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V.

Die junge Landfrau, die einst in Ajaccio mit ihren Kindern nicht anders als eine behäbige Bäuerin lebte, die später in Marseille an manchem Tag nicht wußte, wo sie für morgen das Brot hernehmen sollte, wohnt jetzt in einem Palast, hat über eine Million Jahreseinkünfte und steht an der Spitze aller Wohltätigkeitsbestrebungen des Kaiserreichs. Napoleon will es so; da die Mutter sich gegen alle offiziellen Titel und Repräsentationen sträubt, ist er schon zufrieden, daß sie wenigstens das Protektorat über alle charitativen Einrichtungen willig übernommen hat. Sie tut gern Gutes, – sie erinnert sich wohl noch der Tage, da sie selber des Mitleids der Andern bedurfte. Sie ist gar kein Emporkömmling im gewöhnlichen Sinn, der sich früherer Not und Niedrigkeit schämt; schon in Ajaccio, als es mit ihren finanziellen Verhältnissen bergab ging, hat sie gesagt: »Die Armut fürchte ich nicht, nur die Schande.« Weil die Armut für sie nichts fürchterliches und nichts Beschämendes hat, erzählt sie, die Mutter des Kaisers, ihrer Umgebung ganz naiv: »O, früher, da habe ich mitunter nicht gewußt, womit ich einheizen soll.« Ihre Persönlichkeit ruht viel zu fest auf sich selbst, als daß sie nach Ahnen, nach einer ruhmvollen Vergangenheit gegeizt hätte; wenn Napoleon einst erlauchte Vorfahren, die man ihm andichten wollte, mit den Worten ablehnte: »Mein Adel stammt von Montenotte, ich brauche keinen älteren,« so hat niemand auf der Welt solches Selbstbewußtsein besser verstanden und geehrt, als Madame Mère.

In ihrem Privatleben hatte sich auch seit dem Kaiserreich nicht allzuviel geändert. Von Festen hielt sie sich soviel wie möglich fern, ließ sich wohl ein wenig vorlesen, ein wenig Musik vormachen, sprach immer noch das schreckliche Französisch mit den »ou«-Lauten, von dem die Italiener nicht lassen können, und hatte drei Leidenschaften, die fast ihre ganze Zeit ausfüllten: ihre Familie, Karten spielen und Geld anhäufen. In der Vorliebe für das Kartenspiel begegnet sie sich mit dem Kaiser, weniger dagegen in ihrem Sparbedürfnis. Immer wieder ermahnte er, daß sie Geld unter die Leute bringen sollte, daß man von der Mutter eines Kaisers große Bestellungen erwarte und daß sie in keinem Punkt geizen dürfe. Aber so bereitwillig seine Frau Millionen hinauswarf, so hartnäckig klebte die Mutter an jedem Goldstück, und wenn er ihr sagte: »Madame, es gehört sich, daß Sie jährlich eine Million ausgeben,« so erwiderte sie eigensinnig: »O ja, sobald du mir zwei gibst.« Emsig, wie je eine alte Bäuerin ihren Sparstrumpf füllt, häufte sie Gold auf Gold: »Es kommt ja doch der Tag, wo ich für all die Könige Brot herschaffen muß.« Ihre Kinder waren ja, soweit es anging, Könige geworden. Josef herrschte in Spanien, Louis in Holland, Murat und Karoline in Neapel, Jérôme in Westfalen. Herr Bacciocchi, der nur als eifriger Flötenbläser mit dem großen Friedrich von Preußen Ähnlichkeit aufwies, sonst sich aber keiner Regententugend rühmen konnte, saß hübsch und albern als Gemahl neben der Großherzogin von Toskana. Paulinchen war schluchzend als neue Landesmutter nach Guastalla abgereist: »Ich stelle mir's gar nicht nett vor, Untertanen mit Ringelschwänzchen zu haben.« Nur auf Lucians Haupt senkte sich kein Kronreif nieder. Nach wie vor grollte ihm der Kaiser, während er sich mit Jérôme ausgesöhnt hatte, weil das lustige Bürschchen sich ebenso vergnügt von Fräulein Patterson scheiden ließ, wie er sie geheiratet hatte. In zweiter Ehe führte er seiner Mutter, wie Napoleon es wünschte, eine Prinzeß von Geblüt zu: Katharina, die Tochter des Königs von Württemberg.

So glänzend dies alles von außen aussehen mochte, so gab es doch natürlich im Innern, wie bei jeder großen Familie, immer noch viele Disharmonien und Zwistigkeiten, und Madame Mère, der der Familienfrieden über alles ging, kam eigentlich nie zur Ruhe. Zunächst nahm der Streit um Lucians Ehe noch immer kein Ende. Napoleon wollte wohl die Hand zur Versöhnung bieten, aber unter der Bedingung, daß Lucian sich von Alexandrine scheiden ließe. Reichen Ersatz bot er ihm an: Lucian sollte sich mit der verwitweten Königin von Etrurien vermählen und in Florenz einen Hof der Künste und Wissenschaften halten, »wie ein Medizäer, deren Neigungen und Geschmack er teilt«. Auch in die Thronfolge soll er eingesetzt werden und alles vergessen sein, was je gewesen. Eine Königskrone, ein Leben in Schönheit und Kunst … die kaiserliche Gnadensonne … die Aussicht auf ein blendendes Erbe … wird die Wagschale, in der all diese Herrlichkeiten der Welt liegen, nicht tief herabsinken gegen das bißchen Glück, das eine einfache, verblühende Frau dem Manne zu gewähren vermag?

Jeder glaubt es, jeder hofft es, jeder wünscht es. Die ganze Familie findet sich in der Sehnsucht, daß endlich der Bruderzwist enden, Lucian nachgeben möge. Sogar Paulinchen, sonst so wenig fürstlich an Weltanschauung und Gebaren, findet diesmal, wie sie an ihren Onkel schreibt … »daß wir uns nicht mehr als einfache Privatleute ansehen oder wie solche handeln können. Mama hat von dieser Sache den allergrößten Kummer, und sie wird einfach sterben an all den Sorgen, die Lucian ihr bereitet.«

In der Tat ist Lätitia, die einst so tapfer zu Lucian und gegen Napoleon gestanden, todmüde und innerlich zerrieben von den Streitigkeiten, die ihre Kinder trennten. Sie ist nun fast sechzig, sie begreift nicht mehr recht, daß ein Mann um eines Weibes willen alles auf der Welt verlassen und vergessen könnte. Sie versteht nicht, daß es für Lucian noch etwas anderes gibt, als den Familienfrieden, nach dem sie sich seit Jahren bangt, wie ein Verdammter nach der Absolution. So schreibt sie selbst denn einen verzweifelten Brief an den widerstrebenden Sohn:

 

»Mein teurer Sohn!

Obwohl ich Campi beauftragt habe, Dir eindringlich klar zu machen, was ich von Deiner Angelegenheit denke, so muß ich Dir noch einmal schriftlich sagen, daß Du, sofern Du mich liebst, auf die Vorschläge des Kaisers, bei denen er beharrt, eingehen mußt.

Dein Schicksal, das Deiner Familie, das meinige und das von uns allen hängt nur von Dir ab. Es ist nicht mehr Zeit, das zu erörtern, was Du meinst, lieber Sohn; alles was Du mir sagen könntest, wird meine Meinung in dieser Sache nicht mehr ändern. Von der Zärtlichkeit, die Du mir stets bewiesen hast, erwarte ich diesen letzten Trost.

Campi wird Dir sagen, daß ich krank zu Bett liege; Dein letzter Brief hat nicht wenig dazu beigetragen, und wenn Du bei Deinem Eigensinn beharrst, wirst Du meine Tage verkürzen. Du kannst mich dem Leben und dem Glück wiedergeben; ich kann mir nicht vorstellen, daß Du den Mut haben solltest, es mir zu weigern. Zum letztenmal flehe ich Dich darum an.«

 

Man kann sich nicht nur aus der veränderten Anschauung Lätitias, sondern mehr noch aus dem gequälten Ton dieses Briefes ein Bild ihrer inneren Bedrängnis machen. Man kann sich auch lebhaft denken, daß sie, die eigentlich gewohnt war, ihren Kindern zu befehlen, sich gerade von ihren Bitten dem weichen Sohn gegenüber etwas versprach. Aber die Liebe des Lucian und seiner Frau war von der Art, die alles trägt, alles duldet, alles überwindet und stärker ist, als der Tod. So zärtlich Lucian auch an der Mutter hängt, so gern er sich dem Kaiser versöhnen, der Familie den Frieden wiedergeben möchte, so wird er doch niemals mehr die Hand der geliebten Frau aus der seinen lassen. Und ob auch der Kaiser der geschiedenen Alexandrine und ihren Kindern das Leben reich und glänzend gestalten will – sie sagen auf alles »nein« und bleiben beisammen in Verbannung und Ungnade.

Lätitia hat an dieser Halsstarrigkeit, in der sie nun auch noch einen Mangel an kindlicher Liebe zu erblicken meinte, schwer genug getragen, wahrscheinlich hat sie nicht einmal die andere, heiß ersehnte Scheidung, die sich endlich im Jahre 1810 vollzog – die Scheidung Napoleons von Josefine getröstet. Bei dieser Scheidung zeigte sich übrigens wieder einmal deutlich, daß ihr Glaube nicht starr, sondern schmiegsam war, und daß sie sich, obgleich sie gewiß von Molière blutwenig wußte, doch zu seinem Worte bekannte: » Il y a avec le ciel des accommodements.« Eigentlich hätte ja für sie, die fromme Katholikin, diese Ehe, die kurz vor der Krönung auch noch kirchlich eingesegnet worden war, ein unlösliches Sakrament darstellen sollen. Statt dessen bereitete es ihr die größte Genugtuung, als sie ihre Unterschrift »Madame« unter die Scheidungsurkunde setzen konnte.

Einmal noch, nach Josefinens Verstoßung, flackerte eine letzte Hoffnung in Madame Mère auf. Der Kaiser, immer bemüht, Lucian herüber zu ziehen, hat dessen Tochter aus erster Ehe, Lolotte, als Braut dem Prinzen von Asturien bestimmt. Lolotte ist auf seinen Wunsch bereits bei der Großmutter eingetroffen, um die Gewohnheiten eines großen Hofes zu sehen und sich ihnen anzupassen.

Die Großmutter vergöttert diese Enkelin, und weil sie einerseits immer noch ihre Kinder aussöhnen möchte und anderseits fürs Leben gern Familienheiraten stiftet, hat sie wohl willig einen Gedanken aufgegriffen, der verschiedenen Leuten damals im Kopf herumging. Der Kaiser ist geschieden, sucht eine neue jugendliche Kaiserin, von der man Nachkommenschaft erwarten darf. Wie wär's, wenn er sich ein Mädchen des eigenen Landes, wenn er die Tochter des eigenen Bruders wählen würde? Napoleon selbst hat vielleicht nie daran gedacht, denn da er schon Jérôme eine Königstochter zugeführt hatte, ist nicht einzusehen, weshalb er für sich eine geringere Wahl hätte treffen sollen. Auch war Fräulein Lolotte durchaus nicht das Frauengenre, das ihm gefiel. Sie war ein kluges, nach außen hin ernstes Mädchen, allen Festen und Repräsentationen ebenso abhold wie die Großmutter; aber sie hatte dabei einen kecken, witzigen Schnabel und glossierte den ganzen Hof so ausgiebig, daß der kaiserliche Oheim, dem der Polizeiminister Fouché die aufgefangenen Briefe des Fräuleins vorlegte, höflich, aber bestimmt die nicht allzuferne Abreise der Nichte wünschte. Als dann Napoleon der Mutter seine Verlobung mit der habsburgischen Marie-Louise mitteilte, war für Lätitia auch die letzte Hoffnung auf die Wiederherstellung des Familienfriedens geschwunden.

