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IX.
Paris.

Hinter dem botanischen Garten, welcher ehemals der Königsgarten hieß, und den die Naturforscher Buffon, Thouin, Bernardin de Saint Pierre zu einer Art von Museum für das Vegetabilienreich umgestaltet hatten, nicht weit von einer Gruppe hoher Bäume, welche inmitten eines Haufens von Back- und Bruchsteinen eine grüne Oase bildeten, erhob sich einsam ein kleiner Pavillon, der vordem vielleicht den Schauplatz der Vergnügungen irgend eines grand-seigneur abgegeben hatte und durch seine manierirte coquette Bauart an die Zeit Ludwig's XV. erinnerte. Jetzt war derselbe arg verfallen. Ein Bücherkrämer bewohnte das Erdgeschoß. Vor den schmutzigen Fenstern waren zwischen Federbündeln und Papierheften die eben in Schwang gehenden Bücher ausgestellt: der »Republikanische Katechismus«, »Marie Joseph Chénier's Tragödien,« »Erinnerungen eines Gefangenen von Riouffe,« Uebersetzungen aus dem Englischen von Laplace und Morellet, und kunterbunt durch einander Idyllen, Pamphlete etc. Im ersten Stock des Pavillons wohnten ein Musiklehrer, ein »Damenschneider« und der Commis eines Bankgeschäftes. Arbeiterinnen hausten im dritten. Einen Portier hatte der Pavillon nicht. Die zweite Etage dieser ruhigen Wohnung war von einem Alten, der aus der Provinz gekommen, einer jungen Dame, in welcher man eine Nichte des Alten vermuthete, und einem hübschen kleinen Mädchen eingenommen.

In der gewaltigen, geräuschvollen Hauptstadt hatte Vincenz nichts Besseres wählen können, als diese abgelegene Siedelei mit ihrer grünen Umgebung und – was noch seltener war – mit ihrer Sicherheit. Die Stürme, welche im Mittelpunkte der Stadt tobten, fanden in dieser einsamen Gegend keinen Widerhall, und es schien, als bestehe zwischen den verschiedenen Miethern stillschweigend ein Contract, einander nicht auszuforschen, sondern jedem Einzelnen die volle Freiheit seiner Armuth, seines Herzeleids und seiner Verluste zu lassen.

Vincenz verhehlte mit ängstlicher Sorgfalt den eigentlichen Namen der Marquise; man nannte sie nicht anders als »Madame Odon«; das »von« und »Saint« wurden unterdrückt. Sie erschien selten auf öffentlicher Straße und kannte von Paris nur den botanischen Garten, in welchem sie sich erging, um frische Luft zu schöpfen, etwas zu promeniren und viel zu träumen. Vincenz hatte nach langem und mühsamem Suchen Arbeit gefunden: er besorgte die Reinschrift von Protokollen für einen Procurator, zweien kleinern Kaufleuten hielt er die Geschäftsbücher in Ordnung, und für einen Kriegsbeamten besorgte er die Rechnungsarbeiten. Wurde das alles verhältnißmäßig auch schlecht bezahlt, so warf es doch so viel ab, daß außer den uns bekannten drei Personen noch eine Magd, welche die Küche versah und die groben Arbeiten verrichtete, davon unterhalten werden konnte. Das Geld war damals rar in Frankreich, der Preis der Lebensmittel hoch; denn der Schreckenszeit folgte eine Hungersnoth. Dem guten alten Vincenz kamen mehr als ein Mal die Thränen in die Augen beim Anblick des groben Brodes und der armseligen Hausmannskost, mit denen die Marquise und ihre Tochter sich begnügen mußten. Er litt mehr als Beide und legte sich um ihretwillen manche materielle Einschränkung auf. Die jetzt neunjährige Charlotte glich jenen Blumen auf verfallenen Mauerresten, die kein Gärtner pflegt, denen der Himmel allein Feuchtigkeit, Luft und Wärme gibt, welche aber doch frisch emporschießen und prächtig sich entfalten.

