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Es wird ernst.

Nach der Vesper des folgenden Sonntages war die Straße nach dem alten Hause ungewöhnlich belebt. Noch während des Gottesdienstes stiegen Reiter aus Siebelfingen und angrenzenden Orten im Hofe von stolzen Rossen. Dann kam der Gutsherr aus der Kirche, von einem Haufen schwarzer Männer umgeben, den Angesehensten des Dorfes. Grüße und Händedrücke wechselten. Der Landwirth erschien sehr aufgeräumt, seine Spässe weckten schallendes Lachen, und die Schwarzen blickten anhänglich auf den hochragenden Häuptling.

Nach dem großen Saale des Oberstockes trugen Mägde und Knechte, weiße Schürzen umgebunden, kalte Speisen nebst zahllosen Flaschen ungallisirten Weines. Die Gäste saßen um lange Tische, zwischen das Gerassel arbeitender Gabeln und Messer fielen maßvolle Reden, und als der Wein die Zungen löste, begann heiteres Geplauder. Sogar die Herzen öffnete der Weingeist, und kaum war dies geschehen, als die Schulfrage herrschend durch die Versammlung dahin schritt. Zuweilen rastete sie ausschließlich bei einem Gaste, dieser berichtete den Lauf des Streites in seinem Dorfe und alle Uebrigen hörten zu. Und oft gab es bedeutende Ausrufungen des Erstaunens und der Entrüstung, sogar Zornesflammen brannten in den Augen mancher Schwarzen.

»Horcht,« rief ein kleiner runder Mann, »ich will Euch erzählen, wie's bei uns herging, als der Ortsschulrath sollte gewählt werden. Durch die Schelle wurde bekannt gemacht, alle Bürger sollten zusammenkommen auf dem Gemeindehaus, um den Schulrath zu wählen. Es kam aber kein Bürger, nicht ein einziger. Da bestellte das Bezirksamt eine zweite Wahl. Wieder wurde ausgeschellt. Es war aber, wie das erste Mal, es erschien kein einziger Bürger. Nun war's lange still. Auf einmal wurden drei Bürger vor's Amt geladen, nämlich ein Kaufmann, ein Accisor und ein Bauer. Als die drei vor den Amtmann kamen, sagte dieser: »Ihr müßt Ortsschulräthe werden und Euch verpflichten lassen.« – Der Bauer sagte: »Ich will's nicht werden.« Auch der Accisor wehrte sich, durfte aber dem Amtmann nicht hart vor den Kopf stoßen. Nur der Kaufmann, ein Deutschkatholik und ehemaliger Hecker, nahm den Antrag an. Ueber die zwei Anderen wurde der Amtmann zornig und rief: »Ich weiß nicht, was Ihr wollt! Im ganzen Bezirk hab' ich jetzt Alles in Ordnung, nur Ihr wollt Euch nicht überzeugen lassen. Wenn Ihr widerspenstig seid, strafe ich Euch, bis es genug ist.«

»Herr Amtmann,« sagte darauf der Kaufmann, »unsere Leute haben jetzt schon eine ganz andere Gesinnung. Wäre heute noch einmal Wahl, die Bürger würden gewiß wählen.«

»Ist's wahr? Glaubt Ihr das?« fragt der Amtmann die zwei Anderen. Diese stellten es nicht in Abred', weil sie hofften, so davon zu kommen ohne Schulamt.«

»Wenn das so ist,« sagte der Amtmann, »will ich noch eine Wahl anordnen.«

»Wieder schellt es die Wahl aus und wieder kommt Niemand, sogar der deutschkatholische Kaufmann nicht, weil er verreist war. Jetzt wurde der Amtmann wüthig. Neuerdings ließ er drei Bürger kommen, schimpfte ganz entsetzlich und sagte am End', sie müßten Ortsschulräthe werden und sich gleich verpflichten lassen. Als aber die drei nicht wollten, da wurde Jeder um vierzig Gulden gestraft.«

»Ein End' muß werden bei Euch,« schrie der Amtmann. »Nehmt Ihr nicht an, habt Ihr an vierzig Gulden nicht genug, dann kommt's noch dicker.«

»So, Ihr Männer,« schloß der kleine Runde, »wurden bei uns Ortsschulräthe gemacht.«

»Das ist doch merkwürdig,« sagte Mühsam. »Sonst hätte Mancher gern ein Amt, und jetzt müssen die Leute gestraft werden, damit sie so ein Amt annehmen. Aber das sag' ich Euch, unser Bürgermeister gäb' sein Schulamt nicht her um tausend Gulden.«

Die Schwarzen lachten.

Levi, der Makler, ging auffallend häufig am alten Hause vorüber. Kam er zur Stelle, wo die Fenster des Saales offen standen, so kroch er, wie eine Schnecke, blieb stehen und lauschte.

Die Unterhaltung der Schwarzen wurde lauter und bewegter. Es schlug an ein Glas, der Hausherr stand aufgerichtet, und alle glühenden Gesichter wandten sich nach ihm.

