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Elftes Kapitel.

Und jetzt war Kenelm an der äußersten Grenze der Stadt und an dem Ufer des Flusses angelangt. Kleine schmuzige Häuser lagen noch eine Strecke weit am Ufer, bis sie in der Nähe der Brücke plötzlich aufhörten und Kenelm über einen breiten Platz wieder in die Hauptstraße einlenkte. An der andern Seite der Straße lag eine Reihe villaartiger Häuser mit Gärten, die sich bis an den Fluß hinzogen.

Rund umher war Alles still und öde. Die Spaziergänger waren nach Hause zurückgekehrt. Die Nachtblumen in den Gärten der Villen dufteten erquickend durch die sternhelle Nacht. Kenelm stand still, um den Duft einzuathmen, und sah, als er seine Blicke, die bisher, wie sie es bei nachdenklich 52 gestimmten Menschen zu sein pflegen, gesenkt waren, aufschlug, auf dem Balkon der nächstgelegenen Villa eine Gruppe wohlgekleideter Personen. Der Balkon war ungewöhnlich groß und geräumig. In der Mitte desselben befand sich ein kleiner runder Tisch, auf welchem Wein und Früchte standen. Drei Damen saßen um den Tisch auf drahtgeflochtenen Stühlen, und an der Kenelm nächsten Seite saß ein Mann. In diesem Mann erkannte Kenelm, als derselbe jetzt den Kopf leicht umwandte, wie um nach dem Fluß hinüber zu schauen, den Troubadour. Er trug noch sein malerisches Knickerbocker-Costüm, und seine scharf geschnittenen Züge, sein reichgelocktes Haar, sowie sein in Gestalt und Farbe an Rubens erinnernder Bart erschienen in dem milden Lichte des eben aufgegangenen Mondes noch schöner als gewöhnlich. Die Damen waren in eleganter Abendtoilette; aber Kenelm konnte ihre durch die Gestalt des Troubadours verdeckten Gesichter nicht erkennen. Er schritt sachte quer über die Straße und stellte sich hinter einen Vorsprung der niedrigen Gartenmauer, von wo aus er, ohne selbst gesehen zu werden, den Balkon ganz übersah. Zu dieser Beobachtung trieb ihn nichts als ein unbestimmtes Gefallen an dem Anblick, der sich ihm hier darbot. Die ganze Gruppe machte den Eindruck einer Art 53 romantischer Scene, und Kenelm blieb davor stehen wie vor einem Gemälde.

Dann sah er, daß von den drei Damen eine alt und die zweite ein kleines Mädchen im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren war; die dritte schien etwa sieben- oder achtundzwanzig Jahre alt zu sein. Sie war eleganter gekleidet als die beiden andern. An ihrem Hals, der nur theilweise durch einen dünnen Shawl verhüllt war, trug sie glänzende Juwelen, und als sie jetzt ihr Gesicht voll dem Monde zukehrte, sah Kenelm, daß sie sehr schön war, von einer frappanten Art von Schönheit, die einen Dichter oder Künstler zu bezaubern vermag, ähnlich der Rafael'schen Fornarina, dunkel, von gesättigt warmen Tinten.

In diesem Augenblicke erschien an der offenen Glasthür ein wohlbeleibter Herr von mittleren Jahren, dem man es in seiner ganzen Erscheinung ansah, daß er ein schlauer und behäbiger Geldmann sei. Er war kahl, hatte eine gesunde Farbe und einen hellen Backenbart.

»Hallo«, rief er mit einem etwas fremden Accent und mit einer lauten klaren Stimme, welche Kenelm deutlich hörte, »ist es nicht Zeit für Euch, hereinzukommen?«

»Sei nicht so langweilig, Fritz«, sagte die schöne 54 Dame halb ungeduldig, halb scherzend, in der Weise, wie Damen ihre langweiligen Gatten, welche sie beherrschen, anreden. »Dein Freund ist den ganzen Abend verdrießlich gewesen und fängt eben erst beim Aufgang des Mondes an liebenswürdig zu werden.«

»Der Mond übt, glaube ich, eine gute Wirkung auf Dichter und andere verrückte Menschen,« erwiderte der kahlköpfige Mann mit gutmüthigem Lachen. »Aber meine kleine Nichte soll mir jetzt, wo sie eben in der Besserung ist, nicht wieder krank werden. Annie, komm herein.«

Das Mädchen gehorchte mit Widerstreben, auch die alte Dame stand auf.

»Ah, Mutter, Du bist verständig«, sagte der Kahlköpfige, »und eine Partie Euchre ist gesünder, als in der Nachtluft schwärmen.« Er schlang seinen Arm um die alte Dame mit zärtlicher Sorgfalt, denn sie bewegte sich mit einiger Schwierigkeit, wie wenn sie gelähmt wäre. »Euch beiden sentimentalen Mondguckern gebe ich noch zehn Minuten Frist, nicht mehr, merkt Euch

»Tyrann!« sagte der Troubadour.

