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Achtes Kapitel.
Mia Stern

Benno Stern nahm mich eines Tages mit in seine elterliche Wohnung, sehr gegen meine Überzeugung, aber doch nach meinem Wunsch. Seine Familie saß beim Nachmittagstee, und der Vater gab mir freundlich die Hand und hieß mich willkommen; er tat es ganz selbstverständlicherweise, als gäbe es nichts Natürlicheres, als daß sein Sohn mich mitbrachte. Ich war da – gut. Das gefiel mir. Auch stellte er nicht die tausend lästigen Fragen an mich, mit denen die Erwachsenen uns sonst quälten. Er tat durchaus nicht so, als ob er es gut meinte, sondern er meinte es gut. Auch das gefiel mir, und meine heimliche Achtung vor Benno Stern wuchs. Solch einen Vater zu haben, Donnerwetter.

Dieser Vater hatte eine Nase, die in Gefahr war, einzuwachsen, wie es die Nägel am großen Zeh bisweilen tun. Sie krümmte sich, sonderbar tief in die Wangen gebettet, auf die Oberlippe zu, so daß das Niesen Rückschläge geben mußte, wuchs aber nicht ein. Daß ein Kneifer aus Gold darauf standhielt, war merkwürdig.

Er sagte zu mir durch diese Nase:

»Dies ist meine liebe Frau und hier meine kleine Mia, behandele sie freundlich, dann bist du uns ein willkommener Gast.«

Es kam mir überhaupt während der Mahlzeit so vor, als ob dieser Herr in der Welt nur seine Frau und seine zwei Kinder besäße, er antwortete jedesmal, wenn sie fragten, und ging auf alles ein, was sie vorbrachten, ja es schien mir, als lauschte er geradezu auf ihre Wünsche und wäre betrübt gewesen, wenn sie nichts von ihm gefordert hätten. Es war aber keinesfalls so, daß er nur sie besaß, denn die Wohnung bot sich sehr reich und vornehm dar, viel besser eingerichtet als die unsere. Das Büfett roch unglaublich gut, es strömte eine Atmosphäre aus, die mich geradezu verzauberte; überall standen zudem Schalen mit Kostbarkeiten umher, in der einen befanden sich Pralinen in bunten Metallpapieren und auch solche, bei denen man die Schokolade sehen konnte. In einer anderen Schale prangten Obstsorten, die ich nicht kannte, sicherlich unglaublich teuer. Man sah offene Likörflaschen mit geschliffenen Glasstöpseln einfach so umherstehen, jedermann zugänglich, und Zigarrenkisten, gehäuft wie Ziegelsteine, unverschlossen und frei standen sie da. Offenbar stahlen oder naschten Mia und Benno nie. Ich starrte sie an.

Frau Stern trug ein Kleid aus schwarzer Seide, das ihr auf so sonderbare Art paßte, daß man hätte glauben können, sie sei darin aufgewachsen und das Kleid mit ihr. Auch sie roch anders als meine Mutter. Es war das erstemal, daß ich zu »fremden Leuten« kam, und wenn ich heute daran zurückdenke, weiß ich noch deutlich, daß ich alles dort gewissermaßen, ungewollt und hilflos, zuerst mit der Nase wahrnahm. Frau Stern betrachtete mich gutwillig, ich glaube, sie verstand mein Erstaunen richtig, denn als wir uns vom Tisch erhoben, führte sie mich an das riesige Büfett, das wie ein glitzerndes Stadttor wirkte, öffnete es unten, kniete nieder und gab mir ein sonderbares Konfekt aus einer bunten Blechdose mit einem wilden Drachen darauf, die ich noch lieber gehabt hätte. Ich zögerte, denn ich glaubte, diese geheimnisvolle Gabe könnte Gift enthalten, dann schämte ich mich und nahm es zu rasch, so daß die Dame lächelte. Ihr Lächeln war traurig.

