Edward Bulwer-Lytton
Asmodeus aller Orten
Edward Bulwer-Lytton

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Dreizehntes Kapitel.

Ich beschloß zu reisen – ich setzte den Tag meiner Abreise fest. O, daß es mir gestattet worden wäre, mindestens diesen Vorsatz auszuführen! Etwa drei Tage früher, als ich anberaumt hatte London zu verlassen, begegnete ich plötzlich auf der Straße meiner Freundin Anna, der ältesten jener drei Schwestern, bei denen ich den Hexenmeister gespielt hatte. Es versteht sich, daß Anna um meine Liebe zu Julien wußte, denn sie eben hatte meine Zusammenkünfte mit der Geliebten befördert. Ich fand, daß sie jetzt auch um meine Trennung von Julien wußte. Sie hatte diese besucht, und ihr war von deren Schwester, der Wittwe, nicht nur Alles erzählt worden, sondern diese hatte ihr über ihre Mitwissenschaft um unsere Liebe bittere Vorwürfe gemacht. Das Mädchen beschrieb Juliens jetzigen Gemüthszustand in den kläglichsten Ausdrücken. Sie sagte, Julie brächte ganze Tage allein, und – wie die Wittwe selbst geäußert hatte, in Thränen 124 zu – alle Farbe wäre von ihren Wangen gewichen, ihre Gestalt hagerte ab, ihre Gesundheit drohete einer Anstrengung zu erliegen, deren sie wegen ihrer lebhaften Phantasie und ihrer mangelhaften Erziehung unfähig wäre, und bei ihrer Schwester, wie gut diese es auch meinte, fände sie keinen Trost, ja nicht einmal geselligen Umgang.

Diese Mittheilung verursachte bei mir eine gänzliche Umwandlung. Bisher hatte ich mich mindestens mit dem Glauben getröstet, gegen Julien im wahren Sinne der Zärtlichkeit gehandelt zu haben, und dieser Glaube hatte mich selber erträglich aufrecht erhalten; jetzt aber schwand mir alles Nachdenken, alle Klugheit, alle Tugend bei dem Gedanken an Juliens Leiden. Ich ging nach Hause und schrieb in der Aufwallung des Augenblicks einen leidenschaftlichen, flehenden Brief an die Geliebte. Ich beschwor sie mit mir zu fliehen. Ich ließ meinen Diener, einen Ausländer, der in solchen Aufträgen wohl bewandert war, das Schreiben bestellen. In Fieberangst harrte ich einer Antwort. Diese kam – die Aufschrift war von Juliens Hand – ich öffnete das Schreiben in einer Art von Verzückung, als o! mein eigener unerbrochener Brief mir entgegenfiel; in dem Umschlage aber standen folgende wenigen Worte von Juliens Hand geschrieben. –

»Ich habe mein Wort gegeben, Deine Briefe, im Fall Du an mich schreiben würdest, ohne sie zu lesen zurückzuschicken. Ich darf daher Deine Zuschrift nicht öffnen, wiewohl ich nicht beschreiben kann, mit welcher 125 Pein ich diese meine Zusage halte. Nicht habe ich jemals gedacht, daß es mir unmöglich seyn würde Dich zu vergessen, und daß ich so unglücklich werden würde, als ich es jetzt bin. Allein, wenn ich mir auch nicht gestatte das zu lesen was Du an mich schreibst, so weiß ich doch, daß jedes der Worte in Deinem Briefe voll Freundlichkeit ist. So fühl' ich mich, als hätte ich Deinen Brief wirklich gelesen, und sündig glücklich macht es mich zu denken, daß Du mich noch nicht vergessen hast, welches Du jedoch bald wirst müssen. Ich bitte Dich, schreibe mir nicht wieder, so Dir der geringe Frieden theuer ist, der mir noch blieb. Und somit nichts mehr von Julien, die täglich und nächtlich für Dich betet und Deiner gedenken wird, so lange sie lebt.«

