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XIII.
Auf dem Balcon.

Vincenz war von Natur aus ein schlechter Beobachter; der Musiklehrer Durval sah die Marquise immer nur für wenige Augenblicke; Charlotte war zu jung und hegte zu viel kindliche Hochachtung gegen ihre Mutter, um für die auffälligen Erscheinungen, die allgemach zu Tage traten, ein Auge zu haben. Wenn aber in diesem kleinen Kreise ein Menschenkenner sich gefunden hätte, ihm würde die sichtliche Umwandelung nicht haben entgehen können, welche sich an Delphinen vollzog. Die Marquise langweilte sich nicht mehr; sie erschien abwechselnd munter oder traurig. Tags über war sie lebhaft, aufgeweckt, gesprächig; des Abends dagegen, wenn Vincenz mit seinem Neffen plauderte, saß sie vor sich hinbrütend und melancholisch da. Jedoch nahm sie bereits hin und wieder, wenn auch noch selten, an deren Unterhaltung Theil. Geübte Physiognomiker, die ihr Inneres durchschaut hätten, würden in ihrem ganzen Benehmen eine gewisse Sorgfalt und Eleganz, wie sie der Armuth unbekannt sind, sowie ein Bestreben, zu gefallen, beobachtet haben, welches überall hervortrat. Blumen, der Luxus der Armen, schmückten seit einiger Zeit Kamin, Tisch und Fenster. Die Toilette der Frau von Neuville war die eines blühenden Mädchens; ihr schönes Haar, welches früher unter einer Musselinhaube verborgen gehalten wurde, war jetzt nach der neuesten Mode in altgriechischem Geschmack geflochten und ringelte sich in je zwei üppigen Locken hinter den Ohren auf die Schultern nieder. Das Kleid war zwar noch sehr einfach wie früher, aber die Marquise trug es mit ausgesuchter Eleganz. Ihre ganze, seltene Schönheit schien während der Tage der Trauer und Einsamkeit einen anmuthigern Charakter und den Reiz der Melancholie gewonnen zu haben, – Eigenschaften, welche von Manchen dem strahlenden Vollglanz der zwanziger Jahre vorgezogen werden. Delphine arbeitete gewöhnlich am Fenster, welches durch einen leichten Vorhang und durch das Blattwerk der Blumen, die sie auf einem kleinen Balcon cultivirte, gegen die Sonnenstrahlen geschützt wurde. Während der ersten Zeit ihres Aufenthalts in Paris hatte die Marquise diesen Balcon gar nicht benutzt; jetzt saß sie häufiger auf demselben und Charlotte auf einem Schemel zu ihren Füßen.

Marcel sah bei seinen Besuchen häufig zu Frau von Neuville herüber. Sie aber erhob ihre Augen niemals, daß er es bemerkt hätte, zu dem bezaubernden Offizier; sie begnügte sich damit, ihm zuzuhören, und grüßte ihn kalt, wenn er sich wieder empfahl. Aber am folgenden Morgen verriethen ihre blassen Wangen und ihre rothen Augenlider, daß sie die Nacht schlaflos zugebracht oder gar geweint hatte.

Seit vier Monaten schon hatten Delphine und der Offizier sich täglich gesehen, aber noch nicht unter vier Augen mit einander gesprochen, als Marcel an einem Sonntag-Nachmittage früher wie gewöhnlich zum Besuche eintraf. Vincenz hatte sich mit Charlotte zur Kirche begeben und nach Beendigung der Andacht seinen Spaziergang angetreten. Delphine saß auf dem Balcon und träumte. Rosen und Heliotropen durchdufteten balsamisch die Luft um sie, und sie selber erschien reizender als je in ihrer weißen Robe, ganz umflossen von Sonnenlicht, Blättergrün und Blumenpracht.

Als der Hauptmann die Alleinsitzende gewahrte, schien er einen Augenblick lang betreten zu sein. Plötzlich aber schritt er mit der Haltung eines Mannes, der einen entscheidenden Entschluß gefaßt hat, vorwärts, grüßte die Marquise und setzte sich neben sie. Er war offenbar aufgeregt, und seine sonst feste, männliche Stimme zitterte.

»Ihr Oheim ist nicht zu Hause, mein Herr,« sagte Delphine schüchtern, ohne aufzusehen. »Er ist mit meiner Tochter spazieren.«

»Erlauben Sie mir, Madame, daß ich auf seine Zurückkunft warte?«

Sie gab ein Zeichen der Zustimmung.

