Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Herrchen.

Der greise Pfarrer Freundschick und der alte Lehrer von Waldhofen hatten durch ein ganzes Menschenalter in einflußreicher Berufsthätigkeit neben einander gewirkt. Zwischen Beiden hatte sich niemals der Himmel des Friedens verfinstert. Der Pfarrer war ein sanfter, gutmüthiger Vorgesetzter, der Lehrer ein gutwilliger Untergebener. Gegen Jesters Zurücksetzung hatte der Pfarrer entschieden Verwahrung eingelegt; denn er fand die Kenntnisse des Alten ausreichend zur Bildung ländlicher Jugend. Freilich verstand Jester keine Chemie, von Geschichte und Naturlehre wenig, allein der Geistliche, ein ergrauter Mann aus dem Leben, belächelte mitleidig das Unternehmen, einen Catheder höherer Wissenschaften in den Volksschulen zu errichten, und nannte dasselbe geradezu »närrisch«.

»Das haben unsere Bureaumänner wieder ausgedacht, die von Land und Leuten nichts verstehen,« erklärte er. »Kommen die Jungen aus der Werktagsschule, dann verfliegen Geschichte und Chemie hinter dem Pfluge. Die mühsam beigebrachte Naturlehre hinkt der täglichen Uebung weit hinten nach und ist bald gänzlich verschwunden. Wozu also die Kinder umsonst plagen? Wozu etwas in ihre Köpfe hinein trichtern wollen, was nicht hinein geht?«

Dennoch rückte Stephan, wegen seines hochmüthigen Wesens von dem alten Pfarrer nicht wohl gelitten, an Jesters Stelle in den oberen Schulsaal; denn Herr Stephan verstand es, dem Bürgermeister den Bart zu streichen, sowie durch modernen Schliff und bedeutende Zungenfertigkeit den bescheidenen Jester zu überflügeln. Er saß bei den regierenden Herren täglich beim Bier, und seitdem er Ortsschulrath geworden, wuchs Stephans Selbstgefühl ganz außerordentlich.

Jester hatte den Wortstreit zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Collegen vernommen, die Neuigkeit in das Pfarrhaus getragen. Der Geistliche, altersschwach und kränkelnd, bewegte traurig das Haupt.

»Schröter hat Recht!« sagte er. »Eine Gewaltthat ist in Manchem das neue Schulgesetz, eine schwere Kränkung älterlicher Rechte. Das wird schlimm! Durch ganz Baden hadert der Schulstreit, die Köpfe werden immer erhitzter, und jetzt fängt der Lärm auch in Waldhofen an. Soll ich denn meine letzten Tage nicht in Ruhe beschließen können?«

»Beinahe vierzig Jahre haben Eure Hochwürden und ich mit einander in Kirche und Schule gewirkt, – wie ich hoffe, nicht ohne Segen. Alles ging seinen ruhigen Gang. Die Jugend war gesittet. Sie lernte, was sie brauchte, und was sie nicht braucht, wäre thöricht, lehren zu wollen. Da kommt Stephan und mit ihm der Schulstreit! Er ist es, welcher den Bürgermeister aufhetzt, Zwietracht anschürt, das Verbot des Schulgebetes und die Abschaffung der biblischen Geschichte veranlaßte.«

»Ja, – ja, – Stephan ist ein überspannter Mensch, ein Brausekopf,« sagte Freundschick. »Sein hochmüthiges Benehmen habe ich stets in Geduld ertragen und ihm viel – viel nachgesehen.«

»Was soll ich nun thun, Hochwürden? Soll ich wirklich von Gott zu den Kindern nicht mehr sprechen?«

»Die Regierung verbot es, – gehorchen Sie, Herr Lehrer! Der Bürgermeister würde Sie beim Amte verklagen und strenge Maßregeln blieben nicht aus. Mir selbst ist die Sache namenlos schmerzlich. Stets krank, bin ich selbst zur Ertheilung eines regelmäßigen Religionsunterrichtes unfähig. Und da Sie nun von Gott nicht mehr reden dürfen, so bleiben die armen Kinder der Heilslehre beraubt.«

Am folgenden Tage besuchte der Pfarrer die Schulen. Beim Eintritte erhoben sich die Kinder und riefen: »Guten Morgen!« Stephan warf den Kopf zurück und sah auf den Pfarrer, wie auf eine unliebsame Störung. Der Geistliche, über den neuen Gruß betroffen, stand unbeweglich. Die Schuljugend blieb verlegen stehen. Sie bemerkte im Angesichte des Pfarrers ein schmerzliches Zucken, und die Kinderseelen ahnten die Ursache der Erschütterung.

»Setzt euch, liebe Kinder!« sagte Freundschick, nach einem Fenster hinschreitend, die nothwendige Ruhe zu gewinnen.

»Wo ist das Crucifix hingekommen, Herr Lehrer, welches dort an der Wand hing?«

»Der Ortsschulrath ließ es wegnehmen,« lautete kurz die Antwort.

»Und die Heiligenbilder?«

»Werden mit instructiven Bildern aus der vaterländischen Geschichte vertauscht,« entgegnete der Volksschullehrer.

Darauf sagte der alte Pfarrer nichts. Er ging wieder zum Fenster und sah betrübt auf die Straße.

»Will etwa der Herr Pfarrer als Religionslehrer Unterricht ertheilen?« frug Stephan übermüthig.

Der Greis wandte sich um, antwortete durch einen vorwurfsvollen Blick und schritt nach der anderen Seite des Saales, redlich bemüht, den Aerger nieder zu drücken.

»Wenn Sie keinen Unterricht geben wollen,« fing Stephan wieder an, »werde ich in dem unterbrochenen Vortrage weiter fahren. Sodann muß ich ersuchen, mir jene Stunden zu bezeichnen, in denen Sie wöchentlich Religionsunterricht ertheilen, damit ich den Stundenplan demgemäß einrichte und nicht zwecklos gestört werde. Religion ist ein Gegenstand, wie jeder andere, und muß demnach behandelt werden, in bescheidenem Maße und nicht zum Nachtheile anderer Lehrstoffe.«

»Unter vier Augen werde ich Ihnen die gebührende Antwort geben, Herr Lehrer,« versetzte der greise Pädagog.

Stephan sah hämisch hinter den Brillengläsern hervor und nahm den Faden des Vortrages wieder auf.

»Ihr Kinder! Ich fahre fort in der Mythologie oder Sagenlehre. Der oberste Gott der Römer hieß also Jupiter, ein gestrenger Herr, dem die armen Heiden mit Furcht und Schrecken dienten. An diesen reiht sich Mars, der Schlachtengott, welcher viel Unheil angestiftet hat; denn die verblendeten Heiden glaubten, durch wilde Kriege ihm zu dienen, – geradeso wie unsere christlichen Vorfahren zur Zeit der Kreuzzüge meinten, durch Ausrottung der Türken ein Gott wohlgefälliges Werk zu verrichten. Dann kommt Merkur, der Gott der Diebe, den man anrief, um glücklich Raub und Diebstahl ausführen zu können, – geradeso wie jetzt noch italienische Banditen ihre Madonna haben. Ferner beteten die Heiden Venus an, die Göttin der Liebe, und den Bachus, den Gott des Weines. Dem Bachus wurden die ersten reifen Trauben geopfert, – geradeso wie ihr heute noch in der Kirche seht, daß die Leute die ersten reifen Trauben dem heiligen Rochus zum Opfer darbringen. Auch unsere deutschen Vorfahren hatten viele und mächtige Götter. Obenan steht Wuotan, der Schlachtengott, dem die schönsten Eichenwälder geheiligt waren. Aus Blitzen verfertigte er Streithämmer, die er auf gottlose Menschen herab schleuderte, – geradeso wie heute noch Viele meinen, Gott erschlage im Zorn durch Blitze böse Menschen. Auch eine Göttin der Jagd hatten unsere Vorfahren nämlich die Hulda, und eine Göttin der Fruchtbarkeit, die liebliche Ingo. Damals gab es auch schon Priester, nämlich Götzenpriester, und diese beredeten unsere guten deutschen Ahnen, den Göttern recht fette Opfer zu bringen. Davon verbrannten die Priester Einiges, das Uebrige behielten sie für sich. Deßgleichen behaupteten jene Götzenpriester, sie seien der Mund der Götter, von ihnen könne man den Willen Gottes erfahren. Natürlich, Kinder, war das gelogen; denn kein Priester wußte den Willen Gottes, sondern die Priester gaben ihren eigenen Willen für den Willen Gottes aus.«

Hier wurde der Volksschullehrer unterbrochen. Die Kinder erhoben sich und riefen: »Guten Morgen!« Der Pfarrer hatte den Saal verlassen, empört und tief gekränkt über Benehmen und Belehrung des aufgeklärten Schulmeisters.

