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7. Die Gräfin.

Wenn der geneigte Leser, den ich für meine Darstellung zu interessieren vermochte, schon in dieser vieles höchst Wunderliche, Merkwürdige und Rätselhafte gefunden hat, so muß ich nun bemerken, daß ich mit dem Allen nichts gezeichnet habe, als die äußere, wahrscheinlich unwesentliche Umgebung des eigentlichen Geheimnisses, das im Schlosse zu Eishausen gelebt hat. Im Mittelpunkte dieses Geheimnisses steht die Gräfin. Es ist Zeit, daß ich über dieses geheimnisvolle, bis heute namenlose Weib die spärliche Auskunft gebe, welche sich hat erlangen lassen.

Die wenigen Personen, welche die Gräfin bei ihrer Ankunft in Hildburghausen und Eishausen, aber nur hinter dem Schleier gesehen haben, behaupten, daß sie damals fünfzehn, höchstens achtzehn Jahre alt gewesen sei. Einige Bauern erzählten mir mit Bewunderung von ihrer schlanken Figur, von ihrem zierlichen Gang, ihren lebendigen Bewegungen; sie behaupteten, wenn sie mit den Grafen – wie es in der allerersten Zeit ihres Aufenthalts einige Male geschah – auf der Wiese beim Schlosse spazieren gegangen sei, so habe man an allem gesehen, daß sie die Vornehme sei: der »gnädige Herr« habe ordentlich wie ihr Untergebener ausgesehen. – Es ist aus mehreren Gründen der bedeutungsvolle Schluß zu ziehen, dass der Takt des Volkes auch hier die Wahrheit fand. Gewiß ist wenigstens, daß diese Dame das eigentliche Geheimnis und somit das ganze Motiv des Einsiedlerlebens im Schlosse zu Eishausen gewesen ist. So wenige Personen hatten übrigens die Gräfin gesehen und so wenig ausreichend schien deren Beobachtung, daß noch sechs bis zehn Jahre nach dem ersten Auftreten der Unbekannten in Eishausen bei einem Teile des Publikums die Meinung feststand, das Gesicht der Dame sei durch einen Schweinerüssel entstellt. Es wurde erzählt und vielfach geglaubt, ein Friseur in Koburg, der vor der Ankunft der Unbekannten in Hildburghausen die verschleierte Gräfin einmal frisierte, habe sich, als der Schleier sich verschob, an dem Anblick dieses Rüssels entsetzt und könne dessen Dasein beschwören.

Das schöne Gesicht, das andere gesehen haben wollten, wurde daraus erklärt, daß die Dame eine Larve trage. Ich selbst habe die Gräfin, obschon ich fünfzehn Jahre lang, teils ganz, teils in allen Ferien auf dem Dorfe lebte, überhaupt nur zweimal und nur einmal einigermaßen deutlich gesehen; dies Letztere geschah aus einiger Entfernung mittelst eines Glases. Es mag im Jahre 1818 gewesen sein. Die Gräfin stand am offnen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze, die unter dem Fenster war. Sie erschien mir wunderschön; sie war brünett; ihre Züge waren ausnehmend fein; eine leise Schwermut schien nur eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem Augenblicke, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit im Fenster, den seinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem Tiere unten beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am Taschentuche abwischte.

Sogleich in der ersten Zeit ihres Aufenthalts in Eishausen hatte die Pfarrerin in ganz unbefangener Weise dem Dienstmädchen, das Bestellungen aus dem Schlosse brachte, den schönsten Strauß, den der pfarrherrliche Garten hergab, mit unterthäniger Empfehlung an die »Frau Gräfin« zu bestellen gegeben. Das Dienstmädchen versicherte, der gnädige Herr müsse sich sehr gefreut haben, denn er sei, als sie ihm den Strauß gegeben, »wie närrisch in der Stube herumgesprungen.« Bald darauf aber mußte die Pfarrerin erfahren, daß das närrische Umherspringen des Grafen der Ausdruck des höchsten Zorns über das wohlgemeinte Geschenk gewesen war. Natürlich unterblieb das Blumensenden, – und die Existenz einer Dame des Schlosses wurde von nun an im Pfarrhause ignoriert.

