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IV. Die evangelische Kirche im Kampf

Die Sonne schien schon in das Fenster, als Hertha am nächsten Morgen erwachte. Das vermochte sie erst, wenn sie sehr hoch am Himmel stand, so daß sie über die hohen Vorderhäuser hinwegscheinen konnte. An Herthas Bette stand ein Strauß wundervoller Rosen. Als sie sich aufgerichtet, um die Rosen zu nehmen und ihren Duft zu genießen, wurde sie von einem so starken Kopfschmerz befallen, daß sie kaum schnell genug den Strauß wieder absetzen konnte.

Durch das Geräusch wurde die alte Sarah aufmerksam und trat in die Stube.

»Nun, Ihr habt geschlafen wie in Abrahams Schoß; Gottes Güte wird Euch wieder lassen gesund werden«, sagte sie freundlich, Hertha mit der Hand über die Stirn streichend.

»Wenn nur die Kopfschmerzen nicht wären!« sagte Hertha matt. »Es ist mir so schwer, daß ich Ihnen hier so zur Last fallen muß. Aber ich sehe, daß Sie es aus gutem Herzen tun. Haben Sie innigen Dank, auch für die wundervollen Rosen.«

»Die hat der Joseph heute besorgt aus dem Laden vom Gärtner Werner.« Hertha errötete und schloß die Augen. Sarah glaubte, sie wolle schlafen und ließ sie wieder allein. Doch Hertha schlief nicht. Die Ihrigen hatten ihr von ihrer Rettung erzählt; sie selbst hatte keine bewußte Erinnerung daran und doch hatten in der letzten Nacht Traumbilder wie Erinnerungen sie umgaukelt. Sie fühlte ein ernstes Auge besorgt auf sich gerichtet und von nervigen Armen sich gepackt. Ihr Haupt lag an einer Brust, in der sie das Herz schlagen hörte. Das war nicht Fritz, ihr Jugendfreund, dem sie es oft angemerkt, daß er in zarter Weise um sie warb. Nein, das konnte nur jener andere sein, jener Furchtbare, dessen Fanatismus die Massen zu ihrem wahnsinnigen Haß aufgepeitscht. Und von ihm diese Rosen? Am liebsten hätte sie die Rosen nun in Stücke gerissen und in der Stube verstreut. Sie mochte sie nicht mehr ansehen.

Da öffnete sich die Tür und Joseph trat herein. Höflich erkundigte er sich nach ihrem Ergehen und reichte ihr die Hand. Hertha hatte die Absicht, ihm nicht die Hand zu geben; aber als diese dunklen Augen auf ihr ruhten mit einem Ausdruck, als ob sie sich in ihre Seele bohren wollten, da war es mit ihrer Willenskraft vorbei. Sie mußte seine Hand nehmen und mit schwacher Stimme sagen: »Haben Sie Dank, daß Sie mich vorgestern gerettet; die Rosen ...«, weiter kam sie nicht, da eine Ohnmacht wieder ihre Sinne umfing.

Lange hielt Joseph ihre Hand fest und ließ seine Augen auf ihr ruhen. Dann seufzte er auf und ging ruhig hinaus in die Küche, wo die Mutter das Essen gerichtet hatte. Das Mahl wurde schweigend eingenommen. Jeder hütete sich, einen der strittigen Punkte zu berühren. Nach dem Essen ging Joseph wieder seines Wegs. Er war rastlos tätig, in allen kommunistischen Vereinen die Begeisterung für die russische Revolution zu wecken und eine Revolution in Deutschland vorzubereiten. Doch ging es ihm dabei merkwürdig. Wenn er in alter Weise gegen die Kirchen hetzen wollte, stand immer das begeisterte edle Antlitz Arnos und ein bleiches, von goldenen Flechten umrahmtes Mädchenantlitz vor seiner Seele. Er konnte deshalb zuweilen meinen, Haß gegen die beiden Geschwister zu empfinden; trotzdem aber zog es ihn immer wieder zu Hertha hin, und es war ihm wunderbar heimelig zumute, wenn er neben dem schlummernden Mädchen stehen durfte und ihren Atemzügen lauschen. Sie sprachen selten miteinander, aber auch Hertha ging es eigenartig. Sie meinte ihn zu hassen, wie sie es für ihre Pflicht hielt – und dann ertappte sie sich doch immer wieder dabei, daß sie nach seinem Kommen ausschaute und daß sie in seiner Anwesenheit eine Art beruhigendes Heimatsgefühl ankam. Dieser innere Konflikt verlangsamte ihre Wiederherstellung, so daß es acht Tage dauerte, bis sie in einer Droschke nach Hause gefahren werden konnte. Joseph war nicht zugegen. Von den beiden guten alten Leuten nahm sie mit innigem Danke Abschied. Dem Grafen war's eine besondere Freude, daß es ihm gelang, dem alten Aron einige lohnende Aufträge zu verschaffen und sich so erkenntlich zu erweisen.