Zu Hause sank Freundschick in den Sorgenstuhl, zernagt von Kummer über die raschen Verheerungen in den Schulen. Und er fühlte sich zu schwach, den Kampf aufzunehmen mit jungen Kräften, den gottlosen Geist zu vertreiben, oder dessen Wirksamkeit unschädlich zu machen. So lebhaft hatte ihn die trostlose Wirklichkeit gepackt, daß er zu Bette liegen mußte und am Sonntage zur Noth eine Stillmesse las. Und als er wieder das Krankenlager verließ, wälzte er die Sorge fort in seinem erschütterten Gemüthe. Er sann und sann über Mittel und Wege, dem Verderben zu wehren, konnte aber zu einem Entschlusse nicht gelangen. Und was der alte Herr nicht fand, das erdachte ein noch älterer Kopf: Gangolph Schröter.

An einem Sonntage trat Gangolph im Dreispitz, langem Flügelrock mit großen silbernen Knöpfen, in kurzen Hosen, weißen Strümpfen und Schuhen mit silbernen Schnallen, vor den Pfarrer. Es begann eine lange Unterredung, deren Ergebniß eine Reise Schröters nach Freiburg war. An die Rückkehr des Alten vom Sitze des Erzbischofes knüpfte sich die Kunde: »Wir bekommen einen Cooperator, weil unser alter Herr keine Dienste mehr thun kann.«

Auch im Herrenstübchen wurde die Kunde besprochen.

»Das hat der alte Gangolph fertig gebracht,« sagte der Einnehmer. »Mir ist zwar gleichgültig, wer Pfarrer ist; denn ich bin Protestant. Macht euch aber d'rauf gefaßt: ihr bekommt einen tüchtigen Kämpen, einen wackeren Ultramontanen, vielleicht gar einen Jesuiten.«

»Das isch ganz einerlei,« entgegnete Knapper. »Mischt sich der Pfaff in Sachen, die ihn nix angehen, dann klopft man ihm tüchtig auf die Finger.«

»Einverstanden, Herr Bürgermeister!« lobte Stephan. »Das Pfaffenregiment hat ein Ende. Die Schule ist aus der Knechtschaft der Schwarzen für immer erlöst, und bei der einsichtsvollen Leitung der Gemeinde Waldhofen, dürfte der schlaueste Pfaffe umsonst wühlen.«

»Kommt ein guter Wühler, dann mache ich ein glänzendes Geschäft,« sagte Levi, der Jude. »Ich hab' gehandelt um geringes Geld eine große Menge Fallen, – Maulwurfsfallen, Rattenfallen, Kornwurmsfallen; die verkaufe ich der Gemeinde, damit ihr sie stellt auf den Wühler.«

Der fade Witz weckte ein schallendes Gelächter.

Mit ganz anderen Gefühlen wurde der Ankunft des Cooperators im alten Hause entgegen gesehen. Und wider Vermuthen rasch kam die rüstige geistliche Kraft. Gangolph stieg eilig den Hügel hinan, drängende Botschaft in jeder Linie des faltenreichen Gesichtes. Hänschen mußte den Vater von einem nahen Acker heimrufen. Der Gutsbesitzer fand den Greis sorgenschwer im hohen Lehnstuhle.

»Der Cooperator ist da,« meldete Gangolph. »Er begegnete mir im Thale, wo die Straße an den Wiesen vorbeizieht.«

»Wie sieht er aus? Was stellt er vor? Ein kraftvoller, energischer Mann?« flogen Schröters Fragen.

»Das Aeußere verspricht das Gegentheil,« antwortete Gangolph gedrückt. »Ich habe den Herren in Freiburg die Verhältnisse klar auseinander gesetzt, gebeten um einen tüchtigen, gewandten Mann. Und was schicken uns die Herren? Ein kleines, hageres Männchen, bleich, jung, – so an den Dreißig, und sehr anspruchslos, wie es scheint. Langsam stieg er die Straße hinauf, blieb öfter stehen und betrachtete die Gegend, grüßte die Leute freundlich und als ich den Hut vor ihm zog, sah er achtungsvoll auf mich und that fast blöde. Wie mag dieses Herrchen vor dem hochmüthigen Bürgermeister und dem frechen Schulmeister bestehen? Er sieht mir gar nicht darnach aus, wie Einer, der Haare auf der Zunge hat. Ich glaube, diesem feinen Männchen fehlt der Muth, auch nur ein hartes Wort zu reden.«

»Das verhüte Gott!« sprach der Landwirth. »Ein kluger und thätiger Geistlicher hätte in Waldhofen die Leute aufklären, den Schulstreit in das rechte Licht setzen, dem Bürgermeister und seinem Anhang weitere Gewaltmaßregeln unmöglich machen können. Geschieht dies nicht, – dann geht es schief.«

»Vielleicht täuscht das Aeußere,« sagte Gangolph einlenkend. »Vielleicht ist der Kleine dennoch tapfer und muthvoll. Warten wir ab.«

Aehnliche Eindrücke brachte der Cooperator auf die Herrenstube hervor.

Die Tafelrunde saß beisammen. Die Pfeifen qualmten, das Bier mundete. Der Bürgermeister redete noch lauter, als gewöhnlich, sein rothes Gesicht glühte, die Amtsmiene triumphirte.

»Ein winziges Pfäfflein, – ich könnte es in meinen Hosensack stecken,« erzählte er. »Beinchen hat er, so dünn, wie ein Hackenstiel, und ich fürcht', wenn ein starker Wind kommt, so nimmt er den Cooperator mit.«

Der Kreis lachte.

»Als er mich besuchte,« fuhr Knapper fort, »wagte er kaum, ein Wort zu reden. Ich hab' ihm frisch von der Brust weg gesagt, wie er sich hier zu verhalten hat, und wie's mit der Schule ganz nach dem neuen Gesetz gehalten wird. Darauf hatte er nit das Herz, etwas zu sagen. Ganz steif und furchtsam hat er mich angesehen. Und als er fortging, hat er gesagt: »Herr Bürgermeister, Sie können von mir erwarten, daß ich meine Pflicht thue, und bitte um Ihre gütige Unterstützung zum Heile der Gemeinde.« – So hat er gesagt. Was meine Unterstützung angeht, will ich ihm den rechten Weg schon zeigen, – und der geht vor Allem in den Ochsen, zum Bier.«

Schallendes Gelächter, lautes Bravo.

»Ich fürcht' nur,« schloß Knapper, »wir werden das Pfäfflein nit lange haben. Paßt auf, wir begraben ihn, ehe drei Monate vergehen!«

Gleiche Ansicht über Unfähigkeit und Schwächlichkeit des Cooperators theilte ganz Waldhofen. Die Leute nannten ihn allgemein »das Herrchen,« und waren sehr gespannt auf die erste Predigt. Aber wie überraschend wurden die Bauern enttäuscht! Das schmächtige »Herrchen« entpuppte sich als einen gewaltigen Volksredner. Seine Stimme war tief und klangvoll, sein Vortrag lebendig und klar, der behandelte Stoff ganz den Zeitverhältnissen und der Fassungskraft der Zuhörer angemessen. Und je länger das Herrchen predigte, desto höher wuchs seine Gestalt, desto strahlender wurden seine Augen, desto leuchtender verklärte heilige Begeisterung seine Züge. Und die Begeisterung des Predigers war ansteckend. Die Bauern saßen fest gebannt, sie sperrten die Augen weit auf. Vielen öffnete staunende Verwunderung sogar den Mund. Und als die Predigt schloß, da lag ernstes Nachsinnen auf jedem Gesichte, selbst Herr Knapper verlor den gewöhnlichen Uebermuth.

