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VIII.
Stillleben.

Vincenz hatte die Marquise und Charlotte in ein unscheinbares, versteckt liegendes Häuschen, in einer Vorstadt von Amiens, geführt. »Hier habe ich gelebt,« sagte er. »Es sieht traurig genug darin aus, Frau Marquise+...«

»O nein, guter Vincenz!« fiel die Marquise lebhaft ein. »Wo keine giftige Gefängnißluft weht, da ist es schön, überall. O, hier sind wir frei, sind wir sicher! Und dir allein, treuer Alter, verdanken wir dieses Glück.«

Die blassen Wangen des ehemaligen Schloßverwalters rötheten sich; er lenkte das Gespräch auf andere Gegenstände.

Delphine genoß einige Tage lang in Frieden das volle Gefühl der Freiheit, welches damals ganz Frankreich, beim Erwachen von einem drückenden Alp, mit ihr kostete. Diese Bettlerhütte erschien ihr als ein Palast; die frugale Tafel, an welcher ihr Kind mit solcher Freude sich niedersetzte, kam ihr wie ein königliches Festmahl vor. Nur die neuen Kleider von republikanisch einfachem Schnitt, welche Vincenz ihr besorgte, wollten ihr nicht sonderlich reizend bedünken.

Die erste Regung der Freude ging jedoch bald vorüber, und die bittere Wirklichkeit stellte wieder ihre harten Anforderungen; der Schmerz um das verlorene einstige Glück und die düstern Ahnungen für die Zukunft ließen sich nicht abweisen. Vincenz hatte keine Nachricht über den Marquis erhalten können. Zwischen den Ausgewanderten und ihren in Frankreich zurückgebliebenen Freunden hinderte eine Sicherheitswache an den Grenzen jede Verbindung, und so wurde das Exil für Manche der Emigrirten ein langsames Absterben bei lebendigem Körper. Zur Zeit der Schreckensherrschaft und noch lange nachher stand Frankreich dem übrigen Europa fremd und isolirt gegenüber. Die Soldaten bewachten die Grenzen, ein Polizistenschwarm die Bürger daheim. In den Tagen der Proscription wagte Niemand zu schreiben, weil jeder Brief an einen Emigrirten ein Todesurtheil für den Verfasser war, und später schnitt ein allgemeiner Krieg alle Verbindungen mit dem Auslande ab. Die unglücklichen, unter grausamen Gesetzen seufzenden Familien wußten nicht, wie es um sie selbst stand. Die Exiliirten hatten allen Grund, zu fürchten, daß ihre Freunde auf dem Schaffot umgekommen seien, und Jene, welche den heimischen Boden nicht hatten verlassen können, fragten vergebens die Winde und Wolken, auf welchem Punkte des Erdballs ihre Lieben darbten. Wie viele Thränen flossen in der Fremde oder im heimlichen Winkel gleichzeitig mit dem Blute Derer, denen sie galten!

Die Marquise fühlte, dem Leben wiedergegeben, tief die Qualen der Verlassenheit; sie beweinte den Verlust ihres Gemahls und Beschützers und sah, kaum dem Tode entronnen, mit Schrecken der Zukunft entgegen, die sich vor ihren Blicken eröffnete. Vincenz hatte ihr ihre wirkliche äußere Lage verheimlichen wollen; aber er konnte es nicht, die Noth drängte ihn zum Reden. Eines Abends, als die kleine Charlotte bereits schlief, setzte er sich gegen seine Gewohnheit neben Delphine, welche Florian's »Wilhelm Tell« las, diesen Hymnus auf die Freiheit, den jener fahrende Dudelsackpfeifer gesungen hatte, um die blutgierigen Revolutionstiger zu besänftigen. Die Marquise stützte den schönen Kopf in der Hand. Sie sah anmuthvoll und würdig aus in dieser saubern leinenen Haube und dem engen Kleide aus gestreiftem Kattun.

Vincenz dachte an seinen Herrn; er fühlte, wie seine Augen sich näßten, und seufzte. Endlich faßte er all seinen Muth zusammen und redete die Marquise an. »Frau Marquise, ein Wort!« bat er.

Delphine erhob den Kopf und entgegnete mit einem Lächeln: »Mein theuerer, guter Vincenz, nenne mich doch nicht mehr ›Frau Marquise‹. Es ist ja leere Wortmacherei, da es in Frankreich keinen Adel mehr gibt.«

»Er wird aber wiederkommen,« versetzte Vincenz fest und bestimmt; »und dann werden Sie wieder eine Edelfrau sein, das heißt, das sind sie auch jetzt und immer.+...«

»Einstweilen bin ich eine arme Frau, Vincenz; ich besitze ja nichts mehr.«

»Das ist leider nur zu wahr!« sagte der Alte und erröthete, als ob er die Schuld daran trüge.

