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VI.
Nach Madagaskar.

Wir verließen den Pfarrer Lecomtois, wie er, im October 1792, aus Baignon zur Haft abgeführt wurde. Die Gendarmen hatten den Auftrag, ihren Gefangenen nach Amiens zu transportiren. Auf Betreiben Sylvain's wurde er von dort nach Auxerre geschleppt. Hier sperrte man ihn in das frühere Klerical-Seminar ein, welches jetzt als Gefängniß diente. Er fand daselbst zweiundzwanzig Amtsbrüder, die ebenfalls den Eid auf die »Civil-Constitution des Klerus« verweigert hatten, als Schicksalsgefährten.

Die ersten Wochen gingen den Gefangenen leidlich hin; sie widmeten den größten Theil der Zeit dem Gebete, recitirten zusammen das Officium und hielten gemeinschaftlich geistliche Betrachtungen und Lectüre. Die öffentlichen Blätter, welche man ihnen dann und wann besorgte, waren für sie eine Art von Martyrologium; sie verfolgten in den endlosen Listen Derjenigen, die täglich auf dem Schaffot umkamen, die für ihren Glauben hingeschlachteten Opfer. Fast jede Nummer brachte ihnen die Nachricht von dem Tode eines ihrer Freunde oder Bekannten, – Vorboten des Looses, welches ihrer selbst harrte.

Anfangs hatten sie noch in der Kapelle des Seminars das h. Meßopfer darbringen können. Als aber die Behörden des Departements dieses erfuhren, befahlen sie dem Gefängnißdirector sofortige Schließung der Kapelle. Indessen gelang es den Gefangenen, einige Paramente zu retten, und durch Vermittelung ihrer Verwandten oder Freunde, welche sie bisweilen besuchen durften, erhielten sie auch die nöthigen Opfergefäße. Es handelte sich jetzt darum, den Schließer zu gewinnen. Bei dem ersten Versuche, den man bei demselben machte, weigerte er sich entschieden; aber schon das zweite Mal ließ er sich bestechen. Alles, was die Gefangenen von ihm verlangten, bestand darin, daß Einer aus ihnen zwei Mal während der Woche des Nachts im großen Saale die Messe lesen dürfe, und daß der Schließer sie benachrichtigen sollte, wenn etwa die Commissare kommen würden, um nachzusehen. Natürlich lag es eben so sehr im Interesse des bestochenen Schließers wie in dem der Gefangenen, sorgfältig zu wachen, daß die Commissare die Priester nicht bei der Feier der h. Messe überraschten; und so konnten die Gefangenen fortan wöchentlich ein bis zwei Mal dem eucharistischen Opfer beiwohnen.

Im Uebrigen wurde ihnen die Haft durch tausend Plackereien und Entbehrungen aller Art zur doppelt drückenden Last gemacht. Ihre Verwandten und Freunde konnten nur unter den größten Schwierigkeiten Zutritt zu ihnen erhalten und wurden während der kurzen Zeit ihres Besuches in der Regel von Polizei-Agenten überwacht. Es schien beschlossene Sache und System zu sein, sie auf jede Weise zu quälen.

Um Mittfasten 1793 erschienen zwei Municipal-Offiziere mit der Schärpe, gefolgt von zwei Polizei-Commissaren und zwei Chirurgen. Die finstern Züge dieser Beamten deuteten auf nichts Gutes. Ihr Anführer verzeichnete die Namen so wie das Alter der Priester und fragte dann, ob vielleicht einige von ihnen schwach oder krank seien. Es meldeten sich zwölf. Man hieß sie in ein anliegendes Zimmer treten, wo die Chirurgen über Wahrheit oder Unwahrheit ihres Vorgebens entscheiden würden. Die zwölf Gefangenen hatten dort, eine lange und peinliche Untersuchung zu bestehen, bei der es so rücksichtslos und unverschämt herging, daß die Geprüften roth vor Scham und Unwillen in den großen Saal zurückkehrten. Ohne die Priester eines weitern Blickes zu würdigen, machten die Beamten der Republik danach Kehrt und verließen schweigend den Saal.

Todesahnungen stürmten auf die Gefangenen ein. Unbestimmte Gerüchte drangen zu ihren Ohren, daß die Guillotine auch zu Auxerre in Permanenz erklärt werden sollte, wie sie es bereits in einer Menge von Städten war.