Allerdings konnte schon seit längerer Zeit, selbst wenn man von Lucian absah, von wirklichem Familienfrieden nicht mehr die Rede sein. Seit Napoleon seine Geschwister zu Fürsten und Königen gemacht, hadert er unablässig mit ihnen. Einerseits wünschte er, daß sie Genies, anderseits, daß sie seine gekrönten Lakaien sein sollten. Die Vereinigung dieser beiden Wesensarten hätte wahrscheinlich für jeden Sterblichen einige Schwierigkeiten geboten, für Josef und Louis aber ist die Forderung der Vielseitigkeit, die an sie gestellte wurde, zum Verhängnis geworden. Vergeblich bat und mahnte die Mutter: »Napoleon, du hast recht, sie klein zu schelten, wenn du sie mit dir vergleichst, denn du hast nicht deinesgleichen. Aber, wenn du sie mit dem Maßstab anderer Könige mißt, magst du mit ihnen wohl zufrieden sein«. Napoleon fand dieses Wort seiner Mutter sehr reizend, sagte ihr scherzend: »Signora Lätitia, Sie schmeicheln mir,« küßte ihr dankbar die Hand und – schrieb an die Brüder die bekannten Briefe, in denen er ihnen angelegentlich versichert, daß er sie für die größten Schafsköpfe der Welt hält. Er, der Titane, der mit jedem neuen Schritt, den er tat, wuchs, und der immer nur das Weltbild vor sich sah, konnte nun und nimmer verstehen, daß die Könige Josef und Louis nur mäßige, aufgeblasene oder pedantische Beamte waren, die weder von des Kaisers Plänen noch von den Völkern, die man ihnen plötzlich anvertraute, das mindeste begriffen; Herrscher, die trotz aller Pfaueneitelkeit froh waren als sie nach ganz kurzer Zeit mit leidlichem Anstand wieder abdanken und für sich, ohne Regierungssorgen und beständige Maßregelungen von Paris aus, leben konnten …

Nein, weder Josef noch Louis haben ein tragisches Schicksal erlebt, als sie vom Throne herabstiegen, aber sie haben dennoch ein gut Teil menschlich gelitten, und mit ihnen litt die Mutter. Wie muß ihr das Herz geblutet haben, wenn sie Briefe bekam, wie den ihres Sohnes Louis:

 

Teplitz, am 16. Juli 1810.

Liebe Mama!

Seit acht Tagen bin ich in Teplitz. Die Ärzte, namentlich der berühmte Professor Hufeland, haben es mir geraten; und nach allem, was sich zugetragen hat, habe ich diesen Ort gerne gewählt, weil er weit entfernt ist. Ich habe wohl einen Augenblick daran gedacht, zu Dir zu kommen, aber ich hätte Dich nur verstimmt, und ich ertrage augenblicklich keinen anderen Zustand, als den der völligen Abgeschiedenheit. Ich erwarte ein Schreiben meines Bruders, in dem er mir mitteilt, wo ich mich niederlassen darf. Ich selbst weiß gar nicht wohin; am liebsten möchte ich als einfacher Privatmann mit Dir im Süden Frankreichs wohnen, aber das wird der Kaiser nicht wollen. Ich habe ihn daher gebeten, daß ich in Deutschland bleiben darf; ich erwarte eben seine Antwort.

Ich bitte Dich, liebe Mama, ebenso wie meine liebe Pauline, verwendet Euch bei meinem Bruder für mich, daß ich irgendwo ruhig in Vergessenheit leben kann. Ich habe alles getan, um das Äußerste zu vermeiden, zu dem ich dann schließlich doch gezwungen war, und ich fürchte darum die Feinde, die ich in der Nähe meines Bruders habe. Sie haben mich noch unglücklicher gemacht als ich schon war, nun möchte ich für den Rest meines Lebens wenigstens in Ruhe atmen. Ich habe an Jérôme geschrieben, aber ich weiß nicht, ob er meine Briefe erhält. Ich weiß nicht einmal, ob dieser hier in Deine Hände gelangt. Glaube aber nur, Mama, daß ich das Schicksal nicht verdiene, das mir widerfahren ist. Ich habe alles auf der Welt getan, um meine Doppelpflicht gegen meinen Bruder und gegen Holland zu erfüllen. Möge mein Sohn einst glücklicher sein als ich! Lebe wohl, liebe Mama, trachte mit allen Mitteln, mir Nachrichten von Dir und von meinen Kindern zu verschaffen. Du kannst Dir denken, wie ich mich danach sehne. Schreibe mir unter der Adresse: M. de Saint-Leu, Bad Teplitz in Böhmen.«

 

Selbst wenn man diesen Brief nicht ganz wörtlich nimmt, selbst wenn man davon abzieht, was an unmittelbarem Eindruck verhängnisvoller Ereignisse darin zittert und manches vergrößert, so bleibt dennoch genug übrig, um das Herz einer Mutter zentnerschwer zu belasten. Es ist ja nicht ein alter Mann, der diese Zeilen voll trüber Resignation schrieb, nein, ein Zweiunddreißigjähriger ist so müde, so verbittert, daß er nur noch an Weltflucht denkt und nichts anders mehr will, als vergessen sein. Und doppelt weh muß es Lätitia getan haben, daß Napoleon, der ja ein so guter Hasser war, auch jetzt, da der Bruder völlig zertreten am Boden lag, nicht den armseligen Menschen in ihm sah, sondern nur den politischen Feind, der ihm seine Pläne zerstörte. Alles, was er der Mutter über Louis zu sagen hat, sind folgende Zeilen: »Madame, ich beeile mich Ihnen mitzuteilen, daß sich der König von Holland in Teplitz in Böhmen befindet. Da sein Verschwinden Sie jedenfalls sehr beunruhigt haben wird, verliere ich keinen Augenblick, um Ihnen diese Neuigkeit als Beruhigung zu geben. Sein Benehmen ist derartig, daß es nur mit seiner Krankheit zu entschuldigen ist.«

So trug denn Lätitia schon ein zweites Schwert im Herzen, nicht um den Sturz, sondern um das innere Elend Louis', der in seinen Briefen immer wieder darauf zurückkommt, daß er nichts anderes mehr will, als mit seiner Mutter und einem seiner Kinder bis an sein Lebensende in einem verlorenen Winkel leben. »Ich bitte Dich, sprich dem Kaiser nicht mehr von mir, denn Du hast nur Verdruß davon. Ich habe ein solch Bedürfnis nach Ruhe und Vergessenheit, daß ich gerne mit Dir und einem der Kinder in die Provence oder nach Korsika zöge.«

Nicht minder tief also als zwischen Napoleon und Lucian, klafft der Riß zwischen Napoleon und Louis. Napoleon beantwortet die Briefe Louis' überhaupt nicht mehr, und Louis ist bei allem äußeren Respekt vor dem Kaiser so erbittert auf ihn, daß er keine Pension, keine Apanage von ihm annimmt. Als er König wurde, hatte er gleich Josef und Jérôme seine Prinzenapanage der geldfrohen Mutter abgetreten; nun, da seine Gemahlin Hortense die Regentschaft in Holland führt und späterhin von Napoleon eine stattliche Jahresrente erhalten wird, nun wendet er sich an die Mutter als erster König, für den sie, wie sie einst prophezeit hatte, das Brot herschaffen muß. Selbstverständlich war auch dies »Brotherschaffen« nicht ganz wörtlich zu nehmen. Schließlich hat auch ein abgedankter Souverän immer noch Geld genug, um zu leben, aber immerhin half Lätitia dem Exkönig, indem sie ihm, wie er es wünschte, Brillanten im Wert von einer halben Million abkaufte. Es ist ungemein bezeichnend für Lätitias Genauigkeit in Geldsachen, daß Louis ihr eine ausführliche Liste der Pretiosen, die sie ihm abkaufen sollte, aufstellte, geradeso, als hätte er mit einem geriebenen Geschäftsmann zu tun.

Noch immer sind die Sorgen nicht zu Ende, die auf der Mutter all dieser Bonapartes lasten. Von Pauline kommen Nachrichten, die große Beunruhigung hervorrufen; diesmal handelt sich's nicht um kindische oder verrückte Einfälle, die ein mütterliches oder brüderliches Strafgericht vertreibt: die junge schöne Fürstin Borghese fängt an zu kränkeln, vor der Zeit schwach und hinfällig zu werden. Die sechzigjährige Mutter verzehrt sich in Angst von einem Brief zum andern und kann doch nicht, wie sie gern möchte, zu der siechen Tochter eilen, weil sie selbst schon den Jahren tributpflichtig, zu angegriffen und schwächlich für eine Krankenpflege ist. Und noch ein neuer Schreck kommt: Lucian will mit seiner Familie nach Amerika auswandern. Seit Napoleon auch König von Italien ist, fühlt sich Lucian nicht mehr sicher; die Neue Welt, die für die Bonapartes immer einen so großen Reiz gehabt, lockt ihn, und er bittet die Mutter, seinen Plan mit Geld zu unterstützen.

Frau Lätitia mag die Zähne fest aufeinander gebissen haben, als sie's vernahm. Mit der ganzen Kraft ihres starken Herzens hat sie noch einmal alles durchlebt, was sie um diesen heißgeliebten Sohn gelitten hatte, bis es so weit kam. So leidenschaftlich, so hingebend wie früher, stand sie ihm freilich nicht mehr gegenüber; sie konnte ihm eben doch nicht verzeihen, daß ihm seine Frau das Liebste auf der Welt war. Aber Lucian scheint berufen, ohne sein Wollen der Mutter immer neues Herzeleid zu bereiten. Vom Sturm verschlagen wird das Schiff, das ihn nach der neuen Heimat tragen soll, durch englische Kreuzer aufgegriffen und Lucian als Kriegsgefangener nach London gebracht.

Inzwischen hat Frankreich eine neue Kaiserin, Lätitia eine neue Schwiegertochter bekommen. Gelassen, sonder Enthusiasmus blickt die alte Frau der jungen entgegen. Ihr mag der Hof in Paris, als er Hochzeitsvorbereitungen traf, einigermaßen verrückt vorgekommen sein: Napoleon lernte für die Wienerin Walzer tanzen, seine Schwestern blähten sich und stolzierten umher wie die Pfauen, weil sie eine Kaiserstochter zur Schwägerin bekommen sollten. Dem großen Sohn konnte sie natürlich über seine choreographischen Bemühungen nichts sagen, aber die Töchter ließ sie hart an über die laute Freude und den gespreizten Dünkel, mit denen sie die neue Verwandte erwarteten. Was kümmerte es Lätitia, die Einfache, Kluge, daß die Schwiegertochter aus altem Dynastengeschlecht war, daß ihr Vater eine Kaiserkrone trug. Für sie stand nur eins in Frage: »Wird sie mir den Sohn glücklich machen?« Wenn sie's tat, würde Lätitia sie von Herzen lieben; wenn sie's nicht tat, konnte keine Krone der Welt, kein noch so ehrwürdiges Blut sie vor der Verachtung der alten Korsin retten. Weil Lätitia nicht eitel, sondern stolz auf den Sohn war, hat sie deutlich empfunden, wer bei diesem neuen Ehebund verlor und wer gewann.