Der Tag der Eröffnung der Generalsynode der Deutschen evangelischen Kirche und der ersten Tagung der Protestantischen Religionsgesellschaft nahte heran. Das Domkandidatenstift nahm geschlossen an der Eröffnungssitzung der ersteren teil. Hasso schloß sich ihnen an. Der Vater hätte es auch gerne getan; da er aber nicht in amtlicher Eigenschaft daran teilnahm, konnte er nicht gut um Urlaub deshalb bitten. Die Versammlung fand im Saale des Stadtmissionshauses statt.

Der Erzbischof der deutsch-evangelischen Kirche eröffnete sie nach einem gemeinsam gesungenen Liede mit einer Andacht. Sodann begrüßte er herzlich die anwesenden Vertreter anderer evangelischen Kirchen und betonte den großen Segen der Zusammenarbeit der evangelischen Kirchen aller Länder, und wie diese Tagung die Vorbereitung der deutsch-evangelischen Kirche für die Weltsynode der evangelischen Kirche in Genf im nächsten Jahre darstelle. »Wir können uns«, fügte er hinzu, »heute kaum noch in die Zeiten des kirchlichen Territorialismus zurückversetzen, wo jedes kleine deutsche Ländchen seine eigene Kirche hatte und diese 28 eigenen Landeskirchen eifersüchtig ihre Sonderrechte und ihre Eigenart zu wahren suchten.« Auf die innerkirchlichen Verhältnisse übergehend, führte er aus, wie man aus Liebe zum deutschen Volke den volkskirchlichen Charakter der Kirche so lange wie möglich zu erhalten gesucht habe; seit aber die Zahl der Ausgetretenen immer zugenommen habe, sei man durch die Entwicklung, in der man doch Gottes Willen zu respektieren habe, von selbst in die freikirchliche Art hineingedrängt worden, so daß man jetzt nicht mehr durch Geburt, sondern durch freie Entscheidung Mitglied unserer Kirche werde. Was wir dadurch an Zahl und Einfluß auf die Gesamtheit des Volkes verloren, haben wir dafür an innerer Kraft gewonnen.

