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II.
Das Unwetter zieht näher.

»Es gehet eine kleine Wolke auf aus dem Meere, wie eines Mannes Hand …Der Himmel wird schwarz von Wolken und Wind …Es rauschet stärker und stärker …Hinbraust der Sturm über Land und Meer,« – wie oft findet nicht dieses Naturschauspiel sein Ebenbild in der Geschichte einzelner Menschen und ganzer Völker!

Der Pfarrer des zum Schlosse Neuville gehörigen Dorfes Baignon war vor kaum einem halben Jahre gestorben. Die Bauern wünschten allgemein den Caplan, welcher dem alten Pfarrer lange Jahre hindurch zur Aushülfe beigesellt gewesen war, als Nachfolger des Verstorbenen. Dagegen hatte der Marquis sich an die Diöcesanbehörde gewendet mit der Bitte, man möge die erledigte Pfarrstelle einem ihm befreundeten Geistlichen, Namens Jean-Baptiste Lecomtois, übertragen. Der Bischof willfahrte dieser Bitte, und der Marquis erwartete jeden Tag die Ankunft seines Freundes, der sich vor einigen Wochen nach Paris begeben hatte, um das Treiben der Revolution am Herde derselben zu beobachten. Im Dorfe aber hatte die Kunde von dieser Ernennung eine höchst ungünstige Aufnahme gefunden, und die Beruhigungsversuche des Caplans bei seiner Abreise hatten nichts gefruchtet.

Nachdem der neue Pfarrer Jean-Baptiste Lecomtois aus Paris zurückgekehrt war und beim Generalvicariat seine Vollmachten sowie die Urkunde über seine Ernennung in Empfang genommen hatte, begab er sich zu dem ihm nunmehr vorgesetzten Dechanten, welcher beauftragt war, ihn zu installiren. Beide Priester machten sich auf den Weg nach Baignon. Lecomtois verhehlte dem Dechanten die Besorgnisse nicht, mit denen er in seine neue Stellung eintrete. Sein Vorgesetzter bemühete sich, jedoch vergebens, ihn zu beruhigen. In Baignon angelangt, verfügten sie sich geradeswegs zu der Kirche, die am Ausgange des Dorfes lag, und neben welcher der Pfarrhof sich erhob. Die zerstreut umherliegenden Häuser waren wie ausgestorben, Niemand ließ sich auf der Straße sehen. Der Dechant und der Pfarrer knieeten zunächst auf dem Kirchhofe, der nach ländlicher Sitte das Gotteshaus umgab, an dem frischen Grabe des vorigen Pfarrers nieder und sprachen dort ein Gebet für die Seelenruhe des Verstorbenen. Dann schritten sie auf das nahe Pfarrhaus zu und pochten an die verschlossene Thüre desselben. Aber obwohl der Kirchenvorstand über die Ankunft des neuen Pfarrers in Kenntniß gesetzt war, fand sich Niemand vor, um ihn einzuführen. Die Kirche war gleichfalls verschlossen.

Nach kurzer Ueberlegung beschlossen die beiden Priester, dem Marquis von Neuville ihre Aufwartung zu machen und mit diesem die weitern Schritte zu besprechen.

Herr von Neuville war hoch erfreut über die Ankunft seines Freundes, aber auch eben so erstaunt über dessen Aufnahme in Baignon; jedoch hoffte er, schon alles in Ordnung zu bringen. Für's erste behielt er seine Gäste zum Mittagsessen bei sich. Des Nachmittags begab er sich darauf mit ihnen in das Dorf. Jetzt war zwar die Thüre des Pfarrhauses offen, aber die Kirchenschlüssel waren nirgends zu finden. Das Complott umfaßte alle Einwohner des Dorfes; der Marquis zog mit seinen Gästen von Haus zu Haus, aber Niemand wollte ihm den Hehler der entwendeten Schlüssel angeben können. Endlich kamen sie zu einem Mitgliede des Kirchenvorstandes, das zugleich Chorsänger war, und baten um Aufklärung. Der Mann mochte durch den unerwarteten Besuch wohl anders gestimmt werden; er gab die Schlüssel, welche sich in seinem Besitze befanden, heraus. Jedoch fügte er hinzu, er bedauere lebhaft, daß der Caplan versetzt worden sei, indem derselbe doch so schön gesungen habe! Der Dechant und der Marquis beruhigten den guten Chorsänger in dieser Beziehung; sie versicherten ihm, daß auch Herr Lecomtois eine treffliche Stimme habe und sogar zwei Jahre lang Gesanglehrer am großen Seminar gewesen sei.

