kein Interesse mehr an den Angelegenheiten anderer Nationen zu nehmen und die glückliche Lage Hollands erreicht haben wird, dann wird Chillingly Gordon sein Premierminister sein.

Während ich mir aber bewußt bin, daß, wenn 210 ich mich jemals zu politischem Handeln angeregt fühlen sollte, diese Anregung in einer Verleugnung der Chillingly'schen Eigenschaften und in einer wenn auch noch so hoffnungslosen Opposition gegen Chillingly Gordon liegen würde, muß ich mir doch sagen, daß dieser Mann nicht unterdrückt werden kann und daß man ihm freie Bahn schaffen sollte; sein Ehrgeiz wird unendlich viel gefährlicher werden, wenn er durch Schwierigkeiten gehemmt wird. Ich möchte Dir, liebster Vater, vorschlagen, Dir die Ehre nicht entgehen zu lassen, Dir diesen begabten Verwandten zu verpflichten und ihn in den Stand zu setzen, einen Parlamentssitz zu erlangen. Bei unserer letzten Unterhaltung in Exmundham erzähltest Du mir von dem unverhohlenen Verdruß von Gordon père, in jenem Moment, als mein Zurweltkommen seinen Erbansprüchen auf Exmundham ein Ende machte. Du theiltest mir vertraulich mit, daß Du damals die Absicht gehabt habest, jährlich eine Summe zurückzulegen, welche schließlich als Versorgung für Gordon fils und als eine Art von Entschädigung für den Verlust seiner Hoffnungen durch die Erfüllung der Deinigen dienen könnte. Du theiltest mir ferner mit, wie die Ausführung Deiner großmüthigen Absicht durch Deine sehr natürliche Entrüstung über das Benehmen des älteren Gordon bei der Anstellung seines 211 widerwärtigen und kostspieligen Prozesses und durch die Vergrößerung des Gutes vereitelt worden sei, die Du Dich versucht gefühlt habest, durch einen Kauf zu bewirken, der zwar den Umfang des Gutes vermehrte, aber so kostspielig war, daß Deine Einnahme dadurch vermindert und die Möglichkeit fernerer Ersparnisse ausgeschlossen wurde. Zufällig habe ich nun kürzlich bei einer Begegnung mit Deinem Advocaten, Herrn Vining, von diesem erfahren, daß Du lange den Wunsch gehegt und Dich nur durch Deine Delicatesse hast abhalten lassen, denselben gegen mich auszusprechen, daß ich, auf den das Gut als freies übergehen wird, Dich autorisiren möchte, schon jetzt Dein beschränktes Verfügungsrecht über dasselbe aufzuheben. Er machte mir klar, ein wie großer Vortheil das für das Gut sein würde, weil es Dich zu vielen Verbesserungen, in Betreff deren ich die Fortschritte unserer Zeit freudig anerkenne, in den Stand setzen würde, zu welchen Du als nur lebenslänglicher Besitzer das Geld nicht anders als zu ruinösen Bedingungen würdest beschaffen können, Verbesserungen, wie neue Arbeiterwohnungen, neue Pachthäuser, die Consolidirung einiger alten Hypotheken und anderer Lasten. Auch möchte ich das Leibgedinge meiner lieben Mutter gern bedeutend vermehren. Vining sagt mir ferner, daß ein Theil 212 unserer entfernter liegenden Ländereien, welcher nahe bei einer Stadt liegt, mit bedeutendem Vortheil würde verlauft werden können, wenn das Gut ganz frei wäre.

Laß uns möglichst rasch die nothwendigen Actenstücke beschaffen, um so die zwanzigtausend Pfund zu erlangen, welche zur Verwirklichung Deines edlen und, ich füge hinzu, gerechten Wunsches, etwas für Chillingly Gordon zu thun, erforderlich sind. In den betreffenden Documenten könnten wir uns das Recht sichern, das Gut nach unserm Belieben zu vererben, und ich bin entschieden dagegen, es Chillingly Gordon zu hinterlassen. Es ist vielleicht eine Grille von mir, aber eine Grille, die Du gewiß theilst, daß der Eigenthümer englischen Grund und Bodens kindliche Liebe für sein Geburtsland hegen sollte, und eine solche Liebe wird Gordon niemals haben. Ich glaube ferner, daß es das Beste für seine Carrière und für die Herstellung einer offenen Verständigung zwischen uns und ihm sein wird, wenn man ihm unumwunden erklärt, daß er für den Fall unseres Todes nichts zu erwarten habe. Zwanzigtausend Pfund, die er jetzt erhielte, würden von größerem Werthe für ihn sein als die zehnfache Summe, wenn er sie erst zwanzig Jahre später erhielte. Mit einer solchen Summe zu seiner Verfügung kann 213 er sich einen Parlamentssitz verschaffen und wird er, wenn man das, was er schon jetzt besitzt, hinzurechnet, ein wenn auch bescheidenes, doch hinreichend großes Einkommen haben, um von der Patronage eines Ministers unabhängig zu sein.