Wieviel berechtigte Wünsche in bezug auf unsere Verfassung konnten z. B. durch die Kirchenverfassungen der deutschen Territorialkirchen von 1920 bis 1922 nicht erfüllt werden, weil man den Zusammenhang mit Elementen, die längst nicht mehr zu uns gehörten, durchaus festhalten wollte. Diese, die sich später von uns getrennt haben, deckten sich durchaus nicht mit der Partei der früheren sogenannten »Liberalen«. Wieviel Tausende aus dem Lager dieser »Liberalen« sind durch ihre Liebe zu Jesus in unsere Reihen geführt worden, nachdem sie erkannt, daß es ein verhängnisvoller Irrtum war, die jeweiligen Verstandesbedenken gegen Wahrheiten der christlichen Verkündigung oder gegen Tatsachen des Heils mit dem Nimbus von »Gewissensbedenken« zu umgeben und sie dann im Namen der »Gewissensfreiheit« in die christliche Verkündigung einzuschmuggeln. Sie haben gelernt, das Stückwerk unserer Vernunfterkenntnis gefangen zu nehmen unter den Gehorsam des Kreuzes Christi im hoffnungsvollen Warten auf die Zeit, wo wir im Lichte der vollkommenen Liebe nicht mehr den unebenen Spiegel des dunklen Menschenwortes nötig haben, sondern den absolut vollkommenen Ausdruck finden werden für die göttliche Wahrheit. Aber die, die unbelehrbar waren, die nicht abließen, die Tranlampe der Menschenvernunft höher zu stellen als die Sonne der göttlichen Offenbarung, bei der Kirche festzuhalten durch allerhand Konzessionen in bezug auf die Verfassung und die Geschlossenheit der Lehrverkündigung, hat sich als ein vergebliches Bemühen gezeigt. Andererseits haben uns auch viele derer, die sich früher »Positive« nannten, verlassen. Es waren alle, die trotz ihres Festhaltens an den Bekenntnissen jeder Geistesbewegung in der Kirche hemmend in den Weg traten, denen in ihrer einseitig volkskirchlichen Einstellung die klaren scharfen Gegensätze der Schrift zwischen Leben und Tod, Licht und Finsternis, bekehrt und unbekehrt, Reich Gottes und Welt und darum auch das prophetische Zukunftsbild der Schrift im Grunde zuwider waren, und die daher in ihrem übertriebenen Wertlegen auf die Kindertaufe und alles Volkskirchliche immer wieder zeigten, daß der volksumfassende und volksbeherrschende Charakter der Kirche ihnen wichtiger war als das Leben aus Gott, dessen Weckung und Pflege doch der einzige Zweck der Tätigkeit der Kirche ist. Seit alle diese Elemente von uns gegangen, hatten wir endlich Freiheit, uns eine Verfassung zu geben, die eine tatkräftige Initiative der Kirchenleitung mit einer planmäßigen Mobilisierung des Laienelements für die Arbeit der Kirche verbindet. Doch wir sind uns wohl bewußt, daß die Verfassung nur das äußere Gewand der Kirche ist. Mit Dank gegen Gott können wir bezeugen, daß neues Glaubensleben durch die gewaltigen Erweckungen des letzten Jahrzehnts entstanden ist. Dieses Glaubensleben setzt die Kirche instand, alle die Hemmnisse in der Arbeit, die von seiten des Staates uns in den Weg gelegt worden sind, zu überwinden. Wenn wir auch keine Kirchensteuer mehr erheben dürfen, so bringen doch die freiwilligen Liebesopfer einen größeren Ertrag, als die Kirchensteuer früher gebracht hat. Wenn auch der Religionsunterricht aus den öffentlichen Schulen gänzlich beseitigt worden ist, so haben wir doch so viel freiwillige Helfer gefunden, daß jedes Kind unserer Gemeinden im Worte Gottes unterwiesen werden kann. So ist manches Erfreuliche zu melden. Zu dem Unerfreulichen und Schmerzlichen gehörte unser bisheriges Verhältnis zur katholischen Kirche. Nachdem sie ihre eigenen Rechte in bezug auf Kirchensteuern, Religionsunterricht und andere Fragen durch Konkordate gesichert, hat sie mit Hilfe des religionsfeindlichen Staates alles getan, um unsere Kirche zu unterdrücken. »Unsere Gegenmaßnahmen gegen das Vorgehen der römischen Kirche« steht daher auf unserer Tagesordnung. Da scheint nun sozusagen über Nacht ein merkwürdiger Umschwung eingetreten zu sein. An Stelle des verstorbenen Papstes Leo XIV. hat der General des Franziskanerordens, das Haupt der starken religiösen, auf biblische Vertiefung gerichteten Bewegung in der katholischen Kirche, unter dem Namen Pius XII. den päpstlichen Stuhl bestiegen. Seine erste Bulle: »Irreparabile damnum« beklagt zwar in üblicher Weise die konfessionelle Spaltung, reicht dann aber den evangelischen Kirchen, die sich von der Rücksicht auf nicht im Bibelglauben stehende Kirchenglieder freigemacht haben, die Bruderhand. Die Geltung der Borromäus-Enzyklika und der scharfen Bestimmungen des neuen Kirchenrechts wird in bezug auf diese Kirchen ausdrücklich aufgehoben und bleibt nur gegenüber der »Protestantischen Religionsgesellschaft« und ähnlichen Organisationen anderer Länder in Geltung. Der Papst fordert die Katholiken auf, mit den auf dem Grunde des apostolischen Glaubensbekenntnisses ruhenden evangelischen Kirchen gegen die gemeinsamen Feinde zu kämpfen. Es geht wie ein Aufatmen durch die Reihen der frommen Katholiken. Als erste Frucht dieser Enzyklika kann ich mitteilen, daß der Kardinalerzbischof von Köln mir ein herzliches Begrüßungstelegramm zum heutigen Tage und einen aufrichtigen Segenswunsch für die Generalsynode übersandt hat. Somit ist jener Punkt der heutigen Tagesordnung gegenstandslos geworden. Ich schlage daher vor, das Telegramm des Kardinalerzbischofs in gleichem Sinne zu erwidern. So haben wir viel zu loben und zu danken. Das soll uns aber nicht blind machen für die Gefahren, von denen wir umlauert sind. Immer mehr verschließt sich unser Volk dem Evangelium. Es scheint kaum mehr möglich, die frohe Botschaft an andere Kreise außerhalb unserer Gemeinden heranzubringen. Unsere Missionen unter den heidnischen Völkern können nur noch zum kleinen Teil ihre Arbeit weiterführen. Die Kolonialregierungen, ganz unter der Herrschaft kapitalistischer Gesichtspunkte, empfinden die Tätigkeit der Missionen störend, da die bekehrten Eingeborenen ein weniger bequemes Ausbeutungsobjekt sind, und die Missionare von den Weißen als ein unbequemes Gewissen empfunden werden. Die bekehrten Eingeborenen sind der rücksichtslosen Willkür der Behörden ausgesetzt. Dadurch wird die Zahl neuer Taufen von Jahr zu Jahr geringer und nicht ferne scheint die Zeit, wo die Türen für die Heidenmission sich endgültig schließen. Dunkle Schatten senken sich von Osten her über Europa, und die russische Revolution scheint der Beginn einer schweren Heimsuchung der Christenheit zu werden. Was aber auch kommen möge, wir heben unsere Häupter auf, darum, daß sich unsere Erlösung naht. Wir beten mit der ganzen Gemeinde: »Komm bald, Herr Jesu!«

Nachdem die Versammlung stehend das Lied gesungen: »Eine Herde und ein Hirt«, trat die Synode in die Besprechung des Berichts ein. Es war erquickend, zu sehen, wie die kirchenpolitischen Gruppen mit erfreulicher Einmütigkeit, jede von einem anderen Gesichtspunkt aus, ihre Zustimmung erklärten. Nach der Besprechung wurde diese Eröffnungssitzung mit Gebet geschlossen.