Was sollt' ich nach dem Empfange dieses Schreibens thun? So arglos war Julie, daß jedes ihrer Worte, das mich hätte bewegen sollen sie nie mehr zu bestürmen, mich nur noch mehr antrieb, dies zu thun! Welche Uebereinstimmung aber boten ihre Zeilen auch mit dem was Annchen mir gesagt hatte! Ich wartete bis es dunkelte, dann begab ich mich mit meinem Diener in die Straße, in welcher Julie mit ihrer Schwester wohnte. Ich umschlich das Haus. –

»Wie stelltest Du's denn an, meinen Brief in ihre Hände zu befördern, Louis?« fragte ich jetzt erst meinen Diener.

»Ei nun, Sir,« versetzte der Gefragte; »zuerst 126 ging ich zu Miß Juliens Muhme in der **straße, und fragte, ob sie nicht ein Päckchen an ihre Cousine zu bestellen hätte. Miß Anna verstand mich, und gab mir eine Schachtel. In diese schob ich Ihren Brief, erspähete die Magd im Hause der Wittwe, und beförderte so durch Jenny's Wohlwollen, das ich mit einer halben Guinee erkaufte, Ihr Schreiben. Auch brachte Jenny mir die Antwort herunter.«

In dieser Berichterstattung war nichts enthalten, woraus ich auf dasjenige Zimmer hätte schließen können, welches von Julien bewohnt ward, dies Zimmer aber zu erkunden, war jetzt mein Hauptzweck. Inzwischen vertraut' ich dem Scharfsinn und der Verschlagenheit meines Dieners und meinem eigenen guten Glücke. Das Haus war ein Eckhaus, dessen eine Seite lang und altmodisch in eine wenig besuchte Straße hineinzog, mit der anderen Seite aber an einen breiten, gewühlvollen Platz stieß. In ersterer ging ich, ohne Verdacht zu erregen, auf und ab, und gewahrte endlich im oberen Stock plötzlich ein Licht schimmern, und dann erschien Julia selbst, wiewohl nur einen Augenblick am Fenster. Deutlich erkannte ich ihr liebliches Profil, ihr gescheiteltes Haar – sie zog die Vorhänge zu, und nun war Alles wieder dunkel und öde. Das also war ihr Zimmer, wenigstens hatte ich Ursache, dies zu muthmaßen. Wie aber in jenes Zimmer gelangen? Das war jetzt die Frage. Strickleitern finden sich nur in Romanen und Komödien, der Polizeidiener und der Vorübergehenden gar nicht zu gedenken! 127 Da schlüpfte die Hausmagd durch die Gasse her. Hatte der Diener sie erkaufen können, warum sollte der Herr es nicht ebenfalls vermögen. Es gelang. Jenny ward mehr durch Mitleiden als durch ein Geldgeschenk gewonnen, denn sie glaubte, Miß Julie würde von ihrer Schwester gezwungen, sich so zurückhaltend zu geben. Sie versprach mir, mich nach zwei Stunden in das Haus zu lassen, wo ich dann unerspäht mit Julien würde sprechen können, indem die Wittwe sich dann in ihre Kammer begeben haben, und Alles im Hause ruhig seyn würde. O Ewigkeit voll brennender Regungen, voll erstickter Reue, ja sogar voll Furcht – diese zwei Stunden. Endlich ließ Jenny, die selber noch ein junges Geschöpf war, mich ein – Alles war dunkel – sie führte mich eine schmale Nebentreppe hinan – vor Juliens Thür. Durch die Klinke und über der Schwelle her drang feiner Lichtschimmer – ich zitterte – ich wankte – das Blut wich aus meinen Wangen – meine Knieen schlotterten. Durch heftige Anstrengung bewältigte ich meine Regung. Was sollte geschehen? Trat ich ein, ohne daß Julie darauf vorbereitet war, so hätte sie in ihrer ersten Bestürzung das Haus in Bewegung bringen können; schickte ich Jenny, um mich zu melden, so mögte Julie sich weigern, mich zu sehen – dennoch mußte diese Zusammenkunft stattfinden. Ich beschloß, den letzteren Weg einzuschlagen – ich bat Jenny, ihre Herrin auf meinen Besuch vorzubereiten. Sie trat ein, und zog die Thür hinter sich zu. In der Fieberhitze lehnte ich vor derselben mich an die 128 kalte Wand – ich hörte durch die Stille der Nacht das laute Klopfen meines Herzens. Jenny kam nicht wieder – Minute nach Minute verging – ich hörte Juliens Stimme – sie dünkte mich, angstbewegt zu seyn. Ich konnte nicht länger warten. Ich öffnete leise die Thür, und stand vor der Geliebten. Es brannte noch ein mäßig helles Feuer im Kamin – das Licht auf dem Tische half der Flamme das saubere Gemach zu erleuchten, in welchem Reinlichkeit und Keuschheit die beständigen Dienerinnen zu seyn schienen, so daß Ehrfurcht mein Herz durchzuckte. An der Wand standen auf einem sauberen Sims mehrere Bücher; neben dem Lichte lag eine Stickerei; jenseit des Kamins an der Wand stand Juliens Bett mit seinen einfachen, schneeweißen Behängseln – Alles zeugte von der Seelenreinheit der Bewohnerin. Meine Augen faßten den ganzen Schauplatz mit einem einzigen Blick auf.

