Laurids Bruun
Oanda
Laurids Bruun

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V.

Vom Gang ertönte Lärm. Jemand sang.

Die Tür ging auf und Dick-Darling taumelte herein.

»Bitte, Cate,« lallte er, »immer rein ins Vergnügen.«

Er zog sie an der Hand herein und schloß die Tür hinter sich. Er war in übermütiger Laune. Sein schlaffes, weißes Gesicht verzog sich wie im St. Veitstanz. Er nahm seinen runden Filzhut ab und grüßte ins Zimmer:

»Schönen guten Abend, Pat. Schön guten Abend, Nelly.«

Oanda hatte er vergessen und er sah sie nicht.

»Dies ist Cate!« sagte er und faßte das Mädchen um die Taille. »Sie ist beim ›Trommelschläger‹ in Stellung,«

»Hello,« sang er, »how are you – how are you?« Er machte einige Tanzschritte und Cate folgte ihm willig.

Nigger-Cate trug ein geblümtes, baumwollenes Kleid mit einem blauen Matrosenkragen, der mit einem roten Schifferknoten zusammengebunden war. Sie war vor zwei Jahren aus einem Internat für mißratene Negerkinder ausgerückt; sie war erst siebzehn Jahre alt, der dunkle Busen aber war vollentwickelt und schob sich über den tiefen Ausschnitt des Matrosenkragens; das war das Verführerische an ihr. Das kurze Kleid ließ die plumpen Fußgelenke und die schwellenden Waden in hellen, durchsichtigen Strümpfen zur Hälfte sehen. Ein flacher Matrosenhut saß schief auf dem krausen, schwarzen Haar, das ihren Kopf mit einem wirren Kranz umgab. Auf dem Mützenband stand mit goldenen Buchstaben: Terrible Blues. Aus ihren weißen baumwollenen Handschuhen guckten die schwarzen Finger heraus.

Nigger-Cates rundes Gesicht war nichts als ein Lächeln, ein einziges merkwürdig unanständiges Lächeln; sie lächelte mit ihren schläfrigen Augen, mit den schwellenden roten Lippen, mit den spitzen gelben Zähnen, die ein Stück auseinander standen, und mit den blanken braunen Posaunenbacken. Sie watschelte etwas, in all ihren Bewegungen lag eine Mischung von einschmeichelnder Verderbnis, die ihren Kundenkreis in der Bar unwiderstehlich reizte. Sie brachte ihn mit ihrer krähenden, fetten Kinderstimme dazu, den Refrain mitzusingen, wenn sie ihre sentimentalen oder liederlichen Niggerlieder mit dem Wackeltanz zum besten gab. Sie war wie geschaffen für das Begehren ihrer Kunden, eine Nanna vom Negertyp und für den Rinnstein. Sie war im ganzen Viertel als ein prachtvolles Mädchen bekannt, wenn man betrunken und ganz heruntergekommen war. Kein anständiger Arbeiter aber kannte sie, wenn er nüchtern war.

Dick war ihr in seiner Trunkenheit begegnet. Sie hatte sich in sein Yankeewesen verliebt und Geld für ihn ausgegeben, als er keines mehr hatte; dafür hatte er ihr versprechen müssen, daß er sie mit sich nehmen würde. Cate hatte keinen festen Aufenthaltsort. Als Dick nüchtern geworden war, war er ihr durchgebrannt, sie aber hatte erfahren, wo er wohnte; und als er heute abend mit Annies Geld in der Tasche ausgegangen war, um Nahrungsmittel zu kaufen, hatte sie ihm aufgelauert.

»Wo ist das, was du eingekauft hast?« fragte Pat.

»Eingekauft?« Dick ließ Cate los und dachte nach; schließlich dämmerte es ihm. »Hast du das Paket?«

»Was für ein Paket?«

»Das, was ich beim Höker eingekauft hab.«

»Ach, du!« grinste Cate und stieß ihn in die Seite.

»Dann haben wir es beim ›Trommelschläger‹ liegen lassen.« Er wandte sich erklärend an Pat. »Cate und ich haben uns nämlich unterwegs ein Gläschen zu Gemüte geführt. Ist das gelogen, Cate?«

Nelly hatte schweigend zugesehen; jetzt verlor sie die Geduld.

»Was will die Negerdirne hier?«

Dick näherte sich dem Bett und im selben Augenblick fiel sein Auge auf Oanda. Einen Augenblick riß er in schlaffem Erstaunen den Mund auf; plötzlich aber kehrte ihm die Erinnerung zurück.

»'n Abend,« sagte er und lüftete den Hut; er zeigte auf Cate und fügte mit einem vertraulichen Grinsen hinzu: »Das ist so'n kleines schwarzes Mädchen wie von Ihrer eignen Insel. Cate, komm her und mach einen Knicks vor der Prinzessin.«

Cate kam näher, legte den Kopf kokett in den Nacken und knickste mit einem breiten Grinsen.

»Die kann singen, na, ich sag Ihnen!« fuhr Dick fort, »Cate, gib uns 'ne Nummer zum besten, – Hello, how are you, how are you? let us go to hono-lu-u-lu!«

»Laß Dick!«

Nelly richtete sich auf; Annie lag ja auf Dicks Bett und schlief.

»Pat,« sagte sie, »wirf sie 'raus, sonst gibts 'nen Krach.«

Dick versuchte, sich höher aufzurichten und sagte gekränkt: »Cate logiert bei mir.«

Nelly wurde weiß vor Zorn.

»Setz sie an die Luft, Pat,« kommandierte sie.