Arno und Hasso hatten tiefe Eindrücke empfangen. Arno sagte: »Ja, mit einer solchen Kirche im Rücken kann man's wagen, in die Höhle des Löwen zu gehen!«, während Hasso die Hoffnung aussprach: »Möge es Gott gelingen uns zuzubereiten, daß wir allem Kommenden zu Trotz die Wiederkunft unseres Herrn mit Freuden erwarten.«

Am Nachmittage gingen die Brüder, denen sich Fritz Werner anschloß, zur Eröffnungssitzung des ersten Kongresses der »Deutschen Protestantischen Religionsgesellschaft«. Als sie vor dem vornehmen, weiten Gebäude des ehemaligen Herrenhauses in der Leipziger Straße ankamen, trat ihnen gleich der ganz andere Charakter dieser Versammlung entgegen. Die große Reihe der Autos, die sich angestaut hatten, verursachte eine Verkehrsstockung. Man merkte, hier waren die maßgebenden Leute der Gesellschaft vertreten. Über die ganze Breite des palastartigen Gebäudes war zwischen Erdgeschoß und erstem Stock eine Leinwand gezogen, auf der mit schwarzen Buchstaben stand: »1. Kongreß der Deutschen Protestantischen Religionsgesellschaft«; an den Seiten stand mit roter Schrift links das Wort: »Duldung«, rechts das Wort: »Freiheit«.

»Dies ist die zweite große religiöse Versammlung, die seit der Revolution von 1918 hier abgehalten wird«, sagte Arno.

»Welches war denn die erste?« fragte Fritz Werner.

»Die 25jährige Jahres- oder Jubiläumskonferenz eures Jugendbundes für entschiedenes Christentum im Oktober 1919«, sagte Arno. »Wie ich aus der Geschichte des Bundes weiß, war damals gerade solche Leinwand quer über das Gebäude gespannt; damals aber leuchteten die Worte: ›Für Christus und die Kirche‹ und ›Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder‹ von der Leinwand in das Großstadttreiben hinein.«

»Ja, ich habe von alten Leuten gehört, wie wunderbar gesegnet diese Konferenz gewesen ist«, bestätigte Fritz, »hatte aber ganz vergessen, daß sie hier stattgefunden hat.«

Durch Vermittlung eines Vorgesetzten des alten Grafen war es den drei jungen Männern gelungen, in den Besitz von drei Tribünenkarten zu gelangen.

Nach dem gemeinsamen Gesang des ersten Verses des Liedes: »In allen meinen Taten« und der Verlesung eines Psalmwortes erklärte der Vorsitzende, ein Professor der Religionswissenschaft an der Berliner Universität, die Versammlung für eröffnet. Er wies auf die große Bedeutung des Kongresses hin, der unter den Losungsworten »Duldung« und »Freiheit« seine Arbeiten beginne. Sodann begrüßte er mit herzlichen Worten die auf dem Kongreß vertretenen religiösen Korporationen. »Ich begrüße die protestantischen Gemeinden, die durch die Unduldsamkeit der sogenannten ›Evangelischen Kirche‹ aus ihrem bisherigen Kirchenverbande herausgedrängt worden sind. Sie haben leiden müssen um ihrer freien Überzeugung willen. Sie bilden den Grundstock unserer Organisation. Ich begrüße die freireligiösen Gemeinden, die stets Schulter an Schulter mit uns gekämpft haben für eine freie Religionsauffassung und gegen Pfaffentum und Muckertum. Ich grüße die Gemeinden des Monistenbundes, deren Arbeitsziel die Verbindung moderner naturphilosophischer mit ernst religiöser Auffassung ist; ich begrüße die theosophischen und anthroposophischen Gemeinden, die das religiös Wertvolle der 400 Millionen Anhänger zählenden buddhistischen Religion mit unserer westeuropäischen Welt- und Lebensauffassung zu verbinden sich angelegen sein lassen; ich begrüße die Vertreter einer volkstümlichen Religiosität, die sich auf die Religion unserer germanischen Vorfahren zurückführt und sich die Dienstbarmachung der Kräfte der unsichtbaren Welt unter den menschlichen Willen zum Ziele gesetzt hat; in den finsteren Zeiten der Vergangenheit nannte man die dieser Religiosität zugrunde liegenden Auffassungen und Betätigungen ›Zauberei und Aberglaube‹; wir modernen aufgeklärten Menschen dulden nicht nur diese Anschauungen, sondern stellen auch diese Strömung in den Dienst unserer Kulturziele und begrüßen ihre Vertreter als wertvolle Bundesgenossen im Kampfe gegen die Dunkelmänner der Orthodoxie und des Pietismus. Was uns alle verbindet, ist ja im Namen unseres Kongresses ausgedrückt: ›Kongreß der Protestantischen Religionsgesellschaft‹. Wir sind protestantisch in einem weiteren Sinne als die Protestanten des Reichstages von Speyer, wir protestieren gegen alles, was der freien Entwicklung des Menschengeistes Fesseln anlegen will, ob es sich nun ›evangelisch‹ oder ›katholisch‹ nennt, wir protestieren gegen jede Einengung, durch die man das weltumfassende religiöse Gefühl in bestimmte Dogmen, Lehren, ›Wahrheiten‹ hineinzwängen will, und kämpfen für unsere beiden großen Ziele: ›Duldung und Freiheit‹, dieses wahre Evangelium der Menschheit, für das auch der große Weise von Nazareth, nach dem sich die Kirchen fälschlich nennen, in den Tod gegangen ist. Unsere Tagung ist ein bedeutsames Ereignis in der Geschichte unseres deutschen Volkes. Während die beiden ›christlichen‹ Kirchen immer mehr die Fühlung mit der deutschen Volksseele verloren haben, stehen die maßgebenden Führer des neuen Deutschland auf unserer Seite. Die Entwicklung nicht nur der deutschen, nein, der gesamten menschheitlichen Kultur arbeitet für uns. Unsere Religionsgesellschaft ist daher die feste Stütze des modernen Staates, und wenn erst ein großer Verband alle Gleichgesinnten umschlingt in allen Nationen, dann wird unsere Religionsgesellschaft die Seele der Nationen werden, und die festeste Stütze des Bundes der Nationen, den wir alle so heiß ersehnen. Dazu wolle der Himmel seinen Segen geben!«