Und Julie selbst! Auf einen Stuhl hingesunken, ihr Gesicht in ihre Hände begraben, schluchzte sie heftig. Vor ihr stand die erschreckte, bleiche Hausmagd, die alle Gegenwart des Geistes verloren, und jeden Versuch, ihre Herrin zu beschwichtigen, wie viel mehr noch zu überreden, aufgegeben zu haben schien! Ich warf mich zu den Füßen Juliens, und versuchte, ihre Hand zu fassen. Mit einem leisen Schrei des Schreckens fuhr sie auf.

»Du!« sagte sie, im Tone brennenden Vorwurfes. »Nimmer hätte ich das von Dir gedacht. Geh, geh! Was willst Du? Was dachtest Du von mir? Um diese 129 Stunde – in diesem Zimmer?« und bei den letzteren Worten verbarg sie abermals ihr Gesicht, doch that sie es nur für einen Augenblick. In fürchterlich ernstem Tone rief sie – »Gehen Sie, Sir. Gehen Sie augenblicklich, oder –«

»Oder was, Julie? Wollen Sie das Haus wecken? Thun Sie's, und Angesichts Aller – Freunde wie Feinde – will ich das Recht geltend machen, Sie zu sehen und zu sprechen, und das noch heut Abend – und allein. Im Namen der unbezwinglichen Liebe, beschwöre ich Sie, mich anzuhören.«

Julie winkte mir abermals zu gehen, und schien noch heftiger bewegt zu seyn, als vorhin.

»Was fürchtest Du, Julie?« sagte ich in sanftem Flüstertone. »Bin ich's denn nicht? Bin ich es nicht, der um Deinetwillen bis jetzt sogar den Versuch aufgab, Dich zu sehen? Und was ist's, das jetzt mich hieher bringt? Ist's ein eigensüchtiger Zweck? Mit nichten. Um Deines Friedens willen komm' ich. Julie, ich wähnte, Dir wäre wohl – gemüthlich – Du hättest mich vergessen, und so ertrug ich mein eigenes Leid sonder Murren. Da hörte ich, Du wärest krank – schwändest hin – lebtest nur in der Vergangenheit, und sofort vergaß ich aller Klugheit, und bin hier. Jetzt sprich, ob du mich tadeln, oder wähnen kannst, meine Liebe sey von einer Art, daß sie Dir Furcht einzuflößen vermag? Antworte mir, Julie!«

130 »Ich kann nicht – nicht jetzt – nicht hier. Fort, ich beschwöre Dich! so will ich Dich morgen sprechen.«

»Heute oder niemals,« sagte ich, und stand mit verschränkten Armen vor ihr.