Niemals hat der Graf gegen die, mit denen er verkehrte, auch nur irgend ein Wort fallen lassen, daß eine Dame bei ihm im Schlosse wohne. Vierzehn Jahre lang hat er mit dem Geistlichen des Orts in fast täglicher Korrespondenz gestanden. Beide Männer wurden so vertraut, als es nur immer unter gleichen Verhältnissen geschehen kann; aber gegen seinen Korrespondenten hat der Graf niemals auch nur mit einem Worte der Dame erwähnt, die bei ihm lebte. Nur in sehr einzelnen Fällen schien ein unbestimmtes »man« die Anwesenheit einer zweiten Person im Schlosse anzudeuten. So schrieb der Graf bei einer oben erwähnten Gelegenheit: »man hat, wegen der Unruhe in der Nähe des Schlosses, die Nacht schlaflos zugebracht und fühlt sich sehr angegriffen.«

Der Agent des Grafen, ein bejahrter Ratsherr, dem der Graf einiges Vertrauen schenkte und den er im Anfang seines Aufenthalts in Eishausen mitunter von Hildburghausen zu sich kommen ließ, wagte bei einem solchen Besuche im Schlosse die Äußerung: »man sei in Hildburghausen sehr neugierig, wer die Dame sei.« – »Ich halte es für gut,« erwiderte der Graf, »wenn Sie in Wahrheit sagen können, daß Sie es nicht wissen.« Damit klingelte er und befahl, den Wagen des Mannes vorzufahren. Diese Anekdote schrieb der Graf selbst nach der Gräfin Tod der Witwe des Pfarrers und setzte hinzu: »es that mir leid, dem alten Manne so begegnen zu müssen.«

Es ist früher schon bemerkt worden, daß der hoch umfriedete und dicht umwachsene Grasgarten, dreißig bis vierzig Schritte vom Schlosse entfernt, der einzige Rest der Erde war, den die Unbekannten außerhalb des Schlosses betraten. Der Besuch dieses Gartens geschah sehr regelmäßig.

An jedem Morgen, in der schönen Jahreszeit, doch nie früher als die Bötin aus der Stadt ins Schloß gekommen war, begab sich der Graf in den Garten; hier ging er eine Stunde lang auf und ab, und kehrte dann ins Schloß zurück. Darauf trat die Bötin aus der Thüre des Schlosses und harrte, dieser den Rücken zugekehrt. Die Thüre wurde von innen aufgeschlossen, die Gräfin, tief verschleiert, trat heraus und die Bötin, ohne sich nach ihr umsehen zu dürfen, schritt ihr voraus, über den Steg hinüber an die Gartenthüre, schloß diese auf und stellte sich hinter die Thüre, die sie aufzog. Sobald sie merkte, daß die Gräfin hinter ihr in den Garten geschlüpft war, zog sie die Thüre wieder zu, verschloß sie und hielt Wache davor. Der Graf beobachtete vom Fenster aus die im Garten auf- und abgehende Dame. Wenn diese ins Schloß zurückkehren wollte, warf sie ihr Schnupftuch in die Höhe, und nun erhielt die Bötin vom Schlosse aus einen Wink, die Dame zurückzuführen. Dies geschah auf dieselbe Weise, wie das Begleiten nach dem Garten hin. Dreißig Jahre lang hat so die Frau Schmidt die Gräfin vom Schlosse zum Garten und von diesem zum Schlosse geführt, und niemals hat sie gesehen, wen sie geführt hat. Und diese Frau Schmidt war diejenige Person, welcher unter allen Menschen seiner Umgebung der Graf am meisten zu vertrauen schien. Man sagt zwar, die Schmidt sei im Innern des Schlosses in die unmittelbare Nähe der Gräfin gekommen und habe sie selbst gesprochen. Doch muß ich das in Abrede stellen; Frau Schmidt selbst hat, so lange sie lebte, nie zugegeben, daß sie die Gräfin je gesehen habe.

Die früher erwähnte Köchin hat sechsundzwanzig Jahre in dem Schlosse gewohnt. In diesem ganzen Zeitraum, während eines Vierteljahrhunderts also, hat die Köchin (wie sie selbst versichert hat) die Gräfin nur zweimal gesehen. Das erste Mal hörte sie zur ungewöhnlichen Zeit die Klingel des Grafen und eilte in dessen Zimmer. Sie fand ihn im Bette liegend und bedeutend erkrankt; zu ihrem unaussprechlichen Erstaunen war die Gräfin gegenwärtig. »Köchin,« sagte der Graf, »wenn ich sterbe, so nehmen Sie sich dieser Dame an.« Damit winkte er ihr zum Abtreten. – Das zweite Mal, es war im Winter 1829 auf 30, wurde sie wieder gerufen und fand wieder in dem Zimmer des Grafen auch die Gräfin. »Der Herr« sagte diese, »ist plötzlich erkrankt; helfen Sie nur, ihm einen Trunk bereiten.« Die Dame schien aufgelöst in Thränen. Das Leben des Grafen scheint damals in großer Gefahr geschwebt zu haben. Die ersten Zeilen, die er nach seiner Wiederherstellung (mit Bleistift und noch mit zitternder Hand) an seine Korrespondentin schrieb, sagten: »Die Pflege, die ich habe, ist über alles Lob erhaben; die Teilnahme, die ich hier und in Hildburghausen fand, überraschte mich; es fiel mir wie Schuppen von den Augen.«

