Edward Bulwer-Lytton
Asmodeus aller Orten
Edward Bulwer-Lytton

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Drittes Kapitel.

Dahin – dahin – dahin ging's, immer weiter in den weiten stillen Lufthimmel hinein. Ueber uns tanzten lustig die Gestirne, und das gewaltige Herz der Hauptstadt Englands klopfte drunten unter dem braunen Gewande der Nacht.

»Laß uns hinabblicken,« sagte Asmodeus – »was für eine Wildniß von Häusern! Soll ich Dir die Dächer aufrollen, wie ich es dem Don Cleofas that? oder soll ich, was bequemer ist, Dir die Augen mit meiner Penetrationsalbe bestreichen, um Dich in den Stand zu setzen, durch das Gemäuer hindurchzulugen?«

»Das könntest Du wohl. Es muß anmuthig seyn, die Macht solchen Blickes zu besitzen, doch halte ich es in diesem Augenblicke für überflüssig, denn wohin ich sehe, gewahre ich Haufen von Spitzbuben und Narren, unter denen sich hie und da ein ehrlicher Mann und ein gescheidter Kerl befindet, der vermuthlich im Gefängnisse liegt, oder in Ketten einhergeht.«

Asmodeus bestrich meine Augen mit einer grünen Salbe, die er aus einem elfenbeinernen Büchschen hervornahm, und plötzlich blickte ich in einen Palast und sah – 23 doch ich darf nicht vergessen, daß diese meine kurzgefaßte Selbstbiographie in Urschrift oder Uebersetzung nach **** gelangt, und daß ich nicht wünschen kann mit der alldortigen Censurbehörde ein Hühnchen zu pflücken.

Wir saus'ten weiter und immer weiter, indem wir bald Dieses bald Jenes, bald den Kaiser von Rußland, bald eine länderdurchstreichende, berliner naive Schauspielerin, bald den jüngsten Roman Marryatt's beschwatzten. Letzterer Gegenstand war besonders passend, als unser Flug quer über die See ging. Bald auch wendete unser Gespräch sich dem Kriege, bald der Tiefe der Liebe oder auch der Meerestiefe unter uns zu, von der ein deutscher Dichter bekanntlich sang – ›Wie's drunten wimmelt von Molchen und Drachen‹ – und ich wunderte mich im Stillen, wie bei den Menschen die Liebestiefe und die Meerestiefe so viele Aehnlichkeit mit einander haben. Einmal auch lenkte ich die Rede auf die Sterne uns zu Häupten, und bemerkte, wie die Augen derselben so lichtvoll und herzstillend funkelten – doch wollte hier der Teufel nicht recht anbeißen.

Ueber der Stadt Boulogne hielten wir einen Augenblick an, um Pferde zu wechseln, denn der Leser muß wissen, daß Asmodeus und ich auf zwei Exemplaren von ***'s ›Politik Frankreich's‹ ritten, die bekanntlich niemals weiter als bis Boulogne kommen konnte.

Als der Teufel auf dies kleine Nest engländischer Unvollkommenheiten hinunterglupte, schien das Herz im Busen ihm zu schwellen. »O, Sentina Gentium!« rief er 24 mit lauter Stimme aus, »Du Abschaum allen Unflathes! Du Stinkbecken, in welches durch des Oceans Abzugsröhren England die ekelhaftesten seiner Grillen hineinquillen läßt! Wer kann auf Dich, Dich kleine wühlende, spielende, schwarzbeinige, schwankende, Duelle verarbeitende Welt sonder Staunen und Rührung hinabblicken? Du Botanybay der menschlichen Gesellschaft – Du lebendige Zeitung der Bankrotte so an Charakter, an Hoffnung und an Gesundheit, wie an Geld, – Wie anmuthig ist's, auf Deine buntscheckigen Manchfaltigkeiten zu schauen, und dabei die Ueberzeugung einzufangen, daß wir zwar weiter darin gehen, aber doch nimmer es ärger machen können. Paris ist die Circe der Welt – Boulogne ist der Welt Saustall!«

Ich lächelte über des Teufels Panegyrikus; als ich jedoch ebenfalls hinunterblickte, erschaute ich Dinge, die mir zur Genüge meines Führers Unparteilichkeit bewiesen. In der oberen Stadt sah ich, wie ein betrügerischer Händler von dem Ertrage seines Bankrotts einen glänzenden Ball gab, während in einem Hause nebenan zwei Capitäne auf Halbsold über einen Tisch weg Kugeln aus Pistolen mit einander wechselten. In einem elenden Dachstübchen am Ende des unteren Theils der Stadt erblickte ich eine Familie, die durch den Bankrottirer im Ballsaale zu Grunde gerichtet worden war; die Kinder schrieen nach Brod, und der Vater fluchte, daß seine Branntweinflasche leer war, während die Mutter sich den Tod wünschte. Fern am stillen Uferstege lag ein Schmugglerschiff, dessen 25 Ankerzahn sich in den Strand festgebissen hatte. Grimmig ausschauende Gesellen bündelten Kisten und Ballen und Fässer an Band – ächte Spitzen für eine Herzogin– eine Kiste Leichen für Anatomiker – Branntwein für einen filzigen Krämer – unkeusche Kupferstiche für dessen lüderlichen Sohn – »Jenes Schiff,« ließ sich der Teufel vernehmen, »ist ein Typus der Stadt.«