So hat sie denn Marie-Louise, die Österreicherin, ebensowenig geliebt, wie früher Josefine, die Französin. Sie hatte einen feinen Spürsinn für den wirklichen Wert einer Frau; sie ließ sich weder durch glänzende Äußerlichkeiten, noch durch geistreichelnde Prätensionen blenden, zudem sie von den letzteren gar nichts verstand. Sie hat sicher nie verlangt, daß Napoleon eine geistig hochstehende Frau heiraten sollte; die Staël, die ihn als jungen General sehr umwarb, wäre gewiß nicht ihr Ideal einer Schwiegertochter gewesen. Aber eine Frau, die stark und mutig war, sollte neben ihm stehen, eine, die wie sie selbst später mit ihm durch Not und Todesgrauen schritt, wenn die Stunde kam. Eine, die Treue hielt, die wußte, was es hieß, Napoleons Weib sein, und die nicht ihr Leben, ihre Tage mit Tand und bunten Affereien verzettelte. Wenn Paulinchen heute so tat, so mochte es hingehen – für ihren Borghese reichte sie geistig und moralisch immer noch aus. Vielleicht war sie auch erst durch ihn so weit gekommen; denn als sie noch die Gattin Leclercs war, hatte sie in San Domingo, wohin sein Kommando ihn geführt, Aufsehen gemacht durch die Kaltblütigkeit und Tapferkeit, mit der sie in allen Gefahren der Aufstände ihrem Mann zur Seite geblieben war. verwundert, beinah ein wenig beleidigt und ein wenig degoutiert, sah Madame Mère, wie Napoleon sich zweimal an nichtige, charakterlose Frauen wegwarf. Sie hat später nach der großen Katastrophe ihr Urteil über Marie-Louise in die klaren Worte gefaßt: »Sie war sehr dumm, aber sie konnte hübsche Briefe schreiben.« Trotzdem die Erzherzogin aber nicht nur die Stilistik beherrschte, sondern auch mit den Ohren wackeln konnte, ist es ihr nie gelungen, in ein herzliches Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter zu treten. Je mehr der Kaiser die junge Gattin verwöhnt, um so mehr zieht sich Lätitia von ihr zurück. Tut es, wie es ihre Art war, ohne harte Worte, ohne Szenen, mit äußerer Bescheidenheit und dem inneren Bewußtsein, daß sie turmhoch über dieser blonden Nichtigkeit steht. Bei allen Etikette- und Zeremonialfragen, bei allen Festen und Protektoraten ließ sie sich ganz selbstverständlich weit hinter die junge Kaiserin drängen. Nur, wenn Marie-Louise versuchte, ihr »leutselig« zu begegnen, kam sie an die Unrechte. Lätitia erwiderte der Schwiegertochter dann ebenso huldvoll, wie diese sie angeredet hatte.

Es wäre nun leicht zu sagen: Madame war eben eine gewöhnliche Frau und konnte sich nach Proletarierart mit keiner Frau von höfischen Gewöhnungen und Umgangsformen stellen; darum ihre Abneigung gegen Josefine und Marie-Louise, darum ihre Vorliebe für die bürgerlichen Schwiegertöchter Julie und Christine. Solcher Einwand wird aber sofort entkräftet, wenn man das Verhältnis betrachtet, in dem Lätitia zur Frau Jeromes, der württembergischen Königstochter, stand. Katharina von Westfalen schreibt einmal an sie:

 

»Liebe Mama! Ich bin so froh, daß ich endlich Deinen Brief vom 16. April bekommen habe, denn ich war schon recht unruhig und traurig, daß Du so lange geschwiegen hattest. Du hast mich so sehr durch Deine Güte verwöhnt, daß ich, wenn Du mir lange nicht schreibst, immer fürchte, es könnte Dir etwas zugestoßen sein, oder Deine Gefühle für mich hätten sich verändert. Du weißt, liebe Mama, ich hänge an Dir, wie nur eins Deiner eigenen Kinder, und darum wünsche ich natürlich, daß auch Du für mich dieselbe Zärtlichkeit empfinden möchtest.«

 

Aber nicht nur an die Schwiegermutter selbst schreibt Katharina so zärtlich, was ja immerhin als kluge oder banale Redensart gedeutet werden könnte. Auch dem Vater in Württemberg teilt sie mit: »Meine Schwiegermutter ist eine so liebe, gütige Frau, daß man gar nicht anders kann, als sich wohl bei ihr fühlen.« Weder Josefine noch Marie-Louise haben sich jemals wohlgefühlt bei Madame Mère und es gereicht sowohl Lätitia wie Katharina zur Ehre, daß sie, obgleich so verschieden von Hasse, Herkunft und Alter, einander herzlich zugetan waren. Sie waren eben beide Charaktere, keine Puppen, und sie fanden sich schon in den Tagen des Glanzes im Gefühl ihrer Seelenstärke, ihrer frischen Tapferkeit und ihrer unverbrüchlichen Frauentreue. – – –

*

Das Kaiserreich war durch alle Glorien geschritten. Ein glücklicher Feldzug hatte den anderen abgelöst, der Thronerbe war geboren, der schon in der Wiege König von Rom hieß. Über allen Jubel der Triumphe war immer das mißtrauische » pourvou que cela doure« der alten Frau gestiegen. Angstvoll sah sie, wie der Sohn zu immer neuen Kriegen rüstete. Durch all den stahlklirrenden Waffenlärm hörte sie schon die Schritte des Unglücks, das unaufhaltsam näher kam.

Dann begann der Stern, der blutig rot über Europa gestrahlt hatte, langsam zu verbleichen. Seit er sich in den Flammen des brennenden Moskau gespiegelt, sah Frankreich nur mehr mit Grauen zu ihm auf und ersehnte ein Gestirn, das endlich mit dem milden Lichte des Friedens leuchten sollte. Um Tage der Schlacht von Leipzig war dann der märchenhafte Kaisertraum zu Ende geträumt. Ein trüber, grauer Morgen brach für Frankreich an, die Kronen fielen von den Häuptern der Napoleoniden, und die Wirklichkeit ihres Titanen war jetzt ein Inselchen im Mittelmeer und hieß Elba.

Lätitia, die stets so fest an das Unheil geglaubt hatte, empfing es wie einen lang erwarteten Gast. Immer noch lebte in ihr der stolze Geist, der ehedem in Ajaccio nur die Schande gefürchtet hatte, nicht die Armut. Auch jetzt während der Erschütterungen, die den großen Zusammenbruch ankündigten, sagte sie zum Kanzler Cambacérès: »Wie immer es enden mag, ich will mich nicht beklagen, vorausgesetzt, daß Napoleons Ehre ohne Makel bleibt, denn fallen bedeutet gar nichts, wenn man mit Vornehmheit fällt, aber es bedeutet alles, wenn man feige unterliegt.« Gelassen empfing sie die Hiobsposten der Jahre 1813-14; sie hatte die Macht nie geliebt, den Purpur nur ungern getragen; wie allzuschwere Prunkstücke tat sie beide mit ruhigem Angesicht von sich ab.

Ja, fast schien es, als ob das Unglück sie für ihren treuen Glauben belohnen wollte, als ob ihr gerade aus den Tagen, da alles zusammenbrach, ein neues Glück erblühen sollte, ein Glück, nach dem die Mutter sich seit langen Jahren vergeblich gesehnt hatte. In der Stunde des Unglücks beweisen die Bonapartes, daß sie weit mehr als bloße Glückskinder, daß sie eine gute, starke Rasse sind, abhold den Gepflogenheiten leichtlebiger Romanen, die nur im Glück zusammenstehen und nichts mehr voneinander wissen wollen, wenn die schwarzen Tage kommen. In der Stunde der Not vergessen die Bonapartes alles, was sie je getrennt; sie sind jetzt wieder die wilde Brut von Ajaccio, die keine bessere Stimme kennt, als die des Blutes. Josef, der Exkönig von Spanien, denkt nicht mehr an die Belästigungen und Beschimpfungen, mit denen Napoleon ihn gequält, Louis bietet von der Schweiz aus seine Dienste an, und Lucian, den der Zorn Napoleons gehetzt, bis er in England als Kriegsgefangener saß, Lucian schreibt, wenn es dem Kaiser recht sei, werde er mit allen Mitteln versuchen nach Frankreich zu kommen, um dem Bruder wieder treu zu dienen, wie in alten Tagen. Napoleon, durch die Unglücksschläge der letzten Zeit weniger selbstherrlich, nachdenklicher und milder gestimmt, ist von Lucians Anerbieten bewegt und schreibt der Mutter einen zärtlichen Dankesbrief. Da weint Lätitia, weint nicht über den Sturz ihrer Kinder, sondern über ihre Versöhnung. Der Fall ihres Hauses hatte ihr keine Träne gekostet; fassungslos vor Freude aber schluchzt sie über den Frieden, der endlich wieder bei ihnen einziehen wird.

Auch sonst empfängt Lätitia in diesen Tagen Beweise des Familiensinns und der Familientreue, die ihr mehr gelten als die verlorenen Kronen. Pauline will sofort all ihre Brillanten verkaufen, alles was ihr zu eigen gehört, um, wenn es an Geld mangeln sollte, es Napoleon zur Verfügung zu stellen. Zuverlässig wie in den Tagen des Glanzes erweist sich auch jetzt Jérômes Frau, die ihr Vater wieder gern zu sich heimholen möchte, wie der Österreicher seine Tochter heimholt aus dem zusammengekrachten Reiche. Die Schwäbin aber ist von ganz anderer Art als die Habsburgerin. Sie läßt nicht von Jérôme, den sie trotz all seiner Untreuen und tollen Jugendstreiche von Herzen liebt. Nie wird sie in eine Scheidung oder auch nur in eine Trennung willigen. »Mein Entschluß, lieber Vater, ist unerschütterlich. Mein Herz und die Ehre befehlen mir so und nicht anders zu handeln.« Lätitia, die so viel Verständnis für Anhänglichkeit und restlose Treue besaß, hat sich in diesen Tagen noch fester als zuvor an Katharina angeschlossen. Noch viele Jahre später, in ihrem höchsten Alter, wurde sie jedesmal ergriffen, wenn sie davon sprach, wie tapfer die schwäbische Schwiegertochter sich damals gezeigt und gehalten hatte.

Voll Schmerz und Verachtung dagegen mußte sie auf die »Andere« blicken, die Andere, die wiederum Napoleons Frau war, und die ihn, als er ins Unglück kam, mit so pöbelhafter Selbstverständlichkeit verließ, wie ein eigennütziger Dienstbote die Herrschaft verläßt, wenn sie kein Geld mehr hat. Papa rief – gehorsam nahm Marie-Louise ihr Kind auf den Arm und kehrte heim nach Wien, wo es den guten Apfelstrudel gibt und den Grafen Neipperg … Lätitia, die ja die Geistesart dieser Schwiegertochter früh erkannt hatte, mag wohl manches auf das Konto ihrer Beschränktheit gesetzt haben. So, wenn Marie-Louise ihr anbot, sie nach Österreich zu begleiten, ein Angebot von so erstaunlicher Taktlosigkeit, daß Lätitia sich in gar keine Erörterungen einließ, sondern nur sagte: »Ich gehöre zu meinen Kindern.« Marie-Louisens Betragen, ihre Bereitwilligkeit, den Gemahl zu verlassen, erregte übrigens sogar in Wien, im Kreise ihrer Familie, Erstaunen. Ihre Großtante, Marie-Karoline, eine Schwester der tapferen Marie-Antoinette, sagte: »Wenn's nicht anders gegangen wäre, müßte die Marie-Louise sich an ihren Bettüchern aus dem Fenster lassen und in einer Verkleidung zu ihrem Mann fliehen. Ich an ihrer Stelle tät's, denn, wenn man verheiratet ist, dann ist man's fürs Leben.«

Da selbst eine Fremde, selbst eine Habsburgerin so urteilte, wie mußte erst die Mutter Napoleons unter dem kindischen, unwürdigen Benehmen seiner Frau leiden, wie bitter weh mußte es ihr tun, daß ihn in der Stunde der Not die verließen, die jedem Sträfling treu bleiben: Die Frau und das Kind!