»Meine lieben Gäste! Ich habe mir die Ehre genommen, Euch zu einem Glase Wein einzuladen und danke herzlich, daß Ihr alle meiner Einladung gefolgt seid. Gleichgesinnte müssen zusammen kommen, Meinungen und Ansichten austauschen. Die katholische Ueberzeugung aber muß einen festen Kitt bilden zu einem durchgreifenden Ganzen; denn Einigkeit macht stark. Wir alle aber sind darin einig, daß die neue Schulreform erfunden ist von den Freimaurern, um die Jugend zu verderben. Die Schule wird der Leitung unserer Geistlichen entrissen, damit Juden, Ungläubige und Neuheiden ihren schlechten Geist in die Schulen einführen können. Dagegen müssen wir protestiren! Wir wollen eine christliche Erziehung für unsere Kinder, so wie auch wir erzogen worden sind. Sodann ist das neue Schulgesetz ein himmelschreiender Eingriff in unsere elterlichen Rechte. Die Kinder sind unser Fleisch und Blut. Wir haben, nächst Gott, auf unsere Kinder das erste Recht. Das neue Schulgesetz aber raubt unsere leiblichen Kinder und verfährt mit ihnen, als ob sie Eigenthum des Staates wären. Das ist Tyrannei, das ist grenzenlose Gewaltthat, – und auch dagegen müssen wir protestiren. – Oder habe ich unrecht?«

»Nein, – nein, so ist's!« erscholl es kräftig von allen Seiten.

»Wohlan, Freunde!« rief Schröter. »Unser Protest muß so laut werden, daß man ihn hört im Schlosse zu Carlsruhe. Der Protest muß so allgemein werden, daß alle wahren Katholiken im ganzen Lande sich daran betheiligen. Machen wir also an den Großherzog eine Adresse, das ist eine Schrift, worin wir durch Namensunterschrift erklären, daß wir mit dem neuen Schulgesetz nicht einverstanden sind. Lassen wir den Großherzog erfahren, daß wir unsere Kinder christlich wollen erzogen haben, und zwar unter der Leitung unserer Kirche, nicht aber unter der Leitung von Freimaurern und Juden. – Ist Euch das recht?«

»Ja, – jawohl, – eine Adresse!« riefen Alle.

Levi, der Makler, hatte jedes Wort der Ansprache vernommen; jetzt lief er mit seiner Beute nach der Villa. Eilig trat er vor den Millionär.

»Neuigkeiten, Herr Blendung, große Neuigkeiten! Die Schwarzen sind alle beisammen im alten Haus, und nicht allein die Schwarzen aus Waldhofen, auch noch Viele aus umliegenden Orten.«

Der Hochmögende fuhr auf, Erstaunen im zuckenden Gesichte.

»Was gibt es denn?« frug er mit erzwungener Ruhe.

»Eine Adresse, Herr Blendung, eine Adresse an den Großherzog,« – und der Jude wiederholte ziemlich genau Schröters Rede.

Blendung sagte kein Wort. Er stand auf, schritt nachdenkend durch das Zimmer und sein Gesicht wurde finster.

»Wie ist sonst die Gesinnung im Dorfe?« frug er jetzt.

»Wie umgewandelt, Herr Blendung! Erst noch schimpften die Meisten nur im Geheimen gegen das Schulgesetz, sie machten die Faust im Sack. Viele von den Schwarzen waren sogar halbroth geworden, seitdem Schröter nachgelassen, zu schüren. Jetzt aber sind Alle wieder pechschwarz, weil Schröter mit einem Male wieder zu hetzen anfing. Gegen Mayer Hirsch wird schrecklich gemault, der ein Jude sei, in christliche Schulen hinein regieren wolle, das Verscheidläuten abgeschafft habe und am Ende das Christenthum gänzlich aus den Schulen treibe.«

»Und die Rothen?«

»Nun, Herr Blendung, die Rothen sind wenige und – wenig! Fast lauter abhängige Leute vom Bürgermeister und von Ihnen, Herr Blendung, – Leute, die Ihnen Geld schuldig sind. Weiß Gott, auch von den Rothen sind Viele inwendig schwarz.«

»Ihr kennt Alle, die von mir Darleihen haben. Gehen von diesen zu den Schwarzen über, so meldet es mir. – Sagt dem Herrn Bürgermeister, er möge heute Abend mich besuchen.«

Der Jude empfing knixend blanken Lohn für die Kunde und schlich hinaus.

»Ha, – meine Befürchtung, – Adressen!« stieß Blendung hervor, aber so leise und heftig, daß die Laute dem Zischen der Schlange glichen. »Frißt die Bewegung weiter, – gibt es einen Adressensturm, – dann wirds gefährlich!«

Er schwieg. Sein Geist umschwebte prüfend die höchsten Regionen, ob etwa dorthin der Schmerzensschrei unterdrückter katholischer Ueberzeugung bewegend dringen möchte.

Im Vorzimmer klangen rasche Tritte, Ferdinand erschien geräuschvoll, im Costüm reicher Bauernbursche. Auf dem Kopfe ein brauner Hut mit einem Tannenzweig. Den städtischen Moderock hatte ein hechtgrauer Joppen mit grünem Kragen und Knöpfen mit Hirsch-, Wildschwein- und Hundeknöpfen verdrängt. Die goldene Uhrkette war verschwunden und an deren Stelle eine kräftige silberne Kette gehängt. Die Beinkleider waren von starkem Zeug und die Stiefeln nicht weniger, als modisch. Lächelnd stand er vor dem erstaunt aufsehenden Vater.