Außer jener Köchin hat, soviel ich habe erfahren können, die Gräfin bis zu ihrem Tode auch nicht ein menschliches Wesen gesprochen – also vom Jahre 1807 bis 1837 traf ihre Stimme keines Menschen Ohr, als das des Grafen.

Doch noch eine Ausnahme: ein Bauer hat einmal gehört, wie die Dame Katzen (diese liebte sie besonders) vom Fenster des Schlosses aus »Puß! Puß!« lockte. Dies ist, soviel ich weiß, im Hannöverschen, Westphälischen, Englischen und Holländischen der Lockruf für die Katze.

Ich werde später noch einige Notizen über die Dame beibringen können, fürchte aber sehr, daß alle zusammengenommen nicht hinreichend erscheinen, um im ganzen Bereiche der Möglichkeit eine einigermaßen genügende Erklärung des wunderbaren Geheimnisses, in das diese Dame gehüllt war, aufzufinden. Schon hier indes drängt sich die Vermutung auf, daß die Dame eine Gefangene gewesen sei. Aber welche Ursache ist denkbar, durch welche die Notwendigkeit einer solchen Gefangenschaft erklärt würde? Wo finden sich Spuren in dem Charakter des Grafen, die es zuließen, ihm die Eigenschaften eines Gefangenwärters beizulegen? Und hätte die Dame, wenn ihr das schreckliche Schicksal einer lebenslänglichen schuldlosen Gefangenschaft zugedacht war, in den dreißig Jahren ihrer Gefangenschaft nicht einmal die Möglichkeit der Befreiung gefunden? Auf ihren Gängen vom Schlosse zum Garten, obgleich dieser nur dreißig bis vierzig Schritte vom Schlosse entfernt war, wäre es ihr doch wohl einmal möglich gewesen, der Führerin, in deren Rücken sie ging, zu entfliehen und bei dem ersten besten Bauer, oder bei dem Pfarrer Rettung zu suchen. Vom Fenster aus, an dem man sie doch hin und wieder einmal gesehen hat, hätte sie um Hilfe rufen können, und noch leichter wäre ihr wohl bei ihrem frühern Aufenthalte in Hildburghausen eine Hilfe zur Hand gewesen. Wäre aber ihre Gefangenschaft freiwillig gewesen, hätte sie selbst für ihre Person eine Entdeckung zu fürchten gehabt, so hätte sie doch nichts, auch gar nichts gewagt, wenn sie mit Leuten des Dorfes, die ja doch mitunter sie erblickten, auch gesprochen hätte.

In welchen Beziehungen sie zum Grafen gestanden, ob sie ihm durch Verwandtschaft, Freundschaft oder Liebe verbunden war, – Niemand wußte es. Aber die Dame galt bis zu ihrem Tode für die Gemahlin des Grafen. Die Leute nannten sie nicht anders als die Gräfin, oder die gnädige Frau.

Ich will indes hier noch eine seltsame Bemerkung geben. Ein alter Chausseewärter, ein nüchterner, zuverlässiger Mann, der in jener früheren Zeit, wo der Graf noch eigene Pferde hatte, die Equipage der Schloßbewohner fast täglich an sich vorüberfahren sah, hat mir oft versichert, der Graf habe zwei Frauen bei sich im Schlosse, eine ältere und eine jüngere, und er sagte mit Bestimmtheit: »heute ist die Alte mit ihm ausgefahren,« oder: »heute hat die Junge bei ihm gesessen.« Ich muß übrigens hier ausdrücklich bemerken, daß damals die öffentliche Meinung nicht mit dem Verdachte eines Verbrechens um die verschlossenen Thüren des Schlosses herumspürte, sondern den wunderbaren Einsiedler für einen hochstehenden ehrenhaften Mann hielt und als Wohlthäter des Dorfes und der Umgegend verehrte, und daß der leise Faden des Argwohns, der sich durch das Leben dieses Mannes zieht, erst gegen das Ende des Verlaufs deutlicher in die Erscheinung trat und beachtet wurde.


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