Dick sagte zu Nelly, erklärend und eindringlich:

»Brauchst keine Angst zu haben, sie hat Moneten; sie ist beim Trommelschläger in Stellung.«

Jetzt näherte Pat sich ihm mit schweren, bedächtigen Schritten.

»Du findest vielleicht, daß wir noch nicht genug hier drinnen sind?«

»Sie kann bei mir schlafen,« sagte Dick, »das Bett gehört mir, ich hab es bezahlt. Meinst du nicht, daß es groß genug für zwei ist, Cate?«

Cate kicherte und stieß ihn in die Seite.

»Dafür bedanke ich mich,« sagte Nelly.

»Sag nur, wieviel du haben willst,« lockte Dick, »Geld ist in Haufen da.«

»Wir nehmen keine farbigen Leute auf!« sagte Pat und schubste ihn fort.

»Was schadet es, daß sie farbig ist,« fragte Oanda,

Pat sah sie erstaunt an,

»Was das schadet? – Eine Negerin?«

»Meine Schwestern haben auch eine andere Haut als ich – aber sie haben dasselbe Herz.«

Dick richtete sich auf.

»Da hörst du, mein Kind,« sagte er und zeigte auf das Bett, »mach' es dir nur auf meinem Bett bequem, ich hab' dafür bezahlt.«

Cate sah zum Bett hin und entdeckte, daß eine Frau darauf lag.

»Was soll das heißen, Dick – da liegt ja ein Frauenzimmer!«

»Wirf sie hinaus,« rief Nelly und stampfte mit dem Fuß gegen das Bettende.

Dick sah ein, daß es jetzt ernst wurde. Er ging Pat aus dem Weg und sagte:

»Niemand soll Dicks Mädchen hinauswerfen, komm Cate, geh aus freien Stücken!«

Jetzt aber fing Cate an zu zetern.

»Ich hab dir zwei Dollar fürs Logis bezahlt! – Das Frauenzimmer dort soll hinausgeworfen werden und nicht ich!«

Dick sah zum Bett und entdeckte Annie. Cate hatte sie geweckt, jetzt richtete sie sich auf und rieb sich die Augen.

Dick duckte sich grinsend. Jetzt wurde die Sache kritisch.

Cate hatte die Beine gespreizt, die Hände in die Seiten gestemmt und betrachtete Annie herausfordernd.

»Reg dich nur nicht auf, Cate,« sagte Dick und versuchte, sie mit der Hand zu erreichen, »reg dich nur nicht auf.«

Annie hatte die Nigger-Cate wiedererkannt und plötzlich wurde es ihr klar, was geschehen war. Sie griff sich an den Kopf, als ob das Denken ihr wehtäte. Darauf stand sie auf und sah Dick an.

»Wie kannst du's nur übers Herz bringen,« sagte sie mit Tränen in der Stimme, »ich geb dir jeden Schilling, den ich verdiene!«

»Scher dich zum Teufel,« sagte Dick und lachte besänftigend.

Cate betrachtete Annie von oben bis unten.

»Ist diese verfaulte Gurke vielleicht deine Braut?«

Annie begann zu zittern; plötzlich aber nahm sie sich zusammen und stürzte sich mit erhobenen Armen auf Cate.

Cate hatte jede ihrer Bewegungen bewacht. Jetzt packte sie Annies Arme und klemmte sie wie in einem Schraubstock, während sie ihr eine Welle von Gemeinheiten ins Gesicht zischte.

Dick genoß den Auftritt. Er drehte den Kopf zu Oanda um und sagte vertraulich:

»Zwei nette Pflanzen, nicht, Prinzessin?«

Nelly geriet außer sich, als sie Annie in Cates Gewalt sah.

»Pat,« schrie sie und machte Miene, aus dem Bett zu springen, »werft sie hinaus.«

Darauf sank sie vor Gemütsbewegung zusammen und warf sich schluchzend ins Bett zurück. Oanda beugte sich über sie und umfaßte ihren Kopf mit beiden Händen. Bei dem Lärm war Jim erwacht und stand auf. Indessen hatte Pat die Tür aufgerissen und stieß Dick zurück, so daß er gegen die Bretterwand taumelte, die fast umgefallen wäre.

Darauf faßte er Cate von hinten, preßte ihre Arme, bis sie Annie losließ und trug sie zur Tür, als ob sie ein kläffender junger Hund wäre.

»Ich will mein Geld wieder haben,« schrie Cate und stieß mit den Füßen nach Pat. – »Dick, er schlägt mich tot!«

Dick war aufgesprungen; sein Gesicht war weiß, und das Lächeln war verschwunden.

»Du bist zu alt, um mein Mädchen hinauszuwerfen!«

Er wollte Pat einen Boxerstoß von hinten geben, während dieser die Hände voll hatte; Pat drehte den Kopf zu ihm um und sah ihn an.

»Du kommst nachher dran!«

Darauf drehte er sich mit Cate so um, daß Dick Cate statt ihn treffen mußte, wenn er zuschlug, Jim war aufgesprungen, er sah wie Dick mit der einen Hand nach der Tasche faßte; im selben Augenblick sprang er herzu und stellte ihm ein Bein, so daß er über den Tisch fiel.

Pat stieg über Dicks Beine und warf Cate auf den dunklen Gang hinaus. Jim hatte sich über Dick geworfen und hielt ihn fest. Pat kehrte zurück, hob Dick bedächtig mit seinen Bärentatzen hoch, setzte auch ihn an die Luft und schloß die Tür.

Annie warf sich auf Tonnys Sofa und jammerte, indem sie ihr Gesicht in die Hände vergrub:

»Dick – Dick –«


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