Der Marquis begleitete dann seine Gäste zur Kirche, wo das Protokoll über die Installation aufgenommen wurde. Danach nöthigte er sie zum Abendbrod in sein Schloß zurück. Herr von Neuville, welcher nach Neuigkeiten aus der Hauptstadt begierig war, brachte das Gespräch bald auf die letzten Vorgänge, über welche er bisher nur dürftige Nachrichten erhalten hatte. Sein Freund Lecomtois theilte nun zunächst mit, er habe in Paris, um ungefährdet zu sein, Civilkleidung getragen: einen blau gesprenkelten Rock und eine rothe Carmagnole darüber. Die Dinge, welche er weiter erzählte, waren zum Theil haarsträubend. Nachstehend geben wir die Hauptdaten.

Die Absetzung Ludwig's XVI. am 10. August bestimmte die ausgewanderten französischen Prinzen und Adeligen endlich zum entschiedenen Vorgehen gegen die Republik. Zwanzigtausend Exiliirte rückten mit dem vom Herzoge Ferdinand von Braunschweig commandirten preußischen Heere und mit sechstausend Hessen durch das Trier'sche Erzstift in Lothringen ein. Die Festung Longwy wurde genommen und Verdun belagert. Zugleich hatten zwischen Oesterreichern und Franzosen die Feindseligkeiten an den Grenzen der österreichischen Niederlande begonnen. Die Republik schwebte in großer Gefahr; fast alle europäischen Staaten nahmen eine drohende Haltung gegen sie an.

Die Volksvertretung war auf ihrem Posten. Zur Ausrüstung der Nationalgarde und des übrigen Militairs stellte die Nationalversammlung dem Kriegsminister bedeutende Summen zur Verfügung. Der Pariser Stadtrath ließ die Einschreibung der Freiwilligen vornehmen, vertheilte Waffen unter dieselben und befahl, daß alles Silber aus den Kirchen in die Münze gebracht werde. Keine Pfarrei sollte künftig mehr als zwei Glocken besitzen; denn »die Glocken schmeicheln nur dem Stolze der Reichen und stören den Schlaf der Armen,« sagte der Vorsitzende des Raths, Manuel, in seiner Proclamation. Aus den Eiseneinfassungen der öffentlichen Denkmale sollten Piken zur Vertheidigung des Vaterlandes geschmiedet werden. Als die Masse des Volkes sich der Beraubung der Kirchen widersetzte, erhielt der blutdürstige Bierbrauer Santerre vom Stadtrath Befehl, die »Aufrührer« mit Gewalt zu verjagen. Danton, der Justizminister mit dem kolossalen Rockskragen, der kolossalen Halsbinde, dem kolossalen Bullenbeißergesicht, der kolossalen Zunge und den kleinen Augen, setzte in der Nationalversammlung ein Decret durch, daß Commissare in den Häusern umhergeschickt werden sollten, um nach Waffen zu suchen; achtzigtausend Gewehre werde man finden, hatte er prophezeit. Der Sicherheitsausschuß gab an die achtundvierzig Sectionen, in welche die Stadt Paris eingetheilt war, die nöthigen Weisungen. Niemand durfte seine Wohnung verlassen; wer im Hause eines Andern betroffen wurde, sollte als verdächtig verhaftet werden. Die Zusammenkünfte geselliger Vereine sowie Gerichtssitzungen waren verboten. Läden und Thüren mußten geschlossen werden. Die an der Seine gelegenen Häuser erhielten Wachtposten, und der Fluß selbst wurde von Bewaffneten in Kähnen überwacht. Die Barrièren der Stadt waren geschlossen; ohne Paß wurde Niemand durchgelassen; selbst außerhalb der Barrièren waren Wachtposten aufgestellt. Um 10 Uhr Abends begannen die Commissare, ihrer dreißig in jeder Stadtsection, von Sansculotten gefolgt, die Haussuchung; je zwei derselben durchsuchten ein Haus, so daß jedes Mal siebenhundert Häuser zugleich an die Reihe kamen. Durch die verödeten Straßen der Stadt tönte nichts als Trommelschlag und der gemessene Schritt der Patrouillen; aus den Häusern erscholl die befehlerische Stimme der Commissare, das Jammern der Weiber und Kinder, deren Gatte und Vater fortgeschleppt wurde, das teuflische Hohnlachen der Sansculotten. Man fand nur zweitausend Gewehre.