»Wo hat Der nur seine Stimme?« rief er am Abend in der Herrenstube. »Das isch doch sonderbar, wie so ein Knirps donnern kann!«

»Das Organ ist ziemlich gut!« versetzte der Volkslehrer. »Allein die Predigt roch sehr ultramontan. In unserer aufgeklärten Zeit sollte man solche Wundermärchen nicht auf die Kanzel bringen und den Leuten die Köpfe verrücken.«

»Wozu der Vorwurf, Herr Lehrer?« frug spöttisch Levi, der Jude. »Der neue Herr versieht sein Amt, dazu gehören auch Wundermärchen. Was er gelernt hat, das lehrt er wieder Jeden, der sich mag belehren lassen. Nun, – ihr Herren, der Levi wird keine Märchen lernen von dem Cooperator.«

»Wir auch nit,« erklärte Knapper. »Gut isch's, daß Jeder weiß, was er zu thun hat. Man hört die Predigt, weil's einmal so Brauch isch. Im Uebrigen laß ich mir kein X für ein U vormachen.«

»Ausgezeichnet, – sehr intelligent!« rühmte Stephan. »Ein Mann, der auf der Höhe der Zeit steht, ist erhaben über alle Bemühungen verdummender Sendlinge.«

Das »Herrchen« besuchte die Schulen, von den Kindern mit einem schallenden »Guten Morgen« empfangen. Der Volkslehrer trat steif entgegen, lächelte vornehm und rückte die Brille höher. Auch das Herrchen lächelte, aber ganz eigenthümlich, und aus seinen großen, reinen Augen traf den Schulmeister ein Blick von solcher Gewalt, daß Herr Stephan unwillkürlich eine Verbeugung machte.

Der Kleine in der Kutte stellte sich selbst den Kindern vor. Mit der Selbstvorstellung verband er das Versprechen, zu dem schönsten Belustigungsorte den Weg zeigen zu wollen, wo keinem Kinde die Freude jemals versiege und jeder Tag neues Entzücken bringe. Auch sei es dort nicht, wie im Paradiese, man dürfe vielmehr von allen Bäumen essen, und kein Verführer dringe an jenen Ort der Wonne. So reizend malte der Kleine den verheißenen Belustigungsort, daß entzückt die Kinder lauschten und viele von ihnen, zum Zeichen des höchsten Verlangens, mit flachen Händen über der Brust hin und her fuhren. Das Herrchen machte jedoch eine Bedingung.

»Ich kann euch, liebe Kinder, diesen herrlichen Ort nur dann sicher versprechen, wenn ihr brav seid, täglich betet und die Gebote Gottes haltet. Wollt ihr das?«

»Ja!« rief die ganze Schule freudig entschlossen.

»Und wißt ihr, wo dieser Ort ewiger Freude ist, Kinder?«

Das Wörtchen »ewig« erschloß den Sinn der Gleichnißrede, und alle sahen andächtig auf den lächelnden Kleinen. Auf die Frage hatte der Erste von den Knaben seinen Finger gehoben, zum Beweise, daß er antworten könne.

»Nun, mein Kind, wie heißt der schöne Ort, den ich euch geschildert habe?«

»Der Hannes!« rief der Knabe.

Ueberrascht stand der Geistliche vor dem »Hannes,« vergeblich allen Scharfsinn aufbietend, wie das Kind zu dieser Antwort gekommen sein möchte. Der Volksschullehrer brummte ärgerlich und löste schließlich das Räthsel.

»Hades – willst du sagen, Dummkopf!«

»Wie gelangte der Knabe zu dieser heidnischen Ausdrucksweise, Herr Lehrer?« frug sanft der Kleine.

»Dem Fortschritte allgemeiner Bildung entsprechend, lehre ich etwas Mythologie,« antwortete hochtrabend Stephan.

Darauf sagte der Cooperator nichts, sondern fuhr fort im christlichen Unterrichte. Die Kinder lauschten gespannt, sie sahen aus hellen Augen auf das Herrchen und hatten sogar Vergnügen an der Neuheit seines schwarzwälder Dialektes. Zum Schluß frug der Geistliche aus dem Katechismus. Keine Frage wurde beantwortet, die Unwissenheit war groß, und die Kleinen sahen beschämt nieder. Der Cooperator ermunterte

Es wird schon besser werden, liebe Kinder! Für das nächste Mal lernt ihr die vier ersten Antworten im Katechismus.«

Zu Hause erzählten die Kinder von dem Herrchen, wie freundlich es sei, wie schön es zu erzählen wisse, was es für leuchtende Augen und weiße Hände habe. Und die ganze Schule bewies in der folgenden Religionsstunde, daß ihr an des Cooperators Zufriedenheit Alles lag, – jedes Kind beantwortete ohne Fehl die vier Fragen. Sodann folgte die Erklärung in so anziehender, kindlicher Weise, mit kleinen Erzählungen durchflochten, daß sich weit die Kinderseelen öffneten zur Aufnahme der ausgestreuten Saat. Den Unterricht schloß das Herrchen mit einer Weisung, die Stephans Entrüstung verdiente.

»Wenn ich zu euch komme, liebe Kinder, und wieder fortgehe, sollt ihr nicht grüßen: »Guten Morgen!« Ihr sollt den schönen katholischen Gruß gebrauchen: »Gelobt sei Jesus Christus!« – und er gab eine kurze Erläuterung über die Bedeutung des anbefohlenen Grußes.

Die Kindergesichter stimmten freudig in das Verlangen ein, – und essigsauer verzogen sich Stephans Züge.

»Herr Cooperator, der Gruß, den Sie von den Kindern verlangen, ist in der Schule verboten worden durch den Ortsschulrath.«

»Das ist auffallend und beklagenswerth,« entgegnete Cooperator Frohmann.

»Weder auffallend, noch beklagenswerth,« widersprach Stephan. »Die Schulen haben aufgehört, kirchliche Anstalten zu sein, – daher muß das streng Kirchliche ausgeschlossen bleiben.«

Frohmanns Lage war peinlich. Ohne des Lehrers Autorität im Urtheile der Kinder zu schaden, konnte er die passende Erwiederung nicht geben. Noch weniger durfte er die gegebene Weisung zurücknehmen.

»Katholischen Kindern,« sagte er endlich, »kann der katholische Gruß nicht verwehrt sein. Thut nur, liebe Kinder, wie ich euch gesagt habe.«

Und als er den Saal verließ, da riefen hundert helle Kinderstimmen aus vollem Herzen: »Gelobt sei Jesus Christus!«

Stephan rannte wüthend durch den Saal, schalt die Kinder derb aus und gebrauchte bei geringen Veranlassungen die Ruthe.

Aber es kam für den Volksschullehrer noch ärgernißvoller.

Den nächsten Unterricht schloß der Cooperator mit einem Gebet und der Bestimmung, der Religionsunterricht habe jedesmal mit einem kurzen Gebet zu beginnen und zu schließen.

»Das ist verboten, – es darf in den Schulen nicht mehr gebetet werden,« rief barsch der Volkslehrer.

»Was Sie thun wollen, Herr Stephan, muß Ihnen überlassen bleiben,« sagte Frohmann. »Mein Beruf ist es, die liebe Jugend zum Beten anzuleiten.«

»Und dann kommen Sie alle zwei Tage,« rief Stephan dazwischen. »Das ist störend für den Unterricht. Nur zweimal in der Woche dürfen Sie kommen. Sodann nehmen Sie die beste Zeit der ersten Morgenstunde für die Religion hinweg, auch das ist gegen das neue Schulgesetz.«

»Ich komme alle zwei Tage,« entgegnete Frohmann ruhig, »weil ich es für nothwendig erachte. Sie selbst werden nicht bestreiten wollen, daß die Kinder im Katechismus sehr weit zurück sind. Ein neues Schulgesetz kenne ich nicht, – wohl aber den Auftrag Jesu: »Gehet hin und lehret!« Dieser Auftrag verpflichtet mich vorzüglich der Jugend gegenüber.«

»Sie kennen ein neues Schulgesetz nicht? Sie sollen es schon kennen lernen,« warf der Schulmeister grimmig hin. »Ich, als Ortsschulrath, werde dafür sorgen, daß Sie es in Bälde respektiren lernen – das neue Schulgesetz.«

Zu Hause erzählten die Kinder den Vorfall nach ihrer Auffassung.