Vier bis fünf Tage später kamen die Municipal-Offiziere und die Commissare zurück, dies Mal vorn Gerichts-Registrator begleitet, und ließen die dreiundzwanzig Priester mit einer gewissen Feierlichkeit sich versammeln. Der Chef der Beamten nahm das Wort zu der Erklärung, daß das Urtheil gefällt sei, und befahl dem Gerichtsschreiber, dasselbe unverzüglich zu verlesen. Es lautete dahin, daß die gesunden oder doch nur unerheblich leidenden Gefangenen, welche unter sechszig Jahren alt seien, deportirt werden sollten, weil sie die von der constituirenden Versammlung vorgeschriebenen Eide nicht geleistet oder sie wieder zurückgezogen hätten, und weil sie des »Incivismus« (bürgerfeindlicher Gesinnung) verdächtig oder denuncirt seien. Sechszehn von den gefangenen Priestern, darunter auch den Pfarrer von Baignon, traf diese Strafe. Die übrigen waren zur Haft verurtheilt, bis der auswärtige Krieg beendet sein würde.

Die Gefangenen, welche von vornherein auf alles gefaßt waren, was ihren Feinden über sie zu verhängen gefallen würde, hörten die Ablesung des Urtheils schweigend an. Auf die Frage nach dem Tage ihrer Abreise und nach dem Orte der Deportation erhielten sie keine Antwort. Jedoch erfuhren sie einige Tage später vom Schließer, man werde sie nach Africa und zwar nach dem mörderischen Klima von Madagascar bringen.

Am Charsamstag, den 27. April, des Morgens erschienen die Departements-Commissare wieder im Gefängniß, ließen die zur Deportation verurtheilten Priester im großen Saale zusammen kommen und erklärten: »Bürger, wir haben den Auftrag, euch einzuladen, daß ihr die Vorkehrungen zu euerer Abreise trefft.«

»Ist es wahr, daß wir nach Madagascar deportirt werden sollen?« frug Lecomtois.

»Man wird euch zunächst nach Rochefort bringen,« versetzte ausweichend der Aelteste der Commissare.

»Wann werden wir Auxerre verlassen?«

»Morgen, um vier Uhr in der Frühe.«

»Dürfen wir unsere Effecten mitnehmen?«

»Euer Geld, Gold und Assignaten, euere Leinwand und euere Kleider könnt ihr behalten, Bürger! Euere Betten und euer Mobiliar bleibt hier, weil es zum Eigenthum der Republik erklärt worden ist. Außerdem sind euere persönlichen Habseligkeiten zu Gunsten der Nation confiscirt.«

Nach dieser Eröffnung entfernten sich die Commissare.

In der folgenden Osternacht, vom 27. auf den 28. April, las der Pfarrer Lecomtois im großen Saale die heilige Messe und reichte seinen Brüdern das Brod des Lebens. Für Manche war dies das Abschiedsmahl, für Andere die Wegzehrung einer dornenvollen Reise, für Alle ein Labsal voll göttlicher Kraft.

Mit Tagesanbruch erschien der Gendarmerieschmied mit einem Bund Ketten im Hofe des Seminars, wo drei Wagen bereit standen, und befestigte sie an einem derselben. Der Agent der öffentlichen Gewalt, ein Mann von einnehmendem Aeußern und gewinnendem Benehmen, näherte sich den Verurteilten, welche diese Vorkehrungen schweigend betrachteten. »Ich hoffe, Bürger,« sagte er, »daß Keiner unter euch mich nöthigen wird, von jenen Eisen Gebrauch zu machen; ich würde es aufrichtig bedauern.«

»Wir beabsichtigen keinen Fluchtversuch! beruhigen Sie sich deshalb!« antwortete man ihm.

In diesem Augenblicke drang eine ziemlich zahlreiche Menschenmenge in das Seminar. Es waren Verwandte, Freunde, Pfarrkinder der Gefangenen, welche Abschied von diesen nehmen wollten. Aus Baignon war Niemand erschienen …Nun gab es eine thränenreiche Doppelscene. Diejenigen Priester, welche abreisen sollten, konnten sich nicht aus den Armen der Kranken und Greise losreißen, die sie hinter Schloß und Riegel zurückließen. Das gemeinschaftliche Unglück hatte in Verbindung mit der priesterlichen Verbrüderung um Alle ein Band inniger Freundschaft geschlungen, welches nun auf immer zerrissen werden sollte. Nach Beendigung dieses Abschieds erübrigte den meisten Verurtheilten noch der nicht minder schmerzliche von den Verwandten, Freunden und Pfarrkindern. Das Händedrücken, die Umarmungen, die Thränen und Wehklagen schienen kein Ende nehmen zu wollen.