Julie wendete sich, und blickte mich so ängstlich bittend und so beunruhigend an, daß es meinen wachsenden Muth erschreckte. Dann faßte sie Jenny's Arm, und rief: »Verlaß mich nicht, Mädchen, hörst Du!«

»Julie,« sprach ich gelassen, »habe ich das um Dich verdient. Erkenne Dich selbst, und sey gerecht gegen mich.«

»Nicht hier, sag' ich, nicht hier!« wiederholte Julie in so heftigem Tone, daß ich fürchtete, die Hausbewohner mögten wach werden.

»Still, still nur!« versetzte ich. »So komm denn hinunter. Im Wohnzimmer wird ja wohl Raumes genug seyn. Laß mich dort einige Minuten mit Dir reden, damit ich Dich, wenn möglich, beruhigt verlasse, und Segnung über Dich vom Himmel herabflehe.«

»Ich will,« sagte Julie lallend. – »Gehen Sie, ich will Ihnen folgen.«

»Versprich's!«

»Ja, ja, ich versprech' es!«

»Genug; ich bin zufrieden.«

Ich stieg die Treppe hinab, und setzte mich ruhig auf deren unterste Stufe. Nicht lange hatte ich zu warten. Indem Julie das Licht mit ihrer Hand beschattete, schlich sie treppab, und öffnete die Thür eines kleinen 131 Besuchszimmers. Die gaffende Magd wollte mit uns eintreten, ich aber flüsterte ihr zu, draußen zu bleiben. Julie schien dies nicht zu bemerken, oder doch nicht zu beachten. Vielleicht fühlte sie sich in diesem Zimmer sicher, mindestens blickte sie wie befriedigt umher, und von ihrem Gesichte, obwohl es sich sehr blaß wies, war jeder Zug von Furcht verschwunden.

Das Zimmer war kalt, und sah, Gott weiß es, trostlos genug aus, denn alles Geräth darin war über und durch einander gestellt. Julie gestattete, daß ich ihre Hand faßte – ja, Julie lehnte ihre Wange an meinen Busen, und gestand mir, daß sie sich sehr, sehr unglücklich gefühlt hatte. Ich küßte ihr die Thränen weg, und mit all der Gewalt, die die Liebe uns über den geliebten Gegenstand gibt, mit jenem sanften Despotismus, der den Selbstwillen hinwegschmilzt, bewarb ich mich ferner um Julie, und flehete sie an, uns gegenseitig wieder Alles und Alles zu seyn. Aber Julie besaß Tugendstärke genug, sich deß zu weigern, und ihre offene Einfachheit hatte mich beinahe zu meinem besseren Engel wieder zurückgewendet, als ich Jenny leise kreischen, und dann eine zürnende Stimme laut werden hörte. Die Thür öffnete sich, und herein trat ein Frauenzimmer, die, wie ich wohl einsah, keine Andere, als Juliens Schwester seyn konnte. Welch einen Anblick gab sie ab, die gute Dame in ihrer weißen Nachthaube und ihrer – – Doch ach! die Geschichte ist zu ernsthaft, als daß sie solchen Scherz vertragen könnte. Aber man bemerke nur, wie 132 mit den größten Lebensereignissen sich die unbedeutendsten Dinge verknüpfen. Die Wittwe war heruntergekommen, um ihre vergessenen Schlüssel zu holen. Alles Pathetische, alles Leidenschaftliche schwand hin vor – einem Bunde Schlüssel. Die Dame blickte mich scharf an, ehe sie noch ihre Schwester so viel würdigte, sie anzusehen, dann faßte sie rauh genug Juliens Arm, und sagte: »Geh hinauf! Wie schändlich hast Du mich hintergangen. Und Sie, Sir – wer sind Sie? was wollen Sie hier?«

»Werthe Frau,« sagte ich, »setzen Sie sich, und lassen Sie uns vernünftig mit einander reden.«

»Sir, denken Sie mich zu beleidigen?«

»Wie könnte mir das jemals einfallen?«

»Verlassen Sie sogleich mein Haus, oder ich rufe die Polizei zu Hülfe.«

»Das werden Sie nicht thun,« sagte ich in festem Tone.

