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II. Giordano Brunos Weltanschauung

»Ursach' und Grund und du, das ewig Eine,
Dem Leben, Sein, Bewegung rings entfließt.
Das sich in Höh' und Breit' und Tief' ergießt,
Daß Himmel, Erd und Unterwelt erscheine!

Mit Sinn, Vernunft und Geist erschau' ich deine
Unendlichkeit, die keine Zahl ermißt,
Wo üb'rall Mitte, nirgends Umfang ist,
In deinem Wesen weset auch das meine.

Ob blinder Wahn sich mit der Not der Zeit,
Gemeine Wut mit Herzenshärtigkeit,
Ruchloser Sinn mit schmutz'gem Neid vereinet:

– Sie schaffen's nicht, daß sich die Luft verdunkelt,
Weil doch trotz ihrer unverschleiert funkelt
Mein Aug', und meine schöne Sonne scheinet!«

Bruno, » Della, causa, principio et uno« (Wagner I, 214).

Mit vorstehendem Sonette Brunos vergleiche Fichtes Sonette (Carrière, Gott, Gemüt und Welt S. 57):

»Was meinem Auge diese Kraft gegeben,
Daß alle Mißgestalt ihm ist zerronnen,
Daß ihm die Nächte werden heitre Sonnen,
Unordnung Ordnung und Verwesung Leben?

Was durch der Zeit, des Raum's verworr'nes Weben
Mich sicher leitet hin zum ew'gen Bronnen
Des Schönen, Wahren, Guten und der Wonnen,
Und drin vernichtend eintaucht all' mein Streben?

Das ist's. Seit in Uranias Aug', die tiefe
Sich selber klare, blaue, stille, reine
Lichtflamm' ich selber still hineingesehen;

Seitdem ruht dieses Aug' mir in der Tiefe
Und ist in meinem Sein, – das ewig Eine
Lebt mir im Leben, sieht in meinem Sehen.

Nichts ist denn Gott, und Gott ist nichts denn Leben;
Du weißest, ich mit Dir weiß im Verein;
Doch wie vermöchte Wissen da zu sein,
Wenn es nicht Wissen wär' von Gottes Leben!

Wie gern, ach! wollt' ich diesem hin mich geben!
Allein wo find' ich's? Fließt es irgend ein
Ins Wissen, so verwandelt's sich in Schein,
Mit ihm vermischt, mit seiner Hüll' umgeben.

Gar klar die Hülle sich vor Dir erhebet:
Dein Ich ist sie, es sterbe, was vernichtbar,
Und fortan lebt nur Gott in Deinem Streben!

Durchschaue, was dies Sterben überlebet,
So wird die Hülle Dir als Hülle sichtbar,
Und unverschleiert siehst Du göttlich Leben!

Die Weltanschauung Brunos hebt sich wie eines jener farbenglühenden und formenklaren Gemälde der italienischen Meister, etwa die Madonna Guido Renis, von einem sonnig-goldig-schimmernden Untergrunde ab. Diesen Untergrund bildet die mehr noch mit dem Herzen des Dichters als dem Hirn des Denkers erfaßte Gottesidee. Diesem Gefühlsuntergrunde seiner Ideen ist es zuzuschreiben, wenn Brunnhofer ihre Darstellung mit dem Satze einleiten darf: »Wer sich aus dem Studium Kants, Schopenhauers oder Ed. v. Hartmanns flüchtet, um in Brunos Philosophie die verlorene Freude an der Welt wiederzufinden, erfährt eine ähnliche Umwandlung seines innersten Wesens, wie wenn einer, noch von Entsetzen starr über die grauenvollen Bilder, die ihm Dante vorgemalt, sich zu den Liedern Goethes wendet und da erst wieder lernt, am sonnigen Frühlingsmorgen in Feld und Wald hineinzujauchzen oder im stillen Mondenglanze die Seligkeit treuer Freundschaft zu genießen.«

Wenn wir von Brunos Leben gleichwie von jeder echten Tragödie bei all dem erhabenen Schicksal doch mit versöhnt ausklingender Stimmung scheiden konnten, so bietet uns auch seine Philosophie einen Optimismus im edleren Sinne, eine Philosophie der Versöhnung zwischen Glauben und Wissen, zwischen Leben und Leiden. Ungleich lebendiger als Spinozas starrer »Substanzbegriff« ist Brunos Gottesidee im edelsten Sinne mystisch und religiös. Gott selber bleibt ihm der Unerkennbare, der in einem Lichte wohnt, zu dem endliche Einsicht nimmer gelangen kann. Zwar das Universum ist die vollendete Darstellung der Gottesidee; aber vermöchte der denkende Geist auch die Unendlichkeit des Alls zu überschauen, so bliebe ihm doch seine schaffende Idee selber unerreichbar. »Denn wer die Statue sieht, sieht nicht den Bildhauer. Mithin können wir von der göttlichen Substanz gar nichts wissen, – höchstens können wir von ihr eine Spur erkennen, wie die Platoniker, eine entfernte Wirkung, wie die Peripatetiker, eine Hülle, wie die Kabbalisten sagen, wir können ihn gleichsam von hinten anschauen nach dem Ausdruck der Talmudisten, oder sie im Spiegel, im Schatten, im Rätsel sehen, nach dem Ausdruck der Theosophen.« Bruno, »Von der Ursache, dem Anfang und dem Einen« (Lassons Uebers., p. 47).