Die Marquise litt im Tiefinnersten ihrer Seele. Sie beklagte ihren Gemahl, um den sie die Qualen der Ungewißheit ausstand, welche dem Geiste und Herzen keine Ruhe lassen. Außerdem zitterte sie für die Zukunft ihres Kindes, und zu all' diesen Peinen drückte noch auf sie die Last einer erstickenden Langweile, welche sie früher nie gekannt hatte, auch im Gefängnisse zu Amiens nicht, wo die Furcht vor dem nächsten Morgen ihr die Gegenwart verkürzte. Bei der Wiedererlangung der Freiheit war Delphine auf's neue in's Leben getreten; selbst gleichsam verjüngt fühlte sie auch die Ansprüche der Jugend wieder in sich erwachen. Die Einschränkung zwischen vier Mauern, der Abgang jeglicher Abwechselung, jedes Vergnügens, die Gleichförmigkeit, mit der ein Tag dem andern folgte, widerte sie mehr und mehr an.

Die Marquise war den Anfällen dieser Unlust und Langweile nicht gewachsen; ihr fehlten die Waffen des Geistes wider »den Versucher am Mittage«. Ihre sorglose Kindheit und ihre durch die aufmerksamste Gattenliebe verwöhnte Jugend, die sie in Blumengärten hingebracht, hatten sie nicht zu dem Leben der Arbeit und Sorge vorbereitet, das sich vor ihr eröffnete. Mitunter erwachten ganz ungekannte Neigungen in ihr: sie hätte ausgehen mögen, sich in große Gesellschaft begeben, die Straßen dieser ungeheuern Stadt durchwandern, deren verhallendes Lärmen und Wogen ersterbend zu ihren Ohren drang. War sie ja getrennt von der Gesellschaft der Lebendigen, und lebte sie doch wie in einem Kloster bei diesem freilich treu ihr ergebenen aber einfachen alten Manne und mit dem wohl lieblichen, doch unwissenden kleinen Kinde. Wie gern hätte sie wenigstens ein Mal flüchtig durch die »neue Welt« schweben mögen, welche an die Stelle der frühern, jetzt decimirten Gesellschaft, in der sie gelebt hatte, getreten war! Lohnte sich's nicht der Mühe, vorübergehend einen Blick auf die Kriegshelden zu werfen, deren Namen selbst bis in ihre Einsiedelei hinübergedrungen waren? Und dann die schönen seltsamen Frauengestalten, welche unter den alten Bäumen der Tuilerien altgriechische Moden zur Schau trugen! Ach ja, welche Kurzweil, sich so recht satt zu sehen an dem neuen Leben, das sich ringsumher entfaltete!

Aber Delphine wagte mit ihren geheimen Wünschen nicht klar vor's Licht zu kommen, weil der alte Vincenz gegen alles, was von der Revolution herstammte, mochten es Gedanken, Einrichtungen oder Personen sein, einen tiefen Widerwillen zeigte. In diesem Manne waren die alten Zeiten verkörpert: zur Zeit der Kreuzzüge hätte er das Banner seines Herrn getragen und wäre für dessen Vertheidigung gestorben; jetzt, im Jahre 1795, arbeitete er sich ab, um die letzten Träger des von ihm hoch verehrten Geschlechtsnamens am Leben zu erhalten; je ärmer, unbekannter und verlassener sie waren, desto weniger versöhnte er sich mit der neuen Ordnung der Dinge, wodurch der Adel gestürzt worden war.

So rief er, der sonst so ruhige Mann, eines Tages, als er aus der Stadt zurückkam, in heftiger Aufregung und in wegwerfendem Tone: »Heute ist mir ›Unsere Liebe Frau vom September‹ begegnet.«

»Wer ist denn die?« fragte Delphine.