Marie-Louise, die ihre innere Pöbelhaftigkeit selbstverständlich hinter tadellosen Damenmanieren verbarg, gedachte immerhin sich bei der Schwiegermutter einen leidlich guten Abgang zu verschaffen und sagte ihr darum, ehe sie in die Reisekutsche stieg: »Ich hoffe, daß Sie mir auch in der Ferne die guten Gefühle bewahren, mit denen Sie mich bis jetzt ausgezeichnet haben,« worauf Lätitia mit ungeschminkter Derbheit entgegnete: »Das kommt ganz darauf an, wie Sie sich in Zukunft benehmen.«

Beim Sturze Napoleons zeigte Lätitia wieder deutlich, daß sie gar keine Kulturmutter war, die sich um so tiefer vor dem Sohn beugt, je höher er im Ansehen steht, je mehr seine Triumphe ihrer Eitelkeit Befriedigung gewähren. Mit dem Napoleon der Glanzzeit hat sich Lätitia nicht allzu gut verstanden, wie es denn überhaupt, wenn diese beiden Menschen zusammenlebten, nicht an kleinen Reibereien und größeren Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen fehlte. Das alte Sprichwort: »Zwei harte Steine mahlen nicht gut« hat sich auch bei ihnen oft genug bewährt; erst wenn sie getrennt waren, erkannte wieder jeder, wie sehr er am andern hing. Lätitias Instinkt der Naturmutter, des Weibes, das vor allem sein Junges schützen und wenn möglich auch bevormunden will, mußte sich naturgemäß trotz der leidenschaftlichen Bewunderung zuweilen gegen einen Sohn auflehnen, der gewohnt war, eine Welt zu gebieten und von anderen Leuten nur Zustimmung hören wollte, keine Meinung. Frau Lätitia, die Naturmutter, hat denn auch dem Kaiser gegenüber des öfteren hübsch aufgetrumpft mit ihrer mütterlichen Selbständigkeit und würde: »Und wenn du mein Sohn bist, so bin ich deine Mutter, und wenn du sagst: »Ich will, so sage ich darauf: ›Ich will nicht!‹«

Das alles ändert sich aber in dem Augenblick, da der Kaiser von seinen Feinden überwältigt, entthront und nach Elba verbannt ist. Nun ist er nur noch ihr Kind, ihr geliebtes, unglückliches Kind, das ihrer Fürsorge, ihrer streichelnden Hand bedarf und das mit zärtlicher Ungeduld nach ihr ruft. Sie, die sich nie vom Kaiser hat einschüchtern lassen, die allezeit seinen kindlichen Respekt eingefordert hatte, sie hat jetzt keinen anderen Gedanken mehr, als sein Leid und Elba. »Und müßte ich als seine letzte Magd dort leben, ich kann ihn nicht allein lassen, ich muß zu ihm.«

Ostern 1814. Wie anders hatte Lätitia, die Kaiserin Mutter, sonst das Fest der Auferstehung gefeiert. Mit prunkvollen Hochämtern, nach denen für die kaiserliche Familie gebetet worden war, mit glänzenden Aufzügen und Festen war sonst in Paris die heilige Zeit begangen worden, heute sitzt Madame Mère allein, ohne Gefolge und Hofdamen da, hält ängstlich ihren Reisepaß in der Hand und erwartet ihren Bruder, den Kardinal Fesch, der sich mit ihr zunächst nach Rom begeben will, von dort aus will sie sich dann nach Elba einschiffen. Lätitia heißt in ihrem Paß noch immer: » Madame Mère de l'empereur et roi«, wie denn auch im Pariser Vertrag von 1814 die ganze Familie Bonaparte all ihre Titel behielt und jeder einzelne eine sehr anständige Jahresrente zugesichert bekam, die nur eine kleine Schattenseite besaß: sie wurde nämlich nie ausgezahlt. Lätitias düstere Ahnungen lassen aber auch jetzt noch nicht von ihr ab. Als wäre die arme Seele noch nicht genug belastet, als wüßte sie, daß sie eben erst anfing, ihren weg nach Golgatha zu gehen, murmelte die alte Frau trübselig vor sich hin: » Ce n'est pas encore fini

Auf Elba in Porto Ferrajo führte Lätitia das Leben, das ihr eigentlich zusagte, jedenfalls ungleich besser zusagte, als alle Pracht des Kaiserhofes in Paris. Napoleon schaltete hier ja als Souverän, und wer vergessen konnte, daß er einst von einem Weltreich geträumt, daß er Fürsten und Völker in den Staub getreten, Dynastien verjagt und geschaffen hatte, der konnte sich's wohl gefallen lassen auf der heiteren, kleinen Insel mit ihrem angenehmen Klima und dem Metallreichtum ihrer Berge. Wer vergessen konnte …

Lätitia bewohnte einen hübschen Palast, hatte kein großes Gefolge, nur etliche anhängliche Vertraute von früheren Tagen her. Sie lebte behaglich und vornehm, wie es einer alten Edelfrau zukommt. Sie ging fleißig in die Messe, schenkte den Armen, machte mit dem Sohn kleine Spaziergänge oder saß in ihrem Salon und fertigte Handarbeiten. Auf ihrem Arbeitstischchen standen die Bilder all ihrer Kinder; während sie stickte, hob sie wohl die Augen, sah dies oder jenes an, und sann der Lust und dem Leid nach, die jedes von ihnen schon über die Mutter gebracht hatte. Auch eine bescheidene Geselligkeit gab es bei Frau Lätitia, kleine Theateraufführungen und Feste, wie sie Napoleon liebte. In Paris hatte sie sich von allen derartigen Veranstaltungen so viel wie möglich fern gehalten; hier in Elba, wo der einfachere Maßstab der Dinge sie nicht erdrückte, lebte sie gern gesellig, weil es dem Sohn gefiel. Noch eine andere Freude erwartete Lätitia in Porto Ferrajo: die Fürstin Borghese, Paulinchen, die nur im Glück unerträglich war, aber tapfer und treu in jeder Stunde der Not, Paulinchen ist unmittelbar nach Napoleon auf Elba eingetroffen. Den jungen Körper schon von heimtückischer Krankheit angefressen, das Herz voll mutiger Entschlüsse und den Kopf voll alberner Gedanken, kommt sie an, um den Bruder, an dem sie stets leidenschaftlich gehangen, nicht allein zu lassen, um ihm die Trübsal seiner Tage zu verkürzen, ihn zu erheitern. Lätitia, die für dies schöne, seltsam widerspruchsvolle Kind stets eine Vorliebe gehabt hatte, war aufrichtig froh, Pauline wieder einmal losgelöst vom verwirrenden Hoftreiben lange und intim bei sich zu haben. Kleine Familienszenen und Verdrießlichkeiten fehlten natürlich auch auf Elba nicht. Bald war Napoleon in verzeihlicher Reizbarkeit rücksichtslos gegen die Mutter, bald mußte man sich über Paulinchen ärgern, die mit den Offizieren der englischen Kreuzer flirtete, als wären Frankreich und England die besten Freunde. Wie in früheren Tagen rief Napoleon in solchen Fällen Madame Mère zu Hilfe, die dann die kokette, taktlose Tochter gehörig ausschalt und jedesmal wieder zur Raison brachte.

Ohne heftige Wellenschläge, freundlich, von kleinen Alltagssorgen kaum umdüstert, floß das Leben der Bonapartes auf Elba dahin, wie das Leben von Duodez-Fürsten. Kein besseres war zu wünschen, für einen, der vergessen konnte …

Lätitia hatte Glück und Glanz willig vergessen, nicht aber ihre Ängste. Sie wußte wohl, daß die Welt noch nicht fertig war mit Napoleon, daß man ihn noch immer fürchtete, so klein die Scholle auch war, auf der er jetzt saß. Gerüchte liefen um, daß man ihn nicht auf Elba lassen, sondern auf eine weit entfernte Insel bringen werde. Die Mutter fürchtete vor allem, daß man ihm mit Gewalt ans Leben wollte, mit Gift oder einem heimlichen Dolchstoß. Hatten sich in Paris und Wien Attentäter an ihn herandrängen können, um wie viel leichter hier und jetzt, wo der Mörder nicht mehr vor der Wut eines ganzen Volkes zu zittern brauchte. Doch wenn sie den Sohn ansah, dann mochte sie sich vielleicht fragen, ob für ihn der Tod wirklich das Schlimmste sei, ob dieser Riesengeist nicht schmerzlicher unter der Rolle des Duodez-Fürsten litt, als er in einem jähen Sterben leiden konnte … Sie, die die Psychologie Napoleons seit seinen Jugendtagen genau kannte, sie spürte wohl tief im Inneren, daß auch er mit der Welt noch nicht fertig war; sie verstand mit ahnendem Herzen, daß dieser glühende Vierziger noch nicht resigniert haben konnte.

Bald sollte sie erfahren, daß ihre Ahnungen sie nicht betrogen hatten. An einem Februarabend hatte Napoleon, der aufgeräumter schien als sonst, sie und Pauline zu einer Partie Bezigue eingeladen. Als das Kartenspiel zu Ende war und Pauline sich zurückgezogen hatte, ging Napoleon, augenscheinlich sehr erregt, im Park hin und her, so daß Lätitia, die ihn beobachtete, zu ihm trat und ihn fragte, was sei. »Ich reise noch heute nacht.« – »Wohin?« – »Nach Paris. Aber ich will deine Meinung darüber hören.« Lätitia meint zu fühlen, daß der Boden unter ihr schwankt. Von neuem will sich der Sohn all den Gefahren entgegenstürzen, die seiner Mutter seit zwanzig Jahren kaum eine ruhige Minute gelassen haben. Aufs neue will er aus der Ruhe eines beschaulichen Daseins heraus den Riesenkampf mit dem Schicksal aufnehmen. Der mütterliche Egoismus mochte in ihr wohl einen Augenblick aufschreien: ›Bleib! Geh nicht von uns! Erhalte dich für uns, für mich!‹ Sie hörte aber nicht auf die Stimme dieses Egoismus. Sie wurde sehr blaß und sagte nur: »Einen Augenblick … einen Augenblick noch laß mich denken, daß ich deine Mutter bin.« In diesem Augenblick nimmt sie ihr tapferes altes Herz so fest zwischen beide Hände, daß es nicht mehr schreien kann.

»Reise, mein Sohn, gehorche deinem Schicksal und reise, vielleicht wirst du scheitern, vielleicht fallen, aber du kannst nicht hier bleiben, das sehe ich wohl ein. Hoffen wir, daß Gott, der dich in so vielen Schlachten beschützt hat, noch einmal mit dir sein wird.« Napoleon reiste nicht in derselben Nacht ab. An dem Abend, der der Flucht voranging, gab er noch einen großen Ball, zu dem Paulinchen, die ja von nichts wußte, auch ihren Freund Campbell von der englischen Flotte einlud, eine Einladung, die den ganzen Plan der Flucht aufs Spiel setzen mußte, wenn Campbell, der wahrscheinlich im Einverständnis mit Napoleon war, nicht dankend abgelehnt hätte. Lätitia hatte da wieder einmal Gelegenheit, ihre Selbstbeherrschung zu zeigen. Scheinbar unbefangen und heiter machte sie mit dem Kaiser die Honneurs dieses Festes, indes sie wußte, daß er wenige Stunden später seinem Schicksal entgegenfuhr. Am nächsten Morgen, als die Flucht bekannt wurde, erwies sie sich dann erst recht als beherrschte, verschmitzte Welsche. Denn als Campbell, wenigstens scheinbar, in großer Bestürzung vor sie hintrat und sie mit Fragen bestürmte, als sie auch von anderen, die Näheres von ihr erfahren wollten, umlagert und ausgeforscht wurde, da erklärte sie mit ruhigem Lächeln, daß niemand von der Flucht überraschter gewesen sein könnte, als sie selbst. Wohin der Kaiser gefahren sei? Was er plane? Sie zuckte die Achseln. Sie wisse nicht mehr davon als irgendeiner der Fragesteller. Weiter war nichts aus ihr herauszubekommen.