Man darf es mir nach diesem Zitate erlassen, die meistens doch nur auf Wortstreitigkeiten und einseitigen Begriffsabgrenzungen beruhende Streitfrage zu berühren, ob der Nolaner ein Theist, Pantheist oder gar Atheist gewesen sei. Jedenfalls sollte man diesen Märtyrer seiner Überzeugungen nicht der bekannten »doppelten Buchführung« eines Leibniz beschuldigen, da er in den Schriften seiner sämtlichen Lebensperioden unermüdlich denselben Gedanken wiederholt, welchen er in folgenden Versen einen poetischen Ausdruck verlieh:

»O Du, welcher in sterblicher Brust den ewigen Flammen
Aufzulodern gebeut und meinem Herzen in solchem
Glanze zu schweben befiehlt, in solcher Glut zu entbrennen,
Daß zu den Sternen hinan, die Schatten mutig verscheuchend,
Mutig die fesselnde Last der trägeren Masse bezwingend,
Ich die unendliche Welt durchschweife, den Sinnen entbunden, –
Licht, allschauendes Licht, Licht schaffend, daß alles geschaut wird,
Blind nur nennt Dich der Pöbel, der Pöbel, dem selber das Licht fehlt
Und das Aug' und die Seele, indem er die Seele Dir abspricht.« Bruno, » De triplici minimo« l. c. I. 1. V. 14-25.

Freilich von der gewöhnlichen allzu menschlichen Persönlichkeits-Vorstellung des transzendenten Wesens der Gottheit ist unser Philosoph weit entfernt; und niemand hat diesen kindischen »Herrgotts«-glauben geistreicher verspottet, als er im I. Dialog seines »Spaccio« (3. Abschnitt. W. II. p. 152ff.) Seite 91 der gesammelten Werke Bd. II: »Gottes Denken ist nicht diskursiv, sondern intuitiv«.

»Was da war, was ist, und was zukünftiges sein wird,
Gegenwärtig steht's vor Gott in ewigem Lichte« » De Immenso«, l. c. 12. V. 1, 2.

»Dem höchsten Prinzip, jener einfachen Intelligenz darf man kein Selbstbewußtsein beilegen in dem Sinne, daß er mittelst einer reflektierenden Tätigkeit in sich selber ein Erkennendes und ein Erkanntes unterschiede, sondern weil es das absolute und einfachste Licht ist, darf ihm Bewußtsein nur in dem verneinenden Sinne zugeschrieben werden, daß es sich selber nicht verborgen sein kann.« Bruno, » Spaccio« II. (W. II, 191) Seite 207 oben.

Von dieser Gottesanschauung aus gelangt nun Bruno zu seiner Weltanschauung nicht mittelst eines dogmatischen Kopfsprungs, der einen einsamen Herrgott eines Tages auf den Einfall kommen heißt, die Welt aus dem Nichts hervorzuzaubern:

»Was wär ein Gott, der nur von Außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe?
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen.« Goethe, »Gott und Welt«. Den Beweis, daß die Fundstelle für dieses Gedicht Brunos Prosakommentar zu seinem Lehrgedichte de Immenso, V. e. 12 S. 499 (Frankfurter Ausgabe) bildet und daß Goethes Gedicht nur eine fast wörtliche gereimte Übersetzung dieser Fundstelle ist, liefert Brunnhofer, in »Goethes Bildkraft«, (Leipzig, Rauert u. Rocco 1890) S. 2.

Für Bruno ist die Welt als Ganzes keine zeitlich begonnene, sondern eine urewige Schöpfung Gottes; sie ist Gott, wie er erscheint, zwar nicht als der eine, einfache, sondern als der einheitliche in seiner unendlichen Unterschiedlichkeit. (Heraklits ἑν διαφερόμενον ἑαυτῷ) »Nur im Glauben der Einsichtslosen bilden Gott und die Natur einen Gegensatz.« »Akrotismus«. (Gfrörer 28.) Wenn es nun Sache der Religion ist, den Einen, Überweltlichen, Unerkennbaren zu verehren, so ist es Sache der Philosophie, den in seiner unendlichen Erscheinungswelt Immanenten nachzuweisen, aus der »Ursache, dem Anfang und dem Einen« entweder (deduktiv) die Wirklichkeit der Daseinsunterschiede zu begreifen oder von den Unterschieden der Welt, den Einzelheiten ausgehend, (induktiv) zum Ganzen, zur »Ursache, Anfang und Einem« emporzusteigen. Beide Methoden sind philosophisch gleichermaßen berechtigt und notwendig. Bruno, »Von der Ursache, dem Anfang und dem Eine[n].« (Wagn. 1.259.) Die philosophische Anschauung der Welt ist dreifältig als Erkenntnis des Wahren, Schönen und Guten. Wahrheit, Schönheit, Güte sind ein und dasselbe in Gott. Naturphilosophie, Ethik und Ästhetik müssen daher von Gott ausgehen und zu ihm zurückkehren. Die letzten unzerlegbaren Allgemeinbegriffe, von denen philosophische Abstraktion ausgeht oder bei denen sie Halt macht, sind Materie und Form, Sein und Denken, Person und Zustand. Im letzten Grunde fallen diese Gegensätze in eins zusammen, »der Akt des göttlichen Denkens ist die Substanz aller Dinge.« » Spaccio delle bestia trionf.« (Wagn. II. 156.) l. c. W. II. 122. »Die Koinzidenz der Gegensätze ist eine Zauberformel der Philosophie.« Vgl. dazu Bemerkung Hamans S. 2 oben.