Der Stadtrath, dessen Dictatur ernstlich gefährdet war, scheute vor keinem Mittel zurück, sein Ansehen zu behaupten. Die Bluthunde Marat, Danton, Robespierre, Manuel, Hébert, Billaud-Varennes, Panis, Sergent, Fabre d'Eglantine und Camille Desmoulins waren die leitenden Köpfe. Sie waren durch ihre Leidenschaft in solchem Maße verblendet, daß sie ihre Popularität in der unmenschlichsten Tyrannei suchten. Durch die Aufhebung des Feudalrechts, durch die Abschaffung des Zehnten hatten viele Geistliche die Mittel zum Lebensunterhalte verloren. Ein weiteres Decret der Nationalversammlung hatte alle geistlichen Güter zum Eigenthum der Nation erklärt und die geistlichen Orden aufgehoben. Hiermit noch nicht zufrieden, suchte man die Kirche selbst zu vernichten, indem man die Hierarchie umstürzte. Das sollte durch die sogenannte »Civil-Constitution des Klerus« zu Wege gebracht werden. Durch dieses Decret wurden die hundert sechs und dreißig Bisthümer Frankreichs auf drei und achtzig, die achtzehn Erzbisthümer auf zehn vermindert. Die Domcapitel, die Canonicate und Abteien wurden abgeschafft. Ferner wurde bestimmt, daß die Bischöfe fortan nicht mehr durch den Papst bestätigt werden sollten; die Wahl der Bischöfe und Pfarrer sollte durch das souveraine Volk vollzogen werden. Wenige Priester ausgenommen, weigerte der Klerus die Annahme dieser »Civil-Constitution« und den Eid auf dieselbe. Die »aufrührerischen« Priester wurden verhaftet. »In wenigen Tagen wird der Boden der Freiheit von ihrer Gegenwart gereinigt sein,« kündigte Robespierre in einer Adresse an die Nationalversammlung an, um die Volksgunst zu gewinnen.

»Unterdessen,« fuhr der Pfarrer Lecomtois fort, »hatte Manuel im Stadthause die Belagerung Verdun's durch die Preußen verkündigt und vorgeschlagen, daß alle waffenfähigen Bürger auf dem Marsfelde erscheinen sollten. Aber die Klänge der Glocke und des Generalmarsches, welche die Freiwilligen in die Ebene von Valmy riefen, waren auch den Meuchelmördern ein Zeichen, sich in die Nähe der Abtei zu begeben und dort des verruchten Maillard Wink abzuwarten. In dem Depot der Mairie, welches unter den Zimmern lag, die das Scheusal Pétion bewohnte, befanden sich am 2. September vier und zwanzig Gefangene, darunter zweiundzwanzig Priester, zu denen auch der berühmte Abbé Sicard, ›der Vater der Taubstummen‹, gehörte. Des Nachmittags um 2 Uhr erdröhnte die Lärmkanone. Das war für die Bande der Marseiller das Zeichen zum Einbruch. Sie rissen die Gefangenen aus ihren Zellen, packten sie in vier Fiaker zusammen und brachten sie, unter Schmähungen, Flüchen und Drohungen, nach der Abtei St. Germain-des-Prés. Ihre Aufforderung an das Volk, sich an den ›Pfaffen‹ zu rächen, blieb ohne Erfolg. Da erstach einer der Schergen einen Priester, und nun schlugen auch die andern Cumpane grimmig auf die Wehrlosen ein, bis man im Hofe der Abtei anlangte, wo ihnen der Rest gegeben wurde. Alle wurden niedergestochen bis auf drei, von denen zwei Civilkleider trugen und der dritte der Abbé Sicard war; diesen rettete ein Uhrmacher, Namens Monotte, dadurch, daß er Sicard's Verdienste um die Taubstummen schilderte.