Es gab damals nur wenig jüdische Familien in meiner Heimatsstadt; nach der Anzahl der Schüler zu schließen, die bei uns in der Religionsstunde »fehlten«, hatten wir nur zwei Knaben jüdischer Rasse und Konfession in unserer Klasse, es ist aber auch möglich, daß der andere ein Katholik war. Beide Bekenntnisse galten als gleich verabscheuenswert, es herrschten viele Vorurteile in der bürgerlichen Gesellschaft, die um so starrer und törichter waren, als sich auch nicht ein Schatten wirklicher Kenntnis des Verfemten mit ihnen verband. Ich fragte oft, Benno Sterns wegen, erhielt aber niemals eine Antwort, die mich befriedigte, nur das Verbot, mit diesem Jungen zu verkehren, aber das schadete nichts.

Wir durften dann völlig ungehindert und allein in Bennos Zimmer gehen, Mia begleitete uns, und ich bekam alles zu sehen, was Benno besaß und was er trieb. Ich staunte über seine Bücherschränke. Er hatte mehr Bücher als meine beiden Eltern zusammen, ein Schreibpult mit Schlüssel und Turngeräte, einen Abreißkalender, nur für ihn bestimmt, und einen Globus.

Er schien sich ein wenig darüber zu wundern, daß meine Aufmerksamkeit immer von dem abschweifte, was er mir gerade zur Beachtung bot, er begriff nicht, daß die Dinge seines Raums, seine Reichtümer und die Vorzüge seines jungen Lebens mir nicht selbstverständlich waren, wie ihm. Jetzt fiel mir auch ein, daß er immer Taschengeld hatte ... mein Gott ...

Aber natürlich, wie sollte es auch anders sein, besaß er nicht alles, wofür wir, Anni und ich, mühsam die spärlichen Groschen zusammenhielten oder rasch und endgültig ausgeben mußten? Ich beneidete ihn, ließ es aber nicht merken und tat recht gleichgültig.

Er zeigte sich darüber nicht verletzt, im Gegenteil, er sah mich oft so rätselhaft an, als habe er und nicht ich Grund zum Neid.

»Deine Briefmarken«, sagte er, »habe ich sehr gut verkauft, ich besaß sie schon in meiner Sammlung, deshalb gab ich sie weiter. Nimm doch die Hälfte des Geldes.« Er hielt mir – aus der Westentasche genommen! – ein Dreimarkstück hin.

»Nein«, sagte ich erschrocken, »ich will nicht.«

»Wieso? Bist du toll? Es ist auch nur, falls du wieder Marken bringen kannst ...«

Das überzeugte. Man muß an seine Zukunft denken. Ich nahm das Geld an und schob es, unter Mißachtung meiner kleinen Börse, in die Westentasche. Das war der Ort für Geldsummen.

Alles kam mir sehr sonderbar vor. Aus Unsicherheit wurde ich ein wenig laut, sicherlich hat grob geklungen, was ich vorbrachte, ich weiß nicht mehr was. Da kam Mia aus ihrem Winkel, wo sie still und bescheiden gehockt und zu uns herübergeschaut hatte, und nahm schüchtern meine Hand, das heißt, eigentlich legte sie nur die ihre auf die meine, ich weiß es noch genau. Ich fühlte, wie ich rot wurde, fand aber nicht den gewohnten Aufwand von Frechheit, der mir sonst rasch zu Gebote stand, wenn ich mich durch diese törichte Erscheinung des Errötens für verraten oder durchschaut hielt.

»Liest du gern Bücher?« fragte sie mich. Sie nahm die Hand fort. Ihre Stimme klang sonderbar tief, und ich sah auf ihre Hand neben der meinen am Tischrand. Sie war gelblich, aber nicht mager.

»Ja«, antwortete ich, »Karl May.«

»Ach Gott«, sagte sie, tastete dann besorgt und vorsichtig nach dem rechten Einwand und meinte:

»Es gibt schönere Bücher.«

»Hast du welche?«

Ich fragte nur aus Höflichkeit. Als ob Karl May zu übertreffen sei! Sie war dumm oder wollte sich aufspielen. Sogar mein Vater las Karl May. Wenn ich ins Zimmer kam, deckte er die Zeitung über das Buch, denn er hatte es mir verboten und weggenommen.