»Wozu diese Maskerade?« frug unwillig der Hochmögende.

»Zur Behauptung meiner ländlichen Stellung! Du siehst da mein Missionsgewand, meine Bauernkutte, mein Jagdkleid auf Schwarzwild. Höre mich nur an, – die Idee ist gut, ausgezeichnet, meisterhaft, gewinnbringend, erobernd, siegreich. In diesem Jagdkleide, bewaffnet mit Bierfäßchen, mit Weinflaschen, mit Käsebrod und Cigarren, fange ich die ganze Burschenschaft von Waldhofen. Ich werde also eine Gesellschaft gründen unter der Firma – »Frohsinn«. Schauplatz des Frohsinns ist im Ochsen, Mitglied jeder muntere rothe Bursch. Präsident bin ich, und meine Pflicht, die ganze Burschenschaft zu speisen und zu tränken. Zweck des Frohsinns: Bildung, Aufklärung, Humanität zu verbreiten, zu fördern, – Abneigung und sittliche Entrüstung gegen die Feinde des Fortschrittes zu entzünden. – Nun, was spricht hiezu Deine väterliche Weisheit?«

»Der tolle Einfall ist wirklich gut, – fraglich aber, ob Du der gestellten Aufgabe gewachsen bist.«

»Gewachsen? Du unterschätzest Deinen Sohn! Erinnerst Du Dich noch jenes prächtigen, allgemeine Sensation erregenden Artikels im Journal, welcher berichtet von der schauderhaften Prügelei zwischen Pfarrer und Schulmeister in der Sakristei? Nun, – an dem Ganzen ist kein wahres Wort. Meine Erfindung, – die ich Nathan dem Weisen als Ente in die Tasche geschoben.«

»Was? Sieh' nur den Spitzbuben!« rief lachend der Vater.

»Mithin besitze ich ein bildendes, gewinnendes, erziehendes Talent, und das will ich glänzen lassen in Waldhofen. Sind nach zwei Monaten nicht alle hiesigen Bursche würdige Glieder meiner gebildeten, humanen Gesellschaft, dann sollst Du mich dazu verurtheilen, hier zu überwintern. So lange ich von mir selbst eine hohe Idee und in Waldhofen schreckliche Langweile habe, will ich im Geiste der Schulreform die erwachsene Jugend zum Zeitvertreib exerciren.«

Levi, ein Glied der Tafelrunde und aufrichtiger Feind des Gekreuzigten, hatte seinen Bericht über Versammlung und Absichten der Schwarzen in die Herrenstube des Ochsen getragen. Dort gab es bedeutende Aufregung, alle Rothen schimpften wacker gegen die Schwarzen.

»Schröter ist toll geworden,« rief Stephan, der Volksschullehrer. »Glaubt er denn, es werde sich eine starke Regierung durch Adressen einschüchtern lassen? Glaubt er, geisteskranke Anschauungen der Schwarzen in Waldhofen und Umgebung seien maßgebend für die öffentliche Meinung? Lächerlich! Das moderne Bewußtsein beklatscht die Schulreform, die Volksstimme begrüßt die Befreiung der Schule aus den Krallen einer ausgelebten Priesterreligion,« – und immer reicher strömten Phrasen und Schlagwörter aus dem Munde des Dünkelhaften.

Mohr lächelte höhnisch in sich hinein, und warf zuweilen Brennstoff in den Flammeneifer des verkommenen Schulmeisters.

Endlich erschien Knapper, weit die Thüre öffnend, die Meerschaumpfeife im Munde.

»Wo bleiben Sie, Herr Bürgermeister?« schallte es entgegen. »Wissen Sie schon, daß die Schwarzen beisammen sind? Wissen Sie, daß es eine Adresse gibt?«

Von allen Fragen behielt Knapper nur die erste: »Wo bleiben Sie?« Er stand steif, sah vornehm über die Versammelten, blies eine dicke Wolke über den Kreis und sprach:

»Ich komme vom Schlößchen, wo ich mit Blendung Einiges zu besprechen hatte.«

Achtungsvolle Stille. Es rückten die Stühle, und der Gast vom Schlößchen saß breit und aufgeblasen in der Runde.

»Haben Sie Kenntniß, Herr Bürgermeister, von der Conspiration gegen die Regierung im Hause Schröters?« frug listig der Einnehmer.

»Ich weiß Alles! Eben sprachen wir davon, – Blendung nämlich und ich. Laßt die Schwarzen nur machen, – Alles hilft nix. Nur müssen wir einig sein. Die Regierung soll erfahren, daß eigentlich nur Pfaffenknechte gegen die Schulreform sind, – jawohl! D'rum einig, – einig, – nur einig!«

»Ich dächte, es wäre angezeigt, eine Adresse für die Schulreform zu machen!« sagte Stephan.