»Und der Welt!« fiel ich ihm ein – »Laß uns weiter traben.«

Wir hatten uns auf ein Paar Exemplare der Flugschrift: ›Plan, die Stadt Paris zu saintsimonisiren‹ gesetzt, die der Teufel aus der Seele eines französischen Marqueurs herausgezogen hatte, und befanden uns augenblicklich wieder in den höheren Wolken.

»Donnerwetter!« schrie Asmodeus höchst profan; »sausen wir so fort, so gerathen wir mir nichts dir nichts in den Mond. Fängt ein Franzos erst an zu speculiren, so ist kein Haltens mehr in ihm. Er verliert die Erde aus dem Gesicht, ehe Einer ›Hudder-Schwudder‹ sagen kann.«

»Sag' mir doch, liebster Don,« fragte ich den Teufel, »was hältst Du von all der Planmacherei, von der Frankreich überkocht? von dieser träumerischen Sucht nach Veränderung? von diesem Mißvergnügen? von dieser ewig schwankenden Tendenz nach Aufregung? wird aus dem Allen Heil für uns arme Sterbliche entspringen können?«

»Hm!« knurrte Asmodeus, »von der Zukunft weiß 26 ich nichts, denn ich bin kein Prophet, wohl aber bin ich ein Teufel mit gesundem Verstande, und so denk' ich, für Frankreich ist dergleichen nicht so gefährlich, als für England. Wahrt Ihr Euch nicht vor solchen Dingen, so werdet Ihr bald von der Höhe einer Welthandel treibenden Nation zu der nichts sagenden Plattheit der Dütenkrämer hinabsinken. Ein handeltreibend Volk wie Ihr, das nur im höchsten Grade künstlich ist und blos durch Credit Bestand hat, kann nicht lange Zeit Aufregungen ertragen, wodurch der Handel zunicht, das Geld rar, Verlangen nach Umwälzung unbändig, und endlich eine ungeheure Umwälzung so nothwendig gemacht wird, daß eine mäßige Umgestaltung nichts als ein Fingerhut voll Wasser in eine Höllenglut gespritzt seyn würde. Der Boden Eurer Größe mit dem von Frankreichs Größe verglichen, ist gleich dem Boden Eures Landes und dem französischen Boden. Ein Krieg verheert Frankreich, verwüstet des Landes Saaten, zerstört dessen Weingärten; jedoch nach zweien Jahren ist Alles wieder ergiebig wie zuvor – Dank sey's der Natur! Allein Euer leichtes, dünnes, sandiges Stratum – ein einziges ungeheures Treibhaus künstlichen Erzwingens – schritt ein Kriegsheer über dasselbe hin, so würden ein Dutzend Jahre erfordert, um den alten Zustand wieder herzustellen – Dank sey's der Kunst. Eben so ist's mit Eurer moralischen Beschaffenheit; sie ist eben so künstlich, wie Euer Boden es ist. Wovon Frankreich heut bewegt wird, kann dem Lande morgen nicht mehr schaden. Wird aber England heute von Etwas 27 bewegt, und schafft man solch Etwas nicht hurtig fort, so wirkt das Elend noch ein Jahrhundert lang nach.«

»Allerliebster Teufel, man verläumdet Dich und Deine Genossen, wenn man sagt, daß Ihr nicht Wahrheit reden könnt,« bemerkte ich.

»So ist's,« antwortete Asmodeus. »Wir sprechen Wahrheit, eben weil das der sicherste Weg ist die Menschheit in den Irrthum hineinzuhetzen. Wahrheit ist die ächte Cassandra, über der das Schicksal waltet, niemals eher Glauben zu finden, als bis es zu spät dazu ist.«

Dahin – dahin – dahin – während der spleen'sche engländische Lord in seiner Kalesche mit Vieren hinter uns her kriecht, und das Schnauben der keuchenden Postgäule über unserem Kielwasser erstirbt. – Dahin durch die lieblichen leichten Lüfte, die über den Thälern von Frankreich tanzen und gleich glorreichem Weine in's Hirn steigen. Hinweg über lampenerhellte Städte, in denen die Ehemänner bereits schlafen, und der Weiber Liebhaber, wie immer, auf der Lauer stehen – hinweg unter dem Schimmer der silbernen Luna, die eben hinter Wolkenschleiern hervortrat, um als des Lufthimmels schöne Stoikerin auf Freud' und Leid, auf Unschuld und Missethat schweigend und vorüberwallend hinabzublicken.