»Ei, wer anders als Frau Tallien? Das Volk hat sie so getauft, gnädige Frau, zur Erinnerung an die Septembermorde.«

»Wie? Ich glaubte, sie habe ihren Einfluß auf ihren Mann dazu benutzt, diesen zur Mäßigung zu bewegen; man sollte sie daher eher den ›Engel des Thermidor‹ nennen. Es heißt, sie sei so außerordentlich schön+...«

»Schön ist sie freilich, aber gleich den Furien; die sollen ja auch schön gewesen sein. Denken Sie sich, gnädige Frau, das Weib war gekleidet, wie es sich für ein ehrbares Frauenzimmer nicht schickt. Die Haare trug sie nach Männerart kurz geschnitten und frisirt. Wundervolle Kameen, die sie weiß Gott welchem unglücklichen Edelmanne gestohlen haben mag, hielten die Falten ihres weißen Kleides nach griechischem Schnitt zusammen. Goldene Spangen zogen sich um den ganz entblößten rechten Arm, eine kostbare Perlenschnur lag um den ungeziemend nackten Hals. Rothe Sandalen trug sie an den Füßen und an den Zehen Fingerringe! Sollte man es für möglich halten? Sie ging mit ihrem Manne und mit Barras spazieren – Barras, ein Edelmann – unter dem Pack da!«

»Wie du doch sprechen kannst, Vincenz! Ist denn dein Neffe nicht auch ein Revolutionsmann?«

»O, bitte recht sehr, Frau Marquise, da ist doch ein kleiner Unterschied zu machen! Der arme Marcel wurde gezwungen, in die Revolutionsarmee einzutreten. Als er die Muskete einmal auf dem Nacken und die Preußen als Feinde vor sich hatte, nun ja, da hat er zum Schutze Frankreichs tapfer mit dreingeschlagen, und er hat Recht daran gethan, dieweil es also seine Pflicht war. Aber er ist, Gott sei Dank, unschuldig an allen Verbrechen, die vorausgegangen, neben her gelaufen oder gefolgt sind, so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Barras, Tallien und ihre Bande hingegen sind Schreckensmänner, die sich den Teufel scheeren um die verheerenden Geister, welche sie losgelassen haben. O, welche Zeit! Und welch kurzes Gedächtniß hat die Menge! Da sollten Sie auf die Boulevards kommen: ein Gedränge, ein Flaggenschmuck, ein Jauchzen, als wäre eben ein Kronprinz geboren worden. Und doch wüthet der Krieg an der Grenze, die Hungersnoth daheim. Die Kirchenplünderer und Burgenverwüster aber sind lustiger Dinge und mästen sich von ihrem Raube. Ja, ja, es ist ihnen auch nur eine Galgenfrist vergönnt!+...«

Derartige Unterhaltungen kehrten oft wieder. Denn jedes Mal, wenn Vincenz seine Abschriften zu dem Procurator in der Rue des Saussains oder zu dem Kriegsbeamten, der ein prächtiges Hôtel in der Rue Saint-Honoré bewohnte, hinbrachte, sah er irgend eine neue Persönlichkeit des Tages oder irgend welches neue Schauspiel, neue Zeugnisse für den Triumph der Revolution, welche dem Alten die Galle überlaufen machten und das Blut in Wallung brachten. Schweigen darüber konnte er nicht, wenn er nach Hause kam, und von den Gefühlen, die seine Erzählungen in der Seele der Marquise von Neuville hervorriefen, hatte er keine Ahnung.