»Und hier leben wir auf deine Unkosten!« fügte die Marquise, ebenfalls erröthend, hinzu.

»Ach, Frau Marquise,« erwiderte Vincenz, »wollte Gott, Sie könnten auf meine Unkosten leben! Alles, was ich habe oder haben könnte, gehört es nicht Ihnen zu? Seit mehr als dreihundert Jahren haben meine Vorfahren bei den Ahnen des Herrn Marquis in Diensten gestanden, sie waren, das sage ich frei heraus, für Sie, wenn auch weniger als Verwandte, doch mehr als Knechte.+...«

»Da hast du Recht, Vincenz!« Sie reichte ihm die Hand.

Der Alte erklärte nun weiter, wie unglücklich er sei, daß er der Marquise und ihrem Töchterlein nicht zu einer sichern Existenz verhelfen könne, indem ihm nur eine kleine Rente von zweihundert Thalern erübrige, was nicht hinreiche. Bei dieser Eröffnung sah Delphine verwundert auf; denn ihr Gatte hatte ihr mehr als ein Mal gesagt, Vincenz besitze ein anständiges Vermögen, womit er seinen Neffen unterstütze und den Armen zu Hülfe komme. Der Alte erröthete unter dem Blicke, den die Marquise auf ihn heftete; er war so offenherzig wie ein kleines Kind.

Delphine ahnte den Zusammenhang. »Vincenz,« sagte sie, »bester Vincenz, du hast mein Leben erkauft um deine Habe; ist's nicht so? Ja, ja, gesteh' es nur, treue Seele!«

»Durfte ich Sie sterben lassen, Frau Marquise?« versetzte der Alte mit gedämpfter Stimme; – »Sie, die Sie. meinem Herrn so theuer, die Sie die Mutter seines einzigen Kindes sind!«

»Wie fingst du es an?«

»Ich kannte den Registrator des Gerichts. Das Blut liebte der nicht, aber er liebte Geld. Ich bot ihm anfangs eine runde Summe, um Ihre Citirung vor Gericht zu verschieben; denn Zeit gewonnen – alles gewonnen, dacht' ich. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat verwickelte ich ihn mehr in die Geschichte. Das ist alles: Sie leben, und ich bin glücklich, daß der Streich gelang.«

Die Marquise begann zu weinen. »Ich verdanke dir mein Leben, mein Freund, mein Wohlthäter, mein Retter!« schluchzte sie. »Wie soll ich dir jemals vergelten, was du für mich gethan hast?«

Vincenz küßte der Marquise die Hand und wiederholte: »Ich bin glücklich! Wenn der Herr Marquis zurück ist, so kann ich mit dem alten Simeon zum Herrn beten: Nun laß Deinen Knecht hinscheiden.«

»Vincenz, ich werde dich immer als meinen Vater betrachten.+...«

»Zu viel, tausend Mal zu viel für ein wenig Geld! Glauben Sie denn,« fuhr er fort, seine Aufregung bemeisternd, »glauben Sie denn, Frau Marquise, die Geschichte hätte mir keinen Spaß gemacht? Hahaha! wer Vergnügen haben will, muß dafür bezahlen, das ist der Lauf der Welt!« In ruhigerm Ton und mit der Amtsmiene des Schloßverwalters fügte er hinzu: »Frau Marquise! Jetzt, da Sie gerettet sind, müssen wir auf das Weitere bedacht nehmen. Ich habe die Ehre, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen. Verlassen wir Amiens und begeben wir uns nach Paris; wir werden dort besser und in größerer Sicherheit leben. Ich bin bereits von dem bewußten Gerichtsregistrator mit einer Sicherheitskarte versehen worden, welche Ihnen erlaubt, die Stadt zu verlassen und in der ganzen Republik frei umher zu reisen. Sind wir nur erst in Paris, so können Sie dort in größter Verborgenheit leben. Ich meinerseits werde, dank einigen alten Freunden, Beschäftigung finden; und Sie werden dann sammt Ihrem Töchterchen zu leben haben. Mein Neffe Marcel, welcher in der Armee dient, wird, wie ich hoffe, jetzt zurückkehren; seine Verbindungen will ich dazu benutzen, um Nachrichten über den Herrn Marquis einzuziehen und Ihnen die Wege zu ebnen, damit Sie mit ihm, wenn es anders ja möglich ist, sich wieder zusammenfinden. Nur ist ein wenig Geduld vonnöthen. Was halten Sie von diesem Plan?«

»O, mein Freund, ich nehme denselben mit tiefster Dankbarkeit an. Du hast mir das Leben gerettet, du ernährst mich, und du zeigst mir einen Hoffnungsstrahl: ich verlasse mich auf dich und gebe mich ganz in deine Hände!«


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