Brunos Naturphilosophie geht aus von den Begriffen Materie und Form. Die Materie ist ihm nicht ein rein passives Etwas, sondern jeder Stoff, und sei es selbst das träge bildsame Wachs, trägt schon eine Form in sich, ist selber schon eine formende Kraft. Diese der Materie innewohnende Kraft, ihre immanente Form nennt er Seele. Die Allmaterie ist also die Weltseele selber und alles Materielle ist beseelt. »Freilich ist darum der Tisch als Tisch, das Kleid als Kleid, das Leder als Leder, das Glas als Glas nicht beseelt, aber als natürliche und zusammengesetzte Dinge haben sie in sich Materie und Form. Das Ding sei nun so klein und winzig, als es will, es hat in sich einen Teil von geistiger Substanz, die, wenn sie die Daseinsbedingungen dazu angetan findet, sich darnach streckt, eine Pflanze, ein Tier zu werden und sich Nämlich durch Anziehung und Beherrschung anderer Atome (Monaden) innerhalb ihres Formschemas. zu einem beliebigen Körper organisiert, welcher gemeinhin beseelt genannt wird.« Die All-Materie ist also nicht ein Stoff, aus dem die Einzeldinge »gemacht« werden, sondern die Mutter aller Dinge, die alle Formen in ihrem Schoße trägt, aus ihr entwickeln sich die Gestalten des Lebens. Jegliches Leben ist nichts als stetige Involution und Evolution, Verdichtung und Verdünnung der Materie.

Bruno kennt vier Dichtigkeitszustände der Materie, das Feste ( terra), das Flüssige ( aqua), das Gasförmige ( aer), das Ätherische ( ignis). Bruno, » De umbris idearum« Art. VII. (Gfrörer, op. lat. 303).

Durch Zustandsänderungen der einen All-Materie, durch Verdichtung aus dem Äther hat sich der Kosmos mit seinen unzähligen Welten entwickelt. Das Universum ist unendlich. Denn weil Gottes Kraft unendlich ist, ist auch die Materie unendlich; weil in Gott Vermögen und Wirklichkeit zusammenfallen, muß seinem unendlichen Vermögen eine räumlich und zeitlich unbegrenzte und dennoch einheitliche Welt-Wirklichkeit entsprechen. Den bloßen Mathematiker Kopernikus weit überflügelnd, hat Bruno die universelle Kosmologie der heutigen Naturwissenschaft mit ihrer Kant-Laplaceschen mechanischen Entwicklungslehre und der ergänzend hinzutretenden biologischen Fortentwicklung des sog. Darwinismus antizipiert und gegenüber der mittelalterlichen geozentrischen und anthropozentrischen Anschauungsweise mit der lebendigen Begeisterung eines Dichters verfochten. »Es gibt nur einen Himmel, nur einen unermeßlichen Weltraum, nur einen Schoß, nur ein universell Zusammenhängendes, nur eine Ätherregion, durch welche das Ganze sich regt und bewegt. In dieser gelangen unzählige Sterne, Gestirne, Weltkugeln, Sonnen und Erden sichtbar zur Erscheinung und berechtigen zum Vernunftschlusse auf unzählige andere. Von diesen Gestirnen ist keines in der Mitte. Denn das Universum ist nach allen Seiten gleich unermeßlich. Es gibt so viele Mittelpunkte der Welt, als es Welten, als es Gestirne, ja als es Atome gibt, nämlich an Zahl unendliche. Alle die Gestirne sind für sich selbst Individuen, gigantische Kolossal-Organismen, auch wenn sie im Verhältnis zu größeren Weltindividuen nur Teile, Organe, nur veränderliche Stücke der Zusammensetzung sind. Diese Riesenorganismen bestehen alle aus denselben Elementen. Es wirken folglich in denselben auch die nämlichen uns bekannten Kräfte, freilich je nach der diesen Lebewesen eigenen Komposition.« Vgl. Du Prel »Entwicklungsgeschichte des Weltalls, c. II. Universalität der irdischen Gesetze, c. III. Gleichheit der kosmischen Stoffe«.

»Erhebe Deinen Geist von dieser Erde zu anderen Sternen, nein Welten, und lerne begreifen, daß überall auch ähnliche, ja dieselben Gattungen des organischen Lebens vorkommen, wo dieselben stofflichen Grundlagen, dieselbe aktive und passive Produktionsfähigkeit, dieselbe Ordnung, dieselbe Gestalt, dieselbe Bewegung und alles andere, was auch nicht umsonst sein wird, vorhanden sind. Nur ein ganz Törichter könnte glauben, im unendlichen Raume, auf den so kolossalen und überaus herrlichen Riesenwelten, von welchen gewiß die meisten mit einem besseren Lose, als wir begabt sind, gäbe es nichts anderes, als das Licht, das wir auf ihnen wahrnehmen, – – es ist geradezu albern, zu glauben, es gäbe keine anderen Lebewesen, keine anderen Sinne, keine anderen Denkvermögen, als gerade sich unseren Sinnen darbieten.« Bruno, » De Immenso« L. VII. c. 18. p. 622. Vgl. dazu Du Prel, »Die Planetenbewohner«.

