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Ruhig, ohne besondere Ereignisse, glitten die Jahre über Korsika dahin. In Frankreich zwar gab's mancherlei Veränderungen, aber vorerst auch nur friedliche, natürliche, wie sie eben im Wesen menschlicher Dinge begründet liegen. Ludwig XV., der einmal für kurze Zeit der »Vielgeliebte« hieß und zeitlebens der Vielliebende war, hat aufgehört, für Madame Dubarry Kaffee zu kochen, und wird sich nicht mehr langweilen inmitten seiner scheinbar so amüsanten Zerstreuungen. Er ist gestorben und mit so unanständiger Hast und Teilnahmlosigkeit in St. Denis eingescharrt worden, daß jeder, der ein bißchen Witterung für den Zeitgeist besaß, merken konnte, daß hier nicht nur ein einzelner Monarch, sondern das ganze Königtum Frankreichs zu Grabe getragen wurde. Nun gibt es einen neuen Ludwig, einen beschränkten, phlegmatischen, braven Spießbürger, der sich auf dem friedlichen Thron irgendeines Duodezländchens wahrscheinlich den Beinamen »der Gute« oder »der Fromme« errungen hätte, der aber eine groteske und verhängnisvolle Erscheinung war in einem, durch unglückliche Kriege und eine beispiellose Verwaltung verwirtschafteten Land. Neben ihm seine Königin, die graziöse Marie-Antoinette, nicht albern, nicht böse, aber eine echte Habsburgerin, kurzsichtig, ein starrer Geist, der die Sprache einer neuen Zeit nicht verstand, geschweige denn, daß er ihren Forderungen sich hätte beugen können.
In Korsika macht der Thronwechsel natürlich noch weniger Aufsehen, als in Frankreich. Der Herr heißt eben jetzt Ludwig XVI. statt Ludwig XV., das ist alles. Der Korsikaner lebt wie früher, bebaut sein Feld, schert seine Schafe, sammelt Honig ein, sitzt, soferne er einem geistigen Beruf angehört, im Bureau oder im Café. Die Frauen haben's nicht mehr nötig, in den Kampf zu ziehen, sie spinnen, beten und pflegen ihre wachsende Kinderschar. Bei den Buonapartes kehrt der Storch fast jedes Jahr ein. Zwischen 1768-84 bringt Lätitia dreizehn Kinder zur Welt, von denen allerdings fünf gleich nach der Geburt oder im zartesten Alter sterben. Aber ihrer acht sind am Leben: Josef (geb. 1768), Napoleon (geb. 1769), Lucian (geb. 1775), Marie-Anne (geb. 1777), Ludwig (geb. 1778), Pauline (geb. 1780), Caroline (geb. 1782), Jérôme (geb. 1784). Eine alljährlich wachsende Kinderschar bedeutet in Korsika zwar Segen, bringt aber doch gerade für die Mutter eine Unmenge von Sorgen und Arbeit ins Haus. Freilich sind sowohl die materiellen, wie die geistigen Ansprüche einfachster Art; niemand fragt danach, ob die Kinder nahrhaft gespeist, elegant gekleidet oder an Geist und Seele sorgfältig ausgebildet sind, wenn sie nur satt und gesund sind und in der Klosterschule ordentlich lernen und beten. Mehr fordert man von ihnen nicht. Die Großmutter und der Vater Buonaparte hätten wahrscheinlich nicht einmal das Lernen gefordert, denn sie waren, wie Lätitia in ihren Aufzeichnungen erzählt, so vernarrt in die Kinder und so schwach gegen sie, daß sie außer sich gerieten, wenn eines schrie, und alles tun wollten, was die Kleinen forderten, wenn nicht Mama Lätitia gewesen wäre. Aber diese kleine, junge Frau, die fein und zart aussieht, wie ein byzantinisches Prinzeßchen, und die kaum achtzehn Jahre zählte, als sie ihr erstes Kind bekam, diese kleine, junge Frau führte ein festes Regiment, vom »Jahrhundert des Kindes« hat sie keine Ahnung. Sie huldigt erfreulicherweise noch dem alten Grundsatz, daß Kinder gehorchen müssen, und daß ihnen eine Tracht Prügel zur rechten Zeit nichts schadet. Sie ist darin sehr verschieden von der Mutter des anderen Großen, der mit Napoleon das Jahrhundert beherrscht – von der Frau Rat Goethe. Ihr ist keins ihrer Kinder je ein »Hätschelhans« im Frankfurter Sinn gewesen. Acht Kinder und die bescheidenen Verhältnisse des Hauses Buonaparte würden ihr zu besonderer Verwöhnung eines einzelnen, zum Märchenerzählen und kindlichem Schabernack wohl auch kaum Zeit gelassen haben, selbst wenn ihre ernste, verschlossene Art die Neigung dazu gehabt hätte. Deshalb war aber die Kinderstube der Buonapartes reich genug an Lust und Liebe, und alle acht, die damals darin spielten, lärmten, beteten, lernten oder greinten, haben in ihrem späteren Leben, auf seinen Höhen und in seinen Tiefen stets voll unbegrenzter Verehrung an die Mutter gedacht, die ihnen damals vielleicht mitunter allzu streng erschien.