»Der Schullehrer war gegen den Hochwürdigen schrecklich grob,« berichtete Evchen im alten Hause. »Er hat gesagt, der Hochwürdige dürfe nicht in die Schule kommen, und der Hochwürdige war gar nicht grob, er hat nicht gekrischen, wie der Schullehrer, sondern ganz sachte hat er geredet.«

»So oft der Hochwürdige kommt,« erzählte ein anderes Kind, »ist der Schulmeister bös gegen ihn, und wenn der Hochwürdige fort ist, da lacht der Schulmeister, daß man Angst kriegt. Und dann schimpft er uns, weil wir sagen: »Gelobt sei Jesus Christus!« Er schlägt uns und reißt uns an den Köpfen, weil wir beten. Aber wir thun es doch; denn der Hochwürdige hat Recht und der Schulmeister ist ein wüster Mann.«

Das Herrchen gewann immer mehr die Kinderherzen. Sie verehrten und liebten ihn. Ging er durch die Straßen, so liefen die Kleinen von allen Seiten herbei, gaben ihm Patschhändchen, knixten vor ihm und sagten: »Gelobt sei Jesus Christus, Herr Hochwürdiger!«

Stephan hatte alle Vorgänge nach der Herrenstube getragen und mit giftigen Randglossen vermehrt.

»Wenn Sie nicht einschreiten, Herr Bürgermeister, dann kehrt in Waldhofen die Volksschule unter das Pfaffenregiment zurück, – trotz Schulgesetz, welches der Cooperator nicht kennt, und trotz liberaler Kammerbeschlüsse.«

»Ich will's ihm schon einstellen,« rief Knapper. »Paßt auf, wie ich den Pfaffen Mores lehre! Der soll sich wundern! Will ihm zeigen, wer in der Schule zu befehlen hat, – ich oder er.«

Der Bürgermeister hielt Wort.

Der Kleine gab Religionsunterricht, ohne Ahnung des Schrecklichen, was da kommen sollte. Stephan stand heute fortwährend am Fenster und spähte hinab auf die Straße. Plötzlich verzerrte ein schadenfrohes Lächeln sein Gesicht, – über die Gasse schritt der Bürgermeister, eine gewaltige Meerschaumpfeife im Munde. Stephan kannte die Bedeutung dieser Tabakspfeife. Sie war reich mit Silber beschlagen und kostete, nach Knappers Versicherung, fünfzig Gulden. Ganz Waldhofen hatte Kenntniß von diesem hohen Preise, und ein Bauer, der aus so theurer Pfeife raucht, steigt selbstverständlich im Ansehen. Es ist, als ob er fünfzig Gulden im Munde hätte, und fünfzig Gulden, ausgeben für einen Gegenstand, den man für sechs Batzen haben kann, beweisen unumstößlich Ueberfluß an Geld. Daraus folgt Anspruch auf allgemeines Ansehen; denn Geld ist auch dem Bauern schätzenswerth, und Geldüberfluß fordert Hochachtung. Ganz dieser Ansicht war Knapper. Rauchte er aus der fünfzig Gulden Pfeife, so wollte er sich hierdurch das höchste Ansehen geben. Und wenn er rauchend zur Schule kam, so war dies abermals ein Wink für Kinder und Cooperator von seiner hohen Stellung; denn Niemand durfte, nach Knappers Dafürhalten, in der Schule rauchen, als nur er, der Präsident des Ortsschulrathes.

Die Thüre flog weit auf. Herein schoß eine dicke Tabakswolke, und mächtig dampfend, den Hut auf dem Kopfe, schritt der Gewaltige in den Saal. Der Geistliche sah betroffen die rauchspeiende Erscheinung und ahnungsschwer das grimme Gesicht mit den glotzenden Augen. Die Kinder erhoben sich und riefen: »Gelobt sei Jesus Christus!«

Das war Oel in die Flamme.

»Wie grüßt ihr?« donnerte Knapper die Schule an. »Isch's euch nit gesagt worden, ihr sollt »guten Morgen« grüßen? Wer heißt euch »gelobt sei Jesus Christus« sagen, – wer?« und seine wilden Blicke fuhren nach dem Cooperator.

Die Kinder sanken auf die Bänke zurück, sahen geärgert auf Knapper und wehmüthig auf das Herrchen.

»Hört ihr nit?« schrie der Wilde von Neuem. »Ich frag' euch: wer hat befohlen, ihr sollt sagen: »Gelobt sei Jesus Christus?« Du, – sag' mir's.«

Das angesprochene Kind stand verlegen, es wollte den Hochwürden nicht verrathen.

»Ich habe es den Kindern befohlen,« antwortete Frohmann.

»Sie? So, – Sie? Wie kommen Sie dazu? Wissen Sie nit, daß wir im Ortsschulrath den altmodischen Gruß abgeschafft haben?«

»Ich weiß es! Allein der Ortsschulrath ist mir in religiösen Dingen nicht maßgebend.«

»So, – nit maßgebend?« rief Knapper dampfspeiend. »Aha, – richtig, – Sie erhalten Maaß und Gewicht aus Freiburg vom Erzbischof! Aber das freiburger Maaß gilt bei uns nix mehr, abgeschafft isch's, wie die schlechten coburger Sechser. Wir haben neues Maaß und Gewicht von der Regierung, – das gilt, sonst kein's.«

»In der katholischen Kirche,« versetzte ruhig der Geistliche, »besteht über achtzehnhundert Jahre dasselbe Maaß, – dazu gehört der katholische Gruß. Ueberhaupt empfange ich über Seelsorge keine Weisungen von der Regierung, sondern von meinem Erzbischofe.«

»Der Erzbischof hat in die Schule nix mehr hinein zu reden,« eiferte Knapper. »Die Schule isch getrennt von der Kirch', und ich bin Präsident, ich bin Stellvertreter der Regierung hier. Darum hab' ich den katholischen Gruß verboten, und dabei bleibt's. Auch das Beten isch abgeschafft, und wenn Sie wieder beten lassen, dann verklag' ich Sie beim Amt.«

»Das mögen Sie thun, Herr Bürgermeister! Uebrigens hätte ich zur Klage weit mehr Ursache. Sie stören mich im Unterrichte. Sie benehmen sich auf eine Weise, die beleidigend ist.«

»So, – was? Ich störe Sie? Bin ich nit Präsident der Schule? Kann ich nit herein kommen, wann mir's gefällt? Klagen Sie nur, – ganz recht! Und dann muß ich Ihnen sagen, daß wir keine dummen Schwarzwälder sind, bei uns gelten Jesuitenkniffe gar nix. Wir sind aufgeklärte Rheinpfälzer und fressen kein Stroh. Sie haben sich an das zu halten in der Schule, was wir beschließen. Thun Sie's nit, dann gibt's einen Tanz, der Ihnen nit gefallen soll.«

Er dampfte gewaltig, schoß ganze Feuerbündel aus seinen glotzenden Augen auf das Herrchen und verließ übermüthig den Saal.

Frohmann ging tief gekränkt nach Hause.

Von der Wichtigkeit seines Standes lebhaft durchdrungen, und von heiligem Eifer für das Seelenheil der Jugend getragen, empfand er schmerzlich die gefährlichen Umtriebe des Bürgermeisters. Ueber Tisch erzählte er dem alten Pfarrer den Hergang, und schloß mit dem Vorsatze, das Amt von dieser Störung des öffentlichen Unterrichtes in Kenntniß zu setzen.