»Angezeigt? Nix isch angezeigt!« widersprach Knapper. »Weiß schon, was ich zu thun hab'. Laß mir nix einreden.«

»Nichts für ungut, Herr Bürgermeister!« entschuldigte Stephan.

»Schon recht, – schon recht! Ich bin Borjemeeschter, hab' meine Instructionen. Adressen braucht's nit, das Schulgesetz isch da und bleibt da. Wer d'ran rührt, dem klopf' ich auf die Finger, – jawohl!«

»Ganz richtig, – wer die Gewalt hat, übt sie aus,« erklärte Mohr. »Die Schwarzen hätten sich ja nicht einmal versammeln dürfen ohne Deine Erlaubniß!«

Knapper rückte verlegen auf dem Sitze.

»Die hab' ich ihnen nit gegeben, weil sie mich nit d'rum gefragt haben.«

»Das ist doch stark,« sagte der Einnehmer. »Ich bin zwar Protestant, eure Sachen gehen mich nichts an. Wäre ich aber Bürgermeister, die schwarze Conspiration gegen die Regierung sollte auseinander laufen.«

»Hollah, Bürgermeister, d'rauf los, – das gibt einen Hauptspaß!« rief Mohr. »Treibe die Pfaffenknechte auseinander. Zeig' ihnen, wer die Gewalt hat!«

Knapper zwickten Amtsbewußtsein und Thatendrang in allen Gliedern.

»Brechen Sie ein, Herr Bürgermeister, in das Lager der Schwarzen, wie David in das Lager der Philister,« ermunterte Levi, der Jude. »Ich setze einen Kronenthaler gegen einen Kreuzer: die Schwarzen laufen vor Ihnen, wie die Madianiten vor Josue.«

»Halt's Maul, – das ist aus der Bibel!« fuhr Mohr den Juden an. »Bauchgrimmen krieg' ich vor jedem Bibelbrocken. Dieses abgestandene Zeug stinkt in den schönen Himmel der Aufklärung hinein. In die Kirch' geh' ich nimmer, damit ich von dem Gewäsch nichts mehr höre, – und jetzt werden gar Bibelbrocken auf den Wirthstisch geworfen? Gruben sollte man graben, tausend Klafter tief, und alle Bibeln, Kirchen Pfaffen da hinein stürzen, damit es einmal sauber wird auf der Welt.«

»Nu, – nu, – das wäre freilich radikal ausgefegt,« lobte der Jude. »Uebrigens habt Ihr ganz recht, Mohr! Nicht eher wird's schön, bis es so kommt, wie wir Anno acht und vierzig gesungen haben.«

»Wie habt Ihr damals gesungen?« frug der Einnehmer.

»Nu, – Herr Einnehmer, wissen Sie, jetzt sind andere Zeiten! Das Lied von damals gilt heut' nimmer.«

»Wer sagt das? Freilich gilt's noch,« rief Mohr, auf den Tisch schlagend. »Was wir damals gewollt haben, das wollen wir heute noch. Und was wir unter Heckers Anführung nicht erlangen konnten, das erreichen wir durch die siegende, fortschreitende Macht des Genius der Aufklärung. Anno acht und vierzig vertrieben wir den Großherzog, weil er dem Volkswillen nicht entsprach. Heute tragen wir den Großherzog auf den Händen, weil er dem Fortschritt huldigt und das Volkswohl anstrebt. Anno acht und vierzig war unser Bürgermeister Hauptmann, lehrte uns exerciren auf den Wiesen im Thal und führte uns gegen die verfluchten Preußen. Heute führt unser Bürgermeister abermals die Besten aus der Gemeinde gegen Pfaffentrug und Geistesknechtschaft. Damals kämpften wir unter Heckers Banner gegen Fürstentyrannei und entmenschte Söldlinge der Fürsten, – heute kämpfen wir unter dem Banner der Geistescultur gegen römische Finsterlinge. Also, – wir sind noch ganz die Alten!«

»Ausgezeichnete Vergleiche!« rühmte Stephan. »Es muß übrigens dahin gewirkt werden, daß die »entmenschten Söldlinge der Fürsten« gegen die ultramontanen Thronstützen marschiren. Fehlt den Thronen schwarzer Boden, dann sterben sie ab und stürzen ein.«

»Und ich sag' Dir, Knapper, Du mußt hinauf und die Schwarzen auseinander treiben, so gewiß, als wir bei Waghäusel die Preußen geklopft haben,« rief Mohr entschieden.

Der Bürgermeister trank in mächtigen Zügen.

»Ich bin zwar Protestant, eure Sachen gehen mich nichts an,« sagte der Einnehmer. »Indessen würden Sie bei der Regierung noch besser angeschrieben, Herr Bürgermeister, wenn Sie das schwarze Rattennest ausheben wollten. Ihr Eifer, Ihre Festigkeit müßten Anerkennung finden in Carlsruhe.«

Dies entschied.

»Rapp, – den Säbel umgeschnallt!« befahl Knapper dem Polizeidiener. »Meint Ihr, ich hätt' mir längst nit vorgenommen, die Schwarzen auseinander zu treiben? Wollt' nur erst einige Krüge Bier auf Blendungs starken Wein setzen. So, – jetzt vorwärts!«

Unter schallendem Halloh der Rothen verließ Knapper den Ochsen.

