Edward Bulwer-Lytton
Asmodeus aller Orten
Edward Bulwer-Lytton

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Achtes Kapitel.

Als ich meine Schilderung von dem Treiben in meinem Vaterlande vollendet hatte, sagte Kosem Kesamim in schwermüthigem Tone –

»Du sprichst, o Mensch! von den gemeineren Angelegenheiten des Lebens, die von Deinem Geschlechte so irriger Weise für des Lebens höchste Wichtigkeit angesehen werden. Du sprichst zu uns von der nichtigen Politik der Staaten, von den äußeren Zeichen einer Wandlung, doch von dem tiefen Strome der Begebenheiten, der dunkel und verborgen dahin wogt, schweigst Du, oder deutest höchstens nur zufällig, oder ohne es selbst zu wissen, darauf hin. Ja wohl denkt nur mit der Welt der, der nur 61 mit der Welt lebt. Du wirst weiser seyn, sobald Du eine Zeitlang bei uns geweilt haben wirst.«

»Eine Zeitlang?« fragte ich, von einem plötzlichen Bangen ergriffen, »Ihre Hoheit sind überaus artig; doch bin ich kaum mit Wäsche bis übermorgen versehen, und Geschäfte von dringender Wichtigkeit fordern mich nach der Hauptstadt zurück, so daß ich fürchte, auf der Stelle abreisen zu müssen.«

»Nicht also!« rief der geheimnißvolle Amphitryon; »hat Asmodeus Dich nicht über unsere Gebräuche belehrt? Wer an unseren Hof kommt, darf denselben nicht eher als nach Ablauf eines Kalendermonates verlassen. Heda! Musik!«

Und flugs, als sollte mir jede Erwiederung in der Kehle stecken bleiben, erschollen über, neben und unter mir die lieblichsten Klänge, so daß ich mir hätte einbilden können, ich wäre in der Oper zu jener guten Zeit, in welchen nur Tondichtungen von Mozart, Clementi, Gretry, Gluck und Cherubini, nicht aber melodieloses Gelärm von Meyerbeer oder Meyer Beer und Consorten aufgeführt wurden. Doch bildete ich mir dergleichen »Widersinn,« wie die heutige Modewelt es genannt haben würde, nicht ein, denn mein Unwille und meine Verwunderungen ließen mich zu keiner ästhetischen Betrachtung kommen. Ich trank ein Glas Champagner mit meinem Freunde Asmodeus, und gab ihm quer über den Tisch weg zu verstehen, wie ich der Meinung wäre, er habe mich hinter das Licht geführt.

62 »Schweige doch!« sagte Jesdah im Tone des Vorwurfs zu mir: »bin ich Dir denn so zuwider, daß Du nicht einmal einen kleinen Monat mit mir verleben magst?«

Furchtbare Visionen zogen vor den Augen meiner Seele vorüber. Ich dachte an Bürgers »Lenore,« hörte den grausigen Peitschenschlag am »eisernen Gitterthor,« und sah nichts als »sechs Breter und zwei Bretchen.« Forschend blickte ich in Jesdah's Antlitz, konnte aber in dessen hübschen, lächelnden Mienen und vollen Wangen nichts Gespenstisches wahrnehmen, weshalb ich mit einem tiefen Seufzer antwortete: »Ach, Mylady, ein Monat in London würde in Ihrer Gesellschaft ein Moment seyn, doch – soll ich es bekennen? der Gedanke, in dieser Abtei bleiben zu wollen, kühlt meine Liebesgluth mächtig ab, denn ich bin stark zu Erkältungen geneigt, und –«

»Sie sind im Irrthum,« fiel Jesdah ein; »Sie haben nicht in dieser Abtei zu bleiben; wir werden Sie an den anmuthigsten Wohnort von der Welt führen.«

»Ach!« dacht' ich, »da bin ich in eine schöne Klemme gerathen. Ich weiß, was es mit dergleichen Verheißungen auf sich hat; nicht umsonst hab' ich deutsche Romane und Hexenmährchen gelesen; sicherlich bin ich ein verlorener Mann. – Und jener Wohnort,« fragte ich meine schöne Nachbarin – »Hem! zweifelsohne ist er auch meinem Freunde, dem Teufel bekannt?«