Jetzt waren nur noch zwei Gestalten auf dem Balkon, der Troubadour und die schöne Dame. Die 55 Glasthür wurde geschlossen und theilweise durch Mullvorhänge verhüllt; aber Kenelm konnte doch Einzelnes im Innern des Zimmers erkennen. Er konnte sehen, daß das durch eine Lampe aus dem in der Mitte stehenden Tisch und durch anderwärts angebrachte Lichter erhellte Zimmer reich und in einem nicht englischen Geschmack decorirt und ausgestattet war. Er konnte zum Beispiel sehen, daß die Decke gemalt war und die Wände nicht tapezirt, sondern gleichfalls in Feldern zwischen arabeskenartigen Pilastern gemalt waren.

»Es sind Fremde«, dachte Kenelm, »obgleich der Mann so gut englisch spricht. Das erklärt es, daß sie am Sonntag Abend Euchre spielen, als ob es ganz harmlos wäre. Euchre ist ein amerikanisches Spiel. Der Mann heißt Fritz. O, ich merke: Deutsche, die lange in Amerika gelebt haben, und der Versemacher sagte, er sei in Geldgeschäften in Luscombe. Offenbar ist sein Wirth ein Kaufmann und er selbst in einem kaufmännischen Geschäft. Das erklärt es, warum er seinen Namen verbirgt und fürchtet, es möchte bekannt werden, daß er sich während seiner Ferien Neigungen hingegeben hat, die so ganz im Widerspruch mit seinem Berufe stehen.«

Während er so dachte, hatte die Dame ihren 56 Stuhl nahe an den des Troubadours gerückt und sprach mit ihm in einer offenbar eindringlichen Weise, aber in zu leisem Ton, als daß Kenelm sie hätte verstehen können. Aber nach ihrem ganzen Gehaben und dem Blick des Mannes schien es ihm, daß sie ihm Vorwürfe machte, die er von sich abzuwehren suchte. Darauf sprach auch er leise flüsternd, und sie wandte sich einen Augenblick von ihm ab; dann aber reichte sie ihm ihre Hand und der Troubadour küßte sie. Die beiden konnten so gesehen wohl als Liebende erscheinen, und die milde Nacht, der Duft der Blumen, die Stille und Einsamkeit, die Sterne und das Mondlicht, Alles umwob sie mit einer Atmosphäre von Liebe. Im nächsten Augenblick stand der Mann auf und lehnte sich, das Kinn auf die Hand gestützt und nach dem Fluß hinblickend, über den Balkon. Auch die Dame stand auf und lehnte sich gleichfalls über das Geländer hin, sodaß ihre dunkeln Haare die braunen Locken ihres Begleiters fast berührten.

Kenelm seufzte. Geschah es aus Langerweile, aus Mitleid, aus Furcht? Ich weiß es nicht, aber er seufzte.

Nach einer Pause sagte die Dame immer noch in leisem Ton, aber diesmal doch nicht so leise, daß ihre Worte Kenelm's feinem Ohr hätten entgehen können:

»Sage mir diese Verse noch einmal. Ich muß 57 mich jedes Wortes derselben erinnern können, wenn Du fort bist.«

Der Mann schüttelte sanft den Kopf und antwortete, aber unhörbar.

»Thue das«, sagte die Dame, »setze sie später in Musik, und das nächste Mal, wenn Du kommst, will ich sie singen. Ich habe auch an einen Titel für die Verse gedacht.«

»Und wie heißt er?« fragte der Troubadour.

»Der Streit der Liebenden.«

Der Troubadour wandte sich um und ihre Augen begegneten sich und sahen einander mit verlangenden Blicken an. Dann wandte er sich wieder ab und sang mit abgewandtem Gesicht, nach dem Flusse blickend, mit seiner herrlichen Stimme die folgenden Verse:

Der Streit der Liebenden.

        Stehend an dem Flusse, blickend in den Fluß,
Siehst ihn sterneglitzernd, vor dir sieh den Himmel.
Jetzt die Welle trübt sich und das Schilf erzittert;
Sterne sind geschwunden; Trug nur war ihr Glimmer.

Kommt ein kleines Wölkchen, trennt uns von dem Himmel,
Und vom ganzen Flusse weicht die Silberspur;
Schling' den Arm um mich nun, flüstre leis: »Vergeben!«
Wieder schau' im Flusse Sterne und Azur.

58 Als er mit noch abgewandtem Gesicht geendet hatte, flüsterte zwar die Dame weder: »Vergeben!«, noch schlang sie ihre Arme um ihn, legte aber, wie von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, ihre Hand leicht auf seine Schulter.

Der Troubadour fuhr zusammen.

Plötzlich drangen, er wußte nicht woher und von wem, die Worte an sein Ohr:

»Unheil, Unheil! Denk' an das kleine Kind!«

»St!« sagte er, indem er umherstarrte. »Hast Du nicht eine Stimme gehört?«

»Nur Deine«, sagte die Dame.

»Es war die Stimme unseres Schutzengels, Amalie. Sie kam zur rechten Zeit. Laß uns hineingehen.« 59


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