Mir kam es plötzlich so vor, als sei Mia viel älter als wir, obgleich sie mir kaum ein paar Monate voraus sein konnte, auch war sie kleiner als ich und zart von Figur. Gottlob kam mir der »Trojanische Krieg« in den Sinn, und ich nannte ihn als ein Buch, das mir gehörte.

Mia nickte.

»Ich gebe dir ein Märchenbuch«, sagte sie, »es wird dir gefallen.«

Das kränkte und enttäuschte mich sehr. Märchen? Jetzt noch? Und noch dazu von einem Mädchen empfohlen und ausgeliehen. Ich hielt damals nicht viel von Mädchen und Märchen.

»Willst du mit in mein Zimmer kommen?«

Ja, ich wollte. »Hast du auch ein eigenes Zimmer?« fragte ich.

»Ich schlafe mit unserer Nurse zusammen.«

Ich tat, als wüßte ich, was eine Nurse ist, und fand es in Ordnung, daß sie mit ihr zusammen schlief.

Mia hatte wahrhaftig noch mehr Bücher als ihr Bruder. Wenn ich nur gewußt hätte, was eine Nurse sein könnte. Es stand ein prachtvolles Bett neben Mias, mit Spitzen und einer Steppdecke aus roter Seide. Mein Gott, diese Nursen!

»Darfst du denn wirklich das Buch ausleihen?« fragte ich zweifelnd und zögernd, als sie mir einen dicken Band in buntem Umschlag aus ihrem Schrank hob.

»Aber ja doch«, sagte sie und lachte, »es gehört doch mir.«

Es konnten einem also Dinge völlig zu eigen gehören, die nicht mehr unter der Kontrolle der Erwachsenen standen. Jetzt sah sie mich an, und ihr Lächeln verging sonderbar langsam, als nähmen allerlei Gedanken es nach und nach aus ihrem Gesicht. Das machte ihren Ausdruck so geduldig, voller Teilnahme und liebreich. Irgend etwas traf mein Herz in schrecklicher Tiefe.

Ich nahm das Buch hastig und wollte nun gehen, ganz ohne Grund so plötzlich und verwirrt von Angst und Freude. Benno begleitete mich ein Stück Wegs.

»Was hat sie dir denn gegeben?« fragte er beiläufig. Er war offenbar etwas verlegen, da er meinen Zustand fühlte, ohne ihn zu begreifen.

Ich sah nach. Es waren Andersens Märchen. –

Als ich zu Hause anlangte, polterte mein betroffenes Herz vor Anni den Triumph und die Angst des Erlebnisses heraus, damit ich wieder zu Kräften käme:

»Keine Ahnung hast du! Das sind Leute. Ich habe jetzt Mia Stern kennengelernt, ich sage dir, das ist ein Mädchen! Einfach fabelhaft. Auch einen Briefmarkenhandel werde ich anfangen. Ich glaube, ich brauche dich jetzt kaum noch.«

»Na, sachte ...«, sagte Anni.

*

Nun ging ich oft zu Benno Stern, die Atmosphäre seines Elternhauses hob mich aus den Bereichen der eigenen Sippe, ohne daß ich mich, wie sonst, auf die Gasse angewiesen sah. Ich kreiste zuvor allzu eingeschlossen in den Bezirken der elterlichen Anschauungen und der Lebensgewohnheiten der Verwandten. Nun erlebte ich, daß man fremd und verachtet sein konnte wie diese Sterns, und doch liebenswert und geschickt zu einem vernünftigen Leben. Ich fragte meine Mutter, ob ich Benno mit zu uns bringen dürfte, er sollte meine Tiere sehen. Sie erlaubte es ohne Einwand, richtete es aber so ein, daß mein Vater abwesend war, als Benno kam.

Ich weiß, er ist einmal bei uns gewesen, viel habe ich von diesem Besuch nicht mehr im Sinn, wir standen ziemlich ratlos vor dem Meerschweinchenstall, und vor meinen Schlangen zeigte Benno Abscheu. Seine blanken, müden Augen und diese Seele ohne Überraschungen nahmen den Dingen meines Lebens viel an Reiz. Er war sicherlich auch bei uns schon einmal gewesen und hatte Meerschweine gesehen, in Urzeiten ...

