Edward Bulwer-Lytton
Asmodeus aller Orten
Edward Bulwer-Lytton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Meine Abenteuer nehmen jetzt einen ernsteren und düstreren Charakter an, als sie je zuvor haben zeigen können. Der Leser muß sich anschicken, seine Theilnahme blos auf sublunarische Ergebnisse zu beschränken, denn das Uebernatürliche ist aus meinem Leben verschwunden, es wäre denn wahr, was mir zu Zeiten in den Sinn kommt, daß nichts so wundersam oder unserer irdischen und gemeinen Natur so fremdartig ist, als der Geist, der uns beseelt und uns umwandelt wenn wir lieben.

Es war ein frostheller Abend. Ich stand in einem der menschenöden Gäßchen, die auf den großen ***markt auslaufen und harrte Juliens. Ja, unsere Herzensangelegenheit ist jetzt bis zu diesem Punkte gediehen. Wir sprechen einander – allein und in Geheim. Von der Stunde an, in welcher Julie zuerst in diese 116 Zusammenkünfte willigte, verließ mich Asmodeus, und ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen.

»Hier endet die Pflicht meiner Dankesäußerung,« sprach der Teufel. »Mir ward die Aufgabe gestellt, Dich zu belustigen, Dich zu interessiren, allein weiter nichts. Mit Leidenschaften bemeng' ich mich nicht, und kann also in dieser Angelegenheit nichts für Dich thun. Du bist verliebt und also in den Händen eines mächtigeren Dämons, als ich einer bin. Gehab' Dich wohl! wenn der Rauch verschwand, sehen wir einander wohl wieder.«

Mit diesen Worten verschwand er, und ich weiß nicht, ob er sich in's Londoner Parlament oder zu sonst einer Deputirtenversammlung begab.

Ich harrte also Juliens in jenem einsamen Gäßchen. Ich hörte die Thurmuhr Acht schlagen – es war um die verabredete Stunde; nicht aber sah ich Juliens dunkeln Mantel und anmuthige Gestalt aus der Querstraße zu dem Ort' unseres Stelldichein hervorkommen.

Und wer, und was war Julie L***s***? Sie war eine Verwandte jenes Spielbankhalters, in dessen Hause und bei dessen drei Töchtern ich sie zuerst gesehen hatte. Sie wohnte in einem ziemlich entlegenen Theile der Stadt mit einer Schwester, die Wittwe und um mehrere Jahre älter, als sie selbst war. Mit dem Abschlusse der verwickelten Geschäfte ihres verstorbenen Mannes, und mit der Sorge für ihre eigenen Kinder, sechs an der Zahl, anhaltend beschäftigt, überließ diese Schwester Julien der Leitung ihrer empfänglichen Phantasie und 117 jugendlichen Unerfahrenheit – überließ es ihr nach Gefallen zu denken, zu schwärmen und zu thun, und die Folge davon war, daß Julie sich höchst unbesonnen verliebte. Julie war durchaus arglos, und fast gänzlich unwissend. Sie las, aber meistentheils nur Romane und zwar eben nicht die ernstesten; sie schrieb, aber keineswegs mühelos, und wenn ihr Herz jenes Gefühl in sich aufkommen ließ, durch welches Mangel an Geistesfähigkeiten ersetzt wird, so ward sie doch durch ihre Schüchternheit gehindert dasselbe auszusprechen. Sie war ruhigen, ja schwermüthigen Charakters, obwohl bald zur Fröhlichkeit gestimmt, war empfindsam aber herzensrein. Späterhin entdeckte ich, daß Stolz einen ihrer Hauptcharakterzüge ausmachte; anfänglich jedoch hatte mir dieser verborgen gelegen. Ich liebte Julie schon um ihrer Mangelhaftigkeiten willen, denn diese entsprangen nicht aus ihrer Natur, sondern aus ihrer Erziehung.

Und wer, und was ist Juliens Geliebter? Wie viele meiner Abenteuer ich auch bereits erzählte, habe ich doch dem Leser dies Geheimniß noch nicht mitgetheilt. Obschon ich über mich selber schrieb, habe ich mich selber doch noch nicht enthüllt – und will es jetzt thun.

