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Was Beispiele wirken.

Die Seele eines redlich strebenden Mannes seufzte in Nacht und Zweifelsqualen. Fritz Schröter lag gefangen in Blendungs arglistigen Schlingen. Er strauchelte an der Rechtlichkeit des begonnenen Kampfes, und die irregeleitete Anschauung malte ihm Gottes Angesicht dräuend und strafend. Streng gläubig, von zartem Gewissen, niemals wankend in der Furcht des Herrn, regelte sich sein ganzes Thun nach den Forderungen der Pflicht. Da nun die Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit in leuchtenden Beispielen vorgehalten wurde, so stand er waffenlos dem Schulstreite gegenüber.

Die Folgen wurden bald offenbar. Die Schwarzen verließen muthlos den Kampfplatz, als an ihrer Spitze der Häuptling verschwand. Die Rothen drangen kühn vor, und Knappers Eifer überschritt im Siegestaumel sogar die weiten Grenzen der Schulreform. Er saß mit Stephan brütend über weitragenden Planen. Die Lehrsäle sollten dem Herrchen unter gänzlichem Verschluß gehalten, das werktägige Kirchenlaufen im Interesse des Unterrichtes den Kindern verboten werden.

Vorerst genügte der strenge Befehl an den Cooperator, wöchentlich nur zweimal in der Schule zu erscheinen, und zwar in den letzten Unterrichtsstunden, nämlich von zehn bis elf Uhr im Winter, im Sommer von acht bis neun Uhr. Kam der Geistliche nicht in erlaubter Zeit, so hatte er die Lehrstunde verwirkt.

Natürlich waren im Herrenstübchen des Ochsen die neuen Gewaltstreiche gegen die Schwarzen gründlich durchgesprochen und von Allen beklatscht worden. Den Schwarzen blieben die Unterdrückungsversuche nicht verborgen, und das ganze Lager kam in Aufruhr. Aber es fehlten Schröters kluge Leitung und eingreifende Entschiedenheit. Darum starb der Aufruhr in zwecklosen Verwünschungen oder herzbewegenden Klagen, deren Trauertöne nur Spott und Gelächter der Feinde weckten. Mohr verkündete laut in allen Wirthshäusern, mit den Pfaffen und allen Pfaffenknechten sei es aus. Es werde eine ganz neue Welt geschaffen, und darin gebe es weder Kirchen, noch Märchenglauben. Von den Pfaffen bleibe nichts übrig, als Luthers schönes Lied: »Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.«

Ein Angesehener der Schwarzen, Christoph Mühsam, erschien vor dem entwaffneten Häuptling zum Berichte.

»Herr Schröter, ich muß zu Ihnen kommen und sagen, was vorgeht. Jetzt haben die Rothen dem Herrchen ein Schreiben geschickt und ihm befohlen, nur zweimal in der Woche in die Schule zu gehen. Der Mohr hat gesagt, bald werde den Pfaffen die Schule ganz verboten. Auch das Kirchengehen soll den Kindern eingestellt werden, weil's doch unnöthig wär' und dem Unterricht schade. – Geht das so fort, dann kriegen wir eine wahre Heidenwirthschaft.«

Schröter stand gebeugt vor dem klagenden Mühsam. Und als der Landwirth aufsah, fuhr es wie Wetterschein durch die blauen Augen. Sogleich aber sank das Haupt wieder entmuthigt herab, und aus der Brust rangen sich zerdrückte Laute, dem Stöhnen eines Löwen vergleichbar, dessen Kräfte Schlangenringe umsponnen haben.

»Können wir das Alles hingehen lassen?« frug Mühsam nach langer Pause. »Die Freimaurer regieren. Den Geistlichen haben sie schon halb zur Schule hinaus getrieben, bald werden sie ihn ganz hinaus treiben. Ich mein', wir sollten den Freimaurern unsere Kinder nicht hinwerfen, wie ein Bündel Stroh.«

»Was sollen wir demnach thun?« frug Schröter.

»Wehren sollen wir uns! Bricht mir Einer in's Haus, um zu stehlen, so wehr' ich mich, – greif' zur Axt, zum Pflugmesser, was gerad' zur Hand ist. Die Kinder sind aber doch mehr, als Haus und Hof, – und die Kinder sollen wir stehlen lassen, ohne uns zu wehren?«

»Ganz gut, Mühsam! Allein die Obrigkeit hat den Diebstahl befohlen, und der Obrigkeit ist man Gehorsam schuldig.«

Der Bauer machte große Augen, ging kopfschüttelnd heim und ergab sich in das Unvermeidliche.