Pauline ist abgereist, Lätitia allein auf Elba geblieben, wo sie voll Hoffnung und Freude die günstigen Nachrichten über die Reise, das Vordringen Napoleons, empfängt. Seltsam! Jetzt, wo sie dicht vor der letzten, vernichtenden Katastrophe steht, jetzt scheint die Gabe des zweiten Gesichtes und ihr ewiger Pessimismus von ihr gewichen zu sein. In den Briefen an ihre anderen Kinder findet sie Ausdrücke des Glückes, wie kaum je zuvor, und sie träumt schon von einer Reise nach Rom, wo sie sich mit Louis, Lucian, ihrem Bruder Fesch und vielleicht noch anderen Mitgliedern der Familie treffen will. Nach Paris wird sie erst zurückkehren, wenn alles wieder ist, wie es war, wenn Napoleon wieder unumschränkter Herr in Frankreich sein wird.

Hundert Tage stolzen Glückes sind ihr dann noch beschieden, bis der Tag von Waterloo allem ein Ende macht.

Seit vier Tagen hat sich Napoleon in jener seltsamen Untätigkeit, die ihn zuweilen nach großen Ereignissen überfiel, nach Malmaison zurückgezogen. Jede Stunde ist kostbar, jede, die verrinnt, mindert ihm die Möglichkeit, in das neue Land zu gelangen, auf das er jetzt hofft. Er aber irrt in schwermütige Träumerei versunken in den dunklen Laubgängen des Parkes umher und sucht auf dem weißen Kies der Wege die Fußspuren seines entschwundenen Glücks.

Wie ist alles anders geworden, seit er hier als verliebter, junger Ehemann mit seiner ersten Frau gescherzt und gescholten hatte. Josefine ist tot, gestorben an einer Erkältung, die sich die charaktervolle Dame bei den Festen der siegreichen Verbündeten geholt hat. Napoleon, heute noch ebenso verblendet über sie, wie einst, weint der »guten Josefine« nach und glaubt immer noch, daß sie ihn aufrichtig geliebt habe.

Aber er gibt sich nicht nur melancholischen Erinnerungen hin, sondern weiß auch schon seinen Weg in die Zukunft. Das alte Traumland der Bonapartes steigt wieder vor ihm auf: Amerika. Alle wollen sie nach Amerika, denn in der Stunde der höchsten Not haben sie sich wieder um Napoleon geschart wie ein Mann. Lucian ist zu ihm aus England zurückgekommen, der lustige Draufgänger Jérôme hat alles wieder gut gemacht, was er je in Rußland verbrochen, er hat auf dem letzten Schlachtfelde gekämpft wie ein junger Held … Die Bonapartes sind vom Schicksal geschlagen, aber nicht vernichtet. Sie stehen ja allesamt noch auf der Höhe ihres Lebens und sind noch voll Hoffnung, voll Mut. Sie werden Europa den Rücken kehren, werden wieder, wie in Ajaccio, zusammenleben, um ihr Dasein kämpfen und glücklich sein. Alle, auch Napoleon, sind voll Zuversicht. Die Abenteurerlust wird wieder wach in all diesen starken Menschen. Nur die Mutter ist wohl schon zu betagt, zu stumpf, um an das neue Glück zu glauben, obgleich selbstverständlich auch sie das Los der Ihrigen teilen und auswandern wird … Jetzt ist sie in Malmaison, wo Napoleon immer noch Josefinen gehört, die ebenso untreu war, wie die Mutter treu ist. Lätitia hätte es in dieser Zeit keinen Augenblick fern vom Sohne ausgehalten. Wie in Elba zitterte sie auch hier Tag und Nacht für sein Leben. Darum eben war sie gekommen und blieb bei ihm bis zu der letzten Stunde, die er bei den Seinen verbringen sollte. Als die anderen Familienmitglieder sich schon in tiefer Erschütterung von Napoleon verabschiedet hatten, trat er zu der Mutter, der zwei große Tränen über das blasse, gefurchte Antlitz rannen:

»Leb' wohl, Mutter.«

»Leb' wohl, mein Kind.«

Nichts weiter, keine pathetische oder aufregende Szene, nur eine lange Umarmung. Dann geht Napoleon den schmalen, mit Lorbeerbüschen bestandenen Parkpfad entlang, der heute noch » le chemin de l'exil« heißt und nach der Straße führt. Geht, auf Nimmerwiedersehen – –

So unsäglich reich an Leid dieser Tag auch gewesen, so hat er dennoch einen Schimmer von Barmherzigkeit für die alte Frau gehabt, der das Schicksal sonst nichts ersparte. Sie hat nicht gewußt, was dem Sohne bevorstand und daß sie ihn zum letztenmal geküßt hatte. Wußte nicht, daß während der vier in Malmaison vertrödelten Tage die Engländer Rochefort, von wo aus Napoleon sich nach Amerika einschiffen wollte, besetzt hatten, und ihn als Gefangenen nach St. Helena führten. Einen Augenblick schien es dann, als sollte Lätitia körperlich zusammenbrechen unter all den Erlebnissen der letzten Jahre. Ihre Gesundheit war seit langem schon erschüttert, jetzt lag sie krank, aber nur für einige Tage. Zum Kranksein war keine Zeit. Sie mußte ja fort aus Paris, aus Frankreich, in dem aufs neue der Bourbone herrschte. Die Tage von Elba scheinen zurückgekehrt, nur noch härter, demütigender für Lätitia, die jetzt nicht mehr die Mutter eines Souveräns, sondern die eines Usurpators ist. Wieder gibt es eine jähe Abreise, die einer Flucht verzweifelt ähnlich sieht, wieder ist ihr Reise- und Leidensgefährte der treue Bruder Fesch, der sie nach Rom bringen wird, wo ihr der Papst schon gastfreundlich eine Heimat angeboten hat.

Lätitia war ja nie eitel und hatte es kaum geachtet, wenn ihre Karosse ehedem unter Hochrufen und Ehrfurchtsbezeugungen dahinfuhr. Nun aber mag sie doch nach ihrer Gewohnheit die Lippen fest zusammengepreßt und die Augen groß aufgerissen haben, wenn sie merkte, daß ihre Kutsche da und dort mit Schmährufen empfangen wurde oder Zusammenrottungen drohenden Straßenpöbels veranlaßte. Allerdings fehlte es auch nicht an sympathischen Kundgebungen, an Menschen, die Ehrfurcht hatten vor der alten Frau und ihrem großen Menschenleid. In Rom winkte dann Ruhe nach all den Stürmen. Der Papst empfing Lätitia wie eine alte Freundin. Sie bewohnte mit ihrem Bruder zusammen den Palast Falconieri an der Ecke des Korso und der Piazza di Venezia; oben im ludovisischen Viertel hat ihre Lieblingstochter Pauline ihren Wohnsitz im weltberühmten Palazzo Borghese mit seinem herrlichen Garten, in dem auch an Sommertagen die Luft kühl und gesund weht, als gäbe es in Rom keine Gluthitze und Malaria …

So hatte Lätitia zwei Menschen um sich, an denen ihr Herz hängt, aber wie wenig bedeutet schließlich deren Gegenwart, wenn die Mutter das Los ihrer anderen Kinder bedenkt. Josef hat sich wirklich nach Amerika eingeschifft, die anderen ziehen zunächst heimatlos in Österreich, Italien und der Schweiz umher. Napoleon aber ist auf St. Helena festgeschmiedet in einem mörderischen Klima, den Brutalitäten eines rohen englischen Gouverneurs preisgegeben …

Und noch immer ist das Maß der Leiden nicht voll. Zu allen Schwertern, die sie im Herzen trägt, muß sie auch noch Schande erleben, sie, die Schande stets als das Schrecklichste auf der Welt geachtet hat. Ihr Schwiegersohn Murat, der schon 1813 mit den Österreichern Freundschaft geschlossen, dann, nach Napoleons Rückkehr von Elba, wieder eine Annäherung an den kaiserlichen Schwager versucht hatte und nun sein, ihm von den Österreichern entrissenes Königreich zurückerobern wollte, Murat wird jetzt von den Österreichern gefangen genommen und wenige Tage nach Napoleons Landung auf Helena erschossen. Erschossen wie ein Verräter, der er ja auch wirklich war. Sein Verlust hat Lätitia gewiß nicht sonderlich geschmerzt. Sie schreibt darüber ganz kühl an eines der fernen Kinder, ohne jeden Gefühlskommentar: »Das traurige Ende Murats wirst Du ja erfahren haben.« Für sie waren Murat und seine Frau an dem Tag erledigt, wo sie von Napoleon abfielen, denn Lätitia, die einen so feinen Spürsinn für wirklichen Frauenwert besaß und einen so fanatischen Familiensinn, Lätitia wußte sehr wohl, daß hinter dem klugen, tapferen, aber in Weiberhänden ganz schwachen Murat die ränkesüchtige Karoline stand. Vergeblich versuchte die Tochter, sich bei der Mutter zu rechtfertigen, alle Schuld auf ihren Mann abzuwälzen. Lätitia erklärte kurz und bündig: »Wenn er gegen uns war, dann hättest du nicht mit ihm sein dürfen.« Und als Murat, der die fürstlichen Gesten liebte, ihr nach der Ankunft in Rom acht prächtige Hengste aus seinem Marstall zuführen lassen wollte, wies die alte Dame sie mit den Worten zurück: »Mit Verrätern habe ich keine Gemeinschaft.«

So viel Leid und Schande obendrein hätten eine andere Frau, die sich den Siebzigern nähert, wahrscheinlich niedergeworfen, hätten ihr nur noch Kraft zum Jammern und Verzweifeln gelassen. Sie aber, das Genie des Unglücks, ist jetzt, wenn man den Ausdruck brauchen darf, eigentlich in ihrem Element, und wie für sie gedichtet, scheinen die prächtigen Verse der Paoli:

Doch mitten in den wütendsten Orkanen erhob ich mich
Und schritt dahin auf meinen dunklen Bahnen – so stark war ich.

Lätitia hat im Glück nie aufgehört zu fürchten, aber sie hat auch im Unglück nie aufgehört zu hoffen. Kaum ist sie in Rom ein wenig eingerichtet, kaum hat sie sich körperlich ein wenig erholt, so richtet sie mit der ihr eigenen Ausschließlichkeit all ihre Gedanken auf ihr unglücklichstes Kind, auf Napoleon. Sein Los zu erleichtern und zu teilen, ist jetzt ihre ganze Sehnsucht. Für ihn vergißt sie, wie sehr sie am Gelde hängt, und bietet ihm rückhaltlos bis auf den letzten Heller alles an, was sie besitzt. Als ihre Umgebung sie darauf aufmerksam macht, daß sie selber ja dann der Armut preisgegeben sei, erwidert sie mit bitterer Leidenschaft: »Dann nehme ich einen Stecken in die Hand und bettle vor den Türen: Schenkt mir was, ich bin die Mutter Napoleons.« Napoleon hat ihr Anerbieten natürlich nie angenommen. Lätitia blieb in ihrem behaglichen Überfluß in Rom, unablässig bemüht, Nachrichten von dem Sohn zu erhalten und – vor allem – die Erlaubnis, in St. Helena zu wohnen, oder wenigstens ihm ein letztes Lebewohl sagen [zu] dürfen, sich durch Augenschein zu vergewissern, wie er untergebracht war.