»Nein, ihm ist der Zutritt versagt, sobald er nicht specielle Erlaubniß dazu hat.«

63 »Madam!« rief ich enthusiastisch – »so bin ich ganz und gar zu Ihren Diensten.«

Jetzt hörte allgemach die Musik auf, und eine sanfte Mattigkeit senkte sich auf meine Wimpern; mich ergriff eine Schläfrigkeit, als hätte ich den gewaltigen Kanzelredner in der freien Stadt *** predigen hören, der nachmals Superintendent in einem Duodezstaate ward, und dessen Wandel im stricten Gegensatze zu seinen erbaulichen Homilien stand. Ich versank in festen Schlaf.

Als ich erwachte, befand ich mich allein in einer Art von Zelle, die von den glänzendsten Säulenwänden funkelte. Ein fortwährendes Getös, wie das Rollen einer gewaltigen See, drang in mein Ohr – ich ward durchschauert, jedoch nicht erschreckt. Ich erhob mich allgemach von dem Steinbett, auf welchem ich lag, und blickte umher. Durch eine Oeffnung in meiner Zelle blickte ich in eine Perspective gigantischer Schwibbögen und Säulen einer rauhen und düstern Substanz, in der ich nichts mir Bekanntes wahrnahm. Eine seltsame Unruhe, die keine Worte finden konnte, erfaßte mich; ich stand auf, verließ vorsichtig meine Höhle, und schaute weiter in den Schauplatz hinaus. Wundervoll! so weit meine Blicke reichen konnten, sah ich unermeßliche Hallen, deren Wölbbogen hoch hinauf in undurchdringlichen Schatten ragten; ein Hofraum führte in den andern – solcher Räume waren Tausende und Zehntausende, und in jedem derselben hätten ganze Städte Platz finden mögen – mich dünkte, ich erblickte mich in dem Gruftgewölbe irgend einer 64 Gigantenwelt. Und als nun unwillkürlich meine Schritte mich vorwärts bewegten, rauschten Millionen Wasserbäche und Wasserfälle an den Seiten der dunklen Wände hernieder, die mich umgaben – diese schienen das Getös zu verursachen, das so mächtig auf mich gewirkt hatte. Ueber diesem weiten Reiche befand sich kein Lufthimmel. Mein Auge blickte weit, weithin, so weit ein Adler fliegen mag, aber immer erhob sich das Gestein um mich her, und sein alleiniges Dach war Schatten. Diese neue Welt, denn das schien sie mir zu seyn, ward durch seltsame, unstäte Feuerflammen erhellt, welche in schnell auf einander folgenden Zwischenzeiten um die Pfeiler und Kragsteine herum zuckten, tanzten und krochen und gegen die an dem Gestein herabrollenden oder gleitenden Wasser spielten und blitzten, daß es einen wechselvollen, jedoch immer rubinartigen, rings sich verbreitenden Schein abgab.

»Ist dies Zauberei?« sagte ich zu mir selber, »oder bin ich in der schauerlichen Welt des Todes?«

Der Boden unter mir war rauh und uneben, und als ich niederblickte, gewahrte ich große Gold- und Silbererzstufen. War es möglich, daß ich mich in einem, von menschlicher Habgier noch nicht entdeckten Bergwerke befand? Während ich mir diese Frage vorlegte, schoß aus einer dunkeln, wie mit Schwefeldampf gefüllten Schlucht eine Strecke weit vor mir, über welcher ein dumpfer Rauch wallte, eine blendende Feuersäule hervor, schwang sich hurtig aufwärts wie der Strahl einer wundersamen Gluthenfontäne – immer höher und höher stieg 65 sie, indem sie den ganzen gigantischweiten Raum umher erhellte, und leckte in eine finstre Oeffnung der entgegengesetzten Steinwand hinein. Die Schlucht aber sendete fortwährend der oben verschwindenden Flamme frische Nahrung zu.

