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Eppele läßt sich keinen lateinischen Kopf aufsetzen und reitet lieber auf dem Dachfirst

Auf Burg Illesheim wiederum eingelebt, kehrten Eppele schnell auch alle Geister seines Übermutes zurück. Er kletterte verwegener denn je vorher um alle Mauerkanten, streckte den Kopf mit dem straffen, kienrußschwarzen Haar aus Löchern und Luken, in denen nur ein Sperling ohne Gefahr kleben durfte, schlüpfte durch alle Keller und Böden der Burg und trieb vielerlei Hantierung, die Pater Isidor unmöglich als rechte Vorbereitung auf den geistlichen Stand gelten lassen konnte.

Nach ernsthafter Rücksprache hatte Ritter Arnold von Gailing dem Pater Vollmacht erteilt, Eppeles Kopf endlich von den Flausen zu säubern. Dem eifrigen Pater schien das beste Mittel dazu eine strenge Schulzucht, um so mehr auch die Zeit heran kam, den flatterhaften Sinn Eppeles auf die von den Eltern gelobte heilige Bestimmung zu richten. Klettern und Balgen konnte doch kaum als den Wissenschaften förderlich angesehen werden, welcher Wissenschaften aber ein künftiger Chorherr oder Bischof doch mächtig sein muß. Der Wille des Vaters wies demnach Eppele gebieterisch auf den Weg zu jener einsamen Turmstube, wo Pater Isidor stundenlang mit lehrhaft erhobenem Zeigefinger lateinische Formeln vorsprach, sonderbare Zeichen auf Pergament malte, die Eppele nachmalen mußte, und salbungsvolle Ansprachen an den Schüler hielt, der sich über dem erzwungenen Zuhören fast das Maul zerriß vor lauter Gähnwut. Pater Isidor bemerkte die mangelnde Hingabe seines widerborstigen Schülers an die hohen Wissenschaften wohl und verdoppelte seinen Eifer, ohne jedoch den geringsten Eindruck auf Eppele zu machen. Dann warf der erfolglose Lehrer manchmal sein schwarzes Käppchen auf den Boden, trampelte wütend darauf herum und rannte schließlich zornglühend nach dem Eichenschrank, um den recht handlichen Stock zu holen. Ehe der etwas beleibte Pater aber den Stock zur Hand hatte, war Eppele durch die Tür geschlitzt und streckte seinem unbeliebten Lehrer die Zunge heraus, soweit sie nur aus dem Schlund zu bringen war. Nichts half gegen diesen Starrsinn, nicht die strengen Verweise und Rutenstreiche des Vaters, nicht die sanften Bitten und schmeichelnden Versprechungen der Mutter. Eppele wollte einfach nicht gelehrt sein, und weil Pater Isidor trotzdem nicht von seinem Unterricht abließ, ging Eppele zum offenen Widerstand über. Einmal war es dem Kaplan gelungen, Eppele tüchtig durchzubläuen, indem er heimlich die Turmstube abriegelte und den Ausreißer durch diesen verschmitzten Einfall rechtzeitig abfing. Anderntags zeigte sich Eppele erst recht widerborstig, äffte die zierliche lateinische Aussprache des Mönches bellend nach und schnaubte die Nase vor den Augen des Lehrers in das schöne Pergament. In ehrlichem Zorn eilte Pater Isidor zum Stocke, bei Gott und allen Heiligen gewillt, diesmal den Übeltäter zu prügeln, solange ein Arm gehoben und Luft für die erzieherische Arbeit beigebracht werden konnte. Eppele grinste gelassen, drückte sich näher an die Tür und war, den Finger am vorgeschobenen Riegel, zu schleuniger Flucht bereit. Indessen zerrte der Pater verzweifelt am Stock, brachte ihn aber nicht vom Fleck, und da er nachsah, fand er den Stock an den Schrank genagelt. Eppeles Hohngelächter klang bereits von draußen zu Pater Isidor. Bei einer günstigen Stunde holte Eppele den Burgkaplan zu seiner Mutter, die den Beichtvater dringend in Gewissensnot sprechen müßte. Der würdige Kaplan erhob sich auch sofort und drückte das Käpplein fest auf die Tonsur. Frau Jutta war nicht wenig erstaunt über den unerwarteten geistlichen Besuch, noch erstaunter aber von der krampfhaften und erfolglosen Bemühung des Paters, das Käpplein vom Haupte zu ziehen. Eppele hatte es in einem abgepaßten Augenblick innen kräftig mit Pech beschmiert. Für einen schönen Sommernachmittag hatte sich der Kaplan einen Gang zum Augustinerkloster in Windsheim vorgesetzt. Wie verwunderten sich dann aber die Burgleute von Illesheim, als nach einem knappen Viertelstündchen der ehrwürdige Pater in den Schloßhof stürzte, mit den Armen um sich schlug, als wollte er über den Bergfried hinausfliegen und unverständliche Laute schrie. Was war geschehen? Eppele hatte dem Burgpfaffen eine große Scheibe Honig in die Kapuze gesteckt, listig dabei berechnend, bei dem heißen Wetter würde Pater Isidor die Kapuze kaum gebrauchen. Die Bienen hatten den Honig bald gewittert, waren zu Hunderten und Tausenden angeschwärmt und hatten den Pater in arge Nöte gebracht. Ein halbes Volk hing an der Kapuze und es brauchte alle Vorsicht, den Kaplan von der Kapuze zu befreien, ohne daß die gereizten Bienen ihn noch mehr zerstachen.