»Ich möchte den Oheim gern heute noch sprechen,« fuhr der Offizier fort, »weil ich ihm eine für mich wenig angenehme Nachricht mitzutheilen habe, – für ihn ist sie vielleicht angenehmer. Ich verlasse Paris; mein Regiment ist nach Lyon verlegt.«

Die Marquise erblaßte und betrachtete Marcel mit einem Ausdrucke der Niedergeschlagenheit; ihre ganze Seele, alle ihre Gedanken malten sich unwillkürlich in ihren Augen ab …»Sie gehen,« sagte sie flüsternd nach einer Pause. »Sie verlassen uns! Und ich?«

Wie viel lag in diesem Blick, in diesen paar Worten! Kühn gemacht durch das Geständniß, welches sie enthielten, flüsterte der Offizier mit leidenschaftlicher Stimme: »Wenn Sie es wünschen, so werden wir uns nie verlassen! Delphine, Sie sind frei: Sie sind ja Wittwe. Die tausend Mal gesegnete Revolution hat die Schranken gestürzt, welche mich von Ihnen trennten. Ich kann Ihnen eben so glänzende Verhältnisse anbieten, wie diejenigen waren, aus denen die Zeit Sie verdrängt hat …Delphine, ich liebe Sie; o, ich liebe Sie so heiß! …Reden Sie: wollen Sie meine Gattin werden?«

Die Marquise erröthete, wie sie vorhin erblaßt war, und wandte das Gesicht ab.

»Sie weisen mich nicht ab!« rief Marcel. »Ich darf also hoffen!«

»Bin ich denn frei?« murmelte sie. »Der Marquis+... Charlottens Vater! O Marcel, auf mir liegt eine schwere Schuld. Wie habe ich seine Abwesenheit beweint! …und nun zittere ich, ihn wiederzusehen!«

»Sie werden ihn niemals wiedersehen! Der Marquis ist nicht mehr. Ein neues Leben erschließt sich für uns Beide. Ich liebte noch nie; Sie werden mich zu sich erheben, indem Sie gestatten, daß ich Sie liebe. Ich will meinen Namen mit Ruhm bedecken, damit Sie stolz seien auf Ihren Gatten. Ihrem Kinde will ich das glücklichste Loos bereiten, ich will ihm ein zweiter Vater sein. …Glauben Sie an einen Gott? Wohlan denn! Gott selbst will es: er hat es so gefügt, daß ich das von meinem Oheim begonnene Werk fortsetze. Er hat Sie und mich erhalten; ich werde Ihr Kind erziehen und beschirmen …O, Delphine sagen Sie: Ja!«.

»Unmöglich!« hauchte sie.

»Unmöglich, wenn Sie mich lieben? Aber sind Sie denn nicht frei? Sind die Vorurtheile, welche uns trennten, nicht für immer überwunden? Wer kann zwei Menschen scheiden, welche die Liebe vereinigt? Und Sie lieben mich, Delphine! Ich fühl's an meines Herzens frohem Schlage; mein Herz täuscht mich nicht, wo es sich um Sie handelt … Seien Sie offen: Lieben Sie mich nicht? Wollen Sie, daß ich den freiwilligen Tod auf dem Schlachtfelde suche, um von einem Leben befreit zu werden, welches mir ohne Sie eine Last ist? Wenn Sie in meiner Seele lesen könnten, Sie würden nicht mehr zaudern, Delphine!«

»Aber wird Charlotte mich nicht tadeln, wenn sie erwachsen ist?«

»Und weshalb? Weil Sie ihr eine Stellung in der Welt wiedergegeben, die Härte des Schicksals gegen sie gemildert, unfühlbar gemacht haben? O, wüßten Sie, wie lieb mir das Kind sein wird!«

Bei diesen letzten Worten richtete Delphine einen langen prüfenden Blick auf Marcel; Offenheit und aufrichtige Liebe strahlten aus seinen Augen. Dann reichte sie ihm die Hand.

Er bedeckte sie mit seinen Küssen und Thränen, während er wiederholt ausrief: »Delphine, Sie sind mein!«

»Und Ihr Oheim?« fragte sie schüchtern.

»Mein Oheim? O, er wird glücklich sein, Sie seine Nichte zu nennen!«

Die Marquise schüttelte den Kopf und sagte: »Sie kennen ihn nicht. Er wird sich unserer Verbindung widersetzen im Namen desjenigen, der+... der nicht mehr ist. Weh' mir! ich lästere sein Angedenken, ich erscheine gefühllos, undankbar; die Welt wird mich verdammen …Aber+...«

Er horchte gespannt auf die Fortsetzung. »... ich will Dein sein, Marcel!« vollendete sie kaum hörbar.


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