Mia kam mir ähnlich vor wie er, so wie sie mir anfänglich im klaren aber ungewissen Spiegel meiner Augen erschien und im unerhellten Lebensbereich meiner geringen Erfahrung. Jedoch ihr Wesen bewegte sich und wuchs anders, und ich liebte sie sehr. Sie ist das erste fremde Geschöpf gewesen, das sich meiner um meiner selbst willen angenommen hat, ohne den Versuch zu machen, mich zu zwingen, zu knechten oder zu quälen; sie setzte eine Seite meiner Natur und meines Wesens voraus, deren Existenz andere nicht einmal für möglich hielten.

»Liebst du die Musik?« fragte sie mich einmal.

Ich schämte mich furchtbar. Wer fragte denn so was? Bei uns zu Hause spielte nur Anni Klavier, und mein Vater spottete darüber. Was gab es da zu lieben?

Mia nahm mich mit in ein Konzert, die schmalen bläulichen Eintrittskarten brachte sie für uns beide mit, es tat mir leid, daß wir sie nicht behalten konnten, am Eingang zum Saal wurden sie uns abgenommen. Ich war den heiligen Überfällen aus diesen tönenden, farbigen Lichtwelten der Seele nicht gewachsen, und Mia mußte mich hinausführen. Sie schüttelte den Kopf, setzte mir draußen im Gang die Schülermütze auf und half mir in den Mantel. Auf der mit einem roten Läufer belegten Steintreppe, die zur Straße niederführte und auf der wir allein hinabschritten, küßte sie mich. Vom Saal her rauschte es süß, gemessen und herrlich.

»Was ist nur mit dir?« sagte sie langsam und leise, wie zu sich selbst, und sah mich an, als wäre ich nicht ich.

Ich fragte sie rasch, ob der Teppich aus Samt wäre. Sie nickte und lächelte, aber ich merkte, das Nicken galt nicht meiner Frage. –

Nicht nur in dieser Stunde, sondern immer, wenn ich sie sah oder an sie denken mußte, erschien Mia mir fremdartig, besonders und unerreichbar, wie die japanischen Lackkästchen in Tante Eukaresties Eckschrank. Ich hätte niemals gewagt, diese schwarzen, heiligen Schatullen dazu zu verwenden, etwa meine Mehlwürmer oder Maikäfer darin unterzubringen, dazu waren die leergewordenen Zigarrenkisten meines Vaters gut. Ähnlich erging es mir mit meinen spärlich überwachten und kaum erkannten inneren Habseligkeiten dieser dunklen Kinderseele gegenüber, die, wie in einem schmerzreichen Traum, wie auf der Suche nach dem Messias, durch meine Knabentage gegangen ist. Oft sah sie mich lange und schweigend an, mit Augen, so alt wie die Welt und glänzend wie stille, schwarze Edelsteine, faßte so sacht, als fröre sie dabei, mein Haar an, das mir selbst abscheulich vorkam, und lächelte wie meine Mutter, nur viel trauriger. Immer hatte ich das beschämende Gefühl, als priese sie mich glücklich, aber sie sagte niemals ein Wort, aus dem ich es mit Berechtigung hätte schließen können.

Wahrhaft lieb gewann ich sie erst durch ein späteres Ereignis, es muß im Sommer gewesen sein, denn das unvergeßliche Bild ihrer Erscheinung ist gegen den Hintergrund des Meeres gelegt, in dem wir badeten. Es war stürmisch und heiß, die großen Wogen rauschten hell und laut im Sonnenschein auf den Strand. Außerhalb des Hafens gab es bescheidene kleine Badeorte, eigentlich wohl nur Fischerdörfer, aber eines von ihnen besaß ein Kurhotel, heute würde man es einen bescheidenen Gasthof nennen. Dort wohnten Mias Eltern in den Ferien, während wir nur zum Baden mit den Hafendampfern hinausfahren durften, die uns abends wieder in die Stadt zurückbrachten. Wir setzten uns aus einer ungehaltenen Schar zusammen, Guschi Wrange befand sich unter uns, auch Anni und eine Menge Buben. Wir tummelten uns im Wasser, ausgelassen, in wilde Seekämpfe verstrickt und zu hochgestimmten Taten aufgelegt.

