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10. Tod des Grafen.

Im Jahre 1845 erreichte endlich das wunderbare Leben des Einsiedlers sein Ende. Seit mehreren Jahren war der Gras leidend. Er hatte sogleich nach dem Tode der Gräfin die Köchin (weil sie einst ihren Sohn, um diesen zu sprechen, ins Schloß hatte einsteigen lassen) aus ihrer zweiunddreißigjährigen Gefangenschaft entlassen und statt ihrer den einen Sohn der »Schmidt« nebst dessen Frau und zwei Kindern ins Schloß genommen. Er bedurfte der Pflege. Er klagte über die schwere Hand des Alters, namentlich über Gichtleiden; doch blieb sein Geist in ungeschwächter Frische; sein Humor zeigte sich noch immer, aber in noch milderer Auffassung, als vordem. Der früher erwähnte Arzt war nicht wieder zu ihm gerufen worden. Er schien den Grafen verletzt zu haben, – vielleicht dadurch, daß er ein bedeutendes Geldgeschenk ablehnte. Medizinalrat K. war öfters ins Schloß gerufen worden. Das Leiden des Grafen verschlimmerte sich aber. Die Frau seines Dieners pflegte ihn mit Sorgfalt. Wohl mochte er an seinen Tod denken, aber, wie nahe er sei, nicht berechnen können.

Schon bei einer frühern Krankheit, im Winter 1829 bis 1830, hatte er die Absicht gehabt, ein Testament zu machen. Aber da das Gericht eine persönliche Übergabe desselben forderte, so unterblieb die Ausführung des Vorsatzes. Nach dem Tode der Dame äußerte er wieder dieselbe Absicht, doch abermals ohne sie auszuführen. »Über mein Vermögen,« schrieb er damals, »sind längst alle Bestimmungen fest getroffen; ich habe nur noch über das Wenige zu verfügen, was ich hierherum besitze. Ich habe Verwandte, die sehr reich sind, mich herzlich lieben und an diese Kleinigkeiten keine Ansprüche machen.« Schon weit früher hatte er einmal dem Geistlichen mitgeteilt, daß in einem Prozeß mit seinen Verwandten ihm eine bedeutende Erbschaft zugesprochen worden sei, daß er aber, da jene Verwandten ihn zu Gevattern baten, die gewonnene Erbschaft dem Paten geschenkt habe.

Die Tage vor seinem Tode brachte er in großer Unruhe zu. Möglich ist es, daß der Wunsch zu testieren ihn beunruhigte; doch würde er eine solche Absicht wohl seinen Dienern, zu deren Vorteil er doch testiert hätte, mitgeteilt haben. Weit wahrscheinlicher ist es, daß er im Angesicht des Todes sich gedrängt fühlte, wichtige Enthüllungen über das Geheimnis seines Lebens und das seiner Lebensgefährtin zu geben, und daß er in der peinlichen Ungewißheit schwankte, ob der Moment, für den er diese Enthüllungen aufsparen wollte, nämlich sein Tod, wirklich schon in nächster Nähe sei. »Daß ich doch zu keinem Entschlusse kommen kann!« hörte ihn seine Pflegerin einmal sagen. – Er ließ den einen der Schmidt'schen Sohne von Hildburghausen kommen, um ihm Aufträge an das Gericht zu geben, und schickte ihn wieder fort, weil er zu keinem Entschlusse kommen konnte.

Am Tage vor seinem Tode soll er noch viel und lebhaft, aber unverständlich, wahrscheinlich in fremder Sprache gesprochen haben. Wenige Stunden vor seinem Tode, so behauptet die Krankenwärterin, erhielt er sein volles Bewußtsein wieder. »Wenn ich sterbe,« soll er da zu seiner Dienerin gesagt haben, »wird man einen öffentlichen Aufruf erlassen; hierauf wird eine Dame kommen – denn der einzige männliche Verwandte, den ich habe, ist kürzlich verunglückt – dann werdet Ihr sehen, daß gut für Euch gesorgt ist.«

So schloß der Unbekannte sein großartiges Einsiedlerleben, ein Leben von staunenswerter Konsequenz. – Keine befreundete Hand drückte ihm die Augen zu; kein Verwandter gab ihm das Grabgeleite. Aber in aufrichtiger Trauer geleitete die Gemeinde, in der er fast vierzig Jahre gelebt, den Toten zum Grabe, den nur sehr wenige von ihnen im Leben erblickt hatten. Die Waisenkinder waren mit ihrem Lehrer von Hildburghausen herausgezogen und reihten sich nun um das Grab ihres Wohlthäters. Neben dem Denksteine, den die edle Königin Therese von Bayern ihrem Lehrer, dem verstorbenen Geistlichen des Orts, errichtet hat, war dem Grafen sein Grab bereitet. Weshalb der Wunsch des Verstorbenen, im Berggarten zu Hildburghausen neben seiner Lebensgefährtin begraben zu werden, nicht erfüllt worden ist, weiß ich nicht zu sagen. »Er ruht nun neben seinem Freunde,« sagte der Pfarrer in seiner Grabrede.

Ich gebe auch diese Umstände, um anzudeuten, daß die öffentliche Meinung einstimmig darin war, es sei ein ehrenhafter Mann den man dort begrub, und der dichte Schleier des Geheimnisses, der sein Leben verhüllt, berge ein großes Unglück oder ein Vergehen der Jugend, das nunmehr reich gesühnt sei, sicher aber nicht ein Verbrechen, vor dem die Moral zurückbeben müsse. Die Teilnahme für den Toten war allgemein.


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