Das Bewunderungswürdigste an Brunos Genie ist nun nicht sowohl diese von der Wissenschaft der ihm nachfolgenden Jahrhunderte nachgerade nahezu exakt erwiesene Weltauffassung im allgemeinen, als die auf Grund derselben von ihm deduktiv und intuitiv getroffene, wichtige Bestimmung zahlreicher einzelner Naturtatsachen, welche durch die Rechnung und Beobachtung der positiven Wissenschaften nunmehr ( a posteriori) außer allem Zweifel gesetzt sind. Kein Denker hat einen glänzenderen Beweis der Überlegenheit besonnener Spekulation über gedankenarme Beobachtung geliefert, als der Nolaner, dem naturphilosophische Absurditäten, wie sie seit Schelling und Hegel das spekulative Denken in Verruf gebracht haben, niemals untergelaufen sind. Hegel leugnete u. a. bekanntlich, daß es mehr als 7 Planeten geben könne; Schelling hat mit seiner spekulativen Physik nur die Lachmuskeln wirklicher Physiker reizen können. Wir begnügen uns, folgende Einzelbehauptungen hervorzuheben:

  1. Die Erde hat nur eine annähernde Kugelgestalt, ist an den Polen abgeplattet. Bruno, » De Immenso« L. IV. c. 16. p. 432.
  2. Auch die Sonne rotiert um ihre Axe. Ebenda L. III. c. 5. p. 305.
  3. Die Präzession und Nutation (Fortschreiten der Nachtgleichen) wird richtig erklärt. »Bei der unabsehbar mannigfaltig ineinander greifenden Anziehung und Abstoßung der Weltkörper kann es nicht ausbleiben, daß auch die scheinbar festesten Punkte im All nach und nach ihre gegenseitige Lage verschieben. Die Erde wird also ihren Schwerpunkt und ihre Stellung zum Pol verändern.« Ebenda L. III. c. 5. p. 307.
  4. Die Fixsterne sind Sonnen. »Akrotismus« 87. (Gfrörer, » Bruno op. lat.« p. 24.)
  5. Um dieselben kreisen, jedoch nicht in reinen Kreisbahnen, zahlreiche, für uns freilich ihrer Entfernung wegen unsichtbare Planeten. » De Immenso«, L. I. c, 3. V. 1-6.
  6. Die Kometen sind eine besondere Gattung der Planeten; Bielascher Komet u. a. aus diesem Grunde, weil eben die Kometen nur selten oder gar nie für uns erscheinende Planeten sind, ist auch die Zahl der Planeten, die um unsere Sonne kreisen, noch nicht festgestellt. Bruno, » De Immenso« L. IV. c. 8. p. 388.
  7. Die Welten und selbst die Weltsysteme sind stetig veränderlich und als solche vergänglich; ewig aber bleibt die ihnen zu Grunde liegende schaffende Energie, ewig die jedem kleinsten Atom innewohnende Urkraft, nur die Zusammensetzung ändert sich. »Es gibt die Natur, durch den eigenen Rückgang nur noch gestärkt, der Materie alles in Fülle.« » De Immenso«, L. V. c. 3. V. 26-36. Eine Ahnung des Gesetzes von der Erhaltung und Äquivalenz der Kräfte!

Diese Naturanschauung eines dichtenden Denkers galt freilich nicht nur den Gelehrten, sondern begreiflicherweise mehr noch dem ungelehrten Alltagsmenschen seiner Zeit als eitle Schwärmerei, und auch heute noch, nachdem ihre rein phänomenale Außenseite den glänzenden Triumph der Wissenschaftlichkeit erlangt hat, werden nur allzuviel »Fachgelehrte« ihren philosophischen Inhalt, die Beseeltheit der All-Materie, vor allem gar die individuelle Beseeltheit der Weltkörper, ihre Auffassung als Organismen, für phantastisches Beiwerk ansehen. Dennoch dürfte die Zeit nicht mehr fern sein, da man auch in dieser Hinsicht den Nolaner als einen wahren »Seher« anerkennen wird. Hat doch sogar der Begründer der Psychophysik, Prof. Fechner, sich bereits rückhaltlos zum Glauben an die individuelle Beseeltheit der Weltkörper bekannt. Vgl. Fechner, » Zend – Avesta«, Sphinx 1888, Januarheft S. 39. – Auch den Schluß der Physikalischen Geographie des Professor Geikie, eines der ausgezeichnetsten Geologen unserer Zeit, darf man vielleicht als ein indirektes Geständnis der gleichen Anschauung verstehen. Neuerdings vertritt W. Pastor (Berlin-Wilmersdorf) in der Schrift »Lebensgeschichte der Erde« (Eugen Diederichs Verlag, Leipzig) dieselbe Auffassung aus durchaus neuen, eigenartigen empirischen Gründen.

Freilich, man braucht sich ja nicht jedes lebende Wesen in plumpster Menschenähnlichkeit vorzustellen. – Eine Epithelzelle im Eingeweide eines menschlichen Organismus würde gewiß irren, wenn sie den Menschen nur für ein amöbenartiges Wesen, aber noch vielmehr, wenn sie ihn für einen unbeseelten Weltkörper hielte. Vielleicht überragt das psychische Gesamtbewußtsein des Erdorganismus, dessen Geist sich schwerlich von einem Faust beschwören läßt, dasjenige des Menschen noch mehr, als letzteres das der Epithelzelle.