Vor dem alten Hause klang der Hufschlag eines Pferdes. Ein Reiter sprang im Hofe aus dem Sattel, übergab das Thier einem Knechte und trat in das Haus, wo er den Landwirth in tiefster Niedergeschlagenheit fand. Der Fremde, ein rüstiger Mann, in der Tracht vermögender Bauern, grüßte freundlich und wurde wohlwollend empfangen.

»Ich bin extra von Siebelfingen herüber gekommen, um mit Ihnen wegen der neuen Schultyrannei zu reden. Auch bei uns wird es immer ärger. Kein rechtschaffener Mann wollte in den Ortsschulrath. Da hat der Amtmann endlich einige Lumpen gefunden, und diese regieren eben, wie Lumpen, in das Schulwesen hinein. Seit vier Wochen haben die Kinder keinen Religionsunterricht, weil der Pfarrer verhindert war, zu den festgesetzten Stunden Religionslehre zu ertheilen, und zu anderer Zeit darf er nicht in die Schule. Die paar Schlechten klatschen Beifall. So ist es recht, sagen sie, mit der Religion ist es bald vorbei. Die Jugend wird frech und ausgelassen. Alles geht auseinander, und wir müssen es ansehen, wie unsere Kinder gesetzlich verdorben werden. So darf es nicht weiter gehen. Wir müssen etwas thun und der Regierung zeigen, daß uns Glaube und Religion heilig sind.«

»Und was ist nach Ihrer Meinung zu thun?«

»Mir ist es selbst nicht ganz klar. Aber ich fühle, daß etwas geschehen müsse und wollte mich mit Ihnen besprechen. Vielleicht wäre es gut, mit den Einflußreichsten einiger Dörfer zusammen zu treten, eine große Bewegung hervor zu bringen, und der Regierung zu zeigen, wie viel Uhr es ist.«

Der Landwirth zuckte zusammen.

»Eine Bewegung gegen die Regierung? Das wäre Revolution! Gehorsam gegen die Obrigkeit ist Christenpflicht. Die Obrigkeit erließ das neue Schulgesetz, und wir müssen uns fügen, Herr Schall!«

»Uns fügen? Ich hörte doch, in Waldhofen hätten sich die Besten gegen die Schultyrannei zusammengethan, und Sie stünden an der Spitze der Besten.«

»Das ist vorbei!« versetzte traurig der Landwirth. »Wahr, – ich bekämpfte aus allen Kräften die Schulreform. Die meisten Bürger standen hinter mir. Da zeigte noch rechtzeitig ein kluger Mann das Sündhafte des Widerstandes. Er wies hin auf die Knechtung der Kirche in Bayern, wo man in christlicher Ergebung duldet und von Gottes Vorsehung Hilfe erwartet, nachdem Bitten und Vorstellungen fruchtlos geblieben. Da voraussichtlich in Baden alle Supplikationen ebenso fruchtlos sein würden, wie in Bayern, so wollen auch wir dulden und von Gott Hilfe erwarten.«

»Hilf Dir selber, und Gott wird helfen, – sagt das Sprüchwort,« erklärte Schall. »Wie sollte Gott uns helfen können, wenn wir faul d'rein sehen, Alles über uns ergehen lassen und nichts leiden wollen für die gute Sache? Unmöglich kann es Christenpflicht sein, diesem Schulgesetz seine Kinder Preis zu geben.«

»Aber Gehorsam gegen die Obrigkeit ist Christenpflicht, Herr Schall! Auch mir schmeckt das bitter, – namenlos bitter! Aber da steh' ich und kann nicht anders. Es ist ein Jammer, – zum Verzweifeln ist's, die Staatsgewalt feindlich zu sehen gegen die Religion! Unsere heiligsten Aelternrechte unterdrückt, geraubt zu sehen durch die Gesetzgebung! Religion und christliche Erziehung, bis auf ein winziges Bruchstück, aus der Schule verbannt zu sehen durch die Regierung! Und dieser Regierung gehorsamen zu müssen aus Christenpflicht! Das ist schrecklich, – das nagt mir in der Seele, – das frißt meine beste Kraft hinweg,« – und die Augen des Mannes blitzten wild auf, seine Hände ballten Schmerz und Verzweiflung zusammen.

Schall las in Schröters zerrissenen Zügen, bestieg sein Pferd und kehrte entmuthigt heim.

Auch in Siebelfingen arbeitete die neueste Zerstörungsmaschine des Fortschrittes geräuschlos weiter, seitdem Schall, der Muthvollste, nach Schröters Beispiel, vom Kampfplatze zurücktrat.