»Es geschieht dies nicht aus Feindseligkeit gegen den Bürgermeister,« sagte er, »sondern in der Absicht, fernere Störungen im Interesse der Schule zu verhüten.

»Klagen Sie nicht,« rieth der Greis. »Das Amt wird dem Bürgermeister Recht geben, und nicht Ihnen. Jedes Wort, das Sie schreiben in der Sache, ist ein Saamenkorn weiterer Kränkung für Sie. Bedenken Sie das Sprüchwort im Munde des Volkes: Man verklagt nicht den Teufel bei seiner Großmutter.«

»Ich verlange Schutz für meine Stellung in der Schule, dieser Schutz kann unmöglich versagt werden.«

»Mein lieber Herr Confrater,« sprach der greise Pfarrer, »Sie sind erst acht und zwanzig Jahre alt und kennen die Bureaukratie nicht. Befolgen Sie den Rath eines alten Mannes: klagen Sie nicht! Verlangen Sie keinen Schutz von einer Behörde, deren leitende Grundsätze nicht katholisch und sehr wenig christlich sind. Ihre Klage bringt Ihnen Zurechtweisung, diese wird dem Bürgermeister mitgetheilt, und Knapper wird noch übermüthiger. In den Wirthshäusern wird er Alles erzählen, sich vor den Bauern aufblähen und raisonniren. Eine weitere Folge wird sein, daß der unchristliche Geist in Waldhofen frecher das Haupt erhebt; denn diese Bauern, vom Zeitgeiste angesteckt, haben vor materiellen Gewalten weit mehr Respekt, als vor geistlicher Würde und schutzloser Stellung des Priesteramtes. Mithin ist Ihre Beschwerde der guten Sache kaum förderlich.«

Herr Frohmann erwiederte nichts und ging auf sein Zimmer. Nach einiger Zeit erschien er abermals mit dem ausgearbeiteten Berichte an das Amt. Die Fassung war ruhig, der nachtheilige Eindruck solcher Störungen auf die Schuljugend kräftig hervorgehoben.

»Lassen Sie mich diesen Bericht unterschreiben, Herr Confrater!« sagte der Pfarrer. »Sie würden für immer persona ingrata bei der Regierung, Ihre Laufbahn wäre vernichtet. Mir schadet das nicht! Ich bin alt und gehe aus dem Leben.«

»Sie sind gütig, Herr Pfarrer! Das hochherzige Angebot muß ich indessen dankend ablehnen. Mir ist das begegnet, und ich habe alle Verantwortung zu tragen.«

Der alte Pfarrer hatte Recht. Die Beschwerde entschied zum Nachtheile des Cooperators. Bis nach Carlsruhe war der Bericht gelaufen. Von dort empfing Frohmann eine lange Nase, und zwar mit solcher Eile, daß nur die Geneigtheit für ein so geartetes Geschenk die umgehende Erledigung erklären konnte. Knapper hingegen wurde Belobung und der zarte Hinweis, rühmlichem Amtseifer durch Heftigkeit nichts zu vergeben.

»Die Beurtheilung unserer Regierung setzt in Erstaunen,« sprach der gemaßregelte Cooperator. »Mir ist unbegreiflich, wie eine Entscheidung erfolgen konnte, verderblich für die Schule, widersprechend aller Billigkeit, kränkend jedes Recht.«

»Das ist Ihnen unbegreiflich, mein lieber Herr Confrater,« sagte der greise Pfarrer, »weil Ihnen die Absichten der Herrschenden fremd sind. Lesen Sie nur die Kammerdebatten über Kirche und Schule! Betrachten Sie den verbissenen Haß, welchen die Rednerbühne gegen den Offenbarungsglauben ausschüttet. Vergessen Sie nicht, daß jene Haßerfüllten nach Belieben Gesetze schaffen und umstoßen, – kurz, daß die Kammermajorität das Land regiert, und Sie werden Ihre Behandlung ebenso begreiflich finden, wie die beabsichtigte Knechtung der ganzen Kirche durch den glaubenslosen Zeitgeist.«

»Das System der Herrschenden ist unvernünftig,« rief das Herrchen. »Es bezweckt die Heranbildung einer völlig religionslosen Generation. Die Weltgeschichte der Jahrtausende hat aber niemals ein Volk ohne Religion gekannt. Ohne Religion ist ein Volk ebenso unmöglich, wie ein Tag ohne Sonne. Das Unternehmen des Zeitgeistes erscheint mir, wie ein Angriff des Blödsinnes gegen ein ewiges unabänderliches Gesetz.«

»Einverstanden!« sagte Freundschick. »Aber unsere Kammerhelden und Generäle des Fortschrittes sind keine tiefen Denker, auch keine Männer von gründlicher Bildung in den Wissenschaften. Bei ihren Angriffen gegen Religion und Kirche finden Lehren und Thatsachen der Weltgeschichte nicht die mindeste Beachtung. Ihr Haß treibt kopflos zum Umstürze aller christlichen Existenzen. Der Fanatismus des Unglaubens möchte sogar die Fundamente einer göttlichen Offenbarung zerstören, – darum verbannt er allgemach die Religion aus den Volksschulen. Die Menschen sollen aufwachsen gleich den Wildstämmen des Waldes. Die göttliche Offenbarung soll die Wildlinge nicht veredeln dürfen, die Gebote des Herrn sollen den Ungefügigen kein Pfahl sein, – aber die Dornen und Stacheln böser Neigungen dürfen sich ausbilden zu schrecklichen Leidenschaften und Lastern. Mir ist es ganz klar: die Liberalen oder Christushasser haben es darauf abgesehen, einen Urwald anzulegen, darin wilde Thiere hausen, von denen eines das andere auffrißt.«

»Und was gedenken die Herren an die Stelle der Religion zu setzen?« frug der junge Mann.

»Bildung, Humanität, Kunst, Wissenschaft!«

»Darin liegt eben der Unverstand!« sprach lebhaft der Kleine. »Kunst, Humanität und Bildung blühten im alten Griechenland. Aber sie konnten das entartete Volk nicht retten. Die Griechen gingen unter, sobald ihre Religion unterging. Das deutsche Volk werden Humanität und Kunst ebensowenig retten, sobald es glaubenslos oder liberal geworden.«

»Soweit denken unsere Kammern nicht,« versetzte der Pfarrer. »Ihr Kampf mit dem Bürgermeister ist bedenklich, weil die hiesige Gemeinde vom Zeitgeiste angefressen ist. Ich habe nach Kräften dem Verderben gewehrt. Allein der Einfluß schlechter Blätter und die aufklärerischen Wühlereien der Familie Blendung aus Mannheim, welche hier stark begütert ist und ihre Geldmacht im Dienste des Zeitgeistes verwendet, haben mein Bemühen vereitelt.«

Der alte Pfarrer saß betrübt. Manche schmerzvolle Erinnerungen mochten an seinem Geiste vorüber ziehen.

»Werden Sie nicht muthlos, mein lieber Herr Confrater!« hob er wieder an. »Sie sind eifrig und besitzen die Gabe des Wortes in hohem Grade. Sie haben in ein Wespennest gestoßen, die Wespen werden Sie verfolgen und stechen. Allein der Stachel der Bosheit darf einen treuen Priester nicht abhalten, durch Beharrlichkeit im Kampfe die herrliche Krone des Jenseits zu verdienen.«

Zum ersten Male bemerkte Freundschick, daß sein geistlicher Beistand nicht ohne Blut sei; denn das Herrchen wurde roth über das gespendete Lob und saß verlegen, wie ein bescheidener Knabe.

Für den Pfarrer bestanden übrigens ganz besondere Gründe, den jungen Herrn zu eifriger Amtsthätigkeit zu spornen.