Im Saale des alten Hauses herrschten Heiterkeit und lebhafte Unterhaltung. Von der Decke nieder hing ein gewaltiger Leuchter, dessen zahllose Lichter Tageshelle verbreiteten. Plötzlich stand Knapper in Mitte des Vierecks der Tische und hinter ihm der Polizeidiener, in Säbel und Amtsrock. Allgemeines Erstaunen, rasches Verhallen der Gespräche bis zur Todesstille.

»Herr Schröter,« rief gebieterisch Knapper, »wer hat Ihnen die Erlaubniß gegeben, eine Volksversammlung in Ihrem Hause zu halten?«

»Eine Volksversammlung?« rief der Landwirth verwundert entgegen. »Ich habe diese Männer an meinen Tisch eingeladen, – das ist hoffentlich keine Volksversammlung, dazu bedarf es keiner ortspolizeilichen Erlaubnis.«

»Was da, – mir machen Sie nix vor! Eine Volksversammlung isch's,« behauptete Knapper.

»Wenn Sie ein Gastmahl für eine Volksversammlung ansehen, habe ich nichts dagegen,« erwiederte Schröter.

»Meinen Sie, ich weiß nit, was da geredet wird?« fuhr Knapper hitzig fort. »Ja, Heckerreden werden gehalten gegen die Regierung, und ich werd' wissen, was ich zu thun hab'!«

»Sie irren sich,« entgegnete Schröter. »Heckerreden wurden niemals in meinem Hause gehalten. Sie hingegen übten sich im Jahr acht und vierzig häufig in solchen Heckerreden.«

Schallendes Lachen der Schwarzen. Knapper kniff wüthend die Lippen zusammen.

»Auseinander, sag' ich!« schrie er. »Im Namen des Gesetzes auseinander, – das ist eine Conscription gegen die Regierung!«

»Was, – eine Conscription?« rief Mühsam. »Da hört, – der Herr Bürgermeister hält uns für Conscribirte!«

Wiederholtes Gelächter. Knappers ganze Haltung versank in wilden Wogen des Grimmes.

»Wie, – Ihr lacht mich noch aus?« schrie er. »Ihr Pfaffenknechte, Ihr Finsterlinge, Ihr verspottet mich, – mich, den Borjemeeschter? Auseinander, auf der Stelle, oder ein Milliondonnerwetter muß Euch in den Boden verschlagen.«

»Pfui, – schämen Sie sich!« zürnte der Landwirth.

»Herr Schröter,« rief Schall aus Siebelfingen, »machen Sie Gebrauch von Ihrem Hausrecht: – lassen Sie durch Ihre Knechte den Menschen an die Luft setzen.«

»Herr Bürgermeister, Sie sind irr'!« rief Mühsam. »Sie wollten wahrscheinlich Ihren guten Freund ausheben, den alten Mohr, – Sie wissen ja wo! Da sind Sie in ein unrechtes Haus gerathen.«

Die Schwarzen lachten hell auf, klatschten Beifall und riefen »Bravo!« Knapper bewegte heftig beide Arme, ballte wüthend die Fäuste gegen die lachenden Männer und verschwand in mächtigen Schritten aus dem Saale.

Im Ochsen erwartete die Tafelrunde gespannt die Rückkehr des siegreichen Häuptlings. Er kam nicht. Dagegen berichtete Rapp, der Polizeidiener.

»Der Bürgermeister ist heim!« schloß er die Kunde. »Mein Lebtag hab' ich ihn nicht so auseinander gesehen. – Und auch Sie wurden von den Schwarzen verhöhnt, Herr Mohr! Der Mühsamstoffel hat gesagt: »Sie sind irr, Herr Bürgermeister! Wahrscheinlich wollten Sie den alten Mohr ausheben, – Sie wissen ja wo!« Und darüber haben die Schwarzen gelacht, daß das Haus gewackelt hat.«

»Das hat er gesagt?« schrie Mohr, wild emporspringend.

»Nu, – Herr Mohr, warum der Zorn?« tröstete Levi. »Ein Schwarzer hat es gesagt.«

»Alle Pest über die ganze Zunft!« schäumte Mohr. »Mich ausheben, – mich? Warte nur, schwarze Jesuitenbrut!«

Er schüttete den Inhalt eines vollen Kruges hinab und verließ den Ochsen, Flüche und Verwünschungen auf den Heimweg streuend.

Als Mohr in den Flur seines Hauses trat, hemmte eine Stimme seine Schritte. Die Stimme schien aus dem Boden heraufzudringen, wimmernd und klagend.

»Wasser, – Wasser! Nur einen Schluck Wasser, – ich verdurst'!«

Mohrs wüthende Blicke fuhren nach der offenen Stubenthüre zur rechten Seite, er stieß einen Fluch hervor und öffnete die Thüre zur Linken. Um den Tisch saßen die Kinder beim Essen, – ein Junge von sechszehn Jahren, eine etwas ältere Tochter, zwei erwachsene Söhne und ein Knecht. Aller Verwunderung erweckte die frühe Heimkehr des Hausherrn.