Von vier Gendarmen und zwölf Freiwilligen begleitet, setzte der Zug sich endlich in Bewegung. In der Stadt Auxerre schlief noch alles. In dem Dorfe Bassou wurden die Priester mit Hohngelächter, Pfeifen und Drohungen von dem Pöbel empfangen. Die kleine hübsche Stadt Joigny, in der sie des Abends anlangten und übernachteten, legte durch das düstere Schweigen, womit sie den Zug aufnahm, einen muthigen Protest gegen die Vergewaltigung des Rechts und der Freiheit ab; offene Kundgebungen gegen die republikanischen Tyrannen waren ja nicht erlaubt. Dagegen stürzte sich in Billeneuve-sur-Yonne ein schamloser Volkshaufen auf die Wagen, um die Gefangenen zu mißhandeln. Desgleichen in Sens. »Man soll diesen Bösewichtern die Strapazen eines langen Weges ersparen!« schrie der Pöbel und machte auf der Yonnebrücke Miene, die Priester von den Wagen zu reißen. Die Gendarmen hatten ihr ganzes Ansehen aufzuwenden, um die Ausführung der Drohungen zu verhüten. Zu Courtenay war die Gefahr noch größer. In dem Städtchen war eben ein Fest und das zu Tanz und Vergnügen versammelte Volk umringte die Gefangenen mit drohenden Geberden und wüthendem Geschrei. Der Zugführer, welcher in diesem Augenblicke allein anwesend war, sprengte mit seinem Pferde beständig rings um die Wagen, um der Menge zu wehren. Als der Zug in dem Hofe einer Herberge angelangt war, schloß man unverzüglich die Thore. Am 2. Mai erreichten die Gefangenen Montargis, wo sie auf ähnliche Weise empfangen wurden. Auch in Bellegarde überschüttete man sie mit Hohn und Mißhandlungen. Zu Orleans wurde auf einige Tage Halt gemacht, weil das Loiret-Departement über den Ort zu entscheiden hatte, wohin die Priester deportirt werden sollten. Die Wahl fiel in der That auf das gefürchtete Madagascar; das Urtheil war in den beleidigendsten Ausdrücken abgefaßt. Auf den Rath einiger seekundigen Chirurgen versahen sie sich mit verschiedenen Vorräthen, deren Nutzen und Nothwendigkeit man ihnen rühmte.