Mia kam in ihrem Badeanzug aus dem Garten des Kurhotels und legte sich am Strand auf eine Sandbank, sie sah schüchtern und begehrlich, aber deutlich zweiflerisch unserem Spiel zu und schien sich nicht in unsere Gesellschaft zu trauen. Als sie vorsichtig ein wenig ins Wasser ging, nicht weiter als bis an ihre Knie, flog ich ihr stolz und stürmisch im flachen Wasser entgegen, erfreut über eine gute Gelegenheit, mich vor ihr in einem Element erweisen zu können, das schließlich doch mehr bedeutete als Bücher und Musik.

Sie wollte zum Strand zurück, fürchtete sich aber für ängstlich oder gar für feige gehalten zu werden, und blieb stehen.

»Komm, Mia, wir schwimmen, gib mir die Hand! Jetzt kommt eine große Welle, los!«

»Ich kann nicht gut schwimmen«, sagte sie, ging aber einen Schritt mit mir voran, so langsam, daß ich sie zog. Die große Welle kam und überspülte uns bis an die Schultern. Mia hielt sich an meinem Arm, so fest, daß es mich schmerzte, zitterte und lächelte mich an. Das war das große Erlebnis meiner Liebe zu ihr, man braucht es nicht zu glauben. Als ob Angst etwas Süßes und unsagbar Zärtliches sein könnte – wer weiß davon? Der Ausdruck ihres Gesichts war so hilflos und flehend, ihr entschuldigendes Lächeln voll tiefen Vertrauens zu mir, daß ich sie nicht quälen oder zwingen würde.

Guschi Wrange hatte uns entdeckt und tobte mit Geheul und Rauschen im Wasser heran, der Dicke, als schleppte er den Rheinfall von Schaffhausen mit sich.

»Tauch sie unter!« brüllte er.

Ich merkte, hier gab es nichts zu reden, denn die anderen konnten auch noch dazukommen, holte weit aus und traf ihn entschlossen und richtig, obgleich er stärker war als ich. Seine Nase blutete. Er war so verblüfft, daß er uns gehen ließ. Er wäre bestimmt mein Feind geworden, wenn er nicht zu gutmütig dazu gewesen wäre. –

Wie es mit Mia und mir zu Ende kam? Da zeigte sich allmählich ein Herr, der Teufel weiß, woher er kam. Ich traf ihn in Mias Elternhaus, vielleicht wirkte er dort als Hauslehrer, vielleicht als ein Freund der Familie. Er war semmelblond, klein und dicklich und hatte große runde, hellbraune Augen, wie Nüsse. Sein Charakter war ähnlich.

Wenn seine großohrige Freundlichkeit uns überlächelte, faßte mich ein furchtbarer Zorn. Er benahm sich überlegen und voller gunstbeflissener Geschmeidigkeit wie ein Herrgott aus Marzipan, und tänzelte anstatt zu gehen. An seinen Arm schmiegte Mia eines schrecklichen Tages ihr Gesicht. Ich wollte in der Welt von jetzt ab niemanden mehr lieben und ging zu Anni.

Benno verlor ich aus den Augen, denn er durcheilte die Schulklassen etwa doppelt so rasch als ich. Nach diesem Triumphzug seiner Kindheit und Jugend ist er verschollen. Immer wieder in meinem späteren Leben habe ich gedacht und gehofft, er möchte eines Tages im Glanz einer großen Geistesleistung, weithin sichtbar aller Welt, auftauchen. Es geschah nicht, und ich denke zuweilen noch an einen kleinen Streit zwischen uns, in dem er mich damals empört und traurig einen Barbaren nannte. Ich nahm es ihm nicht übel, es klang so sonderbar und prüfend, als wäre es, bei aller Abwehr, Bennos Verlangen gewesen, ein Barbar zu sein.


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