Den Landwirth trieb es hinaus; er irrte ruhelos durch die Felder. An das Niederkämpfen verbotener Neigungen durch die Pflicht gewöhnt, verfuhr er in gleicher Weise gegen den Drang zum Widerstande gegen das Schulgesetz. Seitdem Blendung ihn belehrt, hielt er diesen Drang für unerlaubt. Er meinte, das Widerstreben gegen die Befehle der Obrigkeit müsse bekämpft werden, wie irgend ein anderes Gelüsten der zum Bösen geneigten Natur. Und die erworbenen Kenntnisse halfen nicht aus dieser Nacht der Irrung. So wandelte er fort im Finstern, strauchelte jeden Augenblick über lichtvolle Eingebungen, und zerriß die Seele an den scharfen Krallen der unheilvoll wirkenden Schulordnung.

Auch in das Aeußere trat Schröters inneres Ringen. Der starke Mann fiel zusammen. Die hallende Stimme verlor den metallenen Klang, das Auge seinen Glanz, der Schritt die Festigkeit. Er ging umher, wie ein Auszehrender, zum Schrecken der Gattin. Und als sie bemerkte, wie Neuigkeiten aus dem Schulsaale ihn heftig erregten, verbot sie Evchen und Hänschen, über Dinge zu sprechen, die aus der Schule kamen. Allein der Zufall förderte noch manches zu Tage, den Landwirth jeden Augenblick erinnernd, wie es um die Schule stand.

Als er heimkehrte, fand er Evchen weinend zwischen den Knieen der Mutter. Sie streichelte die Wangen der Kleinen und sprach Trostworte.

»Was ist vorgefallen?« frug Schröter.

»Ach – nichts!« erwiederte das getreue Weib. »Kindersachen! Du weißt ja, das närrische Ding weint gleich über Alles.«

Schröters Scharfblick ließ sich indessen nicht täuschen.

»Komm' her, Kind!« sprach er liebevoll. »Erzähle mir, was in der Schule vorgegangen ist.«

»Der Hochwürdige ist wieder einmal bei uns gewesen, und der Schullehrer hat immer auf die Uhr gesehen. Auf einmal hat der Schullehrer gesagt: »Herr Cooperator, jetzt müssen Sie gehen, Ihre Zeit ist abgelaufen.« – Darauf ist der Hochwürdige ganz traurig fortgegangen, und der Schullehrer hat gelacht und gesagt: »So, ihr Kinder, jetzt habt ihr wieder einmal Ueberflüssiges gehört! Eine ganze Stunde eurer kostbaren Jugendzeit ist euch wieder gestohlen worden. Jetzt sollt ihr das Versäumte nachholen und Dinge lernen, die euch nützen für das Leben.« Und noch mehr hat er gesagt, ich weiß es aber nimmer. Dann hat er mich aufgerufen und gesagt: »Leider gibt's immer noch Aeltern, die ihre Kinder nichts Gescheidtes wollen lehren lassen, und das sind die Schwarzen. Ist der Vater gar Hauptmann der Schwarzen, dann ist's erbärmlich.« – Darauf haben die Kinder gelacht, und wie die Schule aus war, da sind mir die Kinder nachgelaufen und haben gerufen »Schwarzer Hauptmann, – schwarzer Hauptmann!«

»Von heute gehst Du nicht mehr in die Schule!« rief der Landwirth auffahrend, und schritt kämpfend durch das Zimmer.

»Doch nein,« murmelte er, »dies wäre ja Widersetzlichkeit, Ungehorsam gegen die Obrigkeit! Die Pflicht steht höher, als väterliche Gefühle. – Evchen,« sprach er, »gehe nur in die Schule! Gräme Dich über böse Kinder nicht. Denke daran, wie gottlose Menschen auch unseren Heiland verspottet haben.«

So sprach der seltene Mann. Aber zu den übrigen Seelenpeinen kam das schmerzliche Bewußtsein, boshaften Kränkungen sein Kind ausgesetzt zu wissen.

Blendung hatte den Verführten nicht aus den Augen verloren. Wiederholt besuchte er ihn, und träufelte geschickt das Gift folgenschwerer Täuschung in die Seele des arglosen Mannes. Heute erschien der Hochmögende in Begleitung Ferdinands, der ein dickes Buch unter dem Arm trug, im Herzen Sehnsucht nach der schönen Helena und im Kopfe mancherlei Anschläge, die mit dem Herzen in Verbindung standen.