»Doch, doch, Sir.«

Julie war froh, entschlüpfen zu können, und sie that's.

»Madam,« fuhr ich fort, »hören Sie mich an. Ich werde dies Zimmer nicht eher verlassen, als bis ich Ihnen erklärt habe, wie Ihre Schwester durchaus unschuldig an dieser Zusammenkunft ist. Ohne daß sie etwas davon wußte, kam ich in's Haus, und ging sofort hinauf in ihr Zimmer. – Sie wundern sich? Doch war dem so; ich sage die reine Wahrheit. Ich bestand darauf, mit Julien reden zu wollen, so wie ich jetzt darauf bestehe, 133 mit Ihnen reden zu wollen; und wenn Sie sich weigern, mich anzuhören, so vernehmen Sie das Resultat davon; es ist dies: Ich werde in dies Haus kommen, Sie mögen es zu verhindern suchen, so sehr Sie es können; ich werde bei Nacht und bei Tage kommen, bis Julie nicht mehr in demselben wohnt, bis Julie mein ist! Ist dies die Sprache eines Mannes, den Sie hindern können, seinen Willen durchzusetzen? Also nehmen Sie diesen Stuhl, und hören Sie mich an.«

Mechanisch ließ die Frau vom Hause sich auf den Stuhl nieder, den ich während meiner Rede ihr hingeschoben hatte. Wir sprachen eine Stunde lang mit einander, und im Verlaufe der Unterredung vernahm ich, daß vor Jahresfrist Julie einen Heirathsantrag von einem angesehenen Manne, der ungefähr gleichen Alters mit ihr war, erhalten hatte, daß sie geneigt gewesen war, denselben in Ueberlegung zu ziehen, daß sie denselben aber, nachdem sie mit mir bekannt worden war, gänzlich zurückgewiesen hatte. Die Schwester war hierüber nicht wenig aufgebracht, und redete auf mich ein, wie ich bei einer Liebesbewerbung beharren könnte, die durchaus nicht ehrenvoll für Julie auszufallen vermögte, und das noch dazu auf Kosten eines ihr von einem angesehenen, wohlhabenden und bereits trefflich häuslich eingerichteten jungen Manne gemachten ehrenvollen Antrags. Diese Darlegung der Dame machte mich betroffen. Gleich den Meisten ihres Standes war die Krämerwittwe listig und welterfahren genug. Sie verfolgte den Vortheil, den sie 134 über mich davongetragen hatte, und äußerte, durch mein Schweigen immer dreister gemacht, und im Vertrauen auf meine Leidenschaft für Julie, geradezu, daß es hier für mich keinen andern Ausweg gebe, als – Heirath. In einem empfindsamen Weltmanne wird nichts leichter reg gemacht, als der Argwohn. Mir schoß es auf, als ob man mich hier einfangen wollte. Konnte Julie hier die Hand mit im Spiele haben? Hatte sie sich darum zu gleicher Zeit so zurückhaltend als liebend gezeigt, um mich in's Garn zu locken? Ich gab mich zwar diesem Verdachte nicht hin, doch blieb er, ich weiß selbst nicht wie, mir halb und halb im Gemüthe. Meine Liebe zu Julien war so heftig, daß, wenn sie nicht plötzlich entstanden wäre, ich Alles geopfert, und Julie auf der Stelle geheirathet haben würde. Allein mit plötzlich aufgewallter Leidenschaft verknüpft sich keine Hochachtung. Man schämt sich ihrer, man scheut sich, ihr gänzlich sich hinzugeben, man fühlt, daß, wenn man auch nicht der Betrogene Anderer, doch der seiner eigenen Sinne ist, und eben das Bewußtseyn des Uebertriebenen in unserer Leidenschaft lehrt uns auf der Huth seyn, nicht durch dieselbe verrathen zu werden.