Die All-Materie differenziert sich seit Ewigkeit her in unzählige Einheiten, Einheiten nicht nur von rein stofflicher Funktion, die alsdann, wie die modernen Materialisten meinen, die höheren seelischen Erscheinungen vermöge einer wundersamen Wirkung ihrer jeweiligen Konstellationen vorübergehend in die Luft spiegeln, nicht nur in blinde Atome, sondern seelisch-geistige Zentra, Monaden; und es ist nur ein Gradunterschied der inneren Zustände, der die seelischen Monaden von den blinden (schlummernden) Stoffatomen unterscheidet. Der Unendlichkeit Mittelpunkt ist ja überall, in jedem Punkte des unendlichen Raumes ist ihr ganzes Wesen gegenwärtig; darum ist das Größte zugleich das Kleinste. Die Monade ist ebenso unvergänglich, wie das Ganze; vergänglich sind nur die äußeren Konstellationen und die dadurch bedingten inneren Zustände der einzelnen Monaden. Diese letzteren aber sind in jeder einzelnen Monade ein eigentümliches, das sich in dieser bestimmten zeitlichen Reihenfolge in keinem anderen Element wiederholt. »Du findest nirgends zwei gleiche Dinge weder an Größe noch an Gewicht noch an Stimmung oder Bewegung, denn erst durch die Differenz sind sie zwei; sonst wären sie eines, jedes Seiende ist ein unteilbares Eines.« Bruno, » De triplici minimo« I. c. 9. Vgl. auch I. c. 2.

»Der Dinge Substanz ist das kleinste,
Und Du findest dasselbe zugleich von unendlicher Größe,
In ihm hast Du Atom und Monad' in dem wogenden Weltgeist,
Den niemals die Masse beschränkt, der alles mit seinem
Eigenen Zeichen bestimmt, und wenn Du den Dingen ins Herz siehst,
Du gewahrst als Wesen und Stoff von allem das kleinste.«

In der Linie heißt es Punkt, im Körper Atom, im Menschen die Seele. Niemand hat wohl jenen Materialismus, der die Atome des Staubes für unsterblich, die Seele aber für einen bloßen Schein des Staubes erachtet, schärfer verspottet, als unser Nolaner.

»Es ist nicht wahrscheinlich, ja nicht möglich, – wenn die sinnlich wahrnehmbare Materie, die zusammengesetzt, teilbar, faßbar, dehnbar, bildsam, beweglich und widerstandsfähig ist, unter der Herrschaft, Leitung und Kraft der Seele, wenn diese Materie unzerstörbar, in ihren letzten Atomen, sage ich, unvernichtbar ist, – daß, da im Gegenteil die weit erhabenere Natur, die jene beherrscht, bewegt, ernährt, mit Gefühl erfüllt, aufrecht und zusammenhält, von geringerer Dauer, und wie etliche Toren, die sich den Namen von Philosophen beilegen, es wollen, nur eine Tätigkeit, die aus der Harmonie, dem Ebenmaß und der Zusammensetzung resultiere und am Ende nur eine zufällige Eigenschaft sei, welche bei Auflösung des Zusammengesetzten mit der Zusammensetzung selber in nichts vergehe: statt daß sie vielmehr gerade der Ursprung und die innere Ursache der Harmonie, der Zusammensetzung und des Ebenmaßes ist.«

»Dieses Prinzip ist der Heros, das Dämonische, der Halbgott, die Intelligenz, in welcher, von welcher, und durch welche die verschiedenartigsten Organismen und Körper gebildet werden; eben dieses aber kann und muß auch in ein verschiedenartiges Dasein in verschiedenen Gestalten, verschiedenen Namen und Schicksalen eingehen.

Die höchste Gerechtigkeit, welche über und in allen Dingen waltet, fügt es, daß die Seele, infolge unordentlicher, sündiger Begierden entweder in einen gleichen oder gar in einen qualvolleren und unedleren Körper, als den sie verlassen, herabsteigen muß und sich keine Hoffnung machen darf auf die Regierung und Verwaltung einer besseren Behausung, wofern sie diejenige ihres bisherigen schlecht geführt hat, so wird sie weiter und weiter das Verhängnis der stetigen Veränderung durchlaufen und je nachdem einer besseren oder schlechteren Daseinsweise teilhaftig werden, als sie sich besser oder schlechter in ihrer zuletzt vergangenen Lebenslage und unter den erlittenen Verhängnissen erwiesen hat.« Bruno, » Spaccio, proömio«. W. II. p. 112.

Für den Wesenskern des Menschen, die Monade, ist also der Tod ebensowenig ein Übergang ins Nichts, wie die Geburt ein Hervorgehen aus dem Nichts war. »Die Geburt ist das Sichausspannen eines Mittelpunkts, das Leben die Aufrechterhaltung der so geschaffenen Sphäre, der Tod das Sichzurückziehen auf den Mittelpunkt.« » De triplici minimo«, p. 13. Leibniz hat diesen Satz, ohne seinen geistigen Urheber zu nennen, häufig angewandt. Geburt und Tod haben nur die Bedeutung eines Übergangs in neue Daseinsbedingungen. »Was wir Sterben heißen, ist die Geburt zu einem neuen Leben, und oft wäre gegen jenes zukünftige Leben wohl das jetzige Tod zu nennen.« Hiermit vgl. Fichte »Die Bestimmung des Menschen« (Reclam S. 152). »Das sichere Ende alles Schmerzes und aller Empfänglichkeit für den Schmerz ist der Tod; und unter allem, was der natürliche Mensch für ein Übel zu halten pflegt, ist es mir dieser am wenigsten. Ich werde überhaupt nicht für mich sterben, sondern nur für andere – für die Zurückbleibenden, aus deren Verbindung ich gerissen werde; für mich ist die Todesstunde die Stunde der Geburt zu einem neuen herrlichen Leben.«
Viele ähnliche Aussprüche großer Denker vgl. in der vortrefflichen Sammlung: Es gibt ein Wiedersehen. Dichter- und Denkerstimmen aus alter und neuer Zeit über die Unsterblichkeit und Trostworte an Gräbern. Von F. Schmidt; Jena, Costenoble.
Die Versinnlichung in der Geburt (Inkarnation) ist der Lethetrank, der das Vorleben vergessen macht, aber wahrscheinlich wacht die Erinnerung daran nach dem Tode wieder auf.