»Mein lieber Herr Nachbar,« begann freundlich der Millionär, »jüngst sprach ich zu Ihnen von der kirchenfeindlichen Richtung in Bayern. Diesmal bin ich in der angenehmen Lage, durch ein Dokument von höchster Wichtigkeit meine Erklärung zu bekräftigen. Hier sehen Sie den vierten Band eines umfassenden Werkes über ›Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern.‹ Darum heißt das Werk ›Bavaria‹. Es wurde, wie hier auf dem Titelblatt zu lesen, ›bearbeitet von einem Kreise bayerischer Gelehrten‹; – und weiter heißt es da: ›Herausgegeben auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II.‹ – Sie sehen, die ›Bavaria‹ verspricht ganz Außerordentliches. Königliche Veranlassung geht ihr voraus, königliche Unterstützung begleitet sie, und bearbeitet wird die Bavaria von einem ganzen ›Kreise gelehrter Männer‹. Wissenschaftlicher Werth und gelehrte Forschung der Bavaria bleiben demnach unangetastet. Ich wollte Ihnen nur eine Seite des Buches zeigen, nämlich – die feindurchdachte, zuweilen auch grobe, immer planmäßige Verspottung des Religiösen. Hören Sie ein Beispiel! ›Dem denkbedürftigen Zuge des pfälzischen Volkes gemäß konnten kirchliche Sagen und Legende schon von vornherein sich nicht so üppig entfalten, noch weniger die verhältnißmäßige Ausbreitung finden, wie in den übrigen bayerischen Provinzen Bavaria IV, B. S. 306.!‹«

Blendung hielt inne und hob das Auge fragend zu Schröter.

»Ich fühle die Beleidigung,« sprach ernst der Landwirth. »Weil die Pfälzer denken, die kirchliche Legende aber das Denken nicht verträgt, darum konnte sich in der geistig geweckten Pfalz die Legende nicht verbreiten, wie bei den dummen Altbayern. – Das ist eine ziemlich plumpe Verhöhnung katholischen Geistes.«

»Ganz meine Auffassung,« bestätigte Blendung. »Doch, hören Sie weiter! – ›Die Begriffbestimmung der kirchlichen Sage ist ebenso schwierig, als die Abgrenzung ihres Gebietes. Häufig neigt sie zur Wunder- und Zauber-, selbst zur geschichtlichen Sage, wenn überhaupt ihr Charakter nicht schon ein verdeckt mythischer ist. Denn zu den Trägern der Sage, sei es die heilige Jungfrau, ein Apostel oder irgend ein Kirchenpatron, sind häufig und ohne Mühe die entsprechenden Gestalten im altgermanischen Mythos zu finden Daselbst..‹«

»Bravo, – sehr gut!« unterbrach Ferdinand lachend. »Die heilige Jungfrau, die Apostel und sämmtliche deutschen Kirchenpatrone wandeln einher im Gewande altgermanischen Mythos! Sie dürfen nach diesem höchst gelehrten Funde annehmen, Herr Schröter, daß Ihre deutsche heilige Jungfrau gar keine Aehnlichkeit besitzt mit jener Gebenedeiten aus dem Geschlechte Davids. Was Sie als Mutter Gottes verehren, ist weiter nichts, als eine altgermanische Gestalt, – vielleicht die Gestalt der Frau des göttlichen Wuotan oder Wau-Wau. Und Ihre deutschen Apostel? Nun, die haben sicher die entsprechende Gestalt irgend eines göttlichen Bärenhäuters aus den Urwäldern Germaniens. Sie dürfen vorsichtig sein, Herr Schröter!«

»Die Bavaria ist hier noch weniger, als seicht,« versetzte der Landwirth. »Jeder Primaner weiß doch, daß die Heiligen unserer Kirche nicht die mindeste Aehnlichkeit mit heidnischen Gestalten aus der Mythe haben.«

»Die Bavaria ist nicht für Primaner, sondern für unkundiges Volk geschrieben,« sagte Blendung. »Hier kommt eine nähere Erklärung, wie es mitten Mythengestalten zu verstehen sei. Da heißt es: ›Nur selten erscheint die heilige Jungfrau in eigener Person als Trägerin einer Sage, allein ihre Bilder werden als wunderthätige häufig verehrt, und wieder sind dies nur einzelne Marienbilder. Bald krümmt ein solches die Hand, läßt einen Ring los vom Finger, breitet die Arme zum Schutz aus oder neigt sich gnädig nieder. Auch hierin ein Zug mythischer Erinnerung, namentlich an die Verehrung der Bildsäule des Thor in Norwegen und der beiden Halbgöttinen Thorgerdr und Irsta in menschlicher Größe und geschmückt mit goldenen Armspangen, vor welchen man niederkniet Bavaria IV. B. S. 308..‹«