Wir sind in Paris!

»Eine Veränderung,« sagte Asmodeus, als wir auf der Kuppel des Hotels der Invaliden hockten – »eine Veränderung ist über Paris kommen, seitdem Du nicht hier warest. Schau' hin und sieh, wie ernsthaft es hier in den 28salons‹ hergeht. Die Gefilde der vornehmen Welt haben ihre Feuerfliegen einbüßen müssen.«

Ich blickte in die mir wohl erinnerlichen Häuser – Asmodeus hatte Recht! Die Leute darin spielten und schwatzten und liebelten wie zuvor, doch thaten sie's nicht mehr mit der früheren Heiterkeit; der finstere Geist der Umwandlung regte sich mächtig unter der glatten Oberfläche der feinen Manieren; die Gesellschaftcirkel waren gemischter und bunter als ehedem; Männer ohne das »De« vor ihren Namen mengten sich wie auf Du und Du unter Solche, die sich rühmten aus königlichem Geblüte zu stammen, und an die Stelle des »ton d'intrigue« schien ein »ton d'insolence« getreten zu seyn.

Der Teufel zündete sein Cigarro an und sagte. »Treffliche Unterthanen, die da, für einen König, der mir nichts Dir nichts in einem Omnibus sein Land durchkutschirt!«

Von diesem Anblicke wendete ich mit hohem Interesse mich einem anderen zu, der einen schreienden Gegensatz zu jenem abgab. Allein, abgesondert, in einem stillen Zimmer, saß ein Mann, den das hohe Alter bereits angehaucht hatte. Sein Gesicht war hübsch, aber voll von Runzeln, von denen jede Linie jedoch Zeugniß von Genie ablegte. Er hatte den Kopf auf seine Hand gestützt; den Tisch, an welchem er saß, bedeckten Bücher und Papiere, worunter ich besonders eine Flugschrift auffaßte, die den Titel führte: »De la Nouvelle Proposition relative au Bannissement de Charles X. et de sa Famille.« 29 »Wundersame Gewalt der Schreibfeder und der Dinte!« sagte Asmodeus. »Große Beherrscherinnen der Menschenherzen! Man schwatze immerhin von der Machthaberei eines Despoten – der Gänsekiel ist doch das wahrhaftige Scepter! Du siehst dort einen Mann, der blos durch die Zaubergewalt seiner Schreibfeder sich selbst zu einem vierten Volksstande gemacht hat. Obschon er in seinen Jugendjahren ein Visionär war und im Alter ein Marktschreier ist, bleibt er dennoch das merkwürdigste Wesen, dessen Frankreich sich heut zu Tage rühmen kann. Allein was wißt Ihr in Euch selbst vergafften Engländer von einem Chateaubriand? von dessen gegenwärtigen Einflusse in Frankreich? Höchstens wißt Ihr, daß er ein Pamphlet schrieb, welches jedoch nimmer in's Englische übersetzt ward, und das im Originale von kaum sechs Londonern gelesen worden ist. Dennoch ward durch dieses Pamphlet der Autor wie im Fluge auf den Thron der öffentlichen Meinung gesetzt; so daß seine Schrift größeres Aufsehen in Frankreich erregte, als jemals das schönste Gedicht Eures Byron Aufsehen in England hat erregen können; denn Du sollst wissen, daß, wenn man Talleyrand den Voltaire der Politik nannte, man Chateaubriand den Rousseau derselben wird nennen müssen. Viel schwatzt Ihr Engländer von Frankreich, nehmt das Maul voll von Frankreichs Nationalgröße und von Frankreichs Nationalschuld, und doch weiß man von Euch, daß Ihr um ausländische Literatur und ausländische Politik Euch um keines Dreiers Werth bekümmert. Wohl würdet Ihr thun, wenn Ihr 30 aufhorchtet, was die übrige Welt von Euch sagt, wenn Ihr erwäget, welche großartige, welche richtige Ansicht aus der Ferne, aus wohl abgemessener Ferne, besonders die Franzosen von Euch und Eurer dermaligen Lage hegen. Aber England gleicht einem Menschen, der nur von sich selbst und mit sich selbst sprechen kann. England ist ein großer Nationalsoliloquist. der sich in einen Monolog hüllt!«

Nach diesen Worten warf Asmodeus seinen Cigarrostummel weg, und wir saßen ab vor der Thür des »Rocher«. – »Kleines, heiteres Zimmer, seh' ich Dich wieder und in Dir die braune, große, fette Katze auf der Lehne des Armstuhls? – Schürt's Feuer und schafft den Chambertin und das ›sauté‹ herbei. Où est l'affiche de théâtre! Où est le Figaro? – O Asmodeus!« rief ich in meiner Verzückung: »Hier in Paris find' ich die Freuden meiner jüngeren Jahre wieder! Kannst Du mir auch die Gesundheit und das Gemüth, dieser Freuden theilhaftig zu werden, wiederverschaffen?«


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