»Wenn ich gewußt hätt', Vater, daß Ihr heut' mit uns esset, hätt' ich Euer Sach' geröst't,« sprach die Tochter. »Jetzt müßt Ihr warten, bis es fertig ist.«

Der Rasende antwortete mit einer Verwünschung, warf die Mütze in die Ecke und sich selbst in den bescheidenen Lehnstuhl.

»Ich hab' keinen Hunger! Satt bin ich von Zorn über die ultramontane Jesuitenbrut. Käm' doch einmal die Stund', wo ich alle Pfaffen und ihre Knechte erwürgen könnt'! Ja, das Lied gilt, – das Lied von Anno acht und vierzig gilt heute noch: – nicht eher wird's recht in der Welt, bis am letzten Pfaffendarm der letzte Fürst aufgehängt ist!«

»Was ist denn schon wieder los?« frug der Aelteste.

»Was los ist? Der Teufel ist los droben beim schwarzen Hauptmann! Alle Schwarzen, von zehn Meilen im Umkreis, sind dort zusammengelaufen gegen die Schulreform.«

»So arg ist's nicht!« rief Wilhelm, der Sechszehnjährige. »Und wenn die Schwarzen zusammenlaufen, was geht's Euch an?«

»Was, Lausbub'? Willst Du Ohrfeigen?«

Wilhelm aß frech lachend weiter.

»Ich mein' auch,« sagte der Aelteste, »das sei keine Ursach', daß Ihr da hereinkommt, wie die Sau in's Judenhaus.«

»Könnt Ihr nicht warten, bis ich fertig bin, Ihr Zehnmillionendonnerwetter?« schrie Mohr. »Ausgehöhnt, ausgespottet haben die Schwarzen Euren Vater. Zum Bürgermeister haben sie gesagt, er soll hingehen zur Käth und den alten Mohr dort ausheben. Ja, ausheben, – mich ausheben, mich, der den Renan und gar den Eugen Sue gelesen hat, – mich ausheben, der mehr Bücher gelesen hat, als das ganze pfäffische Lager zusammen, – mich ausheben, der weiß, daß Alles nichts ist mit der ganzen Religion, daß Alles nur Lug und Trug der Pfaffen ist, – mich ausheben, der vom jüdischen Heerführer Moses gelesen hat, wie er am Berge Sinai das Volk zum Narren hielt, – mich ausheben, der Gemeinde- und Schulrath ist!«

Auf den langen wilden Strom, in dem Flüche und Verwünschungen chaotisch durcheinander wirbelten, folgte eine Pause tiefster Stille, und in die Pause herein wimmerte von Außen die Stimme: »Wasser, – Wasser!«

»Geht Ihr nur zur Käth, Vater!« rief Wilhelm. »Wir stehen vor dem Haus Wache, und kommt ein Schwarzer, so schlagen wir ihm die Rippen entzwei.«

»Brav, Wilhelm, brav, – Du bist von meiner Art!« lobte der Alte. »Ja, ich gehe zur Käth, heute noch, – wär's auch nur den Schwarzen zum Aerger und den Geboten des jüdischen Betrügers Moses zum Trutz. Wache braucht Ihr nicht zu stehen, ist gar nicht nothwendig. Die Schwarzen bellen nur, beißen aber nicht, – das Beißen ist ganz gegen ihre Schafsnatur. Geht Ihr nur Eure Wege heute Abend, – macht Euch lustig.«

Die Söhne befolgten den väterlichen Rath und verschwanden. Auch der Knecht, eine verwachsene Gestalt, buckelig und krumm, hinkte hinaus. Deutlicher und dringender jammerte die Stimme: »Wasser, – Wasser! Um Gottes Willen, nur einen Schluck Wasser!«

»Amrich,« befahl Mohr der Tochter, »richte mir etwas zum Essen, – aber flink!«

Die Hinaustretende empfing das Flehen der Schmachtenden.

»Amrich, – Wasser, – Wasser!«

»Wär't Ihr nur einmal fort!« zürnte Amrich. »Was man eine Last hat mit der alten Hex'!«

Sie schöpfte aus dem nächsten Wasserzuber, trat in die Stube zur Rechten, durchschritt dieselbe und gelangte in eine Kammer, wo zwei abgezehrte Arme gierig aus dem Bette nach dem Wassergefäß sich streckten.

»Da, – trinkt!« stieß Amrich grollend hervor. »Ihr seid nur da, um die Leut' zu quälen. Was thut Ihr noch auf der Welt? Macht, daß Ihr einmal fortkommt.«

»Amrich, – red' nicht so mit Deiner Großmutter, Du versündigst Dich!«

»Versündigen? Dummes Zeug!«

»Amrich, – Hunger hab' ich auch, – ist nichts mehr übrig geblieben?«

»Ihr kriegt, – müßt aber warten,« – und hinaus schritt die ebenbürtige Tochter eines aufgeklärten Vaters.