»Da haben Sie es ja!« rief Ferdinand. »Selbst norwegische Halbgöttinen, mit schrecklichen Namen und goldenen Armspangen geschmückt, haben beigetragen zur Hoheit der Jungfrau Maria. Wie muß das im katholischen Bayern die Andacht zur allerseligsten Jungfrau fördern!«

»Entgehen wird Ihnen die Absicht nicht, Herr Nachbar, die heilige Jungfrau und die ganze Heiligenlegende mit heidnischen Sagen und mythischen Ueberlieferungen in Zusammenhang zu bringen. Dem Leser soll offenbar das Urtheil erweckt und begründet werden: Legende und Heiligenverehrung sind weiter nichts, als eine Ausbildung heidnischer Mythen und Götzenverehrung. Auch Christus wird in diesen Mythenkreis hineingezogen. Da heißt es: ›Als einsamer Wanderer mit Stab besucht Wuotan die Wohnungen der Menschen, um ihre Gastfreundschaft zu prüfen. Erinnert das nicht an die Wanderungen des Heilandes, den öfters St. Petrus begleitet? und der von den Glaubensboten in die Erde gesteckte, zum Baume ergrünende Stab nicht an die Leben weckende Kraft dieses Gottes Bavaria IV. B. S. 327.?‹«

»Das ist frevelhaft!« zürnte Schröter.

»Mehr, – blasphemisch ist es, wenn hier sogar das christliche Dogma wie Spuck- und Nachtgeschichte behandelt wird,« rief entrüstet der Millionär. »Hören Sie: – ›Die Spucksage befaßt sich hauptsächlich mit der Erscheinung abgeschiedener Menschen. Sie berichtet vom Umgehen gespenstiger Wesen. Gewöhnlich ist es ein im Leben begangener Frevel oder ein ganzes frevelhaftes Leben, was seine Strafe, seine Buße, seine Sühnung und seine Erlösung verlangt. Insofern versinnbildet der Spuck den Läuterungsproceß des christlichen Fegfeuers, anderseits wieder die heidnische Seelenwanderung. – Die Spucksage hat sich mehr der Nacht- als der Lichtseite des Lebens bemächtigt, und steht nach ihren inneren Motiven ganz im Einklange mit den Sagen von den Gerichten Gottes Bavaria IV. B. S. 315 u. 316..‹ – Wie zart ist hier die katholische Lehre vom Fegfeuer mit heidnischer Seelenwanderung und Aberglauben vermengt! Wird der Leser nicht versucht, heidnischem Wahne und christlicher Wahrheit gleiche Werthe beizumessen? Wird nicht Gottes strafende Gerechtigkeit in das Gebiet der Sage verwiesen? Ich bin zwar Protestant und von religiösen Ueberschwenglichkeiten kein Freund, – dennoch empört die arglistige Manier, katholischen Cultus und christlichen Glauben zu verdächtigen. Und so geht es fort in dem Buche von Seite 277 bis Seite 408. Zweck dieser langen Abhandlung scheint lediglich die Verhöhnung und Herabwürdigung des katholischen Cultus und Glaubens zu sein. Dem Volke wird Ehrwürdiges und Heiliges in Stücke zerschlagen und als Trümmer heidnischer Mythen vor die Füße geworfen. Und dies geschah,« – schloß Blendung schneidend, »auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs Maximilian II.! Abermals ein schlagender Beweis von den kirchlichen Zuständen in Bayern, welche trauriger nicht sein könnten, – dennoch aber von Clerus und Volk in christlicher Geduld ertragen werden.«

»Dem Volke mögen die Belehrungen der »Bavaria« wenig nützen,« sagte Ferdinand. »Wollte Max, der Erleuchtete, den christlichen Aberglauben bekämpfen, dann hätte er seine aufklärenden Missionäre predigend unter die Massen schicken sollen, wie er sie auf den Hochschulen mitten unter die Studenten gesandt.«