Vor einem halben Jahrhundert wurde Freundschick durch den Bischof unter die Schaar jener Bevorzugten ausgenommen, die Gott mit übernatürlichen Gewalten begnadet zum Heile der Menschen. Das religiöse Leben schlummerte tief damals. Die Geister waren gleichgültig bis zum Tode kirchlicher Gesinnung. Strafwürdige Trägheit in den höchsten Interessen hatte alle Stände angeleckt, sie war in die Kirche gebrochen, hatte in den Beichtstühlen sich eingenistet, auf den Kanzeln sich niedergelassen, sogar den Kirchenbaustyl bis zur Geschmacklosigkeit besudelt. Es brodelte die salzlose Suppe einer wässerigen Moral, das Dogma lag vermauert hinter festen Wänden leblosen Kirchenthums. Ein Zögling dieser Bildung war Freundschick, und er weidete die anvertraute Heerde in diesem Geiste. Spärlich pflanzte er das Samenkorn des Wortes Gottes, des Hirten Gemüthsruhe störten nicht die tollsten Seitensprünge zuchtloser Schafe. Er war ein guter Herr, ohne Strenge und eifernde Schärfe. Auch Waldhofen lag in dem großen Moorgrunde, der ganz Deutschland, mit geringen Unterbrechungen fruchtbaren Bodens, überzog. Es hatten sich Stoffe zum Ausbruche schwerer Wetter gesammelt. Die ersten Stöße der Revolution schüttelten das Bestehende. Einige Salzkörner begannen, die todte Masse zu durchsäuern, das religiöse Leben erwachte. Die wiedergefundene Thätigkeit des Clerus weckte das Entgegenwirken prinzipieller Feinde, der Kampf entbrannte. Auf der Wahlstatt erschienen die streitgewandten Kämpen des heiligen Ignatius in blanker Wehr, Jesuitenmissionen rüttelten die Geister mächtig aus, die Wassersuppe wurde verächtlich, das vermauerte Dogma befreit. Es entfaltete sich ein kräftiges religiöses Bewußtsein, und geistige Bedürfnisse vertrieben aus Millionen den Stumpfsinn für die höchsten Güter.

Allein Herr Freundschick begriff die neue Zeit nicht. Er fand die jungen Kräfte rigoros, überspannt. Er blieb auf der alten Bahn schlummernden Daseins und bewahrte sich den Ruf eines duldsamen Herrn. Thätiger waren die Feinde. Während er schlief, streuten sie Unkraut unter den Waizen. Dieses wuchs und ging auf in der Entartung eines großen Theiles von Waldhofen. Kirchenfeindliche Blätter wurden in den Wirthshäusern gelesen. Darin fanden die Bauern Verhöhnung und freches Verneinen der heiligsten Glaubensgeheimnisse, und bald hatte der blasirte Geist moderner Aufklärung die ländlichen Gemüther angesteckt.

Der alte Pfarrer gewahrte mit Entsetzen das Verderben, allein er arbeitete nicht entgegen, und genoß sogar bei den Feinden den Ruhm eines friedfertigen Mannes. Wäre der Jude Berthold Auerbach nach Waldhofen gekommen, daselbst eine Dorfgeschichte zu schreiben, so würde er Freundschick preiswürdig gefunden und ihm keine verletzende Rolle übertragen haben. Dennoch muß bekannt werden, daß Freundschick lange nicht so tief gesunken war, um das Lob des genannten Juden zu verdienen. Persönlich war der Pfarrer sittenrein, gläubig und nicht gleichgültig für seine Seele. Fehlten Muth und Tapferkeit, sowie das Geschick für den Kampf, so kam dies daher, weil er in den Waffen nicht geübt worden.

Die Versäumnisse der Vergangenheit wurden erkannt und schmerzlich bereut. Allein der Greis vermochte es nicht, die Ruinen abzutragen und neue Gebäude aus starke Fundamente zu stellen. Als nun Gangolph Schröter mit dem Ansinnen vor ihn trat, einen Cooperator zu berufen, ging er widerspruchslos darauf ein. Die junge Kraft sollte der einfressenden Zerstörung begegnen, den vernachläßigten Weinberg befruchten, die Unterlassungen der Vergangenheit durch Eifer und mühevolle Arbeit sühnen. Daher Freundschicks Ermunterung an den Kleinen.

»Marianne,« sprach der Pfarrer einige Wochen nach Frohmanns Ankunft zur alten Köchin, »der Herr Cooperator ist ein wahres Muster von einem Seelsorger. Wie demüthig ist er, wie bescheiden und doch wie gelehrt! Sein Herz ist so rein und weich, wie das eines Kindes. Für seinen Beruf scheut er keine Anstrengung. Obwohl körperlich schwach und schmächtig, klagt er niemals über gehäufte Arbeit. Ohne Bedenken stürzte er in den Kampf mit dem rohen Bürgermeister und dem hoffärtigen Stephan. Alle Kränkungen erträgt er stillschweigend, kein Zorneswort wirft er gegen seine perfiden Feinde, – kurz, das feine junge Herrchen wandelt vor mir, wie ein Opfer, das sich täglich auf dem Altare seines Berufes dem Allerhöchsten darbringt.«

»Ja, – und wenn es noch eine Weile so fortgeht,« versetzte die Alte, »wird Euer Hochwürden das Opfer bald begraben können. Schreckliche Dinge hört man, wie Knapper und sein Anhang mit dem armen Herrchen umgehen! Sie ärgern ihn todt, – warten Sie nur, – todt ärgern sie ihn! Er sagt zwar nichts', er verschluckt Alles, – aber das ist um so gefährlicher.«

»So, – von All dem weiß ich nichts. Was hat Sie denn gehört?«

»Ich habe gehört, die erwachsenen Buben des Gemeinderathes Mohr grüßen jedesmal, so oft sie dem Herrchen begegnen: »Gelobt sei Jesus Christus,« – und dabei lachen sie und spotten. Ist der Herr Cooperator schon weit weg, rufen sie noch nach: »Gelobt sei Jesus Christus!« – Ist das auch eine Behandlung, ein Benehmen gegen einen Geistlichen?«

»Diese Buben sind gottlos, wie ihr Vater,« sagte Freundschick. »Mohr gehört zu den Aufgeklärtesten im Dorfe. Jedermann kennt das schlüpfrige Verhältniß dieses fünfzigjährigen Wittwers mit einem nichtsnutzigen Weibsbilde. Wenn Mohr und seine Buben schmähen, so ist dies für den Herrn Cooperator der höchste Ruhm.«

»Dann hab' ich gehört,« fuhr Marianne fort, »daß Knapper und Stephan und der Gemeindeschreiber das Herrchen gar nicht grüßen, sondern ihm häßliche Gesichter schneiden, so oft sie ihm begegnen. Auch in den Wirthshäusern schimpfen sie über ihn. Sie sagen: »Er ist ein Jesuit, ein verfluchter Pfaff, – ein schwarzer Wau Wau, – der Teufel hat ihn hereingeführt, der Teufel wird ihn wieder hinausführen. Unser alter Pfarrer,« sagen sie, »ist ein guter Mann. Bei ihm gab es niemals Streit. Er ließ Alles gehen, wie es ging, man konnte bei ihm leben, – aber diese schwarzwälder Kutte bringt Händel in die Gemeinde.« Solche Reden führen sie, und noch schändlichere.«

»Weiß Sie, Marianne, welches die allerschrecklichste dieser Reden ist? Das Lob dieser Menschen für mich! Der Herr sei mir gnädig, – zum Ruhme bin ich geworden im Munde der Gottlosen,« – und der alte Pfarrer versank in düsteres Sinnen.

Das Herrchen bedurfte nicht des pfarrlichen Spornes zur gewissenhaften Pflichterfüllung. Frohmann war ein reicher Geist, so rein im Wandel vor dem Herrn, so anspruchslos und demüthig, so opfermuthig und liebevoll, daß sogar die Bauern eine Ahnung von der hohen Eigenschaften des Herrchens beschlich. Muthig griff er in einer Reihe von Kanzelvorträgen den bösen Geist an, jedoch in ganz allgemeinen Formen, ohne Persönlichkeiten zu berühren. Er zeigte in blendenden Lichtern Glück und Erhabenheit des Glaubens, in tiefen Schatten Unglück und Verworfenheit des Unglaubens. Glaube und Unglaube behandelte er wie zwei Bäume, und wies hin auf die Früchte dieser Bäume. Sodann enthüllte er Scheinheiligkeit und Hohlheit des aufgeblähten Zeitgeistes. Er zog Folgerungen religionsfeindlicher Lehren für das Leben, und als er das Verderben der Gottentfremdung in der Gesellschaft mit lebhaften Farben malte, da erfaßte die ländlichen Zuhörer ein Grausen.