Für etliche Jahre blieb aber doch der kleine Napoleon Lätitias Verzug. Nicht etwa, weil sie schon das Genie in ihm ahnte, sondern weil dies Kind schon ungeboren so schwere Zeiten mit ihr erlebt hatte, daß sie lange fürchtete, es könnte von den Entbehrungen, die sie erlitten, von den grausigen Bildern, die sie geschaut, dauernden Schaden davongetragen haben. Der kleine Napoleon war während seiner beiden ersten Lebensjahre ein ungewöhnlich stilles, schmiegsames, fast scheues Kind; der starken, harten Art der jungen Mutter mochte dies sanfte Wesen vielleicht kränklich erscheinen. Als er aber mit den ersten Höschen auch gleich rechte Bubenart anzog, lustig, keck und – unfolgsam werden wollte, da freute sich die Mama zwar sehr, daß der Kleine kein Schwächling sei, aber sie nahm ihn auch gleich fest an den Zügel, damit er beizeiten parieren lerne. Einmal sieht sie zum Beispiel, daß der fünf- oder sechsjährige Napoleon während eines herannahenden Gewitters im Garten herumläuft, im Leinenkittelchen, mit nackten Waden und bloßem Haupt, vergnügt die ersten fallenden Regentropfen auffangend. Sie ruft ihm zu, er soll ins Haus Kommen. Er tut, als höre er sie nicht, und jagt lustig in dem immer dichter werdenden Regen herum. Sie ruft zum zweitenmal, er folgt abermals nicht und freut sich offenbar außerordentlich, daß er schon tropfnaß ist. Die Mutter bricht jetzt die mündlichen Verhandlungen ab und läßt den jungen Wasserfreund kurzweg durch eine handfeste Magd ins Haus bringen. Um eine Ausflucht ist er natürlich ebensowenig verlegen wie andere Jungen seines Alters. Er nimmt eine kleine Vorwurfspose an: »Aber Mama, ich will doch Soldat werden, und als Soldat muß ich doch Regen, und überhaupt alles ertragen können!«
Frau Lätitia ließ sich auf solche Ausreden gar nicht ein. Sie zankte den tropfnassen Kleinen gehörig aus, und schloß ihre Strafpredigt mit den Worten: »Merke dir gefälligst, daß du kein Soldat bist, sondern ein Kind, und also aufs Wort zu folgen hast; und wenn du Soldat werden willst, dann mußt du doch erst recht folgen.«
Der künftige Krieger zog daraufhin wahrscheinlich schmollend ab, aber er getraute sich weder zu widersprechen, noch zu weinen. Er hatte einen solchen Respekt vor seiner Mutter, daß er niemals vor ihr weinte. Ein andermal hatte ein Verwandter Frau Lätitia einen Korb frischer Feigen geschickt, von dem die kleine Marie-Anne mit einer Freundin heimlich naschte. Die Mutter, die vermutete, daß Napoleon der Missetäter gewesen sei, nahm ihn vor, und da er nicht widersprach, versetzte sie ihm eine Tracht Prügel. Als sich der Irrtum später aufklärte, machte sie sich nach ihrer einfachen Art weiter gar keine Gedanken über den Vorgang: »Ja, Kleiner, die Prügel hast du nun einmal, die kann dir auch der Herrgott selber nimmer wegnehmen.«
Auch Lätitias Sohn machte sich weiter gar keine Gedanken über die unverdienten Prügel. Er war nur wütend und erstaunt, daß die Schwester, deren Missetat er auf sich genommen, ihm zum Dank nicht einmal ein paar Feigen aufbewahrt hatte.