»So wird der Aetna versorgt,« erscholl eine Stimme neben mir. Ich wendete mich hastig und sah Kosem Kesamims Gestalt, die dunkel und unklar blieb, obschon alle andere Gegenstände rings umher blendend hell beleuchtet erschienen.

»Fürchte nichts!« sagte seine trauervoll und feierlich klingende Stimme. »Weißt Du, an welcher Stätte wir uns befinden?«

»Großer Zauberer – nein!«

»Es ist eine Stätte, an welcher Furcht nicht gekannt, wohl aber Schauer reg seyn sollte; denn hieher sind seit ewigen Tagen das Verbrechen und der Krieg und der Menschen Sünden alle nimmer gekommen. Du stehst im Mittelpunkte der Erde. Beschaue die Bärmutter der Erdkugel. Beut sie nicht einen stattlichen Palast dar? Schrumpfen nicht die winzigen Felsspitzen und Thürme, womit ihre Oberfläche sie krönt, zu Maulwurfshügeln und Stielschwämmen zusammen gegen diese stattlichen Mauern und unzuermessenden Schwibbögen? In dieser gigantischen Werkstatt bewirkt Natur ihre ewigen Operationen. Hier um das Urgeheimniß unseres Erdballs herum, hier um den Magnet herum, der uns mit den Gestirnen verschwistert und die körperfeste Erde an ihrer 66 luftigen Achse hält – hier befinden sich Samen und Keime aller Dinge – der Elemente Elemente. Dies ist der Hades der Erde – das dunkle Reich des Schattens – das Mysterium der Mysterien – das Triebrad der Riesenmaschine – die Mutter, die da Alles gebärt, das Grab, das da Alles verschlingt! Ich grüße Dich, Fremdling! Ich, gleich Dir ein Mensch, allein mit Dir in diesen ehrfurchtweckenden Tiefen – ich grüße Dich!«

Bei dieser Anrede drang Eiseskälte durch das Mark aller meiner Gebeine, obwohl mein Herz von wildjauchzender Freude darüber schlug, daß ich mich vor allen übrigen Sterblichen so ausgezeichnet fand. Ich beugte mein Haupt, und nach einer Pause, in welcher ich versuchte, mich zu sammeln, versetzte ich: »Dunkler und geheimnißvoller Schatten! nicht weiß ich die Rede meiner Antwort zu finden, denn ich vermag nicht mich zu überreden, daß ich nicht träume. Von jenem heitern, leichten, wilden Bankett gestern sich auf so feierliche, so schauerliche Weise versetzt zu sehen! In meinen bisherigen Abenteuern bot sich mir Menschliches und Vertrauliches. Ich konnte in Asmodeus Einen meines Geschlechtes, in den Hexen Wesen von Fleisch und Bein erkennen; sie erregten mir der Belustigung Ueberraschung, nicht aber der Ehrfurcht Verwunderung. Ich bin hinaus über den Wachsthum des Geistes, während welchen Neugier und Furcht den Menschen bewältigen, und lernte der Sterblichen Freundschaftbündnisse genügend kennen, um mich nicht sonderlich darüber zu beunruhigen, ein Wandergenoß des Teufels 67 zu seyn; jetzt aber ist meine Seele erschüttert und bewegt. Sage mir, o Zauberer! wer waren die, welche ich gestern Abend sah? Bewohnen sie ebenfalls diese Reiche, oder waren sie nur durch Deine Zaubermacht hervorgebrachte Geschöpfe – heitere aber groteske Täuschungen, wesenlose aber nicht erschreckende Gebilde eines Traums? Du aber, der mystische und mächtige Gott jenes Traumes, regtest Dich nicht, gabst Dich nicht hin der phantastischen Lust, welcher die von Dir erschaffenen Truggebilde sich hingaben –«

»Die, von denen Du da sprichst,« fiel Kosem Kesamim mir in's Wort, »sind lebend und körperlich wie sie Dir es zu seyn schienen, allein ihre Wohnungen befinden nimmer sich in diesen Höhlen. Sie wohnen in den Vorwerken des Tempels, allein nimmer übertreten sie des Heiligthumes Schwelle.«