Ich bin also, lieber Leser, ein müßiger, umherschlendernder, unverheiratheter Mann – reich, von gutem Hause und immer noch jung, habe viel gelesen, ein Weniges geschrieben, und dem Vergnügen, auch wohl der Thätigkeit, immer aber der Stunde gelebt. Ich hatte Sinn für das Studium, wendete dasselbe aber niemals 118 auf das Leben an, und überließ mich jeglichem Plane, jeglichem Treiben, sobald sich mir damit die Aufregung der Neuheit verknüpfte. Solch ein Wandel erzeugt mehr Rückerinnerung als Hoffnung; er lenkt unsere Träume zurück auf Vergangenes, anstatt uns durch dieselben der Zukunft entgegenzuflügeln – er gibt uns Aufregung durch Rückblick, aber Uebersättigung wenn wir auf noch kommende Tage schauen. Das Vergnügen der Jugend ist ein köstlicher Trank, in welchem die Perle aufgelöset ward, an welcher unser männliches Alter sich erfreuen sollte.

So viel von Juliens Geliebten, an welchem das Beste das war und ist, daß Julie ihn liebte! – –

»Die halbe Stunde ist vorüber – wird Julie kommen? Wie mein Herz klopft! Der Abend ist hell und heiter – wodurch kann sie verhindert worden seyn? – Ich höre Fußtritte – – Ha! bist Du es, Julie?«

Julie nahm meinen Arm und drückte ihn schweigend. Ich schob den Schleier ihres Hutes zurück; und blickte bei'm Scheine einer Gassenlaterne ihr in's Gesicht – sie weinte.

»Was ist mit Dir, Theuerste?« fragt' ich.

»Meine Schwester hat Deinen jüngsten Brief an mich entdeckt – ich hatte ihn fallen lassen und –«

»Himmel! wie konntest Du so unvorsichtig seyn. Doch hoffe ich, es wird nichts auf sich haben. Was sagte Deine Schwester?«

»Ich – ich sollte Dich nicht wieder sehen.«

119 »Sie ist freundlich, doch wirst Du ihr nicht gehorchen, liebste Julie.«

»Doch, doch!«

»Wie? Du wirst doch ausgehen können, wann es Dir beliebt?«

»Nein, denn ich habe versprochen es nicht zu thun. Sie ist eine liebreiche Schwester gegen mich gewesen, und – und sie sprach so freundlich über diesen Gegenstand, daß ich nicht umhin konnte ihr zu versprechen – und mein gegebenes Wort kann ich doch nicht brechen, sollt' auch mein Herz darüber brechen.«

»Gibt's keinen Mittelweg einzuschlagen?« fragte ich nach einer Pause. »Kann ich Dich nicht anderswo sehen? oder willst Du mich ganz verlassen?«

»Was kann ich thun?« stammelte Julie.

»Aber, Liebste, das Versprechen war gewiß kein freiwillig gegebenes – es ward Dir abgepreßt.«

»Nein, nein, ich gab es von ganzem Herzen.«

»Schönen Dank!«

»O, sprich nicht so kalt. Du mußt eingestehen, daß es sehr unrecht von mir war, Dich jemals heimlich zu sehen, denn wie würde es haben enden können? Gewiß weder mir zum Guten, noch meiner Familie zur Ehre. Früher habe ich nie darüber nachgedacht und ging weiter und immer weiter, bis ich kaum mehr zurück konnte und weder rückwärts noch vorwärts zu sehen wagte. Jetzt aber, nachdem meine Schwester mich hat einsehen lassen, welche Thorheit ich beging – jetzt zittere ich, und – 120 und – kurz was hilft alles Reden darüber – ich kann Dich so nicht wiedersehen.«

»Auch nicht bei Deinen Verwandtinnen, den Miß ***?«

»Auch nicht. Ich habe meiner Schwester versprochen auch dort nicht, oder doch nur in ihrer Begleitung hinzugehen.«

»Donner und Wetter über diese Schwester!« brummte ich nicht wenig ärgerlich in den Bart. »So gibst Du mich also auf,« sagte ich, »und thust es sonder Kampf, sonder Seufzen.«

Julie weinte fort ohne zu antworten; mein Herz begann sanfter für sie zu fühlen, und mein Gewissen machte mir Vorwürfe. Hatte die Schwester denn nicht Recht? War ich nicht eigensüchtig achtlos gegen die Folgen gewesen? Lag mir jetzt nicht die Pflicht ob, großmüthig zu seyn? »Und selbst, wenn Du großmüthig bist,« fragte die Leidenschaft, »wird Julie dadurch glücklich werden? Ist die Sache nicht schon so weit gediehen, daß ihr Herz darüber verbluten muß? Julie verlassen, heißt Julie verderben!«