Trotz dieser, für modernste Pädagogik unindividuellen und rohen Erziehung, verstand Lätitia recht gut, was einem Kinderherzen not tut. Im Hause Buonaparte gab es ein großes, ganz leeres Zimmer, das den Kindern rückhaltlos als Eigentum eingeräumt war. Hier durften sie schalten und walten, spielen und schreien, wie sie wollten, ein Antilärmverein hätte hier gewiß reichlich Arbeit gefunden. Die Mutter saß indes mit den beiden Mägden Ilaria und Saveria, die alle Kinder mit auferzogen und insbesondere den kleinen Napoleon betreut hatten, flickte, nähte und spann mit ihnen und ließ sich von ihnen gelegentlich tyrannisieren, wie sich eine verständige Hausfrau von tüchtigen Dienstboten immer tyrannisieren läßt. War den Frauen der Tag in Arbeit, den Kindern im Spiel vergangen, sank der Abend in violettem Dämmer über die Insel hin, so kniete Lätitia auf der Diele des Wohnzimmers nieder, die Kinder um sie her, und so sprach sie mit ihnen das Nachtgebet.
Lätitia hat als echte Italienerin auch sonst noch viel Gebete gesprochen, bei denen sie sich wahrscheinlich nichts dachte, die sie nur eben erledigte, wie man Formalitäten erledigt, an die man von Jugend auf gewöhnt ist. Sie ist darum von manchen Historikern später als bigott verschrien worden, während sie in Wirklichkeit vom toten Buchstabenglauben weit entfernt geblieben sein muß. In allen ihren späteren Schicksalen hat sie bewiesen, daß sie eine wahrhaft religiöse Natur war, das heißt, ein Mensch, der sein Leben mit ewigen Gesetzen in Einklang zu bringen versucht. Aber sie hat auch gerade in ihren späteren Schicksalen bewiesen, daß ihre Religiosität nicht nur an Dogma und an äußerliche Satzungen gebunden war. Sie hat übrigens später in ihren Aufzeichnungen ungefähr niedergeschrieben: »Ich halte es wohl für nötig, daß ein guter Christ am Sonntag und, wenn er Zeit hat, auch an Wochentagen die Messe hört, aber deswegen eine Arbeit oder eine Pflicht zu versäumen, hielt ich für ganz falsch. Der Herrgott will nicht, daß wir ihm dienen, indes unser Tagwerk zu Schaden kommt.«
Ihre geringe Schulbildung gestattete ihr natürlich nicht, den Unterricht der Kinder, insbesondere den der Söhne, persönlich zu leiten. Aber sie hielt strenge darauf, daß sie fleißig und gewissenhaft lernten. Sie war es, die den anfänglich etwas faulen kleinen Napoleon zu immer größerem Fleiß antrieb, bis er die besten Noten nach Hause brachte, wie sie auch die einzige war, der sich sein kindlicher Starrkopf beugte.
Im Jahre 1779 wurde es dann plötzlich stiller in dem Lärmzimmer, in dem bis dahin fünf Kinder gespielt hatten: die beiden ältesten Söhne, Josef und Napoleon, können nun in der Klosterschule nichts mehr lernen, und sollen in ein Erziehungsinstitut nach Frankreich gebracht werden. Dank seinem Namen und dem Ansehen, das er genießt, ist es Vater Buonaparte gelungen, für die beiden Jungen Freistellen in der Militärschule zu Brienne und im Seminar von Autun zu erlangen. Große Pensionsgelder zu zahlen wäre freilich bei dem bescheidenen Einkommen der Familie eine Unmöglichkeit gewesen.