Ich antwortete nichts auf den Antrag der Wittwe, ließ sie aber aus meinem Wesen vermuthen, daß derselbe seinen Zweck wohl nicht verfehlen würde, und verließ nach einem freundlichen Vertrage das Haus, denn ich versprach meinerseits, Julie niemals mehr heimlich zu 135 sprechen, wogegen die Wittwe mir zusagte, daß in ihrem Hause ich Julie jederzeit würde besuchen dürfen.

Während der beiden nächstfolgenden Tage lag ich in anhaltendem Kampfe mit mir selbst. Vermogte ich mit der Liebe, die mir noch immer im Busen brannte, darein zu willigen, auf Julien zu verzichten? Und andrerseits! vermogte ich es, durfte ich es, Julie von einer ehrsamen, dem Anschein nach Glück verheißenden Verbindung abzulocken, um sie in einem Liebeshandel verflochten zu halten, der zuletzt doch schimpflich für sie würde ausgehen müssen? Mir blieb ein Mittelweg – sollte ich ihn einschlagen? sollte ich dem Winke der Schwester Folge leisten, und– heirathen? Heirath mit einem zwar schönen, einfachen und liebenswürdigen Mädchen, dem es jedoch an vornehmer Abkunft und an Erziehung gebrach, und die in Gedanken und Lebensweise schwerlich mit mir harmonirte? Sollte ich der Narr meiner eigenen Begierde werden, und um bloßer Verehrung äußerer Vorzüge willen das erkaufen, was, wie ich deutlich voraussehen konnte, eine übelzusagende Ehe würde genannt werden müssen? Dennoch, dennoch – mit einem Worte, ich konnte mit mir selber zu keinem Entschlusse gelangen. Ich erinnerte mich eines alten Freundes und Rathgebers 136 meiner Jugend – zu ihm wollte ich mich begeben, um seine Ansichten von der Sache zu vernehmen.

John Mannering zählt etwa sechszig Jahre, ist von sanfter Gemüthsart, freundlichem Wesen, vielerfahren, und einer Moral zugethan, die eher ausführbar als streng genannt werden muß. Er hatte mich früher vor manchem Fehltritte bewahrt, meiner Seele jedoch keinen klaren Grundsatz eingeprägt, der mir hätte zum Führer dienen können. Seine eigne Tugend war ohne alles System, sie war das Resultat eines guten, aber keineswegs eines feurigen Gemüthes. Nicht über eine gewisse Höhe strebte John Mannering hinaus, und zwar war dies sein Fall nicht aus Mangel an hellem Verstande, sondern aus Mangel an dem leisesten Hange zur Schwärmerei. So wie er war, dünkte er mich der beste Rathgeber, den ich kannte, denn er gehörte zu den Wenigen, die sowohl mit unsern Gefühlen, als mit unseren weltlichen Vortheilen zu sympathisiren verstehen. Mit ihm besprach ich mich ausführlich und frei. Sein Rath lag auf der Hand – ich sollte Julien entsagen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück, und vernünftelte mit mir selber. Ich begann zwanzig Briefe, und zerriß sie voll Ingrimms einen nach dem andern. Ich konnte nicht umhin, mir Julien als sehnsuchtvoll und verzweifelnd zu denken; und indem ich mir einredete, nur für sie zu fühlen, bemitleidete ich meine eigene Lage. Endlich siegte die Liebe über jede andere Betrachtung. Ich beschloß, die Wittwe zu besuchen, sie zu bitten, mir zu erlauben, mich ehrerbietig um Julie 137 zu bewerben, damit wir erprobten, ob wir als Eheleute zusammen passen würden – ich hielt diesen Mittelweg für ganz besonders verständig und klug. Ich verschloß meine Augen gegen die Folgen solches fortgesetzten, unentschiedenen Umgangs. Mir fiel ein, wie lernfähig die Jugend ist, und ich schmeichelte mir daher mit der trügerischen Vorspiegelung, ich würde im Stande seyn, Juliens Erziehung in so weit zu vollenden, daß, nach einigen Jahren des Reisens mit meiner jungen Gattin, ich sie würde in den vornehmen Kreisen vorstellen können, in denen ich gewohnt war, mich zu bewegen. Mittlerweile war ich entzückt über den Vertrag, den ich auf diese Weise zwischen meinem Herzen und meinem Kopfe geschlossen hatte. Ich konnte Julie sehen – sprechen – mit ihr umgehen – so oft ich wollte in ihrer Nähe weilen. Wie glücklich machte mich schon der bloße Gedanke daran!