Ein nicht enden wollender stürmischer Beifall folgte den Worten. Eine gehobene Stimmung lag auf der Versammlung, wie sie sich leicht einstellt bei dem Gefühl, einem bedeutsamen, geschichtlichen Ereignis beiwohnen zu dürfen. Als endlich wieder Ruhe eingetreten, las der Vorsitzende herzliche Begrüßungstelegramme von seiten der Regierung, seitens des Vorstandes des Weltbundes der Freimaurerorden, sowie seitens einiger modern-religiöser Verbände Indiens und Japans.

Als erster Punkt stand auf der Tagesordnung: »Erfreuliche Erscheinungen im modernen Katholizismus.«

Der Referent betonte, daß das Thema in dieser Form durch die neueren Ereignisse leider überholt worden sei. Der vorige Papst Leo XIV. habe in seiner Abneigung gegen den Protestantismus ganz auf dem traditionellen Standpunkt gestanden; aber seine Maßnahmen hätten doch nur die »Evangelische Kirche«, die ihm wegen ihres sektenhaften Charakters besonders zuwider gewesen sei, aber nicht den freigerichteten Protestantismus geschädigt. Dagegen sei seine sichtliche Abneigung gegen die fanatisch-religiöse Tätigkeit der Orden mit Freuden zu begrüßen gewesen. Sie habe ihre Ursache darin gehabt, daß der Papst im Grunde ein modern denkender Mann gewesen sei, dem jede religiöse Schwärmerei verhaßt war. Dagegen sei er ein warmer Freund der Wissenschaft und der schönen Künste gewesen, und habe viel dazu getan, um einen heiter frohen Lebensgenuß auch bei seinem Klerus durch sein eigenes Beispiel zu befördern. Und nun dieser erschütternde Wechsel! Das Oberhaupt der fanatisch rückschrittlichen Richtung im Katholizismus besteigt den päpstlichen Stuhl und reicht der evangelischen Kirche Deutschlands die Bruderhand! »Ich brauche in dieser erlauchten Versammlung nicht die ungeheuren Gefahren für die gesamte moderne Kultur zu betonen, die sich aus einem Bündnis dieser beiden dunklen Mächte ergeben. Heute morgen ist in der Generalsynode sogar ein Begrüßungstelegramm des Kardinalerzbischofs von Köln verlesen worden. Gegen dieses Bündnis gilt es alle unsere Kräfte, im Notfall sogar die Machtmittel des Staates mobil zu machen. Der Staat wird es begreifen, daß ihm hier ein ungeheuer gefährlicher innerer Feind entsteht, den er allein kaum überwinden kann, wenn nicht unsere machtvolle Organisation hilft, das Volksgewissen darüber aufzuklären. So ist aus dem ursprünglichen Thema ein anderes geworden: ›Bedrohliche Erscheinungen im modernen Katholizismus‹; und ich rufe Sie auf zur Betätigung Ihrer allgemeinen Wehrpflicht zum Schuhe des bedrohten ›Protestantismus‹.« In der eingehenden Besprechung fanden die Redner lebhafte Zustimmung vom weit überwiegenden Teile der Versammlung.

Darauf schloß der Vorsitzende die Eröffnungsversammlung, nachdem noch Antworttelegramme auf die Begrüßungen vorgeschlagen und beschlossen worden waren.