»Das Möglichste geschah,« entgegnete Blendung. »Die Bavaria wurde allen Gemeinden amtlich angeboten. Die Bezirksämter wurden angewiesen, allen Bürgermeistern das königliche Werk dringend zu empfehlen. Natürlich wurde die amtliche Empfehlung, abhängigen Bürgermeistern gegenüber, zum moralischen Zwang. Die Regierung gab Erlaubniß, auf Gemeindekosten das aufklärende Buch anzuschaffen. Waren die Gemeindemittel erschöpft, so wiesen eifrige Amtmänner auf ihren Credit im Gemeindebudget. Sie sehen, das Mögliche geschah zur Verbreitung der Bavaria Die Bemerkung ist kaum nöthig, daß es sich hier um Thatsächliches handelt.. – Für leselustige Bauern ist mithin gesorgt. Manchem strebsamen Landbewohner dürfte es schmeichelhaft sein, über des Pfarrers Predigt zu stehen, durch einen Kreis bayerischer Gelehrten auf einen Standpunkt gehoben, von dem herab er Heiligenverehrung, Bildercultus und Dogmatisches im Lichte heidnischen Wahnes betrachten, als christlich angemalte Sage belächeln kann.«

»Das ist Alles namenlos traurig,« sagte Schröter. »Ein König läßt solche Bücher schreiben, und solche Bücher werden amtlich unter das Volk geworfen! Das ist unaussprechlich, das schreit zum Himmel und wird böse Tage über Bayern bringen, zum Beweise, daß Gottes Gerichte keine Sage sind.«

»Einverstanden, mein lieber Herr Nachbar, ganz einverstanden! Sie sehen, wir in Baden sind glücklich. Niemals hat ein Großherzog dem Volke Aehnliches geboten. Ich sage Ihnen, ein Kinderspiel ist unser Schulgesetz gegen die kirchlichen Zustände im katholischen Bayern.«

»Und der bayerische Clerus schweigt?« fuhr der Landwirth auf. »Der Clerus donnert nicht gegen die verderbliche Aussaat? Er hebt nicht den Hirtenstab vertheidigend gegen einbrechende Wölfe? Das ist noch das Allertraurigste!«

»Um Vergebung!« sagte Ferdinand. »In Bayern hat die gemeinte Wolfsrace polizeilich visirte Passirscheine. In Bayern wird nur gejagt auf schwarzes Hoch- und Kleinwild. Mit lautem Halloh fällt die Meute her über die Ultramontanen. Sogar im Abgeordnetenhause wird grimmer Jagdruf vernommen. »Wir setzen den Ultramontanen das Messer an den Hals,« hat derselbe Herr Crämer im bayerischen Landtage heroisch ausgerufen, der früher schon gefordert: »Schlagt den Ultramontanen die Schädel ein!« Die armen Schwarzen! Ganze Kreise gelehrter Männer, Gurgelabschneider und Schädelzertrümmerer werden gegen sie gehetzt. Das ist doch ein trauriges Dasein!«

»Der Clerus schweigt, mein lieber Herr Nachbar, weil er die Erfolglosigkeit des Kampfes einsieht und weil er den Frieden liebt Das Jahr 1869 bewies, daß der bayerische Clerus auch zu reden und zu kämpfen versteht, und die Folgen dieses rühmlichen Kampfes waren die Niederlage des antichristlichen Schulgesetzes, sowie der Sturz der religionsfeindlichen Fortschrittspartei. (Anmerkung zur II. Auflage.). Diese Friedensliebe,« erklärte einsichtsvoll der kluge Millionär, »ist ein Spiegelbild der göttlichen Langmuth. Der Allmächtige könnte alle Feinde zerschmettern. Er thut es nicht. Dem Bösen läßt er ungestörte Entwickelung, wie dem Guten, weil er weiß, daß nach ewigen Gesetzen das Böse sich selbst verzehrt und das Gute schließlich immer siegt durch die Macht seines Wesens. Offenbar ist dies auch die Anschauung des bayerischen Clerus, darum widerstrebt er nur in streng begrenzten und gefahrlosen Sphären Indessen haben doch zwei Ordinariate bei den betreffenden Kreisregierungen »Protest erhoben gegen die amtliche Empfehlung und Verbreitung der Bavaria« – aber erst, »nachdem sich die Ordinariate zu diesem Schritte durch zahlreiche pfarramtliche Berichte, Klagen und Beschwerden veranlaßt gesehen,« und nachdem bereits der sechste Band dieses Werkes verbreitet war.

Der Landwirth sah in das vorgehaltene Spiegelbilds und seine gedrückte Seele fand flüchtigen Trost über eigene Thatlosigkeit, sowie Berechtigung friedliebender Gesinnung der Schulreform gegenüber.