An demselben Abend schmetterten die Rothen furchtbare Verwünschungen gegen die Schwarzen, und das alte Haus drohte einzubrechen unter der Last schrecklicher Flüche. Wilhelm und Genossen eilten sogar mit Steinen hinauf, in der Absicht, die Fenster einzuwerfen. Als sie jedoch das kurze Bellen und Schnauben des Hofhundes vernahmen, der, von der Kette gelöst, mit feurigen Augen, scharfem Gebiß und starken Gliedern Haus und Hof bewachend umkreiste, da entwichen die rothen Jungen.

Im Laufe der Woche berichteten gesinnungstüchtige. Blätter von einer matten Bewegung im ultramontanen Lager. Die Berichte athmeten alle den Geist der Geringschätzung. Sie musicirten alle in derselben Tonart. Die Gleichheit der Auffassung bewies, daß sämmtliche Schöpfer und Leiter der öffentlichen Meinung, nämlich die gesinnungstüchtigen Blätter, nach ausgegebener Losung verfuhren.

»Da hören Sie, meine Herren!« rief Stephan, die Zeitung am runden Tische entfaltend. »Waldhofen erlangt Berühmtheit, es steht im Journal.«

Und er las:

 

»Bruchsal. Zu Waldhofen ist eine kleine, aber rührige Partei thätig für eine Adresse gegen die Schulreform. Das Ganze wird jedoch an der festen Haltung des größten und einsichtsvollsten Theiles der Bürgerschaft in Nichts zerfließen. Anerkennung verdient die Entschiedenheit des dortigen Bürgermeisters Knapper und des Schulrathes Mohr, Männer, auf welche die Gemeinde mit Stolz blicken kann, und deren Einfluß schon hinreicht, die Bemühungen der »Schwarzen,« wie die Feinde fortschrittlicher Schulbildung dort genannt werden, zu paralisiren. Auch an anderen Orten schleicht das lichtscheue Gespenst einer Berufung an den Landesfürsten gegen die Schulreform. Diese angestrebte Adressenbewegung ist übrigens nur ein Werk einiger Clerikalen, ohne allen Werth und Bedeutung, und wird die Regierung, als Antwort auf diese Machinationen der Feinde zeitgemäßer Bildung, die Schulreform nur desto entschiedener durchführen.«

 

Knapper blies die Backen weit auf und Mohr, vor aller Welt zu den lebenden Größen gezählt, trank einige Schoppen mehr und schimpfte kräftiger gegen – »die schwarze Bande der Geistesknechtschaft.«

Allein das Bemühen gesinnungstüchtiger Blätter, das Erwachen katholischer Ueberzeugung zu entstellen, blieb erfolglos. Der greise Erzbischof von Freiburg, treu und fest des apostolischen Amtes wartend, hatte einen Hirtenbrief erlassen an alle Geistlichen und Laien der Erzdiöcese. Das bischöfliche Wort rief von allen Kanzeln die Gläubigen auf zum Widerstande gegen die verderbliche Aussaat des Unglaubens, gegen unerhörte Gewaltthaten, verübt an den höchsten Gütern des Christen und an der Freiheit der Kirche.

Auch das Herrchen empfing den Hirtenbrief zur Verkündigung. Bislang hatte er jede Berührung des Schulstreites auf der Kanzel vermieden, eifrig bestrebt, die Gemüther zu versöhnen. Oefter hatte er jedoch den Aeltern klar und eindringlich die Pflicht vorgehalten, ihre Kinder christlich zu erziehen und deren Verführung kraftvoll entgegen zu treten. Und das Wort, in der Kirche gesprochen, genügte ihm nicht. Sein Eifer trieb den Gewissenhaften in die wenigen rothen Häuser zur Bekehrung der Verirrten. Aber die Hochrothen hatten für die erhabenen Anschauungen des Priesters und für die Reinheit seines Strebens kein Verständniß. Sie betrachteten das Herrchen als Parteimann, der kam, ihre hochrothe Farbe in schwarze zu verwandeln. Darum blieben sie hartnäckig bei ihrer Parteifarbe und taub gegen die liebevollen Vorstellungen des Kleinen. Zuweilen wurde Frohmanns Zartsinn tief verletzt durch Starrköpfigkeit und Geistesrohheit, oft trug er ein schwergekränktes Herz nach Hause. Ihm war es unbegreiflich, wie Menschen so im Bösen verhärtet bleiben konnten! Weil ihm selbst die Sonne göttlicher Wahrheit auf allen Wegen leuchtete, weil er freudig einherschritt an der Hand des göttlichen Willens, der ihn kräftig über alle Hindernisse böser Neigungen und das Gerölle irdischer Niedrigkeiten hinweghob, und weil er sich froh und glücklich fühlte unter dem süßen Joche Christi, – darum meinte der junge, unerfahrene Herr, Alle seines Geschlechtes müßte gleicher Drang beseelen. Nun aber fand er seinen Glauben an die Menschen getäuscht, und bei Manchen eine Bosheit, welche die reine Priesterseele zerriß. Oft kniete er flehend vor dem Herrn, und erbat sich die Rettung seiner Spötter und Widersacher.

An der Wirkung des Hirtenbriefes auf die Rothen zweifelte er keinen Augenblick.

