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Zwanzigstes Kapitel.
Das Hospiz von St. Christoph.

Heinrich und Jakob zogen nun dieselbe Straße, welche der erstere als kleiner Knabe mit traurigem Herzen gezogen war, bis ihn die Vorsehung zu den Pilgern geführt hatte. Noch einmal rief er sich die kleinste Begebenheit und jedes Wort zurück und erlebte bei Jakobs Freude an der schönen fremden Gotteswelt alles aufs neue, was freudig gewesen war. Sie erreichten auf ihren flinken Rossen bald das Ziel und kehrten beim Pfarrer von Dalaas ein, der kaum seinen Augen traute, als er Heinrich so frohgemut zurückkehren sah, denn verschiedene traurige Gerüchte, er sei gefangen genommen und getötet worden, hatten sich in der Gegend verbreitet und bei seinem langen Ausbleiben Glauben gefunden. Wie aber erstaunte der gute Mann, als er dessen Urkunde und das viele Geld sah, welches ihm Heinrich zur Aufbewahrung übergab. Er dachte an den armen Knaben, der mit seinem ersparten Lohne »das Werk gegen die Unbill des Wetters anheben wollte«, und wie ihn deshalb jeder verspottet, ja, er selber die kindliche Einfalt belächelt hatte. Da beugte er, der Priester, sein Haupt vor der einfaltsvollen Demut, welche den klügelnden Verstand beschämt hatte.

Nun ritten die beiden Jünglinge dem Arlberge zu. Als sie Jackleins Meierei von ferne erblickten, stimmte Heinrich eines seiner Lieder an. Die Hunde erkannten seine Stimme zuerst, stürzten mit lautem Gebell heraus, aber dennoch übertönte sie der kräftige Sang. Mutter Martha, Jacklein, die Knechte und Mägde eilten herbei; es entstand ein Rufen und Verwundern, ein freudiges Händeschütteln und Bewillkommen, daß kein einzelnes Wort zu unterscheiden war. Am selben Abende wollte das Erzählen gar kein Ende nehmen, und jeder folgende Abend versammelte alle die aufmerksamen Zuhörer um den Weitgereisten.

Hospiz auf dem Arlberge im Jahre 1886.

Heinrich war nun wieder in seiner stillen Bergwelt, und führte Jakob in dieselbe ein. Ihm war so traulich zu Mute, als ob er nie darüber hinausgekommen wäre, und nicht mit Rittern und Grafen verkehrt hätte. Während Jacklein und Jakob sich beim einbrechenden Winter der Wanderer annahmen, zog Heinrich öfters aus, seine Vorbereitungen zu treffen, damit der Bau im Frühjahr beginnen konnte. Er reiste mit seiner Urkunde nach Innsbruck zum Landeshauptmann, fand überall, wohin er kam, freudige Zusage der Beihilfe und auch die Armen, welche kein Geld geben konnten, boten ihre Hände als Arbeitskräfte dar. Mit den ersten Tagen des Frühlings begann der Bau, und bis der Herbst wieder kam, breitete sich schon das Dach darüber; ein Kirchlein schloß sich daran, und im Turme hing eine Glocke. Im zweiten Frühlinge konnte wieder aufs neue begonnen und zur Einrichtung geschritten werden. Heinrich blickte mit unsäglicher Freude auf den 25. Juli, dem Gedächtnistage St. Christophs, wo das Hospiz eingeweiht werden sollte. Nach allen Seiten waren Boten gezogen, um die Bruderschaftsmitglieder einzuladen und die Nachricht weit und breit zu verkünden.

Herrlich leuchtete die Sonne am Morgen dieses Tages. Die ganze Bergnatur hatte sich dazu festlich angethan. Die Felswände leuchteten von goldenen Spangen; silberne Streifen mischten sich darein; gleich Diamanten glitzerte manch zurückgebliebenes Schneekörnchen; die Tannen und Fichten glänzten vom Tau, Lichtlein schienen aus den Zweigen zu flammen; die Gräser und Blumen hauchten süßen Duft als Weihrauch, der Lufthauch war der Chorknabe, der ihre Kelche als Rauchfaß schwenkte, daß er sich lieblich verbreitete; Vögel sangen ihre melodischen Hymnen, der Wassersturz von den Berg-wänden rauschte wie Orgelton darein. Als ewiges Licht, von Gott selber angezündet, flammte die Sonne am Himmel, die Matten waren die ausgebreiteten Teppiche, die Alpenrosen bildeten die Festgewinde und hoch auf den Bergspitzen feierte das Edelweiß den Festtag.

Aus dem Vorarlbergischen und herüber von Tirol zogen die Scharen der Landleute; darunter sah man manches bunte Fähnlein mit dem ritterlichen Wappen; Hugo v. Montfort, der edle Sängerjüngling, der Graf von Werdenberg mit seinem Gefolge, Ritter Wolfegg mit Balthasar, und noch viele aus Heinrichs Gönnerschaft stellten sich zur Feier ein; von Innsbruck aber kam der greise Bischof zur Einweihung, begleitet von des Herzogs Abgesandten, dem Kanzler des Reiches, vielen Geistlichen und Rittern.