»Warum durfte ich es denn, ausgezeichnet vor Allen, o mächtiger Zauberer?«

»Weil Du mehr wagtest als sie. Du würdest über einen Ocean von Gluthen schiffen, um eine Neuheit am jenseitigen Ufer zu schauen, und in solcher Gemüthsneigung erkenne ich mein ehemaliges Selbst wieder. Der Drang zu entdecken ist Schlüssel zu allen Mysterien; das Aufsuchen der Neuheit ist die Erfindung der Wahrheit.«

»Wie aber geschah's, o Kosem Kesamim, daß jene Frauenbilder jemals zu der Würde der Hexerei gelangten? Etliche von ihnen, ich geb' es zu, gaben sich schweigsam und schauerlich und sahen wohl danach aus, so feierlicher 68 Gaben des Geistes würdig zu seyn; allein meine schmuckausschauende Kokette, meine muntere Jesdah scheint doch eine etwas allzu irdische Lampe für ein so übernatürliches Licht zu seyn.«

»Frage jetzt nicht nach dergleichen Gleichgültigkeiten,« versetzte die wehvolle Stimme, durch die, indem sie erklang, sofort meine wiederkehrende Lebhaftigkeit gedämpft ward, »sondern sammle, dieweil du in diesen Räumen dich befindest, Deine höheren Geisteskräfte, um Nutzen aus dem Dir gebotenen Anblicke zu gewinnen.«

»Ich bin bereit,« sagte ich in unterwerfungvollem Tone, »alles anzuschauen, was Du mir zeigen mögtest.«

Schweigend bewegten wir uns weiter; durch den Luftzug aber, der gegen mein Gesicht drängte, und durch die Hurtigkeit, mit welcher Säule und Schwibbogen vorüberglitten, nahm ich wahr, daß irgend eine ungesehene Macht, ohne daß ich es wußte, meine Schritte beflügelte, und daß unser Vordringen mit den ungeheuren Räumen, welche wir durchzogen, im Verhältnisse war.

Unter einer Kluft im Felsen, die sich spiralförmig aufwärts wand und sich immer mehr und mehr oben hinaus verengte, standen wir still. Ich hörte ein wildes, lautes Getös, konnte jedoch keinen deutlichen Laut unterscheiden.

»Ist dies etwa die Höhle der Winde?« fragte ich schier betäubt von dem Donnergetos.

»Es ist das Ohr der Erde,« sprach der Zauberer, »durch welches herab alle Kunde der Millionen von 69 Erdbewohnern dringt. Seit der Zeit des ersten menschlichen Athemholens im Paradiese, seit dem ersten Flüstern der jungfräulichen Liebe Hevas, seit dem ersten Murmeln der bereuenden Seele Adams bis zu dem allgemeinen Gebrüll einander widerstreitender Interessen, Verbrechen und Leidenschaften, die jetzt die von Menschen wimmelnde Erde bewegen, drang Alles, wenn auch für Dein Ohr verworren, zu dem des Wesens, zu welchem diese Klänge gelangen sollen, gesänftigt und gesondert, deutlich und vernehmlich herab.«

»Und wer ist solches Wesen?« fragte ich verwunderungvoll.

»Blicke dort hin!« antwortete Kesamim, indem sein schattenartiger Arm sich ausstreckte.

Ich sah hin, wohin der Zauberer wies, und erblickte auf einem Thron aus grauem Gestein gigantisch und regunglos einen Mann oder vielmehr eine einem Mann ähnliche Gestalt. Sein riesiges Gesicht wies sich unaussprechbar fürchterlich ruhig; seine Stirn, ähnlich der des olympischen Jupiters, thronte über seinen majestätischen Mienen, allein die Augen unter derselben sahen matt und leblos aus, denn kein Strahl entleuchtete ihnen.

»Ist das der Tod?« fragte ich.