Diesen Glauben an die Ewigkeit und damit an die Präexistenz und Wiederverkörperung der Seele, den nur Oberflächlichkeit verwechseln dürfte mit dem exoterischen Aberglauben der Seelenwanderung, da er vielmehr statt einer äußerlichen Wanderung eine innerliche (sich fortentwickelnde) Seelenwandelung annimmt, diesen Glauben also hat Bruno, wie sein Biograph Brunnhofer richtig bemerkt, »mit vollem Bewußtsein geteilt mit den Priesterphilosophen des antiken Morgen- und Abendlandes, mit den Brahmanen und Magiern, den Chaldäern und Ägyptern, den Pythagoräern und Druiden; es ist der Glaube, welcher noch jetzt drei Viertel der Menschheit, nämlich die brahmanische und buddhistische Kulturwelt lebensbestimmend beherrscht und der in einer vom Darwin der Zukunftspsychologie geläuterten Gestalt auch die europäischen Glieder der indogermanischen Menschheit mit elementarer Gewalt packen wird«, hoffentlich recht bald zur Steuerung der sittlichen Versumpfung unserer Zeit! Die edelsten Geister unserer Nation, ein Lessing, Herder, Schiller, Goethe und Schopenhauer haben sich mehr oder weniger deutlich zu ihm bekannt; der letztere, im späteren Lebensalter zur individualistischen Vertiefung seiner Philosophie geneigt, gab ihm den prägnanten Ausdruck: »So sehr auf der Bühne der Welt die Stücke und die Masken wechseln, so bleiben doch in allen die Schauspieler dieselben.«

Genau genommen war er für Bruno, wie für jeden, der die Unentbehrlichkeit seiner Annahme für die Lösung der gewichtigsten metaphysischen, ethischen, kulturgeschichtlichen, psychologischen und physiologischen Probleme erkannt hat, kein bloßer Glaube mehr, sondern wissenschaftliche Überzeugung. Die durch den Darwinismus mächtig angeregte Wissenschaft der Biologie wird vielleicht noch dieser Überzeugung durch physiologische, psychologische und selbst kosmische Beweisgründe zur allgemeinen Anerkennung verhelfen. Die Entwicklungsgeschichte der Gattung bleibt unverständlich, wenn sie nicht zugleich als Entwicklungsgeschichte der Individuen begriffen wird; denn die Gattung als solche ist ein wesenloser Name, und anstatt zu sagen: das Individuum stirbt, die Gattung ist ewig, sollte man gerade durch den Darwinismus belehrt, sagen: die Gattung, d. h. die zeitweilige biologische Daseinsform des Individuums stirbt, das Individuum selbst, als übersinnlicher Träger der veränderlichen Gattung, ist ewig.

Diese Entwicklungslehre ist auch das Fundament der Brunoschen Ethik. Das Individuum, d. h. sein übersinnlicher Wesenskern, die Monade, ist selbst verantwortlich für ihr Dasein und Tun und Leiden; während gerade die Gottheit, – bei der Freiheit und Notwendigkeit eins sind und die nicht etwa, wie Leibniz lehrt, aus unendlich vielen Weltvorstellungen eine beliebige ausgewählt und verwirklicht hat, – der Wahlfreiheit überhoben ist, so ist doch dem endlichen Individuum die Wahlfreiheit nicht abzusprechen. Bruno, de Immenso III e. 1. Desgl. Eroici furori, Argumento (Wagner II, S. 309). Jedes Individuum ist sein eigenes Entwicklungsprodukt; es wird nicht für, sondern durch seine eigenen Handlungen bestraft oder belohnt. Diese innerliche Gerechtigkeit bedarf des äußerlichen Himmels und der äußerlichen Hölle nicht, wenngleich auch die jeweiligen Daseinsumstände dem vorzeitlichen Verdienste jedes Einzelnen entsprechen. Ewige Höllenstrafe, ewige Verdammnis mag ein Drohmittel für den boshaften Pöbel sein, mit der Güte Gottes und der Wandelbarkeit aller Zustände sind sie unvereinbar. Bruno, Spaccio, Wagner II, p. 189.

Wohl aber gibt es ein ewiges Gewissen, ein unzerreißbares Band, das jede Monade mit ihrem göttlichen Ursprung und Endziel verknüpft und sie mit schmerzhafter Spannung daran erinnert, wenn sie sich davon zu entfernen strebt.