Vielleicht hat Lätitia in jenen Tagen manchmal an ihren ersten römischen Aufenthalt gedacht, da sie um Lucians willen voll Groll hier saß und meinte, es könnte keine grausamere Trennung geben, als die zwischen ihren Söhnen. Nun trennte kein Familienzwist mehr die Mutter von dem Sohne, aber zwischen ihnen stand der Wille mächtiger Fürsten, breitete sich die Unendlichkeit des Ozeans.

Ein einziger kleiner Trost mochte für die Mutter sein, daß der Sohn nicht allein, sondern inmitten einer Schar von Getreuen weilte, der Zahl nach ein Häuflein, an Treue und Liebe eine Armee. Nur durch diese Getreuen und die Schleichwege, die sie fanden, war es der Familie möglich, von Zeit zu Zeit Nachrichten von St. Helena zu empfangen oder nach dorthin gelangen zu lassen. Offiziell ist es Napoleon natürlich erlaubt, mit den Seinen zu korrespondieren, aber alle Briefe, die abgehen und eintreffen, werden aufgebrochen, so daß von wirklichen Herzensmitteilungen keine Rede sein kann.

Lätitia aber hört nicht auf, an bessere Tage zu glauben. Nie verliert sie den Kopf, immer ist sie besonnen, paßt sich, wo sie muß, den Verhältnissen an, empfindet es voll Dankbarkeit, daß Freunde, sogar Engländer, die Behandlung, die Napoleon widerfährt, empörend nennen und läßt nicht ab, an einen Tag des Wiedersehens zu glauben. Sie, die eigentlich so wenig federgewandt ist, hat schnell gelernt, wie die Briefe, die durch das englische Ministerium gehen, stilisiert sein müssen. Sie mahnt Jérôme, der diese Technik offenbar nicht gleich beherrscht: »Du mußt so schreiben, als ob du für die Zeitung schriebst,« und sie selbst vermeidet in ihren Briefen an Napoleon jeden Ausdruck, der verletzen oder falsch gedeutet werden könnte, wenn auch ihre Liebe und ihre Zuversicht zwischen den Zeilen hervorlugen: »Obgleich der Graf las Casas uns versprochen hat, daß er Dir öfters über uns berichten will, so will ich doch nicht versäumen, es selbst zu tun in diesem Augenblick, da wir günstigere Berichte über Deine Gesundheit erhalten. Ich kann Dir nicht verschweigen, daß ich nach Monaten von Ängsten und Qualen neu auflebe. Glaube nur, daß meine Meinung sich nie ändert, daß meine Kraft und mein Mut mich auf den hoffen lassen, der sie mir gab und der mich nicht sterben lassen wird, ohne daß ich Dich noch einmal umarmt habe.«

Und der Kardinal Fesch schreibt an Madame Bertrand im Auftrag der Mutter: »Ich bitte Sie, geben Sie uns Nachrichten vom Kaiser. Jeden Augenblick sind wir im Geist bei ihm. Unsere Tage sind von ihm erfüllt. Wir sind voll Hoffnung ihn wiederzusehen und vertrauen auf den, der immerdar seine Waffe und sein Schild gewesen ist.«

Wieder, wie damals, als sie nach Elba wollte, tönt Lätitias leidenschaftliches Begehr: »Wenn's nicht anders sein kann, soll man mich als seine Magd zu ihm lassen; eine Magd muß er doch haben, und ich kann mich in alles fügen, wenn ich nur bei ihm bin.« Immer wieder bietet sie ihm ihr Hab und Gut an, horcht auf jedes Wort, auf jede kleine Notiz, die von einer Linderung seines harten Loses Kunde geben könnte. Als all ihre Bemühungen, nach St. Helena zu gelangen oder wenigstens dem Sohn Erleichterung zu verschaffen, vergeblich sind, richtete sie an jeden der drei verbündeten Souveräne, an die Kaiser von Österreich und Rußland und an den König von Preußen, die damals auf dem Aachner Kongreß vereinigt waren, folgenden Brief:

 

Rom, 19. August 1818.

Eine über alle Maßen bekümmerte Mutter hat seit langem gehofft, daß die Zusammenkunft Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten ihr das Glück wiedergeben sollte. Es ist unmöglich, daß die lange Gefangenschaft des Kaisers Napoleon nicht von Ihnen erörtert werde, und daß Ihre Macht, Ihre Seelengröße und die Erinnerung an vergangene Zeiten Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten nicht dazu bewegen könnten, die Befreiung eines Fürsten zu erwägen, der an Ihren Interessen, ja sogar an Ihrer Freundschaft einst soviel Anteil hatte. Wollen Sie in einem qualvollen Exil einen Fürsten zugrunde gehen lassen, der, auf die Großmut seines Feindes vertrauend, sich ihm in die Arme warf? Mein Sohn hätte bei seinem kaiserlichen Schwiegervater eine Zuflucht suchen können. Er hätte dem großen Charakter des Kaisers Alexander vertrauen können, er hätte zu der Majestät von Preußen flüchten können, die, wenn er sie anrief, sich gewiß nur des einstigen Bündnisses erinnert hätte. Kann England ihn um des Vertrauens willen strafen, das er ihm bezeugt hat? Der Kaiser Napoleon ist nicht mehr zu fürchten, er ist krank. Wäre er aber auch gesund, besäße er auch noch die Mittel, die ihm die Vorsehung einst in die Hände gab, so würde er doch den Bürgerkrieg verabscheuen. Sire, ich bin Mutter, und das Leben meines Sohnes ist mir teurer als mein eigenes. Verzeihen Sie meinem Schmerz, daß ich mir die Freiheit nehme, an Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten diesen Brief zu richten. Lassen Sie eine Mutter nicht vergebens bitten, die sich auflehnt gegen allzulange währende Grausamkeiten, deren Opfer ihr Sohn ist. Im Namen dessen, der die Liebe ist und dem Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten gleichen sollen, erwägen Sie, wie die Qualen meines Sohnes enden könnten; fassen Sie den Gedanken, ihm die Freiheit wiederzugeben. Das erflehe ich von Gott, das erflehe ich von Ihnen, die Sie seine Stellvertreter auf Erden sind. Auch die Staatsräson hat ihre Grenzen, und die Nachwelt, die das Andenken alles Großen bewahrt, schätzt vor allem die Großmut des Siegers.

Ich bin mit Ehrerbietung, Sire, usw.

Madame Mère.

 

Dieser ergreifende Brief wurde von keinem der drei Souveräne einer Antwort gewürdigt. Weder die Mutter, noch die Schwestern Elisa und Pauline, die immer wieder baten, zu Napoleon zu dürfen, erhielten je die Erlaubnis, St. Helena zu betreten oder dem Kranken wesentliche Linderungen seines Schicksals gewähren zu dürfen. Denn Napoleon war damals schon sehr krank, und die Ängste der Mutter steigerten sich mit jedem neuen Tag, der ihn immer noch auf dem mörderischen Boden von St. Helena sah.

Ein Martyrium, wie es schwerer kaum eine Mutter je getragen, hat Lätitia in den sechs Jahren von der Abreise von Malmaison bis zum 5. Mai 1821 erlitten. Sie war nicht nur getrennt von dem Verbannten, sie wußte auch, daß man ihn mit Vorbedacht langsam hinmordete, ohne äußere Gewalttat, einfach dem Klima die Henkerarbeit überlassend, für die man aus guten Gründen keine bezahlten Hände dingen wollte. O'Meara, der treu ergebene Arzt Napoleons im Exil, gibt im Oktober 1818, also ein Vierteljahr nach dem Brief von Madame Mère an die Souveräne, folgendes Gutachten ab:

»Ich habe die Überzeugung, daß das Leben Napoleon Bonapartes gefährdet ist, wenn er länger in dem Klima von St. Helena bleibt, hauptsächlich, wenn die Gefahren dieses Aufenthaltes noch erhöht werden durch fortgesetzte Widerwärtigkeiten und Übergriffe, denen er bis zu diesem Augenblick ausgesetzt war, und für die er durch den Charakter seiner Krankheit besonders empfindlich ist.«

Jede Mutter, deren Sohn aus irgendwelchen Rücksichten in verhängnisvollen Klimaten aushalten muß, darf sich wenigstens freuen, wenn er einen geschickten und liebevollen Arzt gefunden hat. Der Mutter Napoleons wird auch dieser geringe Trost mit Vorbedacht verweigert. Der Doktor O'Meara wird von St. Helena entfernt unter irgendeinem Vorwand, in Wahrheit, weil er dem Kränkelnden zuviel Sorgfalt bewiesen hat.

Das Schweigen der Souveräne, die Entfernung des Arztes rufen in der alten Frau, die sonst so gefaßt ist, eine wilde Verzweiflung hervor, und sie schreit auf:

»O, ich wußte es ja, ich wußte es ja längst, daß sie mir ihn töten würden.«

Ein Augenblick der Verzweiflung, der vorübergeht. Schnell besinnt sich Lätitia auf sich selbst, auf ihre große Pflicht. Sie darf ja noch nicht das beschauliche Leben anderer Frauen ihres Standes und ihrer Jahre führen – solange der kranke Sohn auf der fernen Insel noch atmet, muß sie für ihn sorgen, muß sie all ihre Kräfte zusammenhalten, um für ihn zu wirken, im kleinen und im großen, wie die Stunde und die Verhältnisse es eben fordern. Hoffen muß sie und glauben mit jenem Glauben, der Berge versetzt; wenn sie aufhörte, an ein Wiedersehen auf Erden mit dem Sohn zu glauben, wie sollte sie die Qualen eines Daseins ertragen, das ihr Kind der Verbannung, der Not preisgibt, indessen sie, die Mutter, im Schoß der Familie und im Überfluß sitzt!

Die Familie Bonaparte hatte sich allmählich wieder um Lätitia kristallisiert. Wenn sie auch nicht alle in der »ewigen Stadt« lebten, so blieben sie doch im Lauf der Jahre nicht mehr gar so wirr in alle Länder versprengt, so daß die Mutter immer hoffen konnte, jeden einzelnen von ihnen in Zeiträumen wiederzusehen. Josef freilich war in Amerika und jammerte nach seiner Frau, die ihrer schlechten Gesundheit wegen einstweilen in Frankfurt zurückgeblieben war. Aber außer Pauline besaßen jetzt auch Louis (der sich inzwischen von Hortense getrennt hatte) und Lucian, den der Papst zum Fürsten von Canino gemacht hatte, ihre Paläste in Rom; und Jérôme, der jetzt noch als Herzog von Montfort bei dem Schwiegervater in Württemberg lebte, dachte später ebenfalls nach Rom zu übersiedeln. So wäre es nach all den Mühsalen und Schicksalsschlägen ihrer früheren Existenz für Lätitia eigentlich ein milder Lebensabend geworden – wenn nicht St. Helena gewesen wäre, St. Helena, um das unablässig ihre Gedanken kreisten, wie die Raben um den Kyffhäuser.

Von ihren ewigen Sorgen, Bemühungen und Hoffnungen gibt nachstehender Brief an Josef ein beredtes Zeugnis: »Du irrst, wenn Du glaubst, daß ich meinem Bruder zuliebe in Rom bleibe, aber wie sollte ich in meinen Jahren, mit meiner Kränklichkeit, eine so weite und beschwerliche Reise unternehmen, ohne dazu genötigt zu sein und ohne meiner Familie damit das geringste zu nützen. Bedenke außerdem auch noch meine Ängste und meine Hoffnungen und all die vielen Kümmernisse, die allmählich immer größeren Einfluß auf mein Wesen gewinnen. Nichts hier ist imstande, sie mir zu erleichtern, alles trägt vielmehr dazu bei, mir den Aufenthalt hier unangenehm zu machen. Glaube es nur, daß Du das beste Los von uns allen gezogen hast.