Am 9. Mai langten zwölf Schicksalsgenossen aus dem Vogesen-Departement in Orleans war, welche, mit ihnen vereint, am folgenden Tage die Fahrt fortsetzten. Obwohl sie jetzt siebenundzwanzig Mann waren, erhielten sie doch nicht mehr als drei Karren, welche obendrein noch unbedeckt waren, der Art, daß die unglücklichen Reisenden sich der Sonnenhitze, dem Regen und jedem Unwetter preisgegeben sahen. Das bekamen sie schon nächsten Tages zu kosten, wo es auf dem ganzen Wege nach Blois regnete. Zu Blois schloß man sie in ein Kloster ein, welches vollständig ausgeplündert war. In dieser Stadt, wo die Priesterzüge, welche ihnen vorausgegangen, auf alle erdenkliche Weise mißhandelt worden waren, konnten sie für schweres Geld kaum ein wenig Stroh zum Nachtlager erhalten. Sie trafen in dem Kloster gefangene Frauen aus Poitou, berühmt unter dem Namen der glaubenstreuen Vendéerinnen. Die Priester schauderten zusammen bei der Erzählung, welche diese Heldinnen ihnen gaben über die barbarische, grausame und schamlose Behandlung, die ihnen seitens der »patriotischen Soldaten« zu Theil geworden war. Von Blois wurden die Priester in einem Schiffe auf der Loire weiter befördert; es lagen im dortigen Hafen eine Menge anderer Fahrzeuge, die mit Weibern und Kindern aus der Vendée, welche zu Orleans in's Gefängniß geworfen werden sollten, besetzt waren. In Tours wurden die Priester ausgeschifft, um in dem dortigen Gefängnisse zu übernachten. Dieses Gefängniß bot einen entsetzenden Anblick. Die daselbst Eingesperrten wurden so zu sagen von Ungeziefer aufgefressen; daß sie nicht vor Hunger starben, war alles; die nackte Erde war ihr Lager. Der freie Platz, auf welchem sie Luft schöpften, war nur vierzig Fuß lang und zwanzig breit, die Einfassungsmauern desselben erreichten dagegen mehr als dreißig Fuß. Nur am hohen Mittag bekam man dort auf einen Augenblick die Sonne zu sehen; die Luft war verpestet von Leichengestank. Man warf die Priester von der Yonne und diejenigen aus den Vogesen in ein Gelaß, welches vor der Revolution als Kapelle diente; die feuchtkalten Bohlen des Fußbodens waren ihr Bett. Nicht weit hiervon hatte man fünf Frauen untergebracht, deren zwei dem Tode nahe waren. Die eine, eine eben im Gefängniß entbundene Wöchnerin, wurde mit schlechtem Brod und Wasser versorgt; zwei Mal im Tage sah der Schließer nach ihr. Die Behörden von Tours hatten streng verboten, daß man sonst etwas für sie thue. Der Abbé Lecomtois erhielt die Erlaubniß, den unglücklichen Weibern ein Almosen zu überreichen und sie zu trösten. Beim Eintritt in das Cachot schlug ihm ein solcher Qualm verpesteter Luft entgegen, daß er beinahe ohnmächtig wurde. Die fünf Frauen lagen auf dem Boden hingestreckt, in Fieberhitze, und holten nur mühsam Athem. Sie dankten dem Priester mit schwacher Stimme für seinen Besuch, sein Almosen, seinen Trost. Unter den übrigen Gefangenen sahen die Priester so ausgehungerte Leute, daß diese bei der Brodvertheilung, welche alle zwei Tage stattfand, auf der Stelle ihre ganze Ration verschlangen. Und als die neu Angekommenen das Kraut und die Schalen von Rettigen, die sie sich mitgebracht hatten, in den Hof warfen, stürzten die andern Gefangenen heißhungerig darüber her und verschlangen es. Die nach Madagascar Bestimmten gaben, so nothwendig das Geld ihnen selbst war, ihren Mitgefangenen doch ein erkleckliches Almosen.

Nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalte in Tours wurden die Priester von dieser Stadt nach Saint-Maur übergeführt. Dort hielt ein Soldat der Republik sie an. »Seht hier,« sagte er und zeigte ihnen die Klinge seines Schwertes, auf welcher die Worte eingravirt waren: »Du sollst nicht tödten!« »Seht hier, ob ich nicht ein treuer Beobachter der Gebote Gottes bin. Ehemals,« fügte er mit einem teuflischen Lächeln hinzu, »war ich auch so'n Pfaff und predigte dergleichen Zeug, so laut ich schreien konnte; jetzt aber habe ich meinen Säbel beauftragt, es der Welt kund zu thun.« Damit entfernte er sich. In Châtellerault wechselte die Escorte der Gefangenen. Unter den neuen Freiwilligen zeichnete sich Einer durch große Feindseligkeit aus. Einer von den Gendarmen theilte dem Abbé Lecomtois auf Befragen mit, das sei der frühere Pfarrer von Châtellerault, der sich ein Weib genommen habe und ein guter Republicaner sei. Solcher Abfälle gab es allerdings; im großen Ganzen sind sie jedoch als Ausnahmen zu betrachten, wenn man von den verweltlichten und größtentheils nicht zu Priestern geweihten Abbés, die in Paris ihre Pfründen verzehrten, absieht, und den wirklichen Pfarrklerus im Auge behält. »Der französische Klerus,« bemerkt der gewiß nicht klericale Berliner Geschichtschreiber Dr. Eduard Arnd, »legte mitten in der zerstörendsten und wildesten Bewegung, die es je gegeben, die alles zum Schwanken und Fallen zu bringen schien, einen merkwürdigen Beweis von Muth und Standhaftigkeit ab, selbst wenn man von allen religiösen und politischen Ueberzeugungen abstrahiren will.« Der Protestant Guizot sagt: »Für Jene, welche der französischen Kirche vorwerfen, daß sie zur Zeit der Revolution einem weltlichen und erschlafften Geiste verfallen war, hat die Geschichte zwei Antworten: die Kirche hat mit einem heroischen Muthe und einer rücksichtslosen Aufopferung ein unerhörtes Mißgeschick getragen, und sobald der Boden sich etwas befestigte, aus ihren Trümmern sich wieder erhoben und dem christlichen Frankreich einen Klerus gegeben, der seiner ganzen Achtung würdig ist. Eine Kirche, welche in einem Vierteljahrhundert so viele fromme Blutzeugen dem Schaffot und so viele heiligmäßige Priester dem Altare gegeben hat, krankte sicher nicht an einem unheilbaren Uebel, war sicher nicht in wirklichen und wesentlichen Verfall gerathen.«