Der Tag, an dem die beiden Brüder die Casa Buonaparte verlassen sollen, ist für das ganze Haus ein Trauertag. Die Großmutter weint sich fast die Augen aus dem Kopf, die getreuen Mägde Ilaria und Saveria stehen ihr im Weinen redlich bei; Vater Buonaparte, dessen Schwäche gegen die Kinder Lätitia manchesmal verdrossen hat, kann seine Ergriffenheit kaum bemeistern. Der elfjährige Josef und der zehnjährige Napoleon stehen blaß, mit zuckenden Gesichtern, mit großen Augen, in denen es funkelt wie von Tränen und Freude zugleich. Die Tränen gelten der Trennung von daheim; aber sie müßten keine Kinder, keine Buben sein, wenn sie sich nicht dennoch auf das Unbekannte freuten, dem sie entgegenfahren sollten.
Die einzige, die ihre Fassung bewahrt, ist die Mutter – ist Lätitia. Das Herz mag ihr ja wohl gezittert haben, daß sie die beiden Kinder nun von sich lassen, in ein fremdes Land, zu fremden Menschen schicken mußte. Aber sie weint nicht, sondern zwingt sich zu einem Lächeln. Sie tätschelt ihnen ein wenig die Köpfe, reicht ihnen die Hand und sagt mit einem verweisenden Blick auf die verweinte Umgebung: »Allons, Kinder, Mut, man muß immer den Kopf oben behalten!«
Vater Buonaparte soll seine Söhne nach Frankreich begleiten, Lätitia bleibt mit ihren drei Kleinen Kindern in Ajaccio zurück. Ihre Gedanken sind den Reisenden wohl nachgeeilt, aber so wenig wie irgendein anderer hat auch sie wohl geahnt, daß es ein welthistorischer Augenblick war, als ihr Zweitgeborner ins Schiff sprang, als Napoleon Korsika verließ, um zum erstenmal den Fuß auf französischen Boden zu setzen.
Das Sprichwort: »Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen,« sollte sich in den nächsten Jahren an Lätitia bewähren. Zunächst freilich hat sie nur Spielkinder im Hause, den kleinen Lucian und den kleinen Ludwig, die Töchter Marie-Anne, Pauline und Karoline, zu denen sich noch als Letztgeborner, im Jahre 1784, Jérôme gesellt. Aber bei den Großen geht nicht alles, wie es gehn sollte. Josef zwar, der in Autun ist, macht keine besonderen Schwierigkeiten. Er ist ein Durchschnittsschüler und -knabe, der weder zu den Lehrern, noch zu den Mitschülern, noch zum Lernstoff in ein besonderes Verhältnis tritt. Aber sein Bruder Napoleon ist ganz anderer Art: eine seltsam verschlossene, phantastische und zugleich grüblerische Natur, der in allen Fächern glänzt, die ihm Freude machen, besonders in der Mathematik, dagegen in allen zurückbleibt, die ihm antipathisch sind, wie z. B. Latein. Ein Halbwüchsiger, zäh und eigensinnig, mit revolutionären Gelüsten, der mit Vorliebe die Masse gegen die Lehrer aufhetzt und ein so ausgesprochenes Ehrgefühl besitzt, daß er sich zwar keiner harten Strafe widersetzt, aber außer sich gerät, in Krämpfe verfällt, wenn man ihm eine degradierende zumutet, wie z. B., daß er kniend essen soll. Seine Lehrer betrachten ihn mit Bewunderung ob seiner Anlagen; aber kaum einer kann sich ein Herz fassen zu dem seltsamen Knaben, der doch mit ein paar guten Worten, mit verständigem Eingehen auf seine reizbare, empfindliche Jünglingsseele zu leiten gewesen wäre. Die Mitschüler, zum großen Teil Söhne aus echt französischen, begüterten Familien, die trotz ihrer Jugend schon die Leichtigkeit und den Schliff französischer Art hatten, machten sich mit Vorliebe über den jungen Korsen lustig, der ihnen unmanierlich und klotzig vorkam, wie ein Bauer, der ein ärmliches Taschengeld von zu Hause erhielt, das ihn von allen Vergnügungen ausschloß, die sie sich leisten konnten, und der französisch mit den abscheulichen »ou«-Lauten der Italiener sprach.