»Schau' hin!« erscholl des Magiers dumpfe Stimme – ich gehorchte, und sah nun, wie um ihn her, so daß er gleichsam inmitten saß, sich ein Gewebe von unzähligen feinen, subtilen Fäden zeigte, deren Enden durch Millionen Oeffnungen verschwanden, die, den Schweißlöchern 70 am Menschenkörper gleich, sich in den Wänden und Wölbungen des Felsgesteins befanden. Als nun mein allmälig immer dreister blickendes Auge noch genauer beobachtete, sah ich, daß bei jedem aus der Oberwelt herniederwallenden hohlen Geheul des Gebildes Hände, die jedoch kaum sich regten, so ruhig und gelassen war die Bewegung – einen oder anderen der Fäden oder Maschen berührte, die dann ab- oder ausrissen, so daß das Gewebe, jedoch nur leicht und nur in einzelnen Theilen verändert ward. Jetzt erkannte ich auch, daß die Mattheit in den Augen der Riesengestalt nicht die des Todes, sondern die der leiblichen Blindheit war.

»Und wer,« stammelte ich kaum hörbar, »wer ist jener schauerliche Greis?«

»Er ist der,« antwortete Kesamim, »der zwar in Blindheit, aber mit Methode die Lebensfäden der äußeren Welt bewegt, der der Menschen Lebensmaschen knüpft oder zersprengt, der die Puppen, vom Könige bis zum Bettler, Menschen genannt, in Bewegung setzt, der durch eben diese Fäden den unteren Abgeordneten des Universums – dem königlichen Ungethüm, das Ihr Ocean nennt, und dem Geiste der hüpfenden Feuerflamme die allewigen elektrischen Befehle ertheilt. Wie stumm und alterbeladen er sich auch zeigt, ist er dennoch das Leben und Getrieb der ruhelosen Erdenmaschine. Worin seine Weisheit besteht, weiß Keiner – sich selbst ein Mysterium, enthüllt er keins; und sein ist das dunkle, unerbittliche, undurchdringliche Amt, von welchem die vor der 71 unsichtbaren Gewalt desselben zurückbebenden Menschen ihren Traum von einem Schicksal herleiteten, oder durch welches, von solchen Menschen, die die Blindheit in der Gewalt wahrnahmen, der Begriff ›Zufall‹ aufgestellt ward. – Er selbst aber ist – namenlos!«

Während ich hinstarrte, fühlte ich mich von dannen gehoben. Der Greis entschwand nach und nach meinem Blicke, und die heulende Windsbraut, die durch die Schneckenhöhle von der Oberwelt herab fuhr, verhallte in meinem Ohre wie das Rauschen eines fernen Wasserfalles. Unsere Wanderung ging jetzt aufwärts, so daß, indem wir durch eine der vielen Klüfte schossen, die sich in den unabsehbar hohen Felswänden befanden, wir einem Lichte entgegenglitten, das freundlicher als jenes war, in welchem ich mich vorhin befunden hatte. Inmitten dieses Lichtscheins versenkt, gewahrte ich mich plötzlich in einer wunderschönen Stadt, die keineswegs den düstern, unmittelbar aus den Händen der Natur hervorgegangenen Felspalästen glich, welche ich so eben durchwandert hatte, sondern ich sah mich in einer von Menschenhänden zu Menschenwohnungen erbaueten Stadt. Märkte, Schauspielhäuser, Bäder gewahrte mein Blick. Immer aber bemerkte ich, daß über mir kein Lufthimmel war, sondern daß das Licht, durch welches der Ort erleuchtet wurde, irgend einem unsichtbaren Quell entströmte; allein es war ein heiteres, ein rosiges Licht, wie es dem Begegnen der Liebenden oder einem Lustgelag in paradiesischen Gärten leuchten soll. Und Alles umher, die Form 72 der Gebäude, die Inschriften an den Mauern, die Anlage der Straßen – Alles war mir fremdartig, doch ersichtlich menschlichen Ursprunges. –

»Und welch neues Wunder, o Zauberer. ist dies?« fragte ich; allein der Zauberer war fort, und mir zur Seite stand Asmodeus, der seiner Nase zu einer Prise Taback verhalf.