Ferdinand hatte wiederholt den Sitz verlassen, durch das Haus gelauscht und in den Hof gespäht. Abermals trat er zum Fenster. Helena stand mitten unter dem Federvieh und streute Fruchtkörner. Aus den Augen des jungen Menschen schossen Feuerfunken, und kein hungriger Hahn des Dorfes folgte so rasch dem Lockrufe, wie der für Schönheit schwärmende Kunstfreund. Jetzt stand er unter der Hausthüre, betrachtete vollendete Formen der harmonisch gegliederten Gestalt von der Rückseite, in gespannter Erwartung des Augenblickes, der ihm auch die Vorderseite zur Bewunderung überließ. Helena warf die letzten Körner unter die Schnatternden und trat dem Grüßenden entgegen.

»Fräulein Helena, Ihr gehorsamster Diener!«

Sie aber schürzte finster die Lippen, des stolzen Schulkameraden Heinrichs gedenkend.

»Wenn Sie mein gehorsamer Diener sind, dann gehen Sie gefällig bei Seite, damit ich hinein kann.«

»Sie sind grausam, mein Fräulein! Gestatten Sie wenigstens das Glück flüchtiger Unterhaltung. Mein Schulgenosse Heinrich Knapper hat mir so viel Ausgezeichnetes von Ihnen erzählt, daß ich Ihre Bekanntschaft für das Höchste und Anziehendste in Waldhofen halte.«

Helenens Züge wurden hell.

»Haben Sie mit Heinrich gesprochen? Neulich gingen Sie doch an ihm vorbei, als ob er Ihnen ganz unbekannt und weltfremd sei.«

»Zürnen Sie der Sonne, weil ihr Glanz ein Menschenauge geblendet hat, – oder zürnen Sie dem Menschenauge, das nicht sehen konnte, weil es Sonnenglanz geblendet?«

»Wie paßt dies hieher?«

»Ganz genau, mein Fräulein! Sie waren die Sonne, deren leuchtende Erscheinung mein Auge so blendete, daß ich einen alten Schulgenossen nicht sah.«

»Das ist hoch und niedrig, wie man's nimmt.«

»Warum hoch?«

»Weil das Wesen der Sonne Licht ist, und Licht ein Bild der Hoheit und Reinheit.«

»Sehr gut! Und warum niedrig?«

»Weil die Sonne eine seelenlose Kugel, eine ewige Lampe ist, die Gott an den Himmel gehängt. Ich aber bin mehr als die Sonne: ein Ebenbild Gottes dem Geiste nach.«

»Allerliebst! Was indessen meine Augen gesündigt durch vermessenes Anschauen, wurde gesühnt. Gestern begegnete mir Heinrich. Die alte Freundschaft wurde erneuert und im Ochsen durch zwei Flaschen vom Besten befestigt.«

»Im Ochsen? Ist Heinrich im Ochsen gewesen?«

»Fällt Ihnen das auf, mein Fräulein?«

»Natürlich! Der Ochsen ist ja ein rothes Wirthshaus!«

»Ich habe den Schild nicht genau betrachtet und weiß nicht, ob der Ochs schwarz oder roth ist,« sagte er, völlige Unkenntniß der Verhältnisse heuchelnd. »Meinen Schulgenossen fand ich noch so treu und gut, wie vor Jahren in Mannheim. Schön ist er geworden und kräftig, ein stattlicher junger Mann.«

Helena's Angesicht glänzte. Sie nahm die Schürze zwischen die Finger und sagte erröthend: »Heinrich ist brav und fleißig.«

»Zwei Grundbedingungen künftigen Glückes, mein Fräulein!«

»Sagen Sie doch nicht immer »Fräulein,« Herr Blendung! Ich bin kein Fräulein.«

»Wie darf ich Sie tituliren?«

»Sagen Sie einfach, – Helena!«

»Sehr schmeichelhaft! Jedenfalls habe ich diese vertraute Ansprache meiner Freundschaft mit Heinrich zu verdanken, – nicht wahr, Helena?«

Sie erschrack. Im Munde des eleganten Herrn erhielt das »Helena« eine ganz eigenthümliche Gestalt. Das »Helena,« von Ferdinand gesprochen, hatte keine Aehnlichkeit mit dem »Helena« im Munde aller Dorfbewohner. Es formte sich wie eine Schlinge in der Hand des Vornehmen.

Blendung trat unterbrechend in den Flur.

»Ferdinand, hast Du das Journal? Auf einen Augenblick!« – und der Hochmögende kehrte mit dem Blatte zurück zu dem sinnenden Schröter.