Der junge Napoleon hat unter den Verhältnissen in Brienne schmerzlich gelitten, und die Mutter, die wohl wußte, wie es dem Sohn ging, litt mit ihm, litt jedenfalls um so tiefer, weil sie sich ganz außerstande sah, ihm zu helfen. Sie konnte ja weder den Lehrern, noch den spottlustigen Schülern klar machen, welcher Art ihr Kind war, wie es genommen werden mußte, und sie konnte diesem Kind selbst nicht das Geld schicken, das den Hohn der reichen Zöglinge zum Verstummen gebracht hätte.
Napoleon hat sich schon damals über die Zustände in Brienne ebenso bitter wie treffend geäußert. Er, der von Hause aus an die größte Einfachheit gewöhnt war, betrachtete das ganze Leben, die ganze Anschauung der Schule zu Brienne nur als eine Erziehung zur Verweichlichung. »Hier werden dem König Höflinge erzogen, aber keine Offiziere.« Einmal macht sich dann sein Unmut in einem verzweifelten Brief Luft, den er an seinen Vater nach Ajaccio schreibt:
Brienne, 5. April 1784.
Mein Vater,
Wenn Sie oder meine Beschützer mir nicht die Mittel liefern können, um würdiger in dieser Schule hier aufzutreten, so flehe ich Sie an, lassen Sie mich nach Hause kommen, und zwar auf der Stelle; ich bin es müde, hier wie ein Bettler herumzugehen und anzuhören, wie unverschämte Mitschüler, deren einziger Vorzug Reichtum ist, sich über meine Armut lustig machen. Kein einziger von ihnen allen kommt mir an Stärke und Adel der Gesinnung gleich.
Wie, mein Vater, sollte Ihr Sohn immerfort die Zielscheibe des Witzes für diese frechen, reichen Jungen sein, denen es Freude bereitet, meine Entbehrungen zu verhöhnen? Nein, mein Vater, nein … – Wenn meine Stellung sich nicht verbessern läßt, so nehmen Sie mich von Brienne fort. Lassen Sie mich, wenn es nötig ist, ein Handwerk lernen, versetzen Sie mich unter meinesgleichen, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich bald der Erste von allen sein werde.
Sie können sich denken, wie groß meine Verzweiflung ist, daß ich Ihnen solche Vorschläge mache. Ich wiederhole es, ich würde lieber Kommis in einem Geschäft, als dem allgemeinen Gelächter in der ersten Akademie der Welt preisgegeben sein. Glauben Sie ja nicht, daß der Hang zu kostspieligen Vergnügungen mir diese Zeilen in die Feder diktiert; sie haben gar keinen Reiz für mich; mein einziger Ehrgeiz ist, meinen Kameraden zu beweisen, daß ich so gut wie sie die Mittel hätte, mir solche Vergnügungen zu verschaffen.
Ihr gehorsamer und ergebener Sohn
Napoleon Buonaparte.
Dieser Brief geriet in die Hände der Mutter, da Herr Buonaparte gerade verreist war. Jede Mutter kann sich denken, wie weh ihr gewesen sein muß, als sie ihn las, als sie aus den ungebärdigen Zeilen und noch mehr zwischen ihnen las, wie ihr stolzer und tüchtiger Sohn um seiner Armut willen gehänselt wurde, die wahrscheinlich anständiger war, als die Mittel, mit denen die Väter oder die Vorfahren der jungen Spötter ihren Reichtum errungen hatten.
Aber Lätitia war eine Mutter von altem Schlag. Vielleicht hat sie über diesen Brief des Sohnes manche Träne vergossen, vielleicht, ja gewiß hat sie nur mit Wut an die kindlich grausamen Mitschüler gedacht, denn sie kannte ja ihren Sohn und wußte genau, daß es nicht die üblichen, arroganten Pubertätsphrasen waren, wenn er schrieb, daß er allen überlegen sei an Stärke und Adel der Empfindung, oder daß er sich's zutraue, unter seinesgleichen immer der Erste zu sein. Schon in dem ganz kleinen Jungen hatte sie jenen Instinkt erkannt, den sie » l'esprit de la principauté« nannte, und obwohl sie weder Eigensinn, noch Herrschsucht bei ihm aufkommen ließ, hatte sie es doch bald als selbstverständlich betrachtet, daß er und nicht der ältere Josef die führende Rolle in der Kinderstube spielte, daß auch in späteren Jahren sein Wort, sein Rat, ein Schwergewicht erreicht hatten, dem sich der Erstgeborne wie selbstverständlich beugte.