Las Casas hat Dir wohl schon geschrieben, daß ihm die Summe, die er von Dir erwartete, schon von anderer Seite her ersetzt worden ist, und daß also das Geld, das Du ihm geschickt hast, zu Deiner oder des Kaisers Verfügung steht. Jedes der Geschwister zahlt jährlich 15 000 Franken nach St. Helena. Ich selbst werde, wenn es nötig ist, 50–60 000 Franken jährlich bezahlen und werde dann mein eigenes Budget dementsprechend reduzieren.

Wir werden einen Arzt, einen Beichtvater und einen Koch hinschicken. Der letztere soll den Cipriani ersetzen, der im März an einer Unterleibsentzündung gestorben ist. Sie alle werden nach London fahren, sobald wir sie entsprechend ausgewählt haben.

Ich habe an die drei verbündeten Souveräne nach Aachen geschrieben um die Befreiung des Kaisers zu verlangen, Louis hat dasselbe getan. Man schreibt aus Paris, es gälte dort als feststehend, daß in Aachen beschlossen worden sei, er solle von St. Helena nach einer Insel des Mittelländischen Meeres, wahrscheinlich nach Malta gebracht werden, aber das sind Gerüchte, an die ich nicht zu glauben wage. Es wäre ja eine so große Wohltat für ihn, denn das Klima, in dem er jetzt lebt, ist Gift für ihn. Ich hoffe, daß sein Schicksal sich bessern wird. Man sagt, daß auch in London die öffentliche Meinung sich gegen die barbarischen Maßregeln ausspricht, die die Regierung gegen ihn ergriffen hat.«

Bald gelingt es der Mutter und dem Kardinal Fesch, einen neuen Arzt, einen Korsen namens Antomarchi, zu finden, der nach St. Helena gehen wird, begleitet von dem früheren Beichtvater Lätitias und einem jüngeren Geistlichen sowie einem Koch, den Pauline ausgewählt hat. Der Arzt wird der erste Mensch sein, der dem Verbannten direkte Nachricht von den Seinen gibt, ihm berichtet, wie die Mutter aussieht, lebt und was sie ihm an guten und sehnsuchtsvollen Worten für den Sohn mitgegeben hat.

Das tägliche Leben Lätitias glitt ruhig und gleichmäßig dahin, ohne äußeren Prunk, aber immerhin mit einer fürstlichen Lebenshaltung. Ihr Palast ist mit einem für die römischen Begriffe jener Zeit großen Luxus eingerichtet. Es wird von Reisenden besonders bemerkt, daß überall Teppiche liegen und immer, solange es kalt ist, starke Kaminfeuer flackern, nicht nur die jämmerlichen italienischen Kohlenbecken. Zahlreiche Dienerschaft ist vorhanden, deren Livreen die Farben der napoleonischen Livree, grün-gold, zeigen. Lätitia hat, wenn auch nicht offizielle Hofdamen, so doch Gesellschafterinnen und eine Sekretärin. Selbstverständlich auch Pferde und Wagen, die auf Decken und Kutschenschlägen das kaiserliche Wappen zeigen. Sie sieht wenig Leute bei sich, denn Geselligkeit war ja nie ihre starke Seite, aber sie empfindet eine melancholische Freude, wenn Fremde die Mutter Napoleons aufsuchen. Sie kleidet sich wieder so einfach wie sie es getan, ehe der kaiserliche Pomp ihr auch in dieser Hinsicht Verpflichtungen auferlegte. Besonderes Zeremoniell gibt es bei ihr nicht; schon in Paris, als eine ihrer Damen vorschriftsmäßig sich verbeugend rücklings zur Türe schritt und sich bei dieser Gelegenheit in ihre Schleppe verwickelte, hatte Lätitia ausgerufen: »Ach lassen Sie doch diese Torheiten und geben Sie lieber acht, daß Sie nicht hinfallen.« Hier in Rom, wo sie wieder auf italienischem Boden und nicht mehr repräsentierende Kaiserin Mutter ist, hier kommt sie gerne wieder zu all den Gewohnheiten ihrer Jugend zurück, die sich in Paris nicht geschickt hätten. Im Hause trägt sie jetzt wohl nach Art der Kleinbürgerinnen eine weite Schürze, und dem bunten Wollknäuel für ihre Stickereien gesellt sich jetzt auch wieder der Spinnrocken. Auch gerechnet und gespart wird wieder, wie in alten Tagen. Sie erkundigt sich genau, was Reisende für ihren Aufenthalt bezahlen, was winzige Glasperlen, aus denen man Börsen und Taschen häkelt, kosten, und sie empfindet jedesmal ein kleines Triumphgefühl, wenn man sie nicht übervorteilen kann, oder wenn sie Anderen darlegt, daß sie übervorteilt worden sind. Wie allen Geizigen hat man auch ihr ein ungeheures Vermögen angedichtet, hat nie bedacht, wieviel sie von ihren Ersparnissen ihren Kindern opferte. Ihr Einkommen belief sich zur Seit ihres römischen Aufenthaltes auf etwa 80 – 100 000 Franken, die sie, wie aus dem Brief an Josef ersichtlich ist, zum weitaus größten Teil dem gefangenen Kaiser zur Verfügung stellen wollte, nachdem, ihrem Aufruf folgend, sämtliche Geschwister sich ihm bereits zur Zahlung einer anständigen Jahresrente verpflichtet hatten. Lätitia, die inzwischen fast 70 Jahre alt geworden, schien seltsamerweise den französischen und den österreichischen Behörden immer noch gefährlich, immer noch verdächtig. Sie glaubten allen Ernstes, daß diese Greisin von Staatsumwälzungen und Putschen träumte. Sie vermuteten beständig, daß sie die ungezählten Millionen, die man ihr andichtete, dazu benutzen wollte, Napoleon von St. Helena wieder nach Frankreich zurückzurufen. Die alte Dame war daher vielfachen direkten und indirekten Belästigungen seitens aller möglichen Spitzel ausgesetzt, Belästigungen, die sich besonders bei der Korrespondenz mit ihren Kindern fühlbar machten. Nie wußte sie sicher, ob ein Brief auch wirklich befördert und nicht am Ende aufgefangen wurde. Auch war der Papst verpflichtet, Sorge zu tragen, daß die in seinem Lande lebenden Bonapartes den Kirchenstaat nicht verließen. Larrey berichtet über diese ständigen Verdächtigungen eine interessante, wenig bekannte Begebenheit, die Lätitia selbst ihrer Schwiegertochter Hortense erzählt hat:

»Im Jahre 1820, als eine bonapartistische Verschwörung in Paris aufgedeckt worden war, als Spanien Ferdinand VII. zwang, die Verfassung der Cortes zu beschwören, als Neapel sich erhob, als ganz Italien mit Carbonaris überschwemmt war, wurde die bourbonische Regierung in großen Schrecken versetzt. Durch falsche Vorstellungen getäuscht, unternahm die Regierung beim Papst Schritte gegen Frau Lätitia, die in Rom lebte; sie besoldete, behauptete man, Agenten in Korsika, um einen Aufstand zugunsten Napoleons zu entfachen; man versicherte, daß sich die Fäden solcher Verschwörungen bis ins Innere Frankreichs erstreckten, um Parteigänger für Napoleon zu gewinnen. Man behauptete ferner, die königliche Regierung sei in diesem Punkt ganz genau unterrichtet und wisse sogar, wie viele Millionen Lätitia für diesen Zweck geopfert habe. Eine schwere Anklage in diesem Sinn wurde von Monsieur de Blacas, dem Gesandten der allerchristlichsten Majestät, beim päpstlichen Stuhl erhoben. So peinlich dem Papst die ganze Angelegenheit war, sah er sich doch genötigt, seinen Staatssekretär zu Frau Lätitia zu schicken, um Erhebungen über diese Angelegenheit anzustellen. Seine Eminenz, der Kardinal-Staatssekretär, begab sich also zu Madame und legte ausführlich die Gründe seines Besuches vor. Nachdem er ihr sein Bedauern über sein für beide so peinliches Erscheinen ausgedrückt hatte, teilte er ihr die Beschuldigungen mit, welche die französische Regierung gegen sie erhoben hatte.

Lätitia, die ihn mit keinem Wort unterbrochen hatte, entgegnete, als er zu Ende war, gelassen und voll Würde: ›Eminenz, ich besitze keine Millionen, aber sagen Sie dem Papst, damit er es an König Louis XVIII. weiter gebe, daß ich, wenn ich die Reichtümer besäße, die man mir gütigerweise nachsagt, sie sicher nicht zur Entfachung korsischer Aufstände verwenden würde, um noch Parteigänger für meinen Sohn zu werben, denn er hat ihrer genug. Wäre ich so reich, so rüstete ich eine Flotte aus, die nur die eine Aufgabe hätte, den Kaiser von St. Helena zu entführen, wo ihn der abscheulichste Verrat festhält.‹ Hierauf grüßte sie den Kardinal und ließ ihn stehen.«

Es hätte wirklich nicht solch kleinlicher Treibereien und sinnloser Anschuldigungen bedurft, um die äußere Ruhe der Greisin zu stören. Wie Amfortas trug ja auch sie eine Wunde, die nimmer heilen konnte, die bei jeder Berührung, auch wenn die gütigste Hand darüber strich, aufs neue brannte und blutete. Immer wieder wurden nicht nur ihre Gedanken, es wurde ihre ganze Existenz durch St. Helena und seinen Gefangenen aufgerüttelt. Immer wieder kamen Briefe, Nachrichten, Gerüchte, Besuche, die von ihm sprachen und das Gemüt der Mutter aufs Heftigste erschütterten. Welche Aufregung mag für sie das Erscheinen O'Mearas gewesen sein, der, als er von St. Helena heimkehrte, im Palazzo Falconieri vorsprach und dort natürlich wie ein werter Freund aufgenommen wurde. Er war ja seit Jahren der erste Mensch, der vom Sohne kam, der seine Hand gehalten, seine Stimme gehört, der wußte und berichten konnte, wie es um seine Gesundheit stand, der den Tageslauf von St. Helena aus eigener Anschauung schildern konnte. Das Herz der Mutter mag sich zusammengekrampft haben, als sie die Erbärmlichkeiten vernahm, mit denen Sir Hudson Lowe ihr Kind quälen und zur Verzweiflung treiben durfte. Das Herz der Heldin aber hat sicher stolzer geschlagen, als sie hörte, mit welcher Größe Napoleon sein Schicksal trug, und voll Sehnsucht, Glück und brennenden Leids wird sie geschluchzt haben, wie nur Mütter schluchzen können, wenn O'Meara von der großen Verehrung sprach, mit der Napoleon der fernen Mutter gedachte. Alles, was je zwischen ihnen gestanden, war vergessen, nichts war geblieben als die Dankbarkeit für das tapfere Streiten und die hohen moralischen Eigenschaften der Mutter.