Am 18. Mai kam der Zug in Poitiers an. Zwei Municipal-Offiziere mit obligater Schärpe nahmen die Priester am Stadtthore in Empfang und führten sie in ein ehemaliges Kloster. Dort befahl man ihnen, sich all ihrer Habseligkeiten zu entledigen, und wurden diese in demselben Gemache abgelegt. Sodann brachte man die Priester in ein entferntes Zimmer, zwischen dessen vier nackten Mauern man sie einschloß. Es dauerte nicht lange, so vernahmen sie in dem Vorgemache die Stimme eines ihrer Gefährten, der so rasch nicht hatte folgen können, weil er bei einem kurz vor Poitiers erfolgten Umschlagen eines der Wagen den Fuß gebrochen hatte. »Barmherzigkeit, quält mich nicht noch mehr!« schrie derselbe; »seht ihr nicht, daß ich verwundet bin und mich nicht aufrecht erhalten kann?« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Lasset mir doch wenigstens etwas, plündert mich nicht ganz aus!« Gewitzigt durch das eben von den Republicanern vollzogene Manöver, beeilten sich die Priester, das Meiste, was sie noch an Gold und Assignaten in Besitz hatten, zu verbergen. Einen Augenblick später ging die Thüre auf, und mehrere Mitglieder des Revolutions-Comité's traten in Begleitung einer Abtheilung von Soldaten, welche Bayonnett-Gewehre trugen, in das Zimmer. »Im Namen des Gesetzes,« sagte der Chef vortretend, »fordere ich euch auf, anzugeben, was ihr noch an Gold, Silber, Assignaten oder sonstigen Effecten besitzt.« Die Gefangenen sahen sich schweigend an. »Man wird von euern Erklärungen Act nehmen,« fügte der Jacobiner hinzu; »ist diese Operation beendigt, so wird man euch alle durchsuchen, und Jene, die uns betrogen haben, werden mit Confiscation alles dessen, was ihnen angehört, bestraft werden.« Die letzten Worte konnten vermuthen lassen, daß man denjenigen, die alles angaben, nichts confisciren werde. Je nachdem sie mehr oder minder Zutrauen hatten, richteten die Einzelnen ihre Erklärungen ein. Nach dem Verhör mußten sie ihre Kleider ablegen, welche mit unbeschreiblicher Habgier durchsucht wurden; sogar die Knöpfe, Hemden und Haare blieben von den Inquisitoren nicht verschont. Einer der Gefangenen hatte mehrere Goldstücke im Munde verborgen und verrieth sich durch seine Sprache. Sofort wurden Alle nochmals im Munde durchsucht. Diejenigen, welche darüber betroffen wurden, daß sie etwas verheimlicht hatten, wurden von ihren Plünderern beschimpft und mit »Briganten«, »Bösewichtern«, »Dieben an der Republik« tractirt; man confiscirte ihnen alles und gab den Uebrigen nichts zurück. Am empfindlichsten und empörendsten war für die Gefangenen der Verlust ihrer Breviere, Rosenkränze und Crucifixe; letztere brach man entzwei und schleuderte die Stücke auf den Boden. Nach Beendigung der Untersuchung wurde den Priestern eröffnet, daß sie sich sofort reisefertig zu machen hätten.

»Wir haben noch nicht gegessen, und man hat uns unsere Sachen noch nicht zurückgegeben,« versetzten die Proscribirten.