»Dieser Schmerz ist der Stachel der Reue, welche deshalb mit Recht unter die Tugenden versetzt wird. Die Reue gleicht dem Schwan unter den Vögeln, er wagt es nicht emporzufliegen, weil das Bewußtsein der Erniedrigung ihn niederdrückt. Darum wendet er sich von der Erde weg und sucht das Wasser auf, welches die Träne der Zerknirschung ist, darin er sich zu reinigen sucht und sich badet, um der lichten Unschuld gleich zu werden. In Erinnerung an ihr erhabenes Erbteil bei sich selber einkehrend, kommt die Seele allmählich dazu, daß sie dem Schlechten entsagt, ihr Gefieder wächst von neuem und sie fliegt empor, erwärmt sich an der Sonne Licht und entbrennt in Liebe für das Göttliche; so wird sie selber ätherisch und verwandelt sich wieder in ihr ursprüngliches Wesen. Mag die Reue zum Vater den Irrtum und zur Mutter die Sünde haben, sie selber nenn' ich die Purpurrose, die spitzigen Dornen entsprießt, einen lichten Funken, der aus hartem Kiesel geschlagen, zur verwandten Sonne hinanstrebt.« Bruno, Spaccio, Wagner II, p. 188.

Die Seele, welche den höchsten sittlichen Entwicklungsgrad auf diesem Planeten erreicht hat, wird vielleicht auf anderen besseren Welten ihren Entwicklungsgang fortsetzen; in diesem Glauben stellen Brunos Sonette vielfach denselben Gedanken dar, welchen ihm Hölderlin, dieser seinem Geiste so nah verwandte deutsche Dichter in seinem Hymnus an das Schicksal also nachgesungen:

»Im heiligsten der Stürme falle
Zusammen meine Kerkerwand
Und herrlicher und freier walle
Mein Geist ins unbekannte Land!
Hier blutet oft der Adler Schwinge,
Auch drüben warte Kampf und Schmerz!
Bis an der Sonnen letzte ringe,
Genährt vom Siege, dieses Herz!«

Die Vervollkommnungsfähigkeit des Individuums ist unendlich. Sein Ziel ist zu werden, wie Gott. Auch Christus sagt: »Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie Euer Vater im Himmel vollkommen ist!« Ev. Matth. V. v. 48. Licht auf den Weg zur Gottheit gibt Bruno in seinem »hohen Liede« der Ethik, den » Furori heroici«, einer »Heilslehre für freie Geister«. Hier ist es die Schönheit, welche erkannt wird als anschauliche Einheit von Form und Materie, also als göttliches Wesen; »der Geist, der das Schöne erblickt und empfunden hat, schreitet unaufhörlich fort vom erschauten Schönen, das eben deshalb nur ein endliches durch Teilnahme am Ganzen schönes ist, zum Wahrhaft-Schönen, das keine Schranke noch Grenze kennt.« »Keine leichte und gewöhnliche, vielmehr die schwierigste auf Vollendung der Persönlichkeit des Menschen abzielende Arbeit bildet unsere Aufgabe, wenn wir den Abglanz und die Mitteilung der Gottheit weder von irgend einer ägyptischen, syrischen, griechischen oder römischen Person, noch gar durch den Zauber eines Trankes oder einer Speise Anspielung auf eine plumpe Auffassung des Abendmahls. zu erlangen hoffen, wie die stumpfsinnige gläubige Menge unseres Zeitalters, und uns nicht damit beruhigen, menschliche Einbildungen anzubeten: sondern in dem erhabenen Tempel des Allmächtigen, dem unendlichen Ätherraum, der grenzenlosen alles schaffenden und alles werdenden Natur mit allen ihren Gestirnen, Welten und Lebewesen die Ordnungen und Ziele, die eine den Höchsten umtönende und im Reigentanz umkreisende Harmonie zu begreifen trachten. Aus der ewigen unermeßlichen und unabzählbaren Wirkung des sichtbaren Weltalls erschließen wir dann aber jene ewige Schönheit und Majestät, der ein endliches Haus nimmer ausreichen, deren Heiligkeit zu umfassen und anzubeten eine geschlossene Zahl von Geistern nimmer genügen würde. Wohlan, richten wir unsere Augen stets auf das vielförmige Abbild der all-einen Gottheit, die uns, die wir im Schiff der Seele dahinsegeln, als Leuchtturm strahlt, die Vernunft führe das Steuer, im Spiegel der Wissenschaft fange sie ihr Licht auf, bewahre im Gedächtnis das Vergangene, erforsche das Gegenwärtige und schaue voraus das Zukünftige. Mit Recht nennt Trismegist den Menschen ein Wunder, da er in Gott eingeht, um selber Gott zu werden, weil er Alles werden soll, wie Gott Alles ist, weil er zu seinem Endziel ohne Ende, das sich dennoch überall bestimmt und gestaltet, vorwärts schreitet, wie die Gottheit unendlich, unermeßlich und doch ganz überall ist.« ( Bruno de immenso, c. I.)

Gewiß ist dies Mystik, dieselbe Schönheits-Mystik, für welche Hypatia, die Schülerin des Plotin, im Kampfe des untergehenden Hellenismus mit dem katholischen kirchlichen Christentum verblutete. Aber es ist eine Mystik, die nicht auf Gedanken-Unklarheit und Gemütsverstimmung, sondern auf Gedankenklarheit und seelischer Harmonie beruht und die sich nicht in den entnervenden tatlosen Quietismus einer buddhistischen Weltverneinung versenkt, sondern zu heroischer Weltbejahung, zu lebendigster Arbeit und Verwirklichung aller Ideale des Schönen, Wahren und Guten begeistert.