»Gehorsamer Diener, Sir,« sagte der Teufel kaltblütig; »nachdem Sie so lange die Figuren der Zeiger beobachtet haben, sagen Sie mir gefälligst, was Sie jetzt von dem Uhrwerke halten.«

»Asmodeus!« rief ich, »bist Du's wirklich? Welche Gesichte hab' ich gesehen? und wo ist der mächtige Zauberer?«

»Fort. Ihm behagt dieser lichtvolle Aufenthalt nicht. Die Menschheit aber in Deiner untergeordneten Gestalt vermag nicht für längere Zeit die feierlichen Wunder zu ertragen, die anzustaunen Dir verstattet worden ist. Kosem Kesamim hat deshalb Dich freundwillig hieher geführt, daß Du ein wenig ausruhen und vielleicht tüchtig werden mögest, mehr von den düstern Mysterien seiner Weisheit zu erfahren. Mittlerweile befindest Du Dich in einer Stadt, die besuchen zu dürfen, ein Alterthumsforscher sich beide Ohren abschneiden lassen würde. Wisse, daß über Dir eine östliche Sonne leuchtet, und daß diese stattlichen Gebäude sich um ein Weniges unterhalb der Oberfläche der Erde befinden.«

»Und ist diese Stadt das Werk Kesamims?«

73 »Kikelkakel!« versetzte Asmodeus beißend, »das Werk etlicher Maurer und Zimmerer, die vor etwa viertausend Jahren auf der Erde lebten, ist sie, und weiter nichts. In geringer Entfernung von dem Orte, an welchem sie droben stand, erhebt sich ein hoher Berg, der ehemals ein Vulkan war, dessen Flammen zwar seit dreißig und einigen Jahrhunderten auftrockneten, der jedoch zuvor noch in einer Stunde der Lust und des Schwelgens sich diese Stadt zur Beute nahm. Ueber sie hin zieht jetzt der Kameeltreiber, und Niemand, nicht einmal die Sage, weiß von ihrem Vorhandenseyn. Sie ist kein gemeines Pompeji, kein abgedroschenes Herkulanum, sondern ein Schatz, der nur uns und unseren angenehmen Freundinnen, den Hexen, bekannt ist.«

»Ha! so wohnen sie hier?« sagte ich erfreut – »Bei meinem Leben! sie verrathen einen trefflichen Geschmack.«

»Und hier,« fuhr der Teufel fort, indem er in eine allerliebste Junggesellenwohnung trat, wohin ich ihm auf dem Fuße folgte – »hier ist Dein Quartier. Ich habe Dir Deinen Ankleidetisch aufgeputzt, und auf der breitschulterigen Seele des Herzogs von ***, denen keine Last jemals zu schwer war, Deine Garderobe Dir nachkommen lassen.«

»Excellenter Teufel, der Du bist!« rief ich mit freudevollem Dank aus.

Und ein allerliebstes Ankleidezimmer war es, in welchem ich mich befand. Gewaltige Stutzer muß es in 74 jenen Tagen gegeben haben! Da fanden sich eine Badewanne aus weißem Marmor, ein Spiegel aus polirtem Stahl, Simse mit bronzenen Vasen, Tische mit Lockenbrennzangen, Zahnbürsten und Schminktöpfchen und Wachstäfelchen für die Augenbrauen, wenn gleich diese Täfelchen etwas altershart waren. Man hätte glauben sollen, sich im Boudoir der Herzogin von *** zu befinden.

»Du warst im Irrthum, Asmodeus,« sagt' ich, »dies ist sicherlich einer Dame Zimmer gewesen.«

»Nicht doch! ich erinnere mich sehr wohl des damaligen Eigners – er war einer meiner vertrautesten Freunde, und – ich kann d'rauf schwören – ein ›beau garçon!‹ Er färbte just sein Haar, wie die damalige Mode es erheischte, seegrün, als die Lavafluth über ihn hereinbrach. Jetzt jedoch bediene dich – hier steht ein Frühstück für Dich. Die Hexen schicken immer eine aus ihrer Sippschaft nach Leckereien aus dem Palais Royal zu Markte – Du kennst den Eckladen. Während Du Dein Frühmahl verzehrst – Du siehst, es steht anlockend in der Fensternische – erzähl' ich Dir etwas von dem was es aus der Oberwelt Neues gibt.«