Die Aufregung des Alten dauerte jedes Mal nur einige Augenblicke; zugleich mit der Aufnahme seiner Arbeit gewann er auch seine gewöhnliche Heiterkeit wieder. Er, der unter Arbeit und Sorge grau Gewordene, war selbst jetzt nicht alles Glückes baar; glücklich, war er, weil er sich für das Theuerste seines Herrn aufopfern konnte, glücklich im freudigen Hinblick auf die Vergeltung im Jenseits. Das thatkräftige Christenthum des schlichten Mannes hatte auch in dem revolutionairen Paris, nach ernstlichem Suchen, die Quellen entdeckt, aus welchen die Tröstungen des Glaubens ihm zuströmten. Als das von den Cäsaren mit goldig gleißenden Ketten gefesselte alte heidnische Rom zu den Festlichkeiten des Theaters hinströmte, beteten die Christen in den Katakomben; während Paris, im Jubel darüber, daß es von den Blutschauspielen des Schreckensregiments befreit war, mit wahnsinniger Hast und Gier den Vergnügungen der Oper, der Bälle und Promenaden nachrannte, flüchteten die Gläubigen sich hier in einen finstern Keller, dort auf einen verborgen gelegenen Speicher, um der Feier der göttlichen Geheimnisse beizuwohnen, die Worte ihrer proscribirten Seelenhirten zu vernehmen und für ihr unglückliches Vaterland zu beten. Vincenz wußte diese Gläubigen aufzufinden und betete mit ihnen.

Er redete auch zu der Frau von Neuville über diese Versammlungen, welche, weil durch die neuen Staatsgesetze noch verboten, gefährlich waren; jedoch hoffte der Alte, daß die Marquise sowohl selbst ihm dahin folgen, als auch ihr Kind hinführen werde, um diesem die geistige Nahrung des Christenthums reichen zu lassen. Delphine aber schien höchlich überrascht durch solches Ansinnen. »Dränge mich nicht, Vincenz,« sagte sie. »Gott, was habe ich im Gefängnisse nicht für meine Person wie für Charlotte gelitten, und ich sollte mich so bald einer neuen Gefahr preisgeben?! Nein, nein, Vincenz, so etwas verlangt Gott nicht von uns!«

»Frau Marquise, alle achtungswerthen Personen, welche zu Paris sind, versäumen diese Gelegenheit, ihren religiösen Obliegenheiten nachzukommen, nicht. Fräulein Charlotte würde dort auch sehen+...« Er stockte und richtete einen ängstlich prüfenden Blick auf Delphine.

»Nun, was, guter Vincenz?« forschte diese.

»Wie man Gott dient,« versetzte er schüchtern.

»O, bester Vincenz,« beschwichtigte die Marquise, »was das betrifft, so hat Charlotte an dir einen vorzüglichen Lehrmeister.«

»Wenn Sie mir erlauben wollten, das Fräulein hinzuführen? Ein Kind kann ja nicht verdächtig werden!«

»Geduld, Geduld, Vincenz! …Wir wollen sehen. Die Zeit ist augenblicklich noch zu unruhig+...«

Er wartete geduldig und unterrichtete die Kleine einstweilen alle Abende im Katechismus und der Kirchengeschichte, in der er gute Kenntnisse besaß. Auch sparte er von seinem, ohnehin schon knappen Taschengelde und machte sich ein Vergnügen daraus, der nach Lesebüchern begierigen Charlotte einige gute Schriften mitzubringen, als Fleury's »Lebensweise des israelitischen Volkes«, Lefranc de Pompignan's »Fromme Lieder«, ausgewählte Stücke von Racine, von Madame de Sévigné, und Aehnliches. Mit Hülfe dieser Bücher und der Lectionen des alten Freundes, welche letztere jedoch nichts Schulmeisterliches an sich hatten, sondern im gemüthlichen Unterhaltungston gegeben wurden, ward Charlotte erzogen. Vincenz setzte einen Ehrenpunkt darein, ihr seine schöne Schrift beizubringen, während Delphine ihrem Kinde Unterricht in den weiblichen Handarbeiten gab, die sie selbst mit großer Geschicklichkeit anzufertigen verstand. Vergnügen waren Charlotten unbekannt; trotzdem aber fühlte sie sich keineswegs unglücklich, sondern ihre natürliche Aufgewecktheit und Lebhaftigkeit ersetzten ihr manches, was Andern unentbehrlich scheint, und ein Spaziergang im botanischen Garten an der Seite ihrer Mutter däuchte ihr eine große und angenehme Zerstreuung.

