Edward Bulwer-Lytton
Asmodeus aller Orten
Edward Bulwer-Lytton

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Zweites Kapitel.

»Ein Fremder, Sir, ist im Vorzimmer,« sagte mein Diener, als er mir die Hausthür öffnete.

»Wahrhaftig? Gewiß ein kleiner, lahmer Herr –«

»Nein, Sir; mittler Größe – sieht aus wie 'n Advokat oder so dergleichen.«

Ich trat in das Zimmer, und sah anstatt des Zwergs, welchen Le Sage beschrieb, einen hübschen Mann mit hoher Stirn, markirten Gesichtszügen und einer Brille auf der Nase. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und den darauf liegenden Roman, betitelt: »Des Wucherers Tochter« zur Hand genommen.

»Dieser kann unmöglich der Teufel seyn!« sagte ich zu mir selbst, verbeugte mich und fragte, was dem Herrn zu Diensten –

»Still!« unterbrach er mich. »Wie verließest Du den Doctor?«

»So bist Du's?« versetzt' ich, »Du bist verwettert aufgeschossen, seitdem Du Don Cleofas verließest.«

»Durch Kriege kommt unser Einer in die Höhe,« antwortete der Teufel. »Ueberdies steht Gestalt in meiner Wahl, und in England hängt man mehr denn 16 irgendwo am Scheine. Man ist hier gezwungen, respectabel auszusehen, denn mit einem schabbigen Aeußeren würde der Teufel selbst Deinen Landsleuten kein X für ein U machen können. Sonder Zweifel wirst Du bemerkt haben, daß alle Schwindler, von denen Eure Journale wimmeln, nach der neuesten Mode gekleidet sind, und sich eines sanften und einnehmenden Wesens erfreuen. Einem solchen Gentleman kann selbst die Cholera nichts anhaben, und ein Leichnam, der in einem anständigen Anzug steckt, wird nimmermehr geburkt. Reichthum, und oft der bloße Schein desselben, ist in allen Ländern der möglich höchste Grad von Moralität; in England aber treibt Ihr diese Doctrin so weit, daß Ihr dem Armen kaum gestattet überhaupt zu existiren. Spaziert dieser über Feld, so wird er als Landstreicher eingefangen, und fehlt's ihm an einem Pfennig sich in einen Keller in der Stadt einzumiethen, so schnappt ein Burker ihn auf, und er wird in einem Sack an die Anatomiker geliefert. Man muß gestehen, in keinem Lande wird so sehr als in England vor Verschwendung gewarnt. Ihr seyd gegen Geldverschleudern ein einziges großes Ermahnungprincip.«

Hierauf hatten Asmodeus und ich ein langes Gespräch mit einander, welches damit endete, daß wir mitsammen zu Mittag aßen und frohen Muthes alsdann das Schauspielhaus besuchten; denn ich fand, daß er ein socialer Bursch war, der durchaus keinen Spaß verdarb.

»Wahrhaftig,« sagte der Teufel, indem er eine 17 Prise Taback nahm, – »wahrhaftig, Euer Drama ist wundervoll schön; es ist einer civilisirten Nation würdig. Ehedem begnügtet Ihr Euch damit, Eure Schauspieler von dem Menschengeschlechte her zu entlehnen; jedoch welche Veredlung ist's, das Vieh zu solchen Dingen zu verwenden! Wie großartig ist's, Dramen vorzuführen, in denen der Löwe mit gebrochenem Rückgrat erscheint, und ein lendenlahmer Esel die Hauptrolle spielt!«

Ich bat den Teufel, sich Betreffs des Theaters aller bildlichen Anspielungen zu enthalten, indem ich überzeugt wäre, daß unseren Schauspielern nichts über die Kunst ginge, ohne daß sie dabei der Natur im mindesten untreu würden.