»›Es gibt hier nichts mehr zu thun; gehen wir zu den Carmelitern!‹ rief sodann einer der Mordgesellen, und die Meute folgte ihm unter wildem Geheul. Dieses Gefängniß bewahrte vorzugsweise den höhern Klerus auf; etwa fünfhundert Personen. Der Demagoge Joachim Ceyrat hielt bereits Gericht, als die Marseiller Bande bei dem Gefängnisse anlangte. Er verlas die Namen der einzelnen Detinirten, die sich darauf in den ehemaligen Klostergarten zu verfügen hatten, wo die Würger ihrer harrten und sie mit Säbelhieben, Pikenstößen oder Gewehrkolbenschlägen empfingen. Die Ersten, welche hingemetzelt wurden, waren der Abbé Girault und der Erzbischof von Arles. Auf diejenigen Priester, welche glücklich in den Garten entkommen waren, wurde dort wie auf wilde Thiere Jagd gemacht; von Baum zu Baum, von Gebüsch zu Gebüsch wurden sie verfolgt; Viele wurden durch Kugeln hingestreckt. Nur wenigen gelang es, über die Mauern in die benachbarten Häuser zu entkommen. Um rascher fertig zu werden, sperrte man die noch übrigen Gefangenen in die Kirche, rief sie einzeln heraus und stach sie nieder. Unter den Erwürgten befanden sich auch die Brüder La Rochefoucauld, der Eine Bischof von Saintes, der Andere Bischof von Beauvais. Der Letztere war vorher im Garten verwundet worden und konnte sich nicht von seinem Lager erheben; man schleppte ihn heraus und erstach ihn. Joachim Ceyrat hatte sich mittlerweile nach der Section des Luxembourg, deren Präsident und Friedensrichter er war, begeben; sie hielt in der nahen Kirche Saint-Sulpice ihre Sitzung. Als mehrere Bürger ihn baten, dem Blutbade ein Ende zu machen, entgegnete er: ›Wir haben an andere Dinge zu denken; man muß den Leuten freien Lauf lassen, – Alle, welche im Carmeliterkloster sich befinden, sind schuldig!‹ Die Metzelei währte zwei Stunden lang, von vier bis sechs Uhr.

»Vom Carmeliterkloster ging's nach der Abtei Saint-Germain-des-Prés zurück, da Einer aus der Bande sich erinnerte, daß dort in einem Nebengefängnisse noch dreißig Priester säßen. Auch diese wurden sämmtlich niedergemacht.

»Die Straße Sainte-Marguérite war das nächste Ziel der Marseiller Henkersknechte. Um den heuchlerischen Schein des Rechts zu wahren, errichteten sie vor dem Gefängnisse ein Tribunal, welches über Schuld oder Unschuld der Verhafteten zu urtheilen hatte. Der berüchtigte Maillard, den man als ›braven Mann‹ zum Präsidenten bestimmt hatte, erklärte laut, mit den zwölf Gehülfen, welche er sich aus seiner Bande ausgewählt, als guter Bürger im Namen des souverainen Volks ›arbeiten‹ zu wollen. Und er hielt blutig Wort! Die letzten Vertheidiger Ludwig's XVI. am 10. August, fünfundzwanzig Schweizer, wurden natürlich einhellig des Todes schuldig erkannt und sofort abgeschlachtet. Mehrere Fälscher von Assignaten, welche in diesem Gefängnisse saßen, ließ Maillard nach einem andern Gefängnisse bringen. Montmorin, der Exminister Ludwig's XVI., welcher ebenfalls dorthin gebracht werden sollte, wurde vom Pöbel unter des Syndicus Manuel anfeuernden Worten auf der Straße ermordet.

»Nichts geschah, um dem Würgen ein Ziel zu setzen. ›Der Stadtrath hat durch seine Organe alles gethan, um die Stimme der Menschlichkeit vernehmen zu lassen; aber es war vergeblich‹, rapportirte Tallien, der Secretair des Stadtraths, am 3. September halb drei Uhr in der Frühe vor der Nationalversammlung. ›Man hatte‹, fügte er hinzu, ›dem Generalcommandanten befohlen, einzelne Abtheilungen der bewaffneten Macht vor den verschiedenen Gefängnissen aufzustellen; allein der Wachdienst an den Barrièren erforderte so viel Leute, daß nicht genug übrig blieben, um die Ordnung aufrecht zu halten.‹ Elendes Gewäsch! Wozu die thörichte Absperrung der Barrièren!