Begreiflicher Maßen war ein Besuch bei solch abgeschlossener Lebensweise ein Ereigniß. Eines Tages stellte der Musiklehrer, welcher im ersten Stock wohnte, sich bei seinen Nachbaren im zweiten als Besucher ein. Er schien der feinen Gesellschaft anzugehören. Seine Kleider waren neumodisch: fischschwanzartiger Frack, kolossale weiße Kravatte, kleiner runder Hut, unter diesem hervorschauend ein langer Zopf; sein Benehmen und seine Manieren waren die der alten Zeit. Nachdem er die Marquise unter einer sehr tiefen Verbeugung begrüßt und einige Worte der Entschuldigung wegen der durch ihn hervorgerufenen »Störung« gesprochen hatte, wandte er sich an Vincenz, welcher an seinem mit Schreibsachen beladenen Arbeitstische saß. »Werther Herr Nachbar,« sagte er, »ich höre, daß Sie Schreibereien besorgen, und ich glaube nicht indiscret zu sein, wenn ich voraussetze, daß Sie durch die mißlichen Zeitläufte in die Lage gekommen sind, mit dieser ehrenwerthen Arbeit Ihr Brod zu verdienen. Auch ich war früher glücklicher gestellt als jetzt; ich habe nämlich die Ehre gehabt, der Frau Königin Unterricht zu ertheilen; jetzt gebe ich Privatstunden, – die Kinder von Jacobinern sind meine Zöglinge!«

Hierauf bemerkte die Marquise: »Sie können sich freuen, mein Herr, in Ihren Talenten eine solche Hülfsquelle zu besitzen.«

»Mit dieser Hülfsquelle, Madame, hat es wenig auf sich; man bezahlt mich mit Assignaten, und meine Zöglinge machen mir im Allgemeinen wenig Ehre: sie singen das ›Ça ira‹ besser als die leichten Melodieen Dezède's. Jedoch habe ich im Hallenviertel einen kleinen Pelopidas, mit dem es gut von Statten geht; das Bürschchen spielt wie ein Engel mein Potpourri aus dem ›Deserteur‹. Aber zur Sache! Ich erfuhr, mein Herr, daß Sie sich mit Abschreiben beschäftigen, und wollte mich erkundigen, ob Sie auch einige Arbeiten für mich übernehmen möchten. Ich liefere meinen Schülern die Partituren, kann dieselben jedoch unmöglich allein ausschreiben und wünsche deshalb einen Gehülfen.«

»Ach, wie schade, daß ich keine einzige Note kenne, auch nicht eine!« rief Vincenz bedauernd aus.

Des Alten Traurigkeit darüber, daß er ohne Schöpfkrug vor dieser neuen, sehnlich erwarteten Quelle stand, ging der Marquise zu Herzen. »Ich kann helfen,« sagte sie; »ich bin ein wenig musikalisch, und es würde mir Vergnügen machen, Musik zu copiren.«

»Wie, Sie, meine …meine theuere Nichte?« stotterte Vincenz gerührt. »Sie wollen abschreiben?«

»Warum nicht?« gab die Marquise zurück. »Notenabschreiben wäre mir wirklich äußerst angenehm.«

»In diesem Falle, Madame, gestatten Sie, daß ich Ihr Anerbieten acceptire,« nahm der Musiklehrer wieder das Wort. »Wenn Sie erlauben, werde ich heute Abend so frei sein, Ihnen die Ouvertüre zum ›Kalifen von Bagdad‹ zuzustellen. Abschreiben ist nichts Erniedrigendes; auch Jean Jacques Rousseau hat es zeitweilig gethan.«

»Schweigen Sie von dem Menschen, mein Herr, wenn ich bitten darf!« fiel Vincenz ein.