»Hier abermals ein Beweis von den schlimmen Folgen des Schulstreites,« sagte Blendung, das Journal des weisen Nathan entfaltend. »Hören Sie gefälligst diesen Artikel eines ganz zuverlässigen Correspondenten. ›Carlsruhe. Der gedankenlose Widerspruch gegen die Schulreform von Seite erhitzter Parteileidenschaft beginnt sogar, in Prügeleien an geweihter Stätte auszuarten. In einem Dorfe der Rheinebene hatte das Schulgesetz unbestrittenen Eingang gefunden, von allen Einsichtsvollen als bedeutender Fortschritt in der Kette der Civilisation begrüßt. Nur der Ortspfarrer widersprach, er wollte sich die Leitung der Jugend aus begreiflichen Gründen nicht entreißen lassen. Da jedoch in der Gemeinde für clerikale Agitation kein Boden war, so verlegte sich der wachsame Hirt auf Polterpredigten und Schmähungen von der Kanzel. Die heilsamen Absichten der Regierung wurden verdreht und Versuche angestellt, das Schulgesetz der Religion und Gesittung feindselig zu malen. Vergebens. Die urtheilsfähigen Zuhörer ließen sich nicht aufhetzen, sie belächelten den grundlosen Zorn ihres eifernden guten Hirten. Der Mißerfolg steigerte indessen nur den Grimm des Pfarrers. Da er die verstockten Bauern nicht zu bekehren vermochte, so warf sich sein ganzer Zorn auf den vom Zwange hierarchischer Oberhoheit befreiten Lehrer. Als der Geistliche an einem Sonntage nach gehaltener Polterpredigt von der Kanzel stieg, noch heftig erregt von heiligem Zorne, und in der Sakristei auf dem Gesichte des Lehrers ein feines, ihm leicht verständliches Lächeln bemerkte, fuhr er denselben grimmig an. Es entstand heftiger Zank, zur Erbauung der horchenden Gemeinde. Aber es blieb nicht beim Zanke. Der kräftige Pfarrer packte den Lehrer beim Kragen, drückte ihn an die Wand und soll ihm mit geweihter Hand derartige Backenstreiche versetzt haben, daß Blut rann und der Gedrosselte laut um Hilfe rief. Die Kirchengemeinde kam in Bewegung, einige Männer stürzten in die Sakristei und befreiten den mißhandelten Lehrer aus den Fäusten des Pfarrers. Einige Minuten später schritt der schlagfertige Herr, angethan mit heiligen Kleidern, zum Altare und begann das Hochamt. – Eine Partei, die mit solchen Waffen kämpft, richtet sich selbst. Aber dieser neueste Auftritt beweist abermals schlagend, daß die Lehrer endlich von dem letzten Bande, das sie mit ihren Unterdrückern noch verbindet, befreit werden: – vom Meßnerdienste.‹«

Diese pikante Geschichte hatte der gewandte Journalist, Salomon Nathan, aus Ferdinands Dichtung zusammengesponnen, allen Gebildeten zur sittlichen Entrüstung gegen pfäffische Zwingherrschaft.

»Und wo ist das geschehen?« frug Schröter.

»Der Ort ist rücksichtsvoll verschwiegen,« antwortete Blendung. »Es heißt nur, in einem Dorfe der Rheinebene.«

»Diese ist freilich sehr groß,« sagte Schröter. »Ich wünsche nur, das Ganze möchte Erfindung sein.«

»Auch mein Wunsch, verehrter Nachbar! Natur gemäß werden jedoch ähnliche Auftritte dort entstehen, wo die Parteileidenschaft geweckt und gestachelt wird. Hätte Ihre Einsicht und Ihr Einfluß den Gewaltthätigen hier keinen Damm gesetzt, das Journal würde aus Waldhofen Aehnliches zu berichten haben; denn so viel mir bekannt geworden, standen sich Schwarze und Rothe bereits schlagfertig gegenüber. Darum ist es für Sie ein hohes Verdienst vor Gott und den Menschen, der Zügellosigkeit geboten zu haben. Sie wissen, mein lieber Herr Nachbar, Streit, Gewaltthat, Flüche und Verwünschungen sind nicht nach Gottes heiligem Willen, dennoch aber schreiten jene häßlichen Verirrungen naturnothwendig im Gefolge des Ungehorsams gegen die Obrigkeit. Mithin ist die ganze Bewegung gegen das Schulgesetz unchristlich und verwerflich.«

Die neueste Bearbeitung des schwarzen Häuptlings befriedigte. Herr Blendung verließ in dem Bewußtsein das alte Haus, einen starken Feind der liberalen Sache entwaffnet zu haben.


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