»Von etwas Anderem denn,« fuhr Asmodeus fort. »Wie kommt es, daß die Engländer bei ihren Sünden so aufrichtig sind? Der Himmel weiß, daß es unter allen Nationen des Unmoralischen genug gibt, daß Ihr aber dabei zum Entzücken schaamlos seyd. Wird bei Euch ein Verbrechen begangen, könnt' Ihr's nicht still verbluten lassen; flugs muß die ganze Relation davon in Eure Tageblätter, Ihr klebt's in Placatform an Eure Mauern, Ihr macht ein grausiges Theaterstück daraus, in welchem der Missethäter als wahrer Held erscheint; Ihr schwatzt darüber wie über einen angenehmen Gesprächsgegenstand und schrei't dann, daß die Gottlosigkeit so arg auf den Beinen ist. Kann aus Oeffentlichkeit denn etwas Anderes als Oeffentlichkeit kommen? Wahrhaftig! dies ist eine von den liebenswürdigen Widersprüchen in der 18 menschlichen Natur, an denen ich mich weide und erquicke. In Euren Schauspielhäusern nehmen die Töchter der Freude die hervorragendsten Plätze ein – Eure Tageblätter wimmeln von scandalosen Geschichtchen – ein begangener Diebstahl ist Euch ein wahrer Festschmaus, und ein in der Stadt verübter pfiffiger Betrug macht Euch für eine ganze Woche lang glücklich. Bei dem Allen aber ruft Ihr aus: ›Wir sind die Leute, die das Laster in's Loch stecken, und die der Welt lehren, wie man die Immoralität verachten muß.‹ – Liegt denn Verachtung in der Oeffentlichkeit? Ja, Ihr geht noch weiter. Hat Einer einen Mord begangen, so sind Eure von Gelehrsamkeit wimmelnden Tageblätter freundlich genug, den Genossen des Mörders eine ungleich sicherere Methode des Mordens hervorzuheben. Ein Elender burkt einen armen Jungen, indem er ihm den Kopf unter Wasser hält. ›Wie dumm und grausam!‹ ruft der gelehrte und humane Herausgeber der ›Schildwache,‹ oder des ›Zuschauers,‹ oder des ›Beobachters,‹ oder wie sonst die Tageblätter heißen– ›wie dumm und grausam. Ein in Blausäure getunkter Schwamm, an den Mund des Jungen gedrückt, würde – u. s. w.‹«

Hier wurden wir durch ein leises Geräusch in der Nebenloge gestört. Es trat in dieselbe ein langer Mann mit hübschem Gesichte, und von höchst einnehmendem Wesen.

»Das ist ein Schriftsteller von bedeutenden Rufe,« erzählte mir Asmodeus, »ein stiller, aber geistvoller Mann, der, obschon er ein Mann von Welt ist, dennoch ein Herz 19 im Leibe hat. Da wir doch vom Drama sprachen – er schrieb eine Posse, die das Glück oder Unglück hatte ausgepfiffen zu werden. Da man große Erwartungen davon gehegt hatte, auch des Autors Name kundworden war, stand der beklagenswerthe Verfasser am folgenden Morgen nicht blos mit einem Zischen vor den Ohren, sondern auch in jener misanthropischen Stimmung auf, in welche gern diejenigen Männer zu verfallen pflegen, deren Verdienste nicht anzuerkennen die Welt abgeschmackt genug gewesen ist. – ›Dank dem Himmel bei alldem,‹ sagte der Autor zu sich selbst, ›daß das Ding total gepfiffen ward – so kann's nicht wieder aufgeführt, kann also nicht noch Einmal gepfiffen werden. Nach wenigen Tagen hat man's vergessen, und ich thue am besten, mittlerweile einen zerstreuenden Spaziergang durch den Park zu machen.‹ Kaum aber biegt unser Mann um eine Straßenecke, als – siehe! ihm der Theaterzettel entgegen stiert – ›heute zum Zweitenmale **** Posse in drei Akten von ****.‹ Der Autor rennt sporenstreichs zum Bühnen-Impressar.