»Meine Mutter kann nie genug verehrt werden …«

»Meine Mutter war geschaffen, um ein Reich zu regieren.«

»Meine Mutter trug in einem Frauenkopf ein Männerhirn …«

»Alles, was ich bin und was ich je geleistet habe, verdanke ich meiner Mutter, ihrem Verstand, ihrer Erziehung, ihren Grundsätzen …«

O'Meara schildert den Eindruck, den er von Madame Mère empfing, mit folgenden Worten:

»Als ich im Jahre 1819 die Ehre hatte, Madame Mère in Rom zu sehen, zeigte sie noch die Spuren großer Schönheit. Ihr Auftreten war vornehm und würdig, wie man es von einer Königin oder der Mutter Napoleons erwartet. Gott und ihr Sohn sind ihre einzigen Gedanken. Sie sieht nur sehr wenig Menschen bei sich, von Engländern sind, glaube ich, nur der Herzog von Hamilton und ich zu Tische geladen worden. Ihr Haus ist ohne allen Prunk, macht aber einen sehr vornehmen Eindruck.«

Wenn O'Meara sagt, daß Lätitia nur an Gott und ihren Sohn denke, so hat er insofern recht, als ihr Herz fast ausschließlich an St. Helena dachte. Sie war auch gewiß eine fleißige Kirchengängerin und hat wohl in jenen schweren Tagen noch mehr gebetet als sonst, aber zu einem Glauben, zu einem, der das Irdische um des Himmlischen willen vergißt, hat sie sich kaum je bekannt. Fromm im höchsten und stärksten Sinn war sie wohl eigentlich nur in ihrem Hoffen; die Unerschütterlichkeit, mit der sie auf ein Wiedersehen mit Napoleon baute, hat dieser greisenden Frau eine Lebenskraft des Körpers und des Geistes gegeben, die sie über die Gesetze der Zeit hinaus zu heben schien. Ihre Fähigkeit zu hoffen hat ihr auch immer noch Muße und Stimmung gelassen für die kleinen Notwendigkeiten des Tages, für die Anforderungen, die die übrige Familie je nachdem an ihre Teilnahme oder an ihren Geldschrank stellte.

Sehr bezeichnend in dieser Hinsicht ist für sie und ihre Kinder ein Brief, den sie um diese Zeit an Josef schrieb, der als Graf Survilliers in Amerika lebte und mit der Mutter wegen der Überlassung von Bildern verhandelt und auch finanzielle Fragen erörtert zu haben scheint. Nachdem sie ihm in ihrer Antwort sagt, daß sie ihm die befragten Bilder ja früher schon geschenkt habe und daß sie nun die Schenkung wiederhole, erklärte sie ihm bis ins kleinste, wie Bilder und Rahmen verpackt und über den Ozean geschickt werden sollen, und macht ihn zugleich auf die großen Kosten aufmerksam, die ihm aus dieser Sendung erwachsen werden. Dann erwähnt sie, daß sie bereits 130 000 Fr. an Geschenken, Reisegeldern usw. für St. Helena ausgegeben habe, fügt aber gleich bei: »Selbstverständlich werde ich stets alles hergeben, was ich herzugeben habe.«

Diese bedingungslose Lust zu schenken gilt aber nur Napoleon, der ja hilflos ist. Bei den anderen Kindern hat sie sicher gedacht, daß sie sich nach der Decke strecken und das Vermögen der Mutter, das sie stets für St. Helena bereit hielt, so wenig wie möglich in Anspruch nehmen sollten. Ohne direkt ein Wort darüber zu verlieren, läßt sie doch zwischen den Zeilen ihres Briefes spüren, was sie von der Finanzwirtschaft ihrer Kinder denkt: »Lucian mit seiner zahlreichen Familie ist außerstande, irgendeinen von uns mit Geld zu unterstützen. Er hat seinen Palast in Rom sowie seine Villa in Frascati verkauft, um sich in Viterbo niederzulassen, von wo aus er sein Besitztum Canino überwachen und verwalten will.

»Jérôme, dem es gesundheitlich ausgezeichnet geht und der gegenwärtig mit seiner schwangeren Frau in Triest lebt, hat fast gar nichts mehr. Infolge der großen Verluste, die er erlitten hat, bin ich genötigt gewesen, ihm viel Geld zu schicken, viel mehr sogar als dem Kaiser.

»Pauline, die täglich große Ausgaben macht und angeblich täglich ihren Schmuck verkauft, hat eine Rente von etwa 40 000 Fr. aus ihrer Mitgift und aus anderen Papieren noch etwa 24 000 Fr.; außerdem hat sie noch mehrere Millionen zu fordern, sowohl von der französischen Regierung, als von der Gesellschaft zur Salzgewinnung in Deutschland. Das alles sind jedoch Forderungen, die in der Luft hängen, aber selbst wenn sie erfüllt werden sollten, glaube ich nicht, daß man von ihr etwas bekommen würde. Sie übersteigt zwar sehr gern ihr Budget, aber ein Budget dauert bei ihr immer gerade eine Woche lang.

»Louis lebt sehr angenehm, aber ich weiß nicht wieviel er hat.

»Was mich betrifft, so mußt Du wissen, wie hoch sich meine Ersparnisse in Wirklichkeit belaufen. Durch die außerordentlichen Ausgaben, die ich hier erwähnte, und durch andere, die ich mit Stillschweigen übergehe, wie z. B. die Verluste an Renten durch politische Ereignisse usw., sind mir eben nur meine früheren Ersparnisse geblieben, von denen ich lebe und deren Ziffern Du, wie ich schon sagte, kennen mußt. Es wird also Dir und mir nichts anderes übrig bleiben als uns künftighin ein wenig einzuschränken, sofern uns die Vorsehung nicht zu Hilfe kommt.«

Dieser Brief, scheinbar nur Geldangelegenheiten behandelnd, gibt zwischen den Zeilen eine ebenso treffende wie amüsante Psychologie Lätitias und ihrer Kinder. Man sieht Lucian, den Vater einer großen Kinderschar, der alles läßt und vergißt was je gewesen, um nur als einfacher Gutsherr mit dem jungen Volk zu leben, das ihn umgibt. Man sieht Pauline, die große Rechenkünstlerin, die Budgets für eine Woche aufstellt und so krank sie auch ist, das Geld immer noch für Putz und Nichtigkeiten zum Fenster hinauswirft.

Man sieht Jérôme, den leichtfertigen Exkönig »Lustik«, der mit seiner Katharina ebenso vergnügt in Triest haust, wie ehedem in Kassel, und die Mutter für ihn, seine Frau, seine gegenwärtigen und zukünftigen Kinder sorgen läßt.

Man sieht Josef, den teils steifleinenen, teils phantastischen Herrn, der offenbar von Angst befallen, daß die mütterlichen Ersparnisse den andern allzureichlich zufließen könnten, indessen er in Amerika sitzt.

Man sieht Louis, den verschlossenen, pfiffigen Kleinbürger, der recht angenehm lebt, aber keinen Menschen wissen lassen will, wieviel er hat.

Über ihnen allen aber sieht man das Lächeln Lätitias. Sie lächelt ein wenig ironisch, wenn sie von Pauline und Jérôme, ein wenig fremd, wenn sie von Lucian spricht; ihr Lächeln wird anzüglich, wenn sie den transatlantischen Sohn an Einschränkungen mahnt, und etwas gekniffen, wenn sie Louis mit einer Zeile abtut. Man spürt ordentlich, wie seine Geheimniskrämerei sie verdrießt; nichts ist ja einem Geldkünstler ärgerlicher, als wenn ein andrer den Haupttrick des Metiers – die Schweigsamkeit – beherrscht.

Ungefähr um dieselbe Zeit, da der Doktor O'Meara von Helena zurückgekehrt war, hat sich, wird erzählt, bei Lätitia noch ein anderer, unerwarteter Besuch angemeldet, – Marie-Louise, die Schwiegertochter aus Österreich. Im Jahre 1819 soll sich der Kaiser von Österreich, begleitet von seiner Tochter, auf einer Reise durch Italien befunden haben. Als sie nach Rom kamen, erwog man die Frage, ob es nicht gut aussähe, wenn die Erzherzogin der alten Frau einen Besuch machte. Man schickte also den Gesandten zu Madame Mère, der ihr mitteilte, daß die Erzherzogin dem Palazzo Rinuccini (in dem Madame Mère damals wohnte) die Ehre eines Besuches schenken würde. Lätitia aber entgegnet dem Gesandten:

»Herr Gesandter, Sie irren. Die Frau, von der Sie da sprechen, ist nicht meine Schwiegertochter, denn meine Schwiegertochter würde gewiß nicht auf den Heerstraßen ihrem Vergnügen nachlaufen, indes ihr Mann im Elend auf St. Helena sitzt. Die Frau, von der Sie da sprechen, ist wohl eine Betrügerin, die sich den Namen meiner Schwiegertochter anmaßt, und ich empfange keine Betrügerinnen.«

Nach einer anderen Version soll sich die Sache mit dem Besuche aus Österreich so verhalten haben: Der Kaiser von Österreich wollte seine Verwandte, die Königin von Etrurien, besuchen, die dicht neben dem Palast der Madame Mère wohnte. Durch ein Versehen sei sein Adjutant anstatt zur Königin zu Madame Mère gekommen und habe vorschriftsmäßig gemeldet: »Seine Majestät, der Kaiser von Österreich.« Darauf hätte sich Madame Mère erhoben und ihm die Worte ins Gesicht geschleudert: »Sagen Sie dem Kaiser von Österreich, daß es zwischen ihm und der Mutter Napoleons nichts Gemeinsames gibt.«

Die Verantwortung für diese Anekdoten muß Larrey, der sie erzählt, überlassen bleiben. Sie klingen sehr hübsch, aber auch sehr unwahrscheinlich. Der Adjutant, der »aus Versehen« in einen fremden Palast läuft, nicht merkt, daß statt der königlichen überall die napoleonischen Wappen angebracht sind und ohne die Vermittlung von Lakaien und Haushofmeistern gleich ins Zimmer der alten Dame seine Meldung hineinschreit, scheint doch etwas sehr operettenhaft. Und was den beabsichtigten Besuch Marie-Louisens betrifft, so hat er an Voraussetzungsmöglichkeiten auch nicht viel für sich. Was sollte Marie-Louise, die längst an Neippergs Herzen Ehe und Ehre vergessen hatte, bei der Mutter Napoleons zu suchen haben? Sie hat ja nicht einmal die Briefe beantwortet, die Lätitia gegen ihr eigenes Gefühl, nur dem Sohn zuliebe, an sie schrieb.

In diesen Tagen – im Mai 1820 – trat dann der Tod an die Familie Bonaparte heran, die er bislang nur von fern umschlichen, so oft er ihr auch auf den Schlachtfeldern begegnet war. Nur Säuglinge und Spielkinder hatte er Lätitia und Hortense vom Schoß gerissen, jetzt holte er zum erstenmal aus ihrer Mitte einen Menschen, der auf seines Lebens Höhe stand. Elisa, einst Großherzogin von Toskana, starb, kaum 42 Jahre alt, am Nervenfieber zu Aquileja in den Armen ihres »guten« Gatten …

Lätitia hat der Tochter wohl nachgetrauert wie jede Mutter einem Kinde nachtrauert, aber ein Stück von ihrem Herzen ist mit der Ex-Großherzogin nicht zu Grabe getragen worden. Von ihren drei Töchtern war Elisa immer diejenige gewesen, mit der sie am wenigsten anzufangen gewußt hatte. Zweifelsohne besaß Elisa auch gute Eigenschaften, war klug, beherrscht und willensstark. Aber ihr verschlossenes, unfreundliches Wesen ließ sie unliebenswürdiger erscheinen, als sie vielleicht im Herzen war, und sie hatte sich aus der Zeit von St. Cyr her eine gewisse Geistreichelei des ancien régime bewahrt, die in der bodenständigen, zum Teil ungebildeten Familie Bonaparte unangenehm auffiel. Vielleicht hat Lätitia nach den ersten Wochen der Trauer aus diesem jähen Tod sich noch einen Trost zu holen gewußt. Vielleicht überzeugte er sie aufs neue von der Nichtigkeit aller menschlichen Voraussetzung, von den Irrtümern, denen – uns zum Heil oder Unheil – all unsere Berechnungen unterworfen sind. Niemand hatte an Elisas Tod gedacht, und dennoch war sie unversehens dahingegangen. Konnte Napoleon nicht ebenso unvermutet gesunden, leben, wie Elisa erkrankte und starb?!


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