»Das ist alles von der Republik confiscirt,« entgegnete der Gendarm. »Jeder aus euch empfängt dreißig Francs in Assignaten, zwei Hemden und zwei Sacktücher. Das genügt. Was das Essen betrifft, so bin ich euer Speisewirth nicht.«

Die siebenundzwanzig Priester entfernten sich nüchtern von der Stadt Poitiers, die ihnen mehr als sechszigtausend Franken – nicht zu rechnen die Leinwand, die Kleider, die für die bevorstehende Seefahrt angeschafften Lebensmittel, als Zucker, Chocolade u. s. w. – genommen und kein Glas Wasser dafür wiedergegeben hatte.

Als die Gendarmen das Zeichen zur Abfahrt gaben, ließ einer von den Fuhrleuten seine Pferde ruhig stehen. Jene stellten ihn zur Rede. Der Bauer aber, dessen Züge Energie und Trotz verriethen, erklärte, nicht eher von der Stelle fahren zu wollen, als bis man ihm die zehn Thaler ausbezahlt, die man ihm für diese »Frohne« versprochen hätte. Die Gendarmen zuckten drei Mal das blanke Schwert drohend über dem Kopfe des Bauern. Da der Abbé Lecomtois mehr für das Leben des Trotzkopfes fürchtete, als dieser selbst, so sprang er vom Wagen, ging zu dem Brigadier und bot diesem die von dem Bauern verlangten zehn Thaler mit den Worten an: »Bürger, schlagen Sie nicht zu! Diese zehn Thaler sind alles, was man mir gelassen hat; ich gebe sie gern, auf daß kein Blut fließt.« Zu dem Bauern sagte er: »Nehmt Euer Geld und dann macht vorwärts!« Durch diesen Zug von Großmuth gerührt, befahlen die Gendarmen ihrem Proviantmeister, dem Bauern die zehn Thaler auszuzahlen.

Die Priester hatten außer etwas Geld auch einige Rosenkränze vor den räuberischen Republikanern in Poitiers gerettet. Als sie an dem Tage, wo sie Poitiers verließen, Anstalt machten, gemeinschaftlich den Rosenkranz zu beten, ritt einer der Gendarmen nahe an den Wagen, auf welchem der Abbé Lecomtois saß, und sagte: »Bürger, ihr habt, wie ich sehe, die Absicht, den Rosenkranz zu recitiren+...« Die Priester horchten gespannt weiter. »Erlaubt ihr mir,« fuhr der Gendarm fort, »an euerm Gebete Theil zu nehmen?« Man kann sich denken, mit welcher Freude die Gefangenen dieser Bitte willfahrten. Alle erbaueten sich an der Sammlung des jungen Republikaners. Nachher konnte Lecomtois es sich nicht versagen, mit dem Gendarmen ein Gespräch anzuknüpfen. Der junge Mann war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte in der Vendée gegen die aufgestandenen glaubenstreuen Bauern fechten müssen, die sein Bataillon bis auf vierzehn Mann in Stücke hieben, und sollte jetzt in Rochefort als Capitain einem andern Regimente einverleibt werden; auf dem Wege dahin wurde er beauftragt, den Priesterzug zu escortiren. Einigen der Gefangenen war es auffallend, wie Jemand zugleich guter Republikaner und guter Christ sein könne, und sie verhehlten ihr Erstaunen hierüber nicht. Der Krieger, welcher in einer Klosterschule eine gediegene Erziehung genossen hatte, suchte diesen scheinbaren Widerspruch in seinem Wesen dadurch zu rechtfertigen, daß er zwischen den Greueln der Republik und der Republik selbst unterschied. Er verdammte den Königsmord, die Priesterverfolgungen und die Kirchenräubereien; aber er verherrlichte die Revolution, weil sie das versumpfte staatliche und gesellschaftliche Leben gründlich in Gährung gebracht, dem Volke Sitz und Stimme bei der Berathung seiner wichtigsten Angelegenheiten verschafft und mit den Standesvorurtheilen für immer abgerechnet habe. Die Kirche, meinte er, sei an keine Staatsform ausschließlich gebunden, sondern könne ihre segensreiche Wirksamkeit so gut in der Republik wie in der Monarchie entfalten, wenn man ihr nur freie Hand lasse.