»Ja, du hast recht«, sagte Hasso zu Arno, »in eine Höhle des Löwen wirst du dich begeben, wenn du dich dieser Religionsgesellschaft anschließt, um an ihren Gliedern zu missionieren.«

»Und Gott ist heute noch derselbe, der Daniel einst in der Löwengrube beschützt hat«, erwiderte der Angeredete.

»Ich kann mir nicht helfen«, sagte Fritz traurig, »dein Plan erinnert mich zu sehr an den Gedanken, der einst dem Heiland in der Wüste nahegebracht wurde, durch eine recht Aufsehen erregende Tat, wie das Hinabspringen von der Tempelzinne, seine Anerkennung seitens des Volkes zu erzwingen. So willst du durch eine Tat, die ganz außerhalb der Linien der göttlichen Führung seiner Gemeinden liegt, große Missionserfolge erzwingen; ich befürchte, daß die Engel Gottes dich nicht behüten werden, ›daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest!‹«

»Nun, wir werden es ja sehen«, sagte Arno ungeduldig, »jedenfalls war mir dieser Kongreß zur Orientierung über meine zukünftigen Schwierigkeiten von großer Wichtigkeit.«

Nach dem Abendbrot trafen die drei sich wieder im »Christlichen Verein junger Männer«, wo Arno eine Bibelstunde übernommen hatte.

Am nächsten Mittag gegen 12 Uhr fuhr ein elegantes Auto bei der Weinhandlung von Gambrinski in der Leipziger Straße vor. Schon mehrere Kraftwagen hielten vor diesem vornehmen Restaurant, dem Treffpunkt der Kreise, die über die nötige dicke Brieftasche verfügten. Ein Herr in Pelz und Zylinder mit einer Aktenmappe unter dem Arme sprang aus dem Wagen und befahl dem Chauffeur zu warten. Der Portier in seinem langen grünen, goldgestickten Überrock verneigte sich tief und öffnete die Glastür. Der Herr schritt schnell durch die Säle hindurch bis zu einem Separatzimmer, in dem schon einige Herren bei einem Sektfrühstück saßen.

»Na, Herr Ministerialrat«, sagte ein dicker Herr mit einem wohlgepflegten schwarzen Vollbart, »es hat wohl wieder so manchen Ärjer jejeben, daß Sie so spät kommen.«

»Ja«, meinte der Angekommene, nachdem er sich beim Kellner eine Flasche Heidsieck Monopol, etwas Hummermayonnaise und einige Kaviarbrötchen bestellt, »die dummen Russen machen uns im Auswärtigen Amt viel Kopfzerbrechen, und Sie wissen, Herr Bankdirektor, gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Darauf muß man sich erst einmal ein bißchen stärken, denn mir ist, wie man in der Schweiz so schön sagt, ganz ›geschmuecht‹!«

»Na, was haben sie denn ausjefressen?« fragte ein jüdisch aussehender Herr, der mit auffallender Eleganz gekleidet war und eine dicke goldene Uhrkette trug, indem er eine Auster behaglich ausschlürfte.

»Nu, denken Se, Herr Kahn, sie kämpfen tatsächlich verzweifelt gegen die bolschewistische Revolution an; nicht so um den Schein zu wahren, sondern auf Tod und Leben. Sie wissen noch nicht, daß die Bande uns braucht, ohne das Großkapital überhaupt nichts anfangen kann, daß sie also durch den eigenen Vorteil gezwungen sind, fein säuberlich mit uns zu verfahren.«

»Ja aber, Herr Ministerialrat, wenn wir uns in die Lage hineinversetzen, würden wir uns nicht auch wehren?« fragte ängstlich Herr Kahn, der Inhaber eines großen Warenhauses in der Chausseestraße. »In solchen Revolutionszeiten will die Leidenschaft des Volkes Opfer haben, und wer kommt als solches Opfer eher in Betracht als immer wieder die Reichen?«

»Sie sind ein Kindskopf, mein lieber Kahn«, sagte der Ministerialrat, »kennen Sie so wenig die Geschichte der Revolutionen, um nicht zu wissen, daß unsere Leute es stets verstanden haben, dem Volke Blitzableiter für seine Wut zu schaffen?«

»Ja, ich verstehe«, sagte der Bankdirektor, »Sie meinen, daß dem Volke in solchen Zeiten die Plünderung der Läden ruhig überlassen und das Kleinkapital ausgeliefert wird?«