Stets sann Eppele auf einen Streich, der ihn völlig aus Pater Isidors verhaßter Zucht befreien konnte. Er tratzte den Lehrer, wo es nur anging, stellte sich immer aufsässiger und floh aus der Turmstube, so oft das Loch zu erwischen war. Dafür strich er dann durch die Stallungen, hing sich den ungebärdigsten jungen Gäulen an Schwanz und Kruppe, wenn die Knechte zuritten und kannte bald jedes Pferd im Illesheimer Burgstall. Pater Isidor hoffte trotzdem noch immer, den schlummernden Geist der Wissenschaften in seinem Schüler aufzuwecken, und gebrauchte in dieser hohen Absicht den Stock ausgiebig. Eines Morgens war der geplagte Pater wieder einmal emsig dabei, der Kehrseite Eppeles einzuprägen, was nicht in den harten Kopf gehen wollte. Unversehens riß sich Eppele los, war mit zwei Sätzen beim offenen Fenster und schwang den schlanken Leib gewandt über die Brüstung. An allen Gliedern gelähmt starrte der Kaplan dem tollkühnen Kletterer nach, sprach aus seines Herzens Angst schnell ein Stoßgebetlein und rannte auf dem kürzesten Weg nach dem Burghof. Dort standen schon die Gesindeleute, Knechte und Mägde, und gafften mit offenen Mäulern zum Himmel auf. Über den First des Bergfrieds turnte der Ausreißer, schnitt Grimassen und drehte dem Pater, der beschwörend die Arme zu ihm aufstreckte, die längste aller langen Nasen. Mit seiner sanftesten Stimme rief Pater Isidor Eppele in seiner schwindelnden Höhe an und bat ihn, doch den Himmel nicht zu versuchen und herabzusteigen.

Eppele zeigte zur Antwort nur die Zunge und rutschte weiter den First entlang. Dem Kaplan und wohl noch manchem anderen Zuschauer stand der Angstschweiß hell auf der Stirn. Doch erst dann begab sich Eppele aus seiner halsbrecherischen Höhe, da Pater Isidor mit aufgehobenen Fingern beschworen hatte, für die Folge nicht mehr den Stock anzurühren und überhaupt glimpflich mit seinem Schüler zu verfahren. Den Schluß des Schwurs vernahm eben noch Ritter Arnold von Gailing, der just in den Burghof ritt. Er sah erst zu seinem Sohn empor, der eilig in die höchste Dachluke einstieg, betrachtete sodann den völlig geknickten Pater und schüttelte halb zornig, halb belustigt den Kopf.


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