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Vierzehntes Kapitel.
Heinrich vor dem Herzoge.

Heinrich folgte seinem Führer schweigend durch die Gänge der Hofburg, welche kein Ende zu nehmen schienen, bis sie in einen Vorplatz mündeten. Dort standen die Wachen und Pagen, von denen der Thorwart berichtet hatte; aber sie wichen ehrerbietig vor dem Grafen zurück, der sie nicht zu beachten schien und stolz durch ihre Reihen schritt.

Heinrichs Herz begann immer heftiger zu pochen, je mehr er sich dem Ziele näherte. Er suchte sich zu ermutigen, daß der Herzog ja auch ein Mensch sei, wie ein anderer, wenn auch reicher, mächtiger und fürnehmer, und daß er selbst unter Gottes Leitung stehe. Aber er mochte sich dieses noch so oft vorstellen, sein Herz pochte darum nicht weniger heftig und schien bis zum Gehirne hinauf zu klopfen. Nun hatten sie das letzte Vorzimmer durchschritten; sie standen vor zwei vergoldeten Flügelthüren, und die Pagen öffneten sie. Ein Glanz von Spiegeln, Farben, Samt, Seide, Gold und Silber strömte ihnen entgegen und blendete Heinrichs Augen, die noch niemals solche Herrlichkeit erschaut hatten. In der Mitte des Gemachs stand der Herzog. Er hatte die eine Hand auf den mit Pergament überdeckten Tisch gestützt, die andere ruhte auf dem Schwertknaufe. Sein Anzug bestand aus schwarzem, mit Silber gesticktem Samt. Seine Gestalt war voller Jugendkraft und das Gesicht, von dunklem Barte umsäumt, zeigte Ernst und Milde zugleich.

Heinrich blieb schüchtern an der Thüre stehen; er sah, wie der Herzog dem Grafen mit dem Haupte ein Zeichen gab und dieser sich entfernte. Er suchte nach all den schönen Reden, die er sich auf seiner Reise ausgedacht hatte; aber sie waren fort, gleich den Zugvögeln im Winter, und er konnte kein Wort hervorbringen. Der Herzog hingegen betrachtete den Jüngling mit prüfendem Blicke eine ziemliche Weile, dann rief er mit jener klangvollen Stimme, welche wie Glockenton, erhebend und zugleich besänftigend zum Herzen dringt: »Tritt näher; wer bist du und was ist es, Klage oder Bitte, was du nur mir allein sagen willst?« –

Bei diesen milden Worten strömte es über Heinrichs Seele, wie das vom Frühling gelöste Wasser, welches in Silberbächen über die Felswände rauscht. Sein hoher Beruf verlieh ihm Begeisterung; er richtete sein Haupt empor; aus seinen Augen leuchtete der Geist reiner Menschenliebe, alle seine Unbefangenheit war zurückgekehrt, indem er sagte: »Gnädigster und durchlauchtigster Herr, ich bin Heinrich Findelkind

»Ein Findelkind!« rief der Herzog mit Erstaunen und Teilnahme. Aufs neue ruhte sein Blick auf dem schönen Jünglinge und verdüsterte sich in der stillen Anklage jener grausamen Eltern. Dann sprach er mit Wohlwollen: »Und du kommst zu mir, um dein Recht zu fordern von den Eltern, die dich aussetzten und verstießen? Es soll dir werden! sprich frei heraus.«

Heinrich entgegnete rasch: »Nein, hoher Herr, ich suche nicht Vater noch Mutter. Gott selber ist mir mein' Lebtag der beste Vater gewesen. Es wär' ja eine Sünd', wenn ich für mich noch 'was Besseres wollt', als ich schon hab'.«

Die dankbare Rückerinnerung an die Schicksale seiner Kindheit näßte Heinrichs Auge; der Herzog forschte mit erhöhter Teilnahme: »Und was ist es also, das ich dir gewähren soll, Heinrich Findelkind?« –

Der Jüngling blickte dem Herzog vertrauend ins Auge und sagte: »Gnädigster Herr, darf ich Euch alles frei heraus erzählen, wie 's hergegangen ist?«