»Ganz recht, zumal von London,« fiel ich ein. »Zuvor aber kläre mir auf, wie Du hieher kamst. Jesdah äußerte, Du bedürftest dazu einer besonderen Erlaubniß. Erhieltst Du diese? und von wem?«

»Jesdah sagte Dir die Wahrheit,« antwortete Asmodeus, Kosem Kesamim beschied mich zu sich, als ich 75 mich zu Cincinnati in einem Hause befand, in welchem Mrs. Trollope's Buch über Amerika eintraf.«

»Ah! ein drolliges Buch, das aber voll von Abgeschmacktheiten steckt,« fiel ich ein. »Ein Werk aus der Feder dieser Dame gleicht dem Spiel eines Pantalon; man lacht über die Possen, mögte sie aber um aller Welt Schätze willen nicht selber reißen.«

»Die Amerikaner,« bemerkte der Teufel, »haben zu verstehen gegeben, sie würden die reisende Dame nicht angenehm empfangen, im Fall sie sich wieder bei ihnen blicken ließ.«

»Die Amerikaner haben Recht,« versetzte ich, »wenn Du Dich hinsetztest Asmodeus, und beschriebst die Sitten und Gebräuche zu Wapping und Shoreditch und nenntest alsdann Dein Buch ›England wie es ist,‹ so würdest Du nur in die Fußstapfen der Dame Trollope treten. Ueberhaupt,« setzt' ich hinzu, »kann eine Nation über ihre eigenen conventionellen Sitten nur selber aburtheilen, nicht aber kann Eine Nation die andere tadeln. Der muntere Franzos scheint dem gravitätischen Türken die gemeinste Bestie von der Welt zu seyn. Bestialität des Geistes, nicht aber der Sitten, ist die einzige Gemeinheit, derer eine Nation von einem Nachbarnvolke angeklagt werden kann. Der Gemeinheit der Sitten klagt Mrs. Trollope die Amerikaner an – wie abgeschmackt! Die Ständegleichheit der Amerikaner straft von vorn herein solche Anklage Lügen, denn geistige Pöbelhaftigkeit hält auf Ahnen, auf Rang und Reichthum. 76 Die Reinheit der politischen Götzen Amerikas deutet aber geradezu auf eine gewisse Geistesgröße. Nicht gemeine Seelen können die seyn, die einen Franklin zu würdigen verstanden und einen Washington verehren! Die Amerikaner zeigen auf ihre Städte, auf ihren Senat, auf ihre öffentlichen Institute, auf ihre Volkserziehung, auf ihr wohlfeiles Brod, und Mrs. Trollope spottet sie aus und sagt, die Männer Amerikas essen in Einem, die Frauen in einem anderen Zimmer zu Abend – wie albern! Die Amerikaner zeigen auf einen Koloß, und Mrs. Trollope spöttelt über den Ring, den dieser an seinem kleinen Finger trägt. Während auf solche Weise Mrs. Trollope über die Amerikaner herfällt, läßt ein feinerer und geschickterer Kopf als sie, der Fürst Pückler-Muskau, ein eben so streng aburthelndes Werk über Erziehung und Sitten der Engländer erscheinen; dennoch ist es keinem Reisenden möglich einen ›arbiter elegantiarum‹ irgend eines Landes außer seinem eigenen Lande abzugeben. Der Franzose, der in ein Schnupftuch spuckt, das er auf Armes Länge von sich hält, ist uns Engländern das ›nec plus ultra‹ der Pöbelhaftigkeit; der Engländer, der, einen Rockschooß unter jedem Arm, seinen ›hinteren Menschen,‹ den er doch sonst, wenn er den Damen den Hof macht, sorgfältig ungezeigt läßt, vor dem Kaminfeuer sich erquicken läßt, ist dem Franzosen ein Greuel. Wir Engländer nannten König Georg den Vierten den feinsten ›gentleman‹ in Europa, und die verbündeten Monarchen, als sie ihn in London sahen, hielten ihn 77 für die Quintessenz des ›mauvais ton.‹ Ich erinnere mich eines trefflichen Beispiels von dem Unterschiede zwischen conventioneller und geistiger Gemeinheit. Es findet sich in den unlängst erschienenen Memoiren von James Campbell. Sir James besucht Voltaire, doch – wie selbst zu versichern er die wunderliche Dreistigkeit hat – nicht um den Mann zu bewundern, sondern in dessen Wildbahn zu jagen. Sir James erzählt nun weiter: ›Eines Tags bei Tische zerlegt Voltaire ein Rebhuhn, nachdem er zuvor seine Gabel in das Huhn und dann in den Mund gesteckt hatte, vielleicht um zu erproben, ob die ›fumette‹ nach seinem Wunsche war. Es versteht sich, daß ich nichts von dem Rebhuhn aß, und als Voltaire mich nach der Ursache deshalb fragte, sagte ich ihm rund heraus, ›daß ich nicht von einem Gericht essen mögte, das er mit einer Gabel vorlegte, die so eben in seinem Munde gewesen war.‹ Hier haben wir in Voltaire die conventionelle Pöbelhaftigkeit, die zwar höchst unangenehm ist, jedoch von keiner Herzenshärtigkeit zeigt, und in dem engländischen Reisenden, dessen stolzester Lebenstag der hätte gewesen seyn sollen, an welchem er den Philosophen von Ferney besuchte, sehen wir die geistige Gemeinheit, die vorsätzlicherweise beleidigend wird. Doch bin ich mit unserem Beispiele noch nicht zu Ende. Voltaire, weit entfernt, daß üble Erziehung seinerseits zu suchen wäre, versetzt mit sardonischem Lachen, daß die Engländer doch wunderliche Leute wären und sonderbare Gewohnheiten hätten. – Dies in Betreff des Urtheils, daß das eine Land 78 über die Sitten eines anderen Landes fällt. Dann weiter in der Parallele: ›Diese kleine Scene,‹ fährt Sir Campbell in allem schuldlosen Ergötzen an sich selber fort – ›diese kleine Scene hinderte mich jedoch nicht gelegentlich bei Voltaire zu Mittag zu essen und in seiner Wildbahn zu jagen.‹ Ich glaub's ihm wohl, und in diesem seinem Thun und in seinem Bemerken desselben liegt die wahrhaftige Seele der geistigen Pöbelhaftigkeit, die über den Witz ihrer eigenen Erbärmlichkeit selbstbehaglich lacht!«