Tags darauf sprach ich bei der Schwester ein, deren dunkle Augen bei meinem vorläufigen Antrage funkelten; und Alles ward angeordnet. Ich sah Julie – wie beseligt blickte sie. Mit welchem Lächeln und welchen Thränen sank sie in meine Arme – und wie zufrieden und glücklich war ich.

Ich besuchte die Geliebte jetzt täglich; allein schon nach dem ersten Besuche begann der Zauber zu schwinden. Ich sah mit andern Augen. Die Schwester, durch und durch eine Krämerseele, weidete sich allerdings an der Hoffnung auf die glänzende Heirath, die Julie mit mir 138 würde schließen können, und mit Juliens Liebe vermischte sich offenbar eine Theilnahme an der Freude über deren Aussichten Betreffs ihrer. Was hätte auch natürlicher seyn können? Vielleicht herrschte die Liebe vor, aber war es möglich, daß in einem jugendlichen, phantasiereichen Gemüthe alle weltliche Rücksichten gänzlich schlummerten? Eben so natürlich aber war es auch, wenn mein Verdacht rege ward – wenn ich fürchtete, daß man mich täuschte – daß man mich absichtlich zu diesem Schritte geleitet hatte – daß das, was in Julien Natur zu seyn schien, dennoch Kunst wäre!

Ich blickte dem Mädchen in's Antlitz, und die sonnige und schöne Aufrichtigkeit in demselben scheuchte meinen Argwohn – allein gleich darauf drängte sich dieser mir von neuem in die Seele. Mir fielen Beispiele von ungleichen Verehelichungen ein, und mich dünkte, ich sähe Unglück in allen – immer schien es mir als wäre in ihnen derjenige Theil betrogen worden, der dem anderen Theile an Geistesfähigkeiten überlegen war. So lagerte sich allmälig eine Kälte auf mein sonst so glühendes Wesen, und statt jener gesegneten Gedankenlosigkeit, jener elysäischen Leichtgläubigkeit, womit Liebende sich dem Entzücken der Stunde billig hingeben und in dem geliebten Gegenstande den Inbegriff aller Vollkommenheiten wahrnehmen sollten, beschlichen mich Unruhe und Besorgniß. Nicht unbeachtet ließ ich an Julien tausend Dinge, die mich erschreckten, wenn ich dachte, daß ich sie an meiner Gattin würde wahrnehmen müssen. So lange 139 mir noch kein Gedanke an Heirath erweckt worden war, hatten jene Fehler mich nicht weiter berührt – waren von mir gar nicht wahrgenommen worden; jetzt sah ich anders – schärfer – peinlicher. Als ich bei Julien nichts als ihre Liebe und ihre Schönheit nachsuchte, begnügte ich mich damit, nichts mehr als das zu fordern; jetzt suchte ich mehr, denn Julie sollte die Gefährtin meines Lebens werden, und ich ward beunruhigt, ja sogar verdrießlich über die kleinlichen Ursachen meines Mißfallens; eine Unziemlichkeit im Redeausdruck, eine Vernachlässigung conventioneller Förmlichkeiten ärgerten mich an Julien ungleich mehr, als sie es an irgend einem Mädchen meines Standes gethan haben würden.