Er hielt inne, und als der Herzog beistimmend nickte, fuhr er fort: »Ich bin als kleines Kind ausgesetzt worden im kalten Herbst und in der Nacht unter einem Eichbaum; von wem, weiß ich nicht; aber ich wär' sicherlich umgekommen vor Kälte, wenn mich der Meier von Kempten nicht in seinem Arm ins Haus getragen und voller Erbarmen aufgezogen hätt'. Als er arm geworden ist und kein Brot für seine eigenen neun Kinder mehr gehabt hat, bin ich freiwillig fortgegangen bis zum Jacklein auf dem Arlberge, von zwei barmherzigen Pilgern geführt. Und auch der Jacklein hat mit mir neunjährigem Buben Erbarmen gehabt, daß ich sein Vieh hüten durft' für Lohn und Kleidung. Schaut, gnädigster Herr, so gut ist mir's aus lauter Gnad' gegangen! Aber in der drauffolgenden Zeit von zehn Jahren hab' ich viel Elend gesehen. Es ist im Winter ein arg böser Weg über den Berg, wenn der Schnee alles zudeckt, wenn die Lawinen stürzen, und auch im Frühling, wenn plötzlich der Föhn weht und das aufgelöste Schnee- und Eiswasser herniederrauscht von der Felswand. Da kommen oft die Wanderer vom rechten Weg ab und liegen im Schnee begraben, bis er schmilzt und sie von den wilden Tieren aufgefressen werden. O Herr, das hat mich jämmerlich erbarmt! ich hätt' mir können die Augen ausweinen über all das Elend und dabei hab' ich noch immer denken müssen, wie mir's auch schlecht gegangen wär', wenn die guten Leut' sich meiner nicht angenommen hätten.«

Heinrich hielt inne und seufzte aus tiefer Brust. Der Herzog hatte seine Augen gedankenvoll auf den Boden gerichtet; aber bei Heinrichs Schweigen erhob er sie, zum Zeichen, daß er fortfahren solle; und dieser begann aufs neue: »Gnädigster Herr; ich hab' Tag und Nacht gesonnen, wie man dem Elend abhelfen könnt', und ob meine ersparten fünfzehn Gulden nicht dazu helfen möchten, daß jemand den Anfang machen thät'. Aber kein Mensch hat gewollt und so hab' ich's selber begonnen mit Gottes und St. Christophs Beistand. Vierzig Menschen sind freilich in sieben Jahren gerettet worden, aber wieviel noch zu Grunde gegangen sind, ist nicht zu zählen. Und da bin ich hergelaufen zu Euch, gnädigster Herr, daß Ihr mir helfen sollt, denn Ihr seid reich und mächtig, und um das fleh' ich Euch an mit aufgehobenen Händen. O Herr, habt Erbarmen!«

In des Herzogs Blicken malte sich Rührung, als er frug: »Aber wie soll ich dir helfen, Heinrich? Ich kann mit meinem Schwert nicht gegen Schnee und Lawinen kämpfen; ich kann wohl die Bedrängten beschützen, nicht aber die, so in Irre geraten.«

Heinrichs Zuversicht wuchs bei diesen gütigen Worten und er sprach: »O Herr! ich meine so: Es gibt so viele reiche Leute in der Welt, bei denen will ich herumziehen und bitten um Almosen und um eine jährliche Beisteuer; aber damit sie mir glauben, fleh' ich Euch an um einen Geleitsbrief, mächtiger Herr. Dann laßt mich von dem Geld ein Haus bauen auf dem Arlberge für die armen Wanderer, daß sie dort Herberge haben, wenn Ungewitter oder Krankheit sie überfällt. Helft mir, daß mich niemand daran hindert, sondern mir beisteht, wer immer kann.«

Der Herzog war von diesen schlichten, warmen Worten und diesem Opfermute tief ergriffen, und er rief: »Es sei! ich will dir helfen bei deinem Werke, so gut ich kann!«

Da sank Heinrich von seinem jubelnden Gefühle überwältigt auf seine Kniee, ergriff mit beiden Händen des Herzogs Rechte, küßte sie und Thränen des Dankes quollen und tropften darauf. Der Herzog blickte gerührt auf des Jünglings Dankesausdruck und legte dann seine Hand wie im Segen auf dessen Haupt, indem er sagte: »Gott geleite dich aus allen deinen Wegen und gebe dir Mut und Demut, dein angefangenes Werk zu vollenden; beide wirst du von nöten haben, Heinrich, in unserer Zeit des rauhen Kampfes. Aber du sollst nicht zu Fuß ziehen langsam und gefährlich mit dem Schatze, den du erbettelst. Ich will dir ein Pferd schenken zu deinem und St. Christophs Dienste. Nun steh' auf; in Bälde sollst du weiter von mir hören.«

Der Herzog neigte zum Abschiede sein Haupt und Heinrich schritt freudig von hinnen durch die Gänge, wo er Hugo v. Montfort, seiner harrend, traf, dem er sein übervolles Herz ausschüttete. An dessen Seite schritt er wieder durch den Hofraum, wo sich inzwischen die Kunde, daß der Herzog ihn empfangen habe, verbreitet hatte. Verwundert folgten ihm die Blicke der Ritter und Knappen; der alte Thorwart mahnte ihn an sein gegebenes Versprechen. Dies ließ Heinrich sich nicht zweimal sagen, und als Hugo ihn verließ, saßen gleich darauf die beiden vor der gefüllten Kanne. Der perlende Wein und die sprudelnde Freude waren treffliche Gesellen, und der alte Thorwart hörte Heinrichs Bericht mit reger Teilnahme.