»Das würde wohl noch nicht genügen«, erwiderte der Ministerialrat, »dadurch würde der Volkszorn sich noch nicht austoben; diese Plünderungen geschehen mehr aus Vergnügen und Zerstörungslust, zuweilen auch aus Hunger. Wozu haben denn aber unsere Leute seit 1848 stets den Haß gegen Kirche und Pfaffen geschürt? Doch nur, um einen Blitzableiter zurzeit zur Hand zu haben. Ist es da nicht ein Treppenwitz der Weltgeschichte, wie einige überschlau sein wollende Vertreter der Kirche uns dabei unbewußt in die Hände gearbeitet haben? Leute, wie der verstorbene Papst Leo XIV., die in hochpolitischem Opportunismus sich mit uns gut zu stellen suchten, um einige Vorteile für ihre Kirche herauszuschlagen, haben es unseren Agenten leicht gemacht, dem Volke gegenüber die Kirche als Schutztruppe des Kapitalismus hinzustellen und so beizeiten für einen Blitzableiter der Volkswut zu sorgen. Andererseits haben wir uns stets gehütet, diese Blitzableiter zu zerstören. Darum haben wir nach der vorigen Revolution die Kirchen wieder zur rechten Zeit geschont.«

»Verzeihen Sie eine Zwischenfrage«, wandte Herr Kahn ein, »ich bin als Jude über diese Dinge nicht so orientiert. Meines Wissens hat doch die Demokratie eigentlich nie gegen die Kirchen gehetzt, sondern immer nur gegen die herrschende orthodoxe Richtung?«

»Natürlich, lieber Herr Kahn, waren unsere Leute nicht so dumm, im Parlament und im Parteiprogramm gegen die Kirchen als solche zu reden; sonst hätten wir ja alle religiösen Menschen gegen uns gehabt. Wir haben selbstverständlich nur im Namen von ›Duldung und Freiheit‹ gegen die Orthodoxie uns gewandt. Da aber seit der Revolution 1848 die Orthodoxie in den Kirchen stets die Herrschaft hatte, so kam das auf dasselbe hinaus, und in Volksreden und Zeitungsartikeln haben unsere Leute auch keinen Zweifel gelassen, wie unser Kampf gegen die Orthodoxie eigentlich gemeint war. Offiziell wurden natürlich derartige Äußerungen desavouiert, aber der Zweck wurde erreicht: die Massen haben uns verstanden.«

»Na, wenn diesmal nur unsere Karre nicht in den Dreck hineingeritten wird«, wandte der Bankdirektor ein.

»Solange wir die bewährten zwei Gäule ›Duldung‹ und ›Freiheit‹ vor unseren Karren gespannt haben, wird die Sache schon nicht schief gehen«, beruhigte der Ministerialrat. »Wie man schlapp werdenden Gäulen zur rechten Zeit etwas Arsenik gibt, so ist es auch bei diesen bewährten alten Kleppern. Man muß sie je nach den Zeitverhältnissen immer wieder ein bißchen auffrischen. Wenn sie dann so recht forsch die Nüstern aufblähen und das Fell ihnen wieder jugendlich glänzt, dann kribbelt es unseren braven deutschen Spießbürgern – und das sind auch die Arbeiter – vor Begeisterung und Wonne im ganzen Körper, sobald sie ihrer ansichtig werden.«

»Nu jeht mir ein Dreierlicht auf«, sagte ein vierschrötiger Herr mit einem Bulldoggengesicht, »wozu die offiziöse Presse von diesem religiösen Kongreß so'ne Wirtschaft macht, daß man denken könnte, die Preßbengels hätten mit einmal die Frömmigkeit mit Löffeln jefressen. Da hat die Regierung den alten bewährten Gäulen ›Duldung‹ und ›Freiheit‹ wohl wieder einmal etwas zur Auffrischung jejeben, damit sie unsere Karre wieder tüchtig anziehen sollen?« Er lachte, daß ihm ein Bissen in die falsche Kehle kam.

»Sie hatten wohl schon befürchtet, die Regierung – und das sind wir! – hätte plötzlich eine religiöse Anwandlung gekriegt?« sagte der Bankdirektor. »Nee, alter Schwede, das brauchen Sie nicht zu befürchten! Unsere Religion sitzt hier!« Dabei schlug er im Ton der Überzeugung auf seine rechte Brustseite, wo seine Geldtasche steckte.

»Die Herren haben recht gesehen«, sagte der Ministerialrat, »Sie werden bemerkt haben, wie die alten Gäule immer noch ziehen. Wir verfolgen dabei zugleich noch den Nebenzweck, das im Volke unstreitbar vorhandene religiöse Bedürfnis in eine Bahn zu lenken, in der es uns nicht schadet; das ist aber immer der Fall, wenn es gelingt, es unter dem Motto ›für Duldung und Freiheit‹ gegen die Mucker und Finsterlinge zu richten, die unsere schlimmsten Feinde sind, und nicht nur in der evangelischen, sondern neuerdings auch wieder in der katholischen Kirche das Heft in der Hand haben. So haben wir zugleich für alle Fälle unseren Blitzableiter wieder in Ordnung gebracht. Solche Idealisten, wie der Professor Harald, der Präsident des Kongresses, müssen uns den doppelten Dienst tun, den braven Kleppern ›Duldung‹ und ›Freiheit‹ eine neue Auffrischung zu geben, und einer etwa drohenden Entladung des Volkszornes wieder die Richtung auf den Blitzableiter zu geben. Es ist spaßhaft, zu sehen, wie diese Leute den Kirchen ihre Methoden abgeguckt haben. Gestern Abend hat der Kongreß noch beschlossen, Leute mit hypnotischen und magnetischen Kräften als Wanderredner auszusenden, um auch die Massen des niederen Volkes durch suggestive Heilerfolge zu gewinnen.«