Wenn ein Buddha und ein Thomas a Kempis das Einsiedlertum, das Klosterleben, das Zölibat, die Trennung von Familie, Staat und Gesellschaft, die Vernichtung der in »sündige Verderbnis versunkenen Natur« predigen, wenn dem christlichen Mystiker die Vernunft eine Metze des Satans, die Schönheit aber nur ein Flittergewand dieser Metze ist, wenn nur der blinde Glaube den vermeintlichen Nachfolger Christi erlöst: – so ist für Bruno die Natur das schöne Spiegelbild Gottes, die Wissenschaft, Kunst und der tatkräftige Heroismus im Dienste des Vaterlandes und der Menschheit aber das einzige Mittel, sich Gott ähnlich zu machen.

Jener weltflüchtige Mystizismus, der neuerdings auch einen Teil der deutschen Gebildeten dem sogar mit Spiritismus verquickten asiatischen Geheimbuddhismus in die Arme zu treiben droht, läuft bei all seiner Selbstverneinung schließlich nur auf die krankhafteste Selbstsucht hinaus. Diesem pessimistischen Medusenantlitz wird es Zeit, das Perseusschild jener edleren Mystik, welches Plotin an Bruno und letzterer wieder an einen großen deutschen Geistesverwandten dieser beiden Genien überliefert hat, entgegenzuhalten. Dieser deutsche Geistesverwandte Brunos war Schiller.

Gerade die Idee von der erziehenden Bedeutung der Schönheit hat Schiller mit seiner, durch die kantische Kritik geschulten Spekulation, in seinen zur Zeit noch immer nicht genügend gewürdigten »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen« entwickelt, und Brunnhofer macht mit Recht auf die Gleichartigkeit des Gedankeninhalts dieser Briefe mit Brunos Dialogen » Degli heroici furori« aufmerksam. Man vgl. besonders den Schluß des 11. Briefes. »Ob nun gleich ein unendliches Wesen, eine Gottheit nicht werden kann, so muß man doch eine Tendenz göttlich nennen, die das eigentlichste Merkmal der Gottheit, absolute Verkündigung des Vermögens (Wirklichkeit alles Möglichen) und absolute Einheit des Erscheinens (Notwendigkeit alles Wirklichen) zu ihrer unendlichen Aufgabe hat. Die Anlage zu der Gottheit trägt der Mensch unwidersprechlich in seiner Persönlichkeit in sich; der Weg zu der Gottheit, wenn man einen Weg nennen kann, was niemals zum Ziele führt, ist ihm aufgetan in den Sinnen.«

Überhaupt ist es wunderbar, wie Schiller, der anscheinend weder Plotins noch Brunos Werke gelesen hat, aus seiner originalen Geistesverwandtschaft heraus durchaus dieselbe Weltanschauung und zwar in derselben Gefühlsbeleuchtung gewinnen konnte, so daß wir diese unsere Darstellung fast hätten durch einen einfachen Hinweis auf Schillers philosophische Briefe (Julius an Raphael) ersetzen können. Dort findet sich kaum ein Gedanke, für den Brunos Werke keine Parallele böten. Vor allem aber ist es jener Enthusiasmus der denkenden Leidenschaft, jenes »fühle den Gott, den Du denkst«, der den deutschen mit dem italienischen Dichter-Philosophen so eng verbrüdert. Deshalb können wir auch den » Furore heroico« Brunos nicht besser kennzeichnen, als durch folgende Verse Schillers:

»Aufwärts durch die tausendfachen Stufen
Zahlenloser Geister, die nicht schufen,
Waltet göttlich dieser Drang.
Arm in Arme, höher stets und höher,
Vom Barbaren bis zum griech'schen Seher,
Der sich an den letzten Seraph reiht,
Wallen wir einmüt'gen Ringeltanzes,
Bis sich dort im Meer des ew'gen Glanzes
Sterbend untertauchen Raum und Zeit.«

Weil die Ideengemeinschaft und Geistesverwandtschaft Brunos und Schillers eine so auffallende Tatsache ist, durften wir es auch wagen, die Enthüllungsfeier des Bruno-Denkmals zu Rom im Jahre 1900 mit denselben Versen zu begrüßen, mit welchen gelegentlich der Enthüllung eines Schiller-Denkmals einmal Herwegh die geheimnisvolle Eigenart dieses denkenden Dichters geschildert hat:

Es kam ein Schwan gezogen
Vom Geisterland, ein wunderbarer Schwan,
Nach kurzer Rast heimwärts ist er geflogen –
Wir rufen ihm auf seine Sternenbahn
Hinauf den Gruß vom niederen Gestade
Und denken heut der sonnenhellen Pfade,
Die er dahinzog, und der lichten Spur,
In deren Schein verklärt ward die Natur.
Licht floß ihm von der reinen Schwinge nieder.
Licht strahlt' er in des Schicksals dunklen Gang,
Vom Glanz der Wahrheit blitzte sein Gefieder,
Und der Gedanke ward bei ihm Gesang,
Der ihn entzückt in trunk'nem Flug
Bis vor den Thron der Schönheit trug.
Der Menschheit Bild in herrlichster Vollendung,
Wie sich's in tiefem Schauen ihm enthüllt,
Zu offenbaren, – das war seine Sendung:
Er hat sie treu erfüllt. –

Hegel soll einmal unsern Bruno einen Kometen genannt haben, der von der Planetenbahn der schulmäßigen Philosophie weit abgewichen sei, aber vielleicht nach 300 Jahren wiederkehren werde. Er hat sich in seiner Rechnung nicht getäuscht. Schon bedürfen wir keiner Teleskope mehr, um eine neue Weltanschauung, eine Religion der Wissenschaft, in ihrem Aufgange zu erkennen; und deren Morgenstern war Giordano Bruno.


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