»Ich liebe ihn gewiß nicht mehr als Sie, obwohl er auf manchen Schlössern, wo ich früher unterrichtete, als eine der Koryphäen Frankreichs gefeiert wurde+...«

»Die Schloßherren wissen jetzt, wohin Jean Jacques sie gebracht hat! Glauben Sie mir, Herr Professor, wir kommen aus der Revolution nicht heraus, wofern wir nicht mit Voltaire, Jean Jacques sowie mit der ganzen Sophisten- und Encyklopädisten-Clique gründlich abrechnen und abbrechen; so lange diese Leute unsere Gesetzgeber sind, ist die Gesellschaft in Gefahr.«

»Das ist auch meine Ansicht,« erwiderte der Musiklehrer höflich. »Es heißt,« fügte er hinzu, »daß de Laharpe sich im Gefängnisse bekehrt habe, und der Abbé Morellet verficht jetzt in muthigen Schriften die Sache der Verbannten.«

»Um so besser,« sagte Vincenz. »Möchten sie sich nur alle bekehren und ihre Umsturzschriften verleugnen! Seine Ansichten ändern, wenn man sieht, daß sie falsch sind, ist keine Schande.«

Der Musiklehrer stimmte dem Alten auch hierin bei und empfahl sich sodann.

Am Abende erhielt Delphine die Noten zum Abschreiben. Sie setzte sich sofort an die Arbeit; mit Begeisterung griff sie zur Feder, und während der ersten Tage flog die Langweile auf den Fittigen der Arbeit davon; ein gerechter Stolz hielt die Marquise außerdem aufrecht. Aber die Erzählungen des Musiklehrers Durval über die neue Welt, in der er verkehrte, eröffneten der Marquise bald eine weite und eben deshalb lockende Perspective auf Feste, Zerstreuungen und angenehme Aufregungen, welche ihr die, gesenkten Kopfes über einem Musikhefte zugebrachten Stunden niederdrückend und langweilig erscheinen ließen. Ihre Neigungen zu einer andern Lebensweise kehrten zurück; ihre Armuth ward eine Bürde für sie, wenn sie von dem neu erwachenden Luxus reden hörte; unerträglich dünkte ihr das ewige Einerlei ihrer Tage, wenn man über die Zusammenkünfte sprach, in denen die Generale, Redner, Schriftsteller und eleganten Damen, deren Name in Aller Munde war, ihre glänzenden Talente zu entwickeln Gelegenheit fanden. Obwohl diese Erzählungen peinlich für Delphine waren, so verlangte sie doch nach denselben und rief sie nicht selten hervor. Vincenz hörte sie an mit der Verachtung eines Mannes, für welchen die Vergangenheit alles ist. Delphine lauschte dem Professor mit der fieberhaften Ungeduld einer Seele, die nur für die Gegenwart lebt und sich von den Reizen der Neuheit bestricken läßt. Charlotte allein zog Vortheil von Herrn Durval's Besuchen. Der Professor lehrte sie die Anfangsgründe der Musik und des Gesanges; und wenn es kunstgerecht von ihren rothen Lippen klang:

»Ich kenne keine Sorgen, als die für meine Heerde;
Ein grün Stück Weideland, ein frischer Wasserquell,
Der meinen Lämmern macht so Herz wie Augen hell:
Sonst wünsche ich mir nichts auf Gottes weiter Erde« –

so hatten die Mutter, der alte Vincenz und der Professor eine und dieselbe Empfindung, die der Sympathie für das traute Mädchen.

»Weshalb muß das charmante Kind arm und verborgen leben?« grollte Delphine in sich hinein.

»Meine Pelopidasse, Leonidasse, Cornelien und Clelien im Hallenviertel können sich mit Der da nicht messen!« rief der Musiklehrer voll Bewunderung aus. »Nochmals bravo, Fräulein Charlotte, bravo, bravissimo! Ich möchte gern wissen, ob Fräulein de Beauharnais, von der man jetzt so viel Aufhebens macht, schon, als sie in Ihrem Alter war, über Anlagen wie die Ihrigen gebot!«

Vincenz stimmte zwar in den Beifall ein, aber eine geheime Unruhe quälte ihn; der Augenblick kam näher, wo er sich der Marquise gegenüber in dieser Hinsicht erklären mußte.


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