In Saint-Maixent, wo die Proscribirten am 20. Mai ankamen und im Stadtgefängnisse übernachteten, trafen sie wiederum mehrere verhaftete Vendéer an. Einer dieser Unglücklichen starb während der Nacht, nachdem Abbé Lecomtois ihm vorher die Hülfsmittel der Religion gereicht hatte. Man gab den Priestern allerdings Stroh zum Nachtlager; aber sie mußten diese Hundestreu, die man dem letzten Missethäter umsonst gewährt, äußerst theuer bezahlen. Mit Sonnenaufgang hieß man sie Ochsenkarren besteigen, welche insgesammt von stinkender Mistjauche trieften; nach zahllosen Bitten erst warf man ihnen ein wenig Stroh darauf.

Der nächste Ort, durch welchen man kam, war Niort. Durch mehrere Seitengassen und Nebenwege führten die Gendarmen dort den Zug an der Guillotine vorbei, welche für die Priester in Permanenz war. Das schmutzige Stroh, auf welchem sie ihre Nachtruhe zu halten hatten, wimmelte von Ungeziefer. Als Abendessen reichte man ihnen eine so abscheuliche Suppe, daß Mehrere trotz ihrem brennenden Hunger dieselbe vor Ekel nicht hinunterschlucken konnten. Bei ihrer Abreise am folgenden Tage mußten die Gendarmen den Säbel ziehen, um die Bevölkerung, welche die Priester zu massacriren drohte, in Schranken zu halten.

Vier bis fünf französische Meilen von Rochefort liegt Surgères. Dort gestattete man den Proscribirten – vermuthlich, weil die Gefängnisse überfüllt waren – in einer Herberge zu übernachten. Der Wirth, welcher drei Wochen früher auch die Priester der Lorraine beherbergt hatte, und der zu wissen vorgab, welches Loos man diesen in Rochefort bereitet habe, rieth seinen neuen Gästen, ihm ihr Gold und Silber gegen den gleichen Betrag in Papiergeld einzuhändigen, weil sie in Rochefort doch abermals würden durchsucht werden. Die Gefangenen wechselten die wenigen Goldstücke, welche sie aus der Räuberhöhle zu Poitiers gerettet hatten, bei diesem Wirthe um.

Am 23. Mai in Rochefort angelangt, mußten sie ein altes Linienschiff, den »Bonhomme Richard,« besteigen. Sie wurden dort, nach vorheriger Durchsuchung, in den Kielraum eingepfercht. Dieser Theil des Schiffes ist als der unterste, wie sein Name schon darauf hindeutet, beständig im Wasser, und es herrscht in demselben um Mittag die gleiche Finsterniß wie um Mitternacht. Die Proscribirten der Yonne und der Vogesen trafen dort hundertundzwanzig andere Leidensgefährten an. Trotz allen Reclamationen hatten sie sich in dem engen Raume bis zum 2. Juni zu gedulden. Dann gab man ihnen Hängematten, die sie im Zwischendeck befestigten, wo sie jedoch nicht aufrecht stehen konnten. Die Nahrung war hinreichend; sie bestand in drei Rationen Brod täglich, einem Stück Fleisch zu Mittag, Bohnen- oder Erbsensuppe des Abends, nebst einem Glase Wein bei jeder Mahlzeit. Aber diese Nahrungsmittel waren mit raffinirter Unsauberkeit zubereitet. Matrosen und Schiffsjungen glaubten sich bei ihren Vorgesetzten am besten dadurch empfehlen zu können, daß sie die Gefangenen auf jede Weise quälten. Die Suppe und die Bohnen wurden ihnen in einem einzigen großen hölzernen Becken, das niemals gereinigt wurde, aufgetischt. Gabeln und Löffel wurden nicht verabreicht; diejenigen, welche solche für nöthig hielten, konnten sie sich bei den Schiffsjungen, die sie selbst verfertigten, zu dreißig Sous das Stück kaufen. Die gemeinsten Zoten und Blasphemieen waren die Ohrenwürze der Priester; auch mit Todesdrohungen warf das rohe Schiffsvolk tausendfach um sich; die Chefs applaudirten zu alledem.

Nach gut achttägigem Verweilen auf dem »Bonhomme Richard« hatten die Priester am 11. Juni einen Schooner zu besteigen, welcher sie auf hohe See hinaus bringen sollte. Zwischen den Inseln Oleron und Aix lagen zwei alte Sklavenschiffe, der »Washington« und die »Zwei Kameraden,« vor Anker. Diese waren bestimmt, die Priester aufzunehmen. Auf dem letztem befanden sich schon vierhundert Proscribirte. Der Abbé Lecomtois und seine Genossen wurden auf den »Washington« geschafft.


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