»Lassen wir dieses Spintisiren,« sagte der Teufel gähnend. »Ich habe eine Neuigkeit für Dich – Goethe ist gestorben.«

»Goethe todt?« rief ich. »So ist der große Geist dahingeschieden?«

»Ja wohl, und engländische Zeitungen und das junge Deutschland meinen, er sei doch bei alldem nur ein erbärmlicher Kerl gewesen.«

»Meinen sie's? O der selber Erbärmlichen! Welche wundersamen Schätze hat Goethe hinterlassen. Jedes seiner Werke klärt einen besonderen Gedankengang auf! Sein Werther – sein Wilhelm Meister – sein Faust – wie trefflich jeder – wie verschieden Einer von dem Andern!«

»Nichts destoweniger,« sagte Asmodeus, »ist der Wilhelm Meister doch ein auffallend dummer Roman –«

»Eines Teufels Urtheil!« rief ich. »Jedes der Werke des unsterblichen Goethe ist gleich einem ruhigen Strome, der Gold mit sich führt; der Strom fließt 79 vorüber, aber das Gold bleibt zurück und zeigt an, wo das Gewässer floß; denn nachdem man ein Werk Goethes gelesen hat, fühlt man sich durch dasselbe wahrhaft bereichert. Wilhelm Meister ist für die Wissenschaft des Denkens, was Gil Blas für die Wissenschaft der Weltkenntniß ist. Friede mit der Asche eines Mannes, der nicht seines Gleichen hatte, und der eben deswegen von der Unwissenheit, von der Halbwisserei und dem Dünkel angefeindet wird.«

Der Teufel konnte oder wollte mir hierauf nichts erwidern, und unser Gespräch hatte für diesmal ein Ende. Ich hatte meine Toilette beendigt, und wir gingen Arm in Arm, um den Hexen unsere Aufwartung zu machen.


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