Bitte, lieber Vater, willfahre dem Vorschlage, den ich Dir zu machen wage.

Dein Dich liebender Sohn Kenelm.«

Sir Peter Chillingly an Kenelm Chillingly.

»Mein lieber Junge, Du bist nicht werth, ein Chillingly zu heißen. Du hast entschieden warmes Blut; nie wurde einem Menschen mit sanfterer Hand eine Last vom Herzen genommen. Ja, ich hatte den Wunsch, die Beschränkungen meines Verfügungsrechtes über das Gut aufzuheben; da die Sache aber überwiegend zu meinem Vortheil war, so nahm ich Anstand, Dich um Deine Zustimmung zu bitten, wiewohl es eventuell Dir ebensosehr zum Vortheil gereicht haben würde. Ich gestehe, daß ich durch den Kauf der Faircleuch-Ländereien, den ich nur mit Geldern bewerkstelligen konnte, die ich zu hohen Zinsen auf meine persönliche Sicherheit hin borgen und in jährlichen Raten, die mein Einkommen bedeutend verminderten, abzahlen mußte, durch die alten Hypotheken und Anderes mehr in den letzten Jahren sehr genirt war. Aber was mich am meisten 214 freut, das ist die Möglichkeit, für unsere braven Arbeiter bequemere und, worauf es mir vor allem ankommt, ihren Arbeitsplätzen näher gelegene Wohnungen herzustellen, denn die alten Häuschen sind an und für sich nicht schlecht; das Unglück ist, daß die albernen Menschen, wenn man ihnen ein Extrazimmer für die Kinder baut, dasselbe an einen Einlogirer vermiethen.

Mein lieber Junge, ich bin von Deinem Wunsch, den Wittwengehalt Deiner Mutter zu vermehren, sehr gerührt. Dieser Wunsch ist übrigens, abgesehen von Deiner kindlichen Gesinnung, sehr begründet; denn Deine Mutter brachte dem Gute ein sehr hübsches Vermögen zu, welches ich mit Zustimmung der Verwalter dieses Vermögens in Land anlegte, und obgleich dieses Land die Abrundung unseres Gutes vervollständigte, bringt es doch nicht zwei Procent ein und mein beschränktes Verfügungsrecht über das Gut ließ das Wittwengehalt unter dem, worauf eine verwittwete Lady einen berechtigten Anspruch hat.

Mir liegen die Vorkehrungen in Betreff dieser Punkte mehr am Herzen als die Interessen des Sohnes des alten Chillingly Gordon. Ich hatte mich sehr liberal gegen den Vater benehmen wollen, aber wenn man für ein liberales Benehmen durch einen Prozeß beim Kanzleigericht belohnt wird – auch der Wurm 215 krümmt sich! Nichtsdestoweniger stimme ich Dir darin bei, daß ein Sohn nicht für die Fehler seines Vaters bestraft werden sollte, und wenn das Opfer von zwanzigtausend Pfund Dir und mir das Bewußtsein verschaffen kann, daß wir bessere Christen und echtere Gentlemen sind, so werden wir dieses Bewußtsein um einen sehr billigen Preis erlangt haben.«

Sir Peter ging darauf halb scherzend, halb ernsthaft dazu über, Kenelm's Erklärung, daß er nicht in Cecilia Travers verliebt sei, zu bekämpfen, und bemerkte, indem er die Vortheile einer Ehe mit einem Mädchen hervorhob, von welchem Kenelm zugestehe, daß es eine vortreffliche Frau abgeben würde, schlauer Weise, daß es ihm, falls Kenelm nicht einen eigenen Sohn habe, nicht gerecht erscheine, dem nächsten Verwandten das Gut auf keinen bessern Grund hin zu entziehen, als den, daß es ihm an Liebe zu seinem Geburtslande fehle.

»Er würde sein Vaterland rasch genug lieben, wenn er nur zehntausend Acker Landes in demselben besäße.«

Kenelm schüttelte den Kopf, als er an diesen Satz kam.

»Ist denn Vaterlandsliebe am Ende doch nur Liebe zum eigenen Herd?« sagte er zu sich und verschob die Beendigung der Lectüre des Briefes auf später. 216


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