Dennoch stieß der Prediger auf Widerspruch. Die Gläubigen priesen zwar die schönen Predigten und dankten Gott für einen so tüchtigen Geistlichen. Aber die Aufgeklärten sahen jene Grundsätze und Gesinnungen, deren sie in Wirthshäusern sich rühmten, unter scharfen Streichen zusammenbrechen, wie irdene Götzenbilder. Daher Ingrimm und steigender Zorn gegen das redegewandte Herrchen.

»Ein ächter Jesuit, ein schlauer Finsterling!« erklärte der kupfernasige Gemeindeschreiber im vertrauten Kreise der Herrenstube. »Wie zart versteht er zu sprechen, und doch wie schneidig und scharf! Kommt er nur entfernt in Berührung mit irgend einer Persönlichkeit, – könnte man seine Strafpredigt nur auf irgend Jemand beziehen, so zieht er Glacehandschuhe an und belegt seine Zunge mit Honig. Und dann wieder fällt er über den Unglauben her, wie ein Löwe. Ein gefährlicher Mensch, – höchst gefährlich!«

»Ich bin zwar Protestant,« erklärte der Einnehmer, »konnte mir aber nicht versagen, den vielgerühmten Prediger zu hören. Wissen Sie, meine Herren, welchen Eindruck der schmächtige Cooperator auf mich gemacht hat? Er kam mir gerade vor, wie – der Prinz Eugenius.«

Erstaunen und Lachen in der Runde.

»Mein voller Ernst!« versicherte der Einnehmer. »Sie wissen, Prinz Eugenius war ein kleines schmächtiges Männchen, ein Ebenbild dieses Herrchens. Prinz Eugen schlug alle Feinde, weil er stets angriff und sie schlau zu packen verstand. Frohmann verfährt ebenso Seine Feinde sind Aufklärung, Unglaube, Fortschritt. Hat er diese niedergeworfen, dann ist seine Herrschaft oder vielmehr die Herrschaft des Pfaffenthums in Waldhofen fest begründet. Deßhalb greift er ohne Unterlaß und systematisch die moderne Bildung an. Er durchbricht die feindlichen Schlachtreihen und zerstreut sie. Ohne Bild gesprochen: mit kluger Berechnung und achtungswerther Gründlichkeit überzeugt er die Bauern von dem Teufelswesen des Liberalismus. Seinem Eifer wurden bereits große Erfolge. Der Aberglaube lebt kräftig auf, und geht es so fort, dann wird unser Herr Bürgermeister sich bald einen Rosenkranz kaufen.«

Die Tafelrunde lachte.

»Eher kaufe ich einen Strick, um einen Gewissen aufzuhängen,« rief Knapper.

»Für uns erwächst die Pflicht gleicher Rührigkeit,« sagte Stephan. »Gimpel, die sich bethören lassen, und veraltete Märchen glauben, gibt es überall. Gegen Menschenwahn kämpfen Götter selbst vergebens. Aber in Waldhofen gibt es, außer alten Weibern, auch Männer von klarem Geiste. Diese müssen sich fest zusammenschaaren gegen pfäffische Umtriebe. Für meine Person weiche ich dem Prinzen Eugen um keines Zolles Breite in der Schule, – natürlich die Unterstützung des Herrn Präsidenten vom Schulrathe vorausgesetzt.«

»Darauf können Sie Gift nehmen,« versicherte Knapper. »In der Schule bin ich Herr. Die Regierung soll keinen Dummkopf zum Präsidenten gemacht haben. Wie ich dem Herrchen neulich in der Schule den Kopf gewaschen, das haben Sie ja gesehen, und zum Waschen bin ich immer bei der Hand, sobald der Schwarze Dreck in die Schule schleppt.«

»Das war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens!« rief Stephan. »Wie entschieden haben Sie clerikale Uebergriffe abgewehrt, wie muthvoll Ihre hohe Stellung vertheidigt! Hätte jedes Dorf einen solchen Präsidenten, das Schulwesen müßte bald zur vollen Blüthe gedeihen.«

»Der arme Cooperator erhielt aus Carlsruhe ein halbes Klafter Prügel, – wie ich höre?« frug Levi, der Jude, seinen großen Mund zu einem spöttischen Halbmonde verziehend.

»Versteht sich!« antwortete Knapper. »Der Pfaff verklagte mich beim Amt, das Amt schickte die Klageschrift an mich zur Einsicht und Aeußerung. Ich gab Salz und Pfeffer dazu, und Alles zusammen lief nach Carlsruhe. Von dort erhielt das Herrchen einen Wischer, den er nit hinter den Spiegel stecken wird.«

»Der aber seinen feindlichen Eifer gegen moderne Bildung nicht abschwächt,« behauptete der Einnehmer. »Ich bin zwar Protestant, euere Händel gehen mich nichts an, – das ist euere Sache! Aber mein Prinz Eugenius wird euch noch zu schaffen machen. Darum seht euch vor!«

Der Wink wurde befolgt, die Herrenstube griff zu den Waffen. Jeden Sonntag wurden die Predigten in den Wirthshäusern kritisirt, lächerlich gemacht, die »Politik« des Cooperators scharf getadelt. Um die Tafelrunde bildete sich ein Kreis von Männern, welche aus materiellen Interessen die Gunst des Bürgermeisters um jeden Preis zu bewahren trachteten. Es gab Fuhren für die Gemeinde, öffentliche Arbeiten, und diese vergab Knapper an Gesinnungsgenossen. Anderen waren Dogma und Moral der Kanzel unbequem, weil sie das Zügellose der Leidenschaften liebten. Das Haupt der Gesetzlosen war Gemeinderath Mohr, ein Wittwer in vorgerückten Jahren, und in schmutzigen Verhältnissen mit einem üppigen Weibsbilde lebend. So oft Mohr aus der Kirche ging, murmelte er Flüche gegen den Prediger. Im Wirthshause verwandelten sich die Flüche in grobe Beschimpfungen, in lautes Anpreisen freier Selbstbestimmung.

»Der Papst,« rief er, »und alle Pfaffen müssen abgeschafft werden, dann können wir endlich einmal ruhig leben. Das ewige Geschwätz von einer ewigen Vergeltung, von Tugend und Laster, von Himmel und Hölle, das stört den Frieden des rechtschaffenen Mannes. Ich lasse mir nichts aufbinden! Was die Pfaffen ausgeben für Offenbarung Gottes, das haben sie erfunden, um die Leute zu knechten. Die Pfaffen wollen herrschen, darum drücken sie uns unter das Joch der Religion und führen die Peitsche der Höllenstrafe. Lest den Renan, – das ist ein Buch! Dort könnt ihr finden, daß Alles nichts ist, – sogar die Gottheit Christi ist ein Märchen. Es lebe die Freiheit, – esse Jeder, was ihm schmeckt!«

Die Parteien entwickelten sich schärfer.

Wie um den Bürgermeister fortgeschrittene Gesinnungsgenossen gewappnet standen, so wurde Frohmann das Haupt der Gläubigen. Sein Scharfblick hatte rasch die Schwierigkeiten seiner Aufgabe und den verbissenen Trotz der Religionsfeindlichen erkannt. Tief schmerzte ihn diese Wahrnehmung. Mit seinem Leben hätte er die Verirrten retten mögen, und findet ein Mann von solchem Geistesadel grobe Beschimpfungen und grimmigen Widerspruch, wo sein redliches Bemühen Dank und Anerkennung hoffen darf, so ist dies der herbste Schmerz für ein zartsinniges Gemüth.