In Jackleins Meierei war es schon viele Tage zuvor rührig zugegangen. Martha und Jacklein schlachteten und bucken wie ehedem Vater Abraham und Sara für die hohen Gäste; alle hatten vollauf zu thun, um das neue Hospiz und das Kirchlein zu schmücken. Was von den Gewinden übrig blieb, bekam die Meierei, von wo der Zug ausgehen sollte; denn die hohen Gäste waren bereits dort eingezogen.

Inzwischen hatte die dichtgedrängte Schar der Landleute das Hospiz umringt. Nun erscholl zum ersten Mal das Glöcklein und die Berge gaben den Ton zurück. Eine tief innerliche Bewegung ergriff die Versammlung bei diesem Tone. Es war nur die Sprache des Erzes, aber wie oft mochte sie später dem Verirrten zurufen, daß die Hilfe nah' sei, und wie beseligend mochte dann diese Sprache in das verzweifelnde Menschenherz dringen! Beim ersten Rufe bewegte sich nun der Zug aus der Meierei, voran die herbeigeströmten Kinder mit Blumen; dann kam Jakob, hoch erhoben das Kreuz tragend; diesem folgte der Bischof im Ornate, von der Geistlichkeit umgeben, und Heinrich, der sich lang geweigert hatte – er mußte als erster derselben folgen, ihm zur Seite des Herzogs Kanzler. Gesenkten Hauptes, das Antlitz umflossen vom Glanze einer frommen, dankbaren Rührung, zog er dahin. Nun schlossen sich die vornehmen Bruderschaftsmitglieder an, dann die ganze Menschenmenge, darunter mancher, den er aus schwerer Lebensgefahr gerettet hatte; Sebastian hatte gleichfalls Wort gehalten und war bald unter den ersteren bald unter den letzten, um Heinrichs Lob flüsternd zu preisen.

Die Hauptpersonen des Zuges traten in das Kirchlein, während die Menge sich vor der geöffneten Thür und rings um das Hospiz drängte. Als der Bischof am Altare stand, als er die Worte der Segnung über die Kirche und das Hospiz sprach, herrschte lautlose Stille; als er aber Heinrich auf die Stufen des Altares knieen hieß und die beiden Hände segnend auf dessen Haupt legte: da brach die Rührung aus allen Herzen hervor. Der Bischof verlas nun die Stiftungsurkunde, sowie die Pflichten der Bruderschaft. Dann erscholl ein tausendstimmiger Gesang, eine Hymne, wie niemals zuvor auf dem Arlberge eine erklungen war, und sein Echo noch nie wiedergegeben hatte.

Das Hospiz und die Kirche war nun eingeweiht, der feierliche Gottesdienst abgehalten, und wieder bewegte sich der Zug nach Jackleins Meierei. Da brach sich der stürmische Jubel Bahn und – »Heinrich Findelkind!« – war das Losungswort. Ein festliches Mahl folgte auf die erhebende Feier und die Menge lagerte sich, wie ein endloser Zug Wallfahrer, auf dem Rasen. Der Herzog hatte eine allgemeine Bewirtung angeordnet und reichlichen Vorrat von Speisen und Wein gesendet. Kein Mißton störte das Fest, überall waltete eine geheiligte Freude.

Als die sämtlichen Gäste wieder abgezogen waren, herrschte eine feierliche Stille auf dem Arlberge. Der Mond, dieses große Auge der Nacht, sah einen demütig einsamen Beter, welcher in dem Kirchlein kniete und nun erst sein ganzes Herz im Danke ausströmen ließ. Dann ging er noch zu seiner ersten Kapelle, dem alten Eichbaume; die Sterne glänzten über seinem Haupte; aber jener Stern, der bei seiner Geburt geleuchtet und ihn geführt hatte bis hierher, war keiner von ihnen, es war der Stern der Barmherzigkeit.

*

Wir sind nun am Ende unserer Erzählung. Das Hospiz von St. Christoph wurde ein Segen für alle Wanderer jener Gegend. Noch ein treuer Gehilfe gesellte sich zu Heinrich, gleichfalls ein Heinrich, aus St. Gallen gebürtig. Jakob stand dem Bruder treu zur Seite, teilte mit ihm Freud' und Leid, Arbeit, Gefahren und Mühsal; aber er wurde auch ein Liebling von Jacklein und Martha, und die kinderlosen Leute vererbten ihm die Meierei, wo er bald ein braves Weib einführte, und seinem Bruder zeitlebens thätig und liebevoll zur Seite stand.

Unter den Wanderern, die oft des Weges kamen, war anfangs besonders Hugo v. Montfort; aber nach einigen Jahren verheiratete sich dieser mit der jugendlichen Witwe Anna v. Cilley und zog auf sein Schloß. Auch der Graf v. Werdenberg kam öfter des Weges und blieb Heinrich ein treuer Gönner. Noch einige Male zog Heinrich aus, um die Bruderschaftsgaben zu sammeln, und vermehrte dabei sein Wappenbuch, welches die Jahre 1386-1414 umschließt. Er verheiratete sich nicht, sondern widmete sich bis zu seinem Lebensende dem erwählten Berufe, und nach seinem Tode wurde das Werk treulich fortgesetzt. Auch jetzt, nachdem sich längst die Bruderschaft aufgelöst und eine breite Straße über den Arlberg führt, befindet sich dort noch ein kleines Hospiz, von einem Priester verwaltet, der sich der verunglückten Wanderer annimmt.

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