»In eben dieser Nacht vom 2. auf den 3. September war das Blutbad am gräßlichsten. Es wurde an fünf Stellen zugleich ›gearbeitet‹: an der Porte Sainte-Marguérite, hundert Schritte weiter in dem Hofe der Abtei, in den Gefängnissen la Force und du Châtelet und in der Conciergerie. Maillard mit seinem Tribunal fällte den Wahrspruch. Fackelschein bildete die Beleuchtung der Mordscenen. Der Pöbel saß auf den umherstehenden Bänken und ließ sich den Tabak und den Wein gut schmecken. Jedes Mal, wenn ein Priester zum Vorschein kam, erscholl das Geheul: ›Es lebe die Nation!‹ Das war sein Todesurtheil: eine Untersuchung war da nicht nöthig! Der Blutdunst schwängerte endlich dermaßen die Luft, daß der Präsident des Civilausschusses in Ohnmacht fiel. Die Gefangenen der Conciergerie waren größtentheils gemeine Verbrecher; die Blutgier kannte keinen Unterschied. Nur die zahlreichen weiblichen Gefangenen ließ man bis auf eine frei. Das Gefängniß la Force liegt unweit des Stadthauses; dort hatten sich deshalb viele Mitglieder des Stadtraths mit ihrer officiellen Schärpe als Zuschauer eingefunden. Als dort der Prinzessin Lamballe befohlen wurde, der Freiheit und Gleichheit Treue, dagegen Haß dem König, der Königin und dem Königthum zu schwören, erwiderte sie: ›Den ersten Eid will ich gern leisten, den zweiten aber kann ich nicht schwören.‹ Sie erhielt von hinten einen Säbelhieb auf den Kopf, Pikenstöße gaben ihr den Rest. Ihr Leichnam wurde auf empörende Weise verstümmelt. Eine der widerwärtigsten Fratzen war ein gewisser Corcoret, der mit seinem christlichen Vornamen Jean Pierre hieß, sich selbst aber Marius getauft hatte, – ein Mensch von unscheinbarer Gestalt, dazu hinkend und einäugig. Dieser riß dem noch zuckenden Leichnam das Herz aus der Brust und biß mit satanischer Wuth hinein, daß ihm das rauchende Blut über das Kinn auf die Jacke niederrann. Man steckte den Kopf auf eine Pike und zog damit zum Temple, wo die Königin gefangen saß. ›Man will dir den Kopf der Lamballe verbergen,‹ rief Einer der Königin zu, ›aber du sollst ihn sehen und gewahr werden, wie das Volk sich an den Tyrannen rächt.‹ Im Seminar Saint-Firmin saßen die gefangenen Priester bei ihrem elenden Abendbrod am Tische, als die Würger dort eindrangen. Mit den Worten: ›Aha! diese Herren diniren, da soll ihnen auch gleich der Caffee verabreicht werden!‹ ergriff man einen der Priester und schleuderte ihn durch das Fenster; er brach das Genick. Die Uebrigen wurden in den Hof hinabgeschleppt und dort niedergemacht. Während die Einen die Leichname plünderten, verlangten die Andern den Lohn für ihre ›Arbeit‹ vom Ausschuß, und als dieser nicht sofort bezahlte, deuteten die Henker drohend auf das Fenster, durch welches man den Priester hinausgestürzt hatte. Nicht Alle wurden gleichmäßig bezahlt; die Taxe stieg von 5, 10, 12 bis zu 24 Francs pro Mann. Sobald Einer sein Geld in Händen hatte, lief er zu einer nahen Weinwirthschaft, um sich zu restauriren. Der Generalrath der Commune bewilligte einen Credit von 12,000 Franken, ›für das Heil des Vaterlandes anzuwenden‹; es wurden die Mörder davon bezahlt.

»Es ist nicht selten der Fall vorgekommen, daß die Gattinnen, Kinder oder Verwandten der Gefangenen diese aufsuchten, um mit ihnen zu sterben.

»In Bicêtre, dem Aufbewahrungsorte für Vagabunden, wurden die anwesenden 411 Eingesperrten ermordet. Ebenso 43 junge Burschen von zwölf bis siebenzehn Jahren, welche von ihren Eltern oder Erziehern zur Besserung dorthin gethan waren.

»Die Schlächtereien dauerten bis in die Nacht vom 6. auf den 7. September. Die Zahl der Ermordeten betrug beiläufig anderthalb tausend, jene mit eingerechnet, welche in Lyon, Rheims, Charleville und im Burgundischen niedergemetzelt wurden. Der Pariser Stadtrath hatte einige Deputirte abgeschickt, ›um die Leidenschaftlichkeit derjenigen zu zähmen, welche in Verirrungen gefallen sein könnten‹. Ueber den Erfolg dieser Scheinmaßregel berichtete Lacroix in der Nationalversammlung: ›Die Deputirten fanden überall nur einen gehobenen Patriotismus; sie vernahmen überall die Rufe: »Es lebe die Nation!« und überall begegneten sie Zeichen von Anhänglichkeit an die Nationalversammlung.‹ Der Sicherheitsausschuß wandte später alles auf, um die Spuren der Schlächtereien rasch zu beseitigen; die Leichen wurden vor der Stadt in tiefen Gruben verscharrt; das Blut in den Gefängnissen wurde mittels Wasser und Essig weggescheuert und der Boden mit Sand bestreut+...«