»Na, wenn uns der Schwindel nur nützt«, sagte der Dicke mit dem Bulldoggengesicht. »Aber denken muß ick doch, wat wohl unsere roten Väter und Großväter gesagt hätten, wenn sie gesehen hätten, mit welchen Mitteln wir heute arbeiten! Ihr Großvater, Herr Ministerialrat, war ja wohl unabhängiger Parteisekretär, Ihr Vater, Herr Bankdirektor, war ein Führer des kommunistischen Aufstandes in Mitteldeutschland im Jahre 1920 und Ihrer, Herr Kahn, ist sogar roter Minister gewesen.«

»Und Sie, Herr Direktor«, warf der Ministerialrat mit etwas boshaftem Pathos ein, »schlagen doch entschieden den Rekord als wohlbestallter Direktor des Syndikats sämtlicher Hotels Deutschlands und unabhängig-sozialdemokratischer Abgeordneter in einer Person.«

»Ja, ja«, erwiderte der Dicke mit komischer Entrüstung, »solche Opfer bringt man um des Volkes willen, und da behaupten die Kommunisten noch, ick wäre keen Volksfreund, sondern Agent des Kapitalismus!« Alle lachten, und dann fuhr er fort: »Darum meine Herren: Prosit, es lebe die Demokratie, die rosenrote, rötliche und rote und die beiden braven Klepper ›Duldung‹ und ›Freiheit‹.« Mit steigender Heiterkeit stießen sie mit ihren Champagnerkelchen an.

»Übrigens«, nahm nun der Bankdirektor das Wort, »um auf etwas ganz anderes zu kommen, Herr Kahn, ich wollte Ihnen immer schon etwas erzählen. Sie haben doch in Ihrem Warenhause einen auffallend hübschen Käfer, die Kassiererin gleich unten am Eingang. Denken Sie, was mir da passiert ist. Da komme ich eines Abends an die Kasse und wollte mir ein kleines Abenteuer mit dem Mädel gestatten. Wie das so üblich, lade ich sie beim Zahlen mit leiser Stimme, so daß es die anderen nicht hörten, höflich zum Theater und Souper ein, um die Sache einzufädeln. Jedes andere wäre vor Freude entzückt gewesen, aber was tut das Mädel? Sie herrscht mich an: ›Mein Herr, ich verbitte mir Ihre Zudringlichkeiten.‹ Und als ich eine Einwendung erhebe, sagte sie: ›Wenn Sie fortfahren, mich zu belästigen, so klingle ich dem aufsichtführenden Beamten.‹ Und dabei machte sie Augen, wie Autoräder, daß einem ganz bange werden konnte. So blieb mir nichts übrig, als mich zu trollen wie ein begossener Pudel. So etwas ist mir doch noch nie passiert! Was ist denn das für ein Mädel?«

»Ach, die ist meine beste Kassiererin, tadellos in und außer Dienst«, sagte Herr Kahn. »Sie ist von altem Adel, eine Gräfin Wildenstein.«

»So so, also Junkerhochmut«, sagte der Bankdirektor, »daß so etwas überhaupt noch verkommt! Das paßt doch nicht mehr in unsere Zeit! A propos, ist sie etwa verwandt mit dem Grafen Wildenstein, der neulich den Krakehl in der kommunistischen Versammlung durch seine aufreizenden christlichen Reden verursachte?«

»Ja, sie ist dessen Schwester.«

»Aha, dann kommt also noch muckerhafte, pharisäische Überhebung dazu. Wie mir die verhaßt sind, die partout besser sein wollen als andere Leute! Wenn das aber bekannt wird unter Ihren Kunden, daß das Mädel so eine ist, dann werden Sie sicher Unannehmlichkeiten haben, denn in solchen Dingen verstehen die Arbeiter keinen Spaß.«

»Bis jetzt ist sie noch nicht wieder im Dienst, da sie von einer Verletzung, die sie an dem Abend davongetragen hat, noch nicht wiederhergestellt ist; aber ich hoffe, Sie sehen zu schwarz.«

»Nun, Sie werden ja sehen«, sagte der Bankdirektor.

»Meine Herren, es ist bald 1 Uhr, ich muß in meinen Dienst«, rief der Ministerialrat und erhob sich.

»Ja, streiten wir uns nicht um Mädels«, sagte aufstehend der Dicke, »es gibt ihrer genug in Berlin, und gar nicht teuer«, fügte er lachend hinzu.

Auch die übrigen erhoben sich, und bald wurden die wartenden Autos angekurbelt und rasten davon. Der Portier aber verneigte sich tief hinter den Männern her, die tonangebend waren im neuen Deutschland.


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