Aber von allen heimlichen Tränen, Wutgefühlen und Erkenntnissen ließ sie dem trotzigen Sohn nichts merken. Was sie dachte, empfand oder wußte, durfte nicht in den Vordergrund treten der Tatsache gegenüber, daß der Jüngling Napoleon an seinen Vater in sehr unpassendem Ton geschrieben hatte. Mama Lätitia, die auf Zucht und Gehorsam hielt, und immer noch verlangte, daß die Kinder parieren sollten, setzte sich hin und antwortete:
»Ich habe Deinen Brief erhalten, mein Sohn, und hätte nicht Deine Schrift und Deine Unterschrift mir bewiesen, daß er von Dir kam, so hätte ich es nicht für möglich gehalten. Von all meinen Kindern bist Du mir immer das liebste gewesen, aber wenn Du mir jemals einen solchen Brief schreiben solltest, so werde ich mich um Napoleon gar nicht mehr bekümmern. Wo hast Du je gehört,
Du junger Mensch, daß ein Sohn, in welcher Lage er sich auch befinden mag, so zu seinem Vater spricht, wie Du es getan hast? Du kannst Gott danken, daß Dein Vater gerade verreist war. Wäre Dein Brief in seine Hände gekommen, so wäre er sofort nach Brienne gefahren, um seinen unverschämten und schuldigen Sohn zu züchtigen. Darum, und weil ich hoffe, daß Du bereust, soll er von Deinem Brief nichts erfahren. Was nun Deine Geldnot anbelangt, so ist es natürlich Dein Recht, sie uns zu klagen; Du mußt aber auch überzeugt sein, daß nur die völlige Unmöglichkeit Dir zu helfen der Grund unseres Stillschweigens war. Wenn ich Dir trotzdem einen Wechsel auf 300 Fr. schicke, so geschieht das nicht, weil Du gewagt hast, uns höchst überflüssige Ratschläge zu geben, oder weil Du mit allen möglichen Sachen drohst. Die Summe soll Dich nur von der Liebe überzeugen, die wir für alle unsere Kinder hegen. Ich hoffe, Napoleon, daß Dein Benehmen künftighin bescheidener und respektvoller sein wird, und daß ich Dir keine solchen Briefe mehr zu schreiben brauche, wie diesen hier. Nur dann werde ich wie früher sein
Deine Dich liebende Mutter.«
Dieser Brief spricht deutlicher für Lätitias Mutterart als ein ganzes Bündel psychologischer Dokumente tun könnte. Voll Strenge fordert sie zunächst den unbedingten Respekt ihres Kindes. Deutet klug ein Strafgericht an, das der Vater, der Wüterich, über den ungebärdigen Sohn hätte niedergehen lassen (obwohl sie selbst ja behauptet hat, daß der angebliche Wüterich sehr schwach gegen seine Sprößlinge gewesen sei); zum Schluß aber, nach dem Hochgewitter ihres Zorns und ihrer Ungnade, kommt ein liebes, sonniges Versöhnungslächeln: Der Wechsel auf 300 Franken.