So weit hatte der Pfarrer erzählt, ohne von seinen Zuhörern unterbrochen zu werden, als nach flüchtigem Klopfen die Thüre geöffnet wurde und ein Mann hereintrat, dessen wirrer Blick und unsicherer hastiger Gang eine heftige innere Aufregung verriethen. Der Mann stand schon in vorgerückterm Alter. Er trug, nach der Sitte jener Zeit, aufgerolltes Kopfhaar, welches jedoch nicht – wie dasjenige des Marquis – gepudert war. Die Kleidung war höchst einfach und von oben bis unten braun, was zu der ganzen Figur, die sich durch nichts als einen freimüthigen und wohlwollenden Ausdruck im Gesichte von gewöhnlichen Menschen unterschied, recht gut paßte.

»Nun, Vincenz,« redete der Marquis seinen Verwalter an, »was bringst du? Nichts Gutes, wie ich aus deinem Gesichte zu lesen glaube.«

»Nein, Herr Marquis, leider nichts Gutes – aus der Gegend bläst der Wind jetzo nicht. Sehen Sie hier, dies Circular wird im Dorfe und in der ganzen Umgegend verbreitet. O, es sind böse Zeiten!«

Damit überreichte er dem Marquis ein Blatt Papier, welches einen Regierungserlaß enthielt und von den Mitgliedern des Sicherheitsausschusses: Panis, Sergent und Marat unterzeichnet war. Wir heben daraus folgende Stelle hervor: »Die Commune von Paris beeilt sich, ihre Brüder in allen Departements zu benachrichtigen, daß ein Theil der wilden Verschwörer, welche sich in den Gefängnissen befanden, von dem Volke getödtet worden sind, – Acte der Gerechtigkeit, welche ihm unumgänglich nothwendig schienen, um Schaaren heimlich in ihren Mauern verborgener Verräther durch den Schrecken zurückzuhalten in dem Augenblicke, wo das Volk gegen den Feind marschiren will. Ohne Zweifel wird die ganze Nation nach der langen Reihenfolge von Verräthereien, welche sie bis an den Rand des Verderbens gebracht haben, sich beeilen, dieses für das öffentliche Wohl so nothwendige Verfahren gutzuheißen, und alle Franzosen werden ausrufen wie die Pariser: Lasset uns gegen den Feind marschiren; aber lassen wir daheim keine Briganten zurück, die unsere Frauen und Kinder erwürgen!«

»Also auch auf dem Lande, in ganz Frankreich sollen die Schlächtereien beginnen!« rief der Marquis aus.

»Die Herren in Paris täuschen sich, wenn sie glauben, die Bevölkerung werde sich zu solchen Schandthaten hergeben,« bemerkte Lecomtois. »Es hieße die französische Nation beleidigen, wollte man ihr jene scheußlichen Verbrechen zur Last legen, die nur das Werk einiger hundert Elenden waren. Das eigentliche Volk, der ehrsame Arbeiterstand, die Jugend des mittlern und höhern Bürgerthums hat sich nirgend unter die Würgerrotten Maillards gemischt; sie lassen sich einschreiben, um zur Rettung des bedrängten Vaterlandes an die Grenzen zu eilen!«

»So ist es,« bestätigte der Dechant. »Zu einer Zeit, wie diese, wo es kein Recht und kein Gewissen mehr gibt, ist wohl der Muth des redlichen Bürgers vor Schreck gelähmt, aber mißbrauchen läßt er sich nicht. Was geschehen ist in dem neuen Babel, das wollen wir bedauern, aber auf dem Lande sind wir ohne Gefahr.«

»Gott gebe uns bald bessere Zeiten!« seufzte der alte Vincenz und ging. Erst als die Gäste das Schloß verlassen hatten, begab er sich nochmals zu dem Marquis. »Ich mocht' es Ihnen vorhin nicht sagen, Herr Marquis,« begann er; »aber ich fürchte, daß dieses Circular unserm neuen Pfarrer denn doch verhängnißvoll werden kann, wenn es auch hundert andere in der Provinz ungeschoren läßt.«

»Offen gestanden, fürchte ich dasselbe,« entgegnete der Marquis. »Aber kommt Zeit, kommt Rath.«

Vincenz zuckte die Achseln.


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