Trost und Ermunterung fand das Herrchen vorzüglich in der Familie Schröter, wo er Hausfreund geworden. Die Hochachtung wuchs bis zur Begeisterung. Gangolph hielt den Dreispitz in der Hand, so oft Frohmann zum Besuche kam und widersprach beharrlich, das greise Haupt vor dem Hochwürdigen zu bedecken. Fritz Schröter, der thätige Landwirth, hätte dem frommen Herrn die Steine aus dem Wege raffen mögen, damit sein Fuß nicht daran stoße. Bei den Kindern des alten Hauses war er Liebling. Hänschen ließ den Tanzknopf liegen und sprang dem Nahenden froh entgegen. Die schöne Helena sah aus leuchtenden Augen auf den Kleinen und lauschte achtungsvoll seinen Worten. Frau Schröter vergaß sogar die Hausarbeit, dem ehrenden Besuche aufzuwarten.

»So oft der Hochwürdige kommt,« sagte sie, »meine ich, Gottes Segen trete leibhaftig in unser Haus.«

Und wie der reichste Mann in Waldhofen und seine ganze Familie dem jungen Hirten Liebe und Vertrauen entgegen brachten, so gab es noch manches Haus von gleicher Gesinnung. Bei ihnen fiel das Samenkorn des Wortes Gottes auf ergiebigen Boden. Sie zwangen den niederen Menschen, erhabenen Glaubenslehren zu genügen, die Leidenschaft zu bewältigen, den mühsamen Pfad der Tugend zu ersteigen. Und strauchelte eine Seele, so erschien sie reuig im Beichtgerichte, auf Grund guter Vorsätze Lossprechung zu erlangen, und nach empfangener Stärkung am Tische des Herrn mit frischer Kraft hinan zu klimmen.

Aber dem Cooperator entging nicht das geringe Maaß fruchtbaren Ackerlandes. Es herrschten vor die Dornen, offene Wege und Felsengrund. Dort weckte sein Eifer heftigen Widerspruch, und er sah betrübt eine festgeschlossene rührige Partei gegen sein Wirken. Die Strömung der Geister schuf zwei feindliche Heerlager, und bald hieß es: »Hie Schwarzen, hie Rothen!« Die Fahne der Rothen trug Bürgermeister Knapper, das Banner der Schwarzen entfaltete Fritz Schröter, Beide entschlossen, den Feinden im Kampfe zu trotzen.

In schönen Frühlingstagen hatte Frohmann im alten Hause den Wunsch geäußert, den Schulkindern Freude zu machen durch einen Ausflug.

»Ich würde sie gern nach Bruchsal hinabführen,« sagte er, »aber die Kleinsten dürften dem Wege kaum gewachsen sein.«

»Da ist zu helfen,« entgegnete Fritz Schröter. »Wir laden die Knirpse auf meine Leiterwagen und fahren sie nach Bruchsal. Ich selbst fliege mit aus; denn das muntere Kindertreiben macht mir Vergnügen.«

Das Herrchen verkündete in beiden Schulen die beabsichtigte Spazierfahrt. Darüber gab es helle Freude unter den Kleinen, und als der heißersehnte Tag erschien, bestiegen sie in Sonntagskleidern drei bekränzte große Wagen. Klingende Kinderstimmen sangen frohe Lieder, und hinab ging es nach Bruchsal, dem alten Sitze der Fürstbischöfe von Speyer. Viele rothen Kinder hatten auf Befehl der Eltern zu Hause bleiben müssen, wo sie nun weinten und den ganzen Tag traurig umher gingen. Auch Stephan, der Volksschullehrer, schloß sich aus, mit einem Veto gegen die Spazierfahrt.

»Es steht Ihnen nicht zu,« hatte er zu dem Cooperator gesagt, »die Schule zu unterbrechen. Kurz und kostbar ist die Zeit des Lernens, sie darf nicht verschleudert werden. Ich werde Sie deßhalb bei dem Herrn Präsidenten des Schulrathes verklagen.

In schöner Ordnung, das Herrchen zwischen dem Gutsbesitzer und dem alten Lehrer an der Spitze, wanderte die waldhofer Jugend durch Bruchsal, hinaus nach dem stattlichen Schlosse der Fürstbischöfe. Die Kinder betrachteten verwundert das mächtige hohe Haus, mit den fürstbischöflichen Wappen und vielen Zierrathen, in Stein gehauen, über Fenstern und Eingängen. In dem weit gedehnten Hofe wuchs Gras, die meisten Fenster waren geschlossen durch Läden, aus denen das Baumaterial der Spatzen herabhing. Oede lag um das Ganze, ausgestorben und verlassen trauerte der gewaltige Bau, Klagegeister umschwebten die alten Mauern und besangen, feinfühligen Seelen vernehmbar, Verfall und Zerstörung ausgelebter Herrlichkeit. Die Kleinen wurden sehr stille und sahen schüchtern auf das todte Bischofsschloß. Schröter überkamen ähnliche Gefühle. In der Geschichte seines Vaterlandes nicht unbewandert, gedachte er vergangener Zeiten. Die Insule, Bischofsstäbe und Fürstenkronen über den Fenstern erzählten von längst untergegangenem Glanze, und als er an dem Wachthause vorüberschritt, stacken dort noch die Kloben in den Wänden, an denen die Waffen der bischöflichen Soldaten zu hängen pflegten. Nun war Alles zerfallen und vergangen, der vormals mächtige Krummstab mit dem gekreuzten Schwerte in einen schlichten Hirtenstab verwandelt, und die früheren freien Kronenträger sah Schröter gefesselt in Ketten eines trostlosen Staatsabsolutismus.

»Wird den Kirchenfeinden auch der letzte vernichtende Schlag gelingen?« dachte Schröter. »Die Bischöfe haben sie aus altem Besitze und Einflüsse hinausgestoßen, – wird der Zeitgeist im Vernichtungskampfe gegen die Existenz der Bischöfe siegen? Verlassen ist dieses stattliche Bischofshaus, – wird einmal eine Zeit kommen, wo auch die Bischofsstühle verlassen stehen?«

Frohmann gewahrte den sinnenden Ernst seines Begleiters und errieth dessen Ursache.

In dem anstoßenden frühlingsgrünen Parke wurden die Kinder lebendig. Sie tummelten sich unter Bäumen und begannen auf freien Plätzen ihre Spiele. Die Mädchen gaben sich die Hände, bildeten weite Kreise und sangen: »Ringle, ringle Rosenkranz!« Die Knaben versetzte das Herrchen in Spannung und thätige Hast. Er rief eine dichte Gruppe zusammen, stand in ihrer Mitte und hielt ein glänzendes neues Sechserstück empor.

»Nun gebt acht, Kinder! Ihr alle zieht euere Schuhe und Stiefeln aus und legt sie in einem Haufen zusammen. Wer von euch seine Stiefeln oder Schuhe zuerst herausgefunden und angezogen hat, der bekommt diesen Sechser.«

In einer Sekunde waren sämmtliche Füßchen entblößt, das Lederwerk lag in einem Häuflein vermengt. Ringsum standen erwartungsvoll die Knaben, heiße Spannung in den hellen Kinderaugen. Das Herrchen zählte, und mit »Drei« fiel der ganze Schwarm über die Fußbekleidungen her. Es gab ein wildes Durcheinander, ein Gepurzel, Suchen und Drängen. Manche hatten glücklich die eine Hälfte erhascht, aber für den zweiten Fuß wollte der Fund nicht gelingen. Andere brachten im Eifer fremdes Gut an die Sohlen, oder den rechten Stiefel an den linken Fuß. Die Verwirrung gestaltete komische Bilder, das Herrchen lachte, sogar der ernste Landwirth wurde heiter. Endlich war der Sechser gewonnen, das Treiben wiederholte sich und das Herrchen opferte einen Gulden. Sodann führte er die Knaben vor glatte Stämme eines jungen Buchenbestandes. An jeden Baum stellte er einen Freiwilligen.

»Wer zuerst die Aeste erreicht,« sagte Frohmann, »der bekommt diesen Sechser.«

Nun gab es ein rüstiges Klettern, anfänglich mit guten Erfolgen. Allein die Aufgabe war