»Das ist Oel gegossen in den flammenden Haß der Rothen,« sagte Pfarrer Freundschick. »Vielleicht wäre es klug, die schärfsten Stellen beim Vorlesen zu übergehen und das Ganze durch beigegebene Erklärungen zu dämpfen.«

»Hiezu fehlt die Ermächtigung,« versetzte das Herrchen. »Die apostolischen Worte unseres Bischofes athmen Wahrheit und Gerechtigkeit. An mir ist es, hier muthvoll einzutreten für die Lehrfreiheit der Kirche, – den Pfarrgenossen die ganze Tragweite der Schulreform zu enthüllen.«

Und so geschah es. Der Hirtenbrief bestieg die Kanzel, den Schwarzen zur Freude, den Rothen zum Aerger. Die Bauern saßen lauschend und die Eindrücke der bischöflichen Worte waren außerordentlich.

Der redegewaltige Frohmann hätte ohne Zweifel die Wahrheiten des Hirtenbriefes in gleich meisterhafter Weise vortragen können, ohne jedoch annähernd dieselben Eindrücke zu erzielen. Schon der Umstand allein, daß der Bischof, der oberste Hirt der Diöcese sprach, wurde von den Bauern geziemend gewürdigt. Den greisen Hermann erblickten sie an der Spitze der kirchlichen Streitmacht, die katholische Fahne in seiner bischöflichen Hand, – und die ergreifende Gewalt dieses Anblickes hätte die feurigste Rede des Herrchens nicht hervorbringen können.

Das Volk besitzt in gewissen Dingen, vorzüglich in religiösen, bewunderungswürdigen Zartsinn. Wäre der unsterbliche Erzbischof von Freiburg nicht vor das Volk hingetreten, sich begnügend mit schön und kräftig geschriebenen Adressen an den Landesfürsten, – die großartige Bewegung gegen das Schulgesetz wäre in Baden nie erwacht. Die Menge begeistern nicht bureaukratische Kämpfe und tadelloser Federkrieg. Aber furchtloses Einstehen für die Sache, Verachtung materieller Gewalten und fürstlicher Gnaden, der volle Einsatz von Freiheit und Leben für den Glauben und seine Rechte, – dies erobert die Herzen, – ja dies erobert schließlich den Sieg. Darin lag theilweise der wunderbare Erfolg apostolischer Wirksamkeit. Hätten die Apostel ihrer Sendung nicht Freiheit und Leben geopfert, hätten sie das mißliebige Evangelium gepredigt mit scheuer Rücksicht nach Oben und in dem Bestreben, in höchsten Kreisen nicht derb anzustoßen, das Räderwerk der heidnischen Staatsmaschine nicht zu stören, – die Apostel hätten ohne Segen gearbeitet und wären niemals gemartert worden.

Das Herrchen knüpfte an die Vorlesung des Hirtenbriefes eine Erläuterung, die er mit den Worten schloß:

»Es liegt ja klar am Tage, worauf es abgesehen. Weil die Feinde Gottes und der Religion den Erwachsenen den Glauben nicht aus dem Herzen reißen können, darum suchen sie eine glaubenslose Jugend zu erziehen. Sie entchristlichen die Schulen, weil ihnen gar wohl bekannt, demjenigen gehöre die Zukunft, dem die Schulen gehören. Fromme Aeltern sollen ihre Kinder einer religionsfeindlichen Bildung preisgeben, dieselben systematisch verderben lassen. Und schon triumphiren die Feinde der Religion. In Wirthshäusern schimpfen diese Verblendeten gegen Gott, den sie läugnen, gegen seine Kirche, die sie verachten, gegen die Priester, die sie hassen. Ja, so tief sind Manche bereits gesunken, daß sie ihres Unglaubens und ihrer Schandthaten sich rühmen in öffentlichen Gesellschaften. Hat nicht der heilige Apostel diese Menschen gekennzeichnet mit den Worten: »Sie lästern, was sie nicht kennen, umkommen werden sie in ihrer Verdorbenheit und den Lohn der Ungerechtigkeit davontragen. Schandflecken sind sie, mit Augen voll Ehebruch und unablässiger Sünde. Kinder des Fluches sind sie, sie reden eitle, hochfahrende Worte und locken zu fleischlichen Begierden, sie verheißen Freiheit, sind aber selbst Knechte des Verderbens.«

Und dann zerschlug der feurige Prediger in wuchtigen Schlägen die gleißende Herrlichkeit des Aufklärungsdünkels, durchleuchtete mit der Fackel der Wahrheit die nächtigen Irrungen moderner Bildung, und schloß in ergreifender Mahnung zur Treue gegen Gott und Christenpflicht.

Die Rothen heulten unter den scharfen Streichen. Im Ochsen wollten die Ausbrüche diabolischer Raserei nicht verhallen, und Mohr konnte dem Drange nicht widerstehen, Renan hochleben zu lassen.

Aber die bischöflichen Worte waren nicht auf Felsengrund gefallen. Sie erbauten und befestigten die Schwarzen, einigen rothen Familien erwachte sogar das Gewissen und sie traten zu den Schwarzen über.


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