Wir gingen miteinander ohne zu reden. Nie zuvor hatte ich so lebhaft gefühlt, wie innig ich das theure, bezaubernde Mädchen liebte, und dies Gefühl begann den Verdruß zu überbieten, den ich anfänglich über ihre veränderten Entschlüsse gehegt hatte. Ich war verwirrt – ich wußte nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte. Mehrere Minuten lang waren wir so fortgeschritten, und gelangten jetzt an die Ecke einer Straße, die zu Juliens 121 Wohnung leitete. Julie wendete sich und sagte stammelnd: »Lebe wohl – Gott segne Dich. Wir wollen hier scheiden, denn ich muß jetzt nach Hause.« Die Straße war durchaus menschenleer, und nur schwach erleuchtet, indem die fern von einander stehenden Laternen lange Schatten warfen. Ich sah Juliens Gesicht nur unvollkommen unter dem Hute, der gleichsam keusch ihre thränenvolle Lieblichkeit verdeckte. Ich nahm sie in meinen Arm, küßte sie auf den Mund und sagte: »Sey's denn so, wie Du es für gut findest – geh und lebe glücklich. Denke nicht mehr an mich.«

Julie zögerte – es war, als ob sie reden wollte; dann aber schüttelte sie leise den Kopf, senkte schweigend, oder als ob ihr die Stimme versagte, ihren Schleier und ging langsam fort. Nachdem sie wenige Schritte gegangen war, wendete sie sich um, und als sie sah, daß ich noch immer auf derselben Stelle stand und ihr nachblickte, schien ihr Muth sie zu verlassen; sie kam wieder zu mir, faßte meine Hand und sagte flüsternd:

»Du zürnst mir nicht? Du wirst mich nicht hassen?«

»Julie,« rief ich – »bis zur letzten Stunde meines Lebens werde ich Dich verehren. Daß ich Dir keinen Vorwurf mache, daß ich nicht suche, Dich von Deinem Entschluß abzubringen, ist der größte Beweis der innigen Liebe, die ich für Dich fühle; jetzt aber geh – geh – nicht lange vermag ich diese Pein zu ertragen.«

Julie war mehr noch Kind am Geist als an Jahren, und kindisch oft kamen ihre Herzensregungen heraus; so 122 auch jetzt. Nach einem Weilchen zog sie, mit ersichtlicher Verlegenheit, einen hübschen, wenn gleich schlichten Ring, den ich oft gelobt hatte, von ihrem Finger und sagte schüchtern:

»Wenn Du Dich herablassen willst, diese Kleinigkeit von mir anzunehmen. –«

Ich hörte nichts weiter. Ich gestehe, daß mir das Herz im Busen schmolz, und daß meine Thränen fast eben so reichlich als Juliens flossen. Das Ergebniß war freilich höchst einfach, aber das Gefühl, durch welches es herbeigeführt worden war, war so rührend und so jugendlich. Ich nahm den Ring und küßte ihn – Julie blieb zögernd stehen. Ich sah, was ihr auf dem Herzen lag, und was sie nicht auszusprechen wagte. Sie wünschte von mir ein Gegenandenken an das Band, das uns umschlang, doch wollte sie die Kette, die ich ihr aufdrang, nicht nehmen, weil sie ihr, wie sie sagte, zu kostbar war. Endlich nahm sie einen Ring von mir an, der an Werthe dem ihrigen bei weitem nachstand. Dieser kleine Austausch, und die zarten und minder leidenschaftlichen Gefühle, die dadurch erweckt wurden, schienen dem Mädchen Trost zu gewähren; und als sie mich verließ, geschah es mit festerem Tritte und minder trostlosem Wesen als zuvor. Arme Julie! Ich stand an der dunkeln Stätte, bis die letzte Spur Deiner Huldgestalt meinem Blick entschwunden war. –

In dem ganzen Verlauf eines Menschenlebens gibt es keinen unzusagenderen, bittereren Moment als den, 123 welcher einem plötzlich abgebrochenen Liebesumgange folgt! Immer noch liebend, jedoch von dem Gegenstand unserer Liebe zurückgewiesen, sinkt unser Herz unter der Last seiner eigenen Sehnsuchtregung; eine erschöpfende, widerwärtige Apathie füllt die entsetzliche Leere der Stunden aus – die Zeit kriecht sichtbar vor uns hin, und das Leben hat keinen Reiz mehr für uns.


 << zurück weiter >>