Fängt die Liebe erst an zu klügeln, so wird sie nur allzubald ungerecht. Ich trug kein Bedenken, Julien alles das vorzuwerfen, was den Tag hindurch mich an ihr und ihrem Wesen oder Benehmen verdrossen hatte, und fand nun, daß sie meine Anmahnungen, so mild und gemäßigt ich diese auch laut werden ließ, keineswegs so anhörte, als es zu erwarten ich berechtigt zu seyn glaubte. Julie war daran gewöhnt worden, mich in jedes ihrer Worte, in jede ihrer Geberden verliebt zu sehen – so war ihr mein Kritteln und Splitterrichten eben so auffallend als unangenehm – sie konnte ihren Unwillen darüber in ihren Mienen nicht verbergen, und glaubte beständig, ich hätte Unrecht und fand mich grämlich, ungerecht und gebieterisch. Anfänglich äußerte sie diesen Unwillen nicht in Worten, sondern warf blos die Lippe auf, 140 und schmollte und schwieg die nächste Halbstunde hindurch. Allmälig aber begann meine Julie Spuren von Laune zu verrathen – von einer zwar niemals lautwerdenden und niemals unweiblichen Laune, aus der freilich mehr Bekümmerniß als Verdruß hervorsah. Ich wäre ungroßmüthig, sagte sie, ich hätte früher all solche Fehler nicht an ihr wahrgenommen, hätte nimmer all die ihr fehlenden Vollkommenheiten von ihr und an ihr gefordert. Und dann weinte sie – und das ging mir zu Herzen, und ich konnte mich nicht eher beruhigt fühlen, als bis ich sie wieder lächeln sah. Dennoch war leicht zu bemerken, daß anstatt Vergnügen an unserem Mitsammenleben zu finden, wir allmälig immer verlegener gegeneinander wurden. Furcht vor Zank und Mißbehagen, und eine gewisse Peinlichkeit traten an die Stelle des früheren Entzückens der Verliebtheit, und so oft ich auf die Zukunft hinblickte, zitterte ich. Mit Einem Worte – ich wiederhol' es – der Zauber war geschwunden.

O dieser entsetzlichen Epoche in der Geschichte menschlicher Leidenschaften! Ist jener Spruch einmal gesprochen, so führt er ganze Bücher mit sich. »Der Zauber ist geschwunden!« Welche bittere, unzuvertilgende Täuschung liegt hierin! Welche fürchterliche Ueberzeugung von der Trüglichkeit der Hoffnung und von der Bethörung der Einbildungskraft führt jener Schreckensspruch mit sich! Wie kalt, wie schaurig ist die Versetzung aus dem Leben das wir uns vorspiegelten in das Leben so wie es ist. Ein arabisches Märchen erzählt, daß wenn das Auge eines 141 Menschen mit einer mystischen Salbe bestrichen ward, so sah es alle Schätze der Erde – der dürre, kahle Fels zeigte dann seine Gruben voll unerschöpflicher Reichthümer; sobald aber mit eben derselben Salbe desselben Menschen beide Augen bestrichen wurden, verschwand sofort die Täuschung – die Erde wies ihre vormalige Oede wieder, und die Goldgruben wurden dürre Wüsten, wie sie es zuvor gewesen waren. So auch steht es um die Erfahrungen der Leidenschaften! So lange wir nur theilweise die Geschöpfe der Bezauberung sind, ist uns die Segensmacht verliehen, Alles im Glanz und in der Glorie zu erblicken – wir dünken uns Götter zu seyn! Kaum aber salbt Gewohnheit uns beide Augen – siehe! so ist das Traumgebild verschwunden, und wir stehen wieder allein in der Wildniß.


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