Von der Thorstube aus machte Heinrichs Erlebnis bald die Runde durch die Hofburg. Nun war er nicht mehr der verspottete Fremdling; mancher Ritter tilgte den früheren Hohn mit einer Gabe.

Auf diesen wichtigen Tag in Heinrichs Leben folgte das Weihnachtsfest, jenes heilige Fest, welches das Erbarmen und die Liebe in die Welt gebracht und jenes ewige Licht angezündet hatte, das zu jeder Tugend den leuchtenden Strahl sendet. Als Heinrich in der Kirche kniete, als der Orgelton das Gloria verkündete, da war ihm nicht anders, als ob er einer der Hirten vor der Krippe sei, und er im Glanze der Weihnacht in seinem Berufe eingesegnet werde.

So kam der vierte Tag seines Aufenthaltes in Graz. Als er wieder bei Hugo erschien, trat ihm Graf Albrecht v. Werdenberg entgegen, in seiner Hand zwei Pergamentblätter haltend. Schon von weitem rief er ihm zu: »Hier ist des Herzogs Geleitsbrief!«

Heinrich überschaute das eine Blatt; eine farbige Schrift leuchtete ihm entgegen, und den Schluß bildeten lauter gemalte Wappen. Da prangte zuerst das österreichische: der goldene Adler auf schwarzem Felde mit der wallenden Fahne darüber. Daneben schimmerte auf grünem Grunde das silberne Panthertier mit doppeltem Schweife, den roten Feuerstrahl aus Mund und Ohren speiend: Steiermarks Abzeichen. Diesem zur Seite stand das von dem Herzogtums Krain: auf schneeweißem Felde der blaue Adler, dessen Brust mit dem wachsenden Monde aus Rot und Gold umschlungen. Den Schluß bildete das Wappenschild von Tirol und zeigte den roten Adler im silbernen Felde.

Heinrichs Augen waren ganz geblendet. Dies übertraf an Schönheit sogar Bruder Anselms Heiligenbuch, und er segnete jene Stunden, wo er den Anfang zum Lesen gemacht hatte. Mit Andacht las er das Folgende:

Landesfürstliche Freiheit für Heinrich, den Stifter.

Wir, Leupold, von Gottes Gnade Herzog zu Oestreich, zu Steyr, zu Kärnthen, zu Krain, Graf zu Tyrol, erklären öffentlich mit diesem Brief für uns und unsere Erben, und thun kund allmänniglich, gegenwärtigen und zukünftigen: wie der arme Knecht Heinrich von Kempten, der in seiner Kindheit ein funden Kind war und unserem getreuen Jacklein über Rain lang gedient hat und mit solcher Andacht und Begier vor uns kam, daß er wollt gern ein Haus bauen auf dem Arlberg und wohnen und sitzen, allermeist um der fremden und armen Leut willen, damit die Herberge da hätten, wenn sie vor Ungewitter oder Krankheit nit vörder kommen möchten, daß sie da nicht verdürben, als zuvor ist gar oft geschehen. Also haben wir angesehen seinen guten Fürsatz und betrachtet, daß viel guter Ding angefangen worden ist von einfältigen Leuten und haben ihm um Gottes- und seiner fleißigen Bitt willen erlaubt und begonnen, ein Haus zu machen auf dem ehgenannten Arlberg, an welcher Stätte des Weges es am allerbesten stehen mag. Darum bitten wir, die enhalben oder dieshalben darum gesessen sind, oder die über denselben Berg reiten oder gehen, daß sie ihm dazu förderlich und beholfen seien, auf daß er die Arbeit und das Werk vollbringen mag, und empfehlen auch ernstlich allen unsern Hauptleuten und Amtleuten, daß sie ihn dabei schützen und schirmen von unser wegen, daß ihn niemand an der ehgenannten Arbeit kein Leid noch Irrung thue in kein Weg; wie das gänzlich unsere Meinung ist mit Urkund dieses Briefes.

Gegeben zu Gratz am St. Johannistage
zu Weihnachten 1386.

 

Nun reichte Graf Werdenberg dem Jünglinge das zweite Blatt. Darauf verbürgten sich der Herzog Leopold und noch drei Fürsten aus dem Erzhause samt ihren Gemahlinnen mit der Zusicherung eines jährlichen Beitrages.

Als Heinrich dies alles gelesen hatte, schüttelten ihm der Graf und Hugo die Hände in teilnehmender Freude. Dann führten sie ihn hinab zum Hofe, wo ein gesatteltes und gezäumtes Pferd, des Herzogs Geschenk, stand. Mutig schwang sich Heinrich in den Sattel und winkte seinen Gönnern zum Abschiede. Er sprengte in seine Herberge, machte sich reisefertig und schon am nächsten Morgen zog er hinaus in die weite Welt.

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