Es mag ihr hart genug angekommen sein, das Geld aufzutreiben. Die Buonapartes waren ja nie reiche, sondern immer nur behäbige Leute gewesen. Seit längerer Zeit aber schon ging es mit ihren Finanzen bergab. Ungünstige, wirtschaftliche Verhältnisse und vor allem ein langwieriger Vermögensprozeß verminderten die Einkünfte der Familie immer mehr. Als Herr Buonaparte im Jahre 1783 die kleine Marie-Anne in das berühmte Erziehungsinstitut von Saint-Cyr bringen wollte, wo er einen Freiplatz für sie erlangt hatte, war er schon genötigt, sich für die Reise 500 Fr. von einem Freunde zu leihen. Zu den Geldverlusten kam noch die sich immer steigernde Anzahl der Kinder mit den unvermeidlichen Ansprüchen eines großen Haushaltes, in dem viele Mäuler satt werden sollen. Wenn natürlich die Lebensbedingungen auch bei einer Inselbevölkerung die denkbar bescheidensten sind, so mußte Frau Lätitia doch damals schon all ihre Kraft und all ihren Rechensinn zusammen nehmen, von Tag zu Tag tiefer in die Technik des Sparens eindringen, um mit den spärlichen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, anständig durchzukommen. Der Vater bemühte sich indes für die Heranwachsenden Kinder immer wieder Freiplätze in königlichen Erziehungsinstituten zu erhalten, was ihm auch meist gelang, da die Buonapartes zu den angesehensten und loyalsten Familien Korsikas gehörten. Schon ist auch Lucian in Autun untergebracht, und wegen Louis schweben Verhandlungen. Es war für die Mutter gewiß nicht leicht, ein Kind nach dem anderen fortzugeben, noch dazu in Verhältnisse, in denen sie sich unmöglich wohlfühlen konnten. Überall mußten die kleinen Korsikaner ja auffallen und Spott erregen wegen ihres bäuerlichen Auftretens, ihrer häßlichen Sprache und ihrer Armseligkeit. Die Szenen von Brienne wiederholten sich in Saint-Cyr. Als der junge Napoleon einst seine kleine Schwester dort besuchte, fand er das Kind verstört, verweint, wie unter einem schweren Druck, der auf ihrem Seelchen lastet. Da er nachforscht, sagt sie's ihm: Es wird irgendein Abschiedsfest gefeiert und jede der Schülerinnen soll 12 Fr. beisteuern – eine Bagatelle für die kleinen Prinzessinnen und Gräfinnen, die in dem Stift der Frau von Maintenon ihr bißchen Bildung und ihre graziöse Kultur empfangen. 12 Fr. – in der Phantasie des Mädchens von Korsika ein großer Haufen Geld, ein Besitz, der den Geschwistern fast unerschwinglich scheint, und jedenfalls dünkt es sie im Stillen Sünde, ihn nur für ein paar Feststunden hinauszuwerfen, vorausgesetzt selbst, daß man ihn hatte. Eine gütige und wohlhabende Freundin, die kleine Permon, die spätere Herzogin von Abrantès, rettete damals die kleine Korsikanerin aus ihrer Verzweiflung und vor dem spöttischen Mitleid der anderen. Aber wenn die kleine Marie-Anne sich auch diesmal nicht zu schämen brauchte, so konnte doch natürlich auch Frau Permon nichts an dem typischen Kinderschicksal der Buonapartes ändern, an dem Schicksal armen, tüchtigen Landadels, der sich in eine reiche und hoffärtige Umgebung versetzt sieht. Lätitia hat gewiß mit ihren Kindern vieles getragen, denn ihre Zärtlichkeit wie ihr Stolz mußten bitter leiden unter Spott, bitterer noch unter Almosen. Geklagt hat sie aber darum nie. Was sie ihren Söhnen damals beim Abschied sagte: »Mut, Kinder, Mut, man muß immer den Kopf oben behalten,« das hat sie selbst am besten befolgt.
Sie hatte es auch nötig, ihren hübschen Kopf oben zu behalten, denn die Glückssonne, die so lange freundlich über dem Hause Buonaparte geleuchtet hatte, schien untergehen zu wollen. Erst waren die Vermögenseinbußen gekommen, nun erkrankte Herr Buonaparte an einem Magenübel, das seine Frau mit lebhafter Besorgnis erfüllte. Er unternahm zwar noch, indes sie ihr letztes Kind erwartete, eine Reise nach Paris. Im Jahre 1784 kam der kleine Jérôme zur Welt, kaum ein Jahr später aber starb sein Vater in Montpellier, fern von seiner Familie, an der schrecklichen Familienkrankheit der Buonapartes, am Magenkrebs.
Mit acht unversorgten Kindern steht die fünfunddreißigjährige Lätitia als Witwe da.