›Um Gott, Herr Direktor, Sie wollen heute zum zweitenmale meine Posse geben lassen? Ward sie denn nicht gestern Abend ausgepfiffen?‹

›Total ausgepfiffen!‹ sagte der Impressar trocken. ›Wir geben sie demnach heute wieder – geben sie wieder,‹ wiederholte er mit pfiffigen Zuckungen seines linken Auges, ›damit das Publikum, rasend über unsere Frechheit, hereinströmt und das Ding nochmals auspfeift.‹ So gesagt, so gethan,« fuhr der Teufel fort – »da siehst Du's, wie 20 Geldsucht die wahrhaftige Niederträchtigkeit im Menschen ist. Ein Aphorism, das Du beiläufig in Deinen Gedächtnißkasten schicken magst. Doch wenden wir uns, so materiell ich es kann, zur Bühne zurück. Was für eine galante Nation Ihr Engländer doch seyd! Ihr drängt Euch um Parkett- und Logenplätze, um eine hübsche Schauspielerin zu sehen, deren Spiel die Unnatur selbst ist.Der geneigte Leser wolle ja nicht von vorn herein wähnen, als theile der Uebersetzer hier Thatsachen und Reflexionen mit, die nur auf die engländische Volksbühne Bezug hätten. Ich bin fest überzeugt, daß zu dem Allen, was im Texte hier oben und im ferneren Verlaufe desselben gesagt wird, die vollständigsten Belege auch in Deutschland ohne alle Mühe aufzufinden sind. Namen zu nennen, ist allweg nicht nöthig, wo vom Allgemeinen Rede ist, obgleich ich versichern kann, daß sich unwillkürlich mir Namen als Belege in die Feder drängen möchten. Oder hätten die deutschen Volksbühnen keine tragische und naive Schauspielerinnen, deren ganzes Erscheinen durch und durch Unnatur ist? Oheu!

Der Uebersetzer.

Wie keusch und fromm trat z. B. gestern die Novize im ›Mädchen von Orleans‹ auf! Wie schüchtern und bescheiden schien sie! ›Ha!‹ rief die Zuschauerschaft, ›welch frommes, schüchternes Wesen, die Kleine! wir müssen sie aufmuntern!‹ und man klatschte und schrie: ›Bravabravissima!‹ ehe sie noch den Mund aufgethan hatte, und willst Du glauben, Freund, daß der Regisseur in seinem Leben nichts Mühevolleres zu thun gehabt hatte, als der Novize diese Schüchternheit und Bescheidenheit einzulernen? Wäre es nach ihrem Willen gegangen, so würde sie mit Dragonerschritten auf der Bühne umhergeraset seyn, denn sie 21 hatte ja eine Heldin darzustellen! Fünfzehn Probestunden waren erforderlich, um die Creatur dahin zu bringen, sich vor sich selber zu schämen; dennoch fand geliebtes Publikum, daß die Schöne ›auf dem sichersten Wege zur Kunst‹ war, und daß jede Bühne ›sich glücklich schätzen könnte, eine solche Künstlerin für sich zu gewinnen.‹ Doch in diesen Dingen,« setzte mein satyrischer Teufel hinzu, »äfft die Bühne nur der großen Welt sowohl hinter als vor den Coulissen nach. So erinnere ich mich,« fuhr Asmodeus nach einer kleinen Pause fort, »wie eine berühmte Schauspielerin als Griechenheldin, gleichviel als welche, auf höchst majestätische Weise beim Abgehen die Arme vor sich hinstreckte. ›Welche Plastik! welche Würde! welche Hoheit!‹ schrie das Auditorium, und applaudirte, als hätte es nicht Fäuste genug dazu gehabt. Wirklich war der Arm der Dame ungeduldig vorgestreckt; allein wonach langte er? Antwort: Nach einer Prise aus der Schnupftabacksdose, die beständig hinter der Scene für die große Mimikerin bereit gehalten werden mußte!«

Der Leser muß wissen, daß ich an dem Mißgeschick kränkele, nur allzu leicht gelangweilt zu werden. Ich kann unmöglich eine Predigt, weniger aber noch eine Komödie bis zu Ende anhören. Belustigung ist das langweiligste Treiben der Menschen!

»Dich langweilt der Kram hier gewiß,« sagte ich zum Teufel. »Lass' uns fortgehn!«

»Wohin?« fragte Asmodeus.

»Ei nun,« versetzte ich, »es ist sternhell; laß uns hinüber nach Paris schwärmen, und wie Du mir's versprachst, im ›Rocher de Cancale‹ zu Abend essen.«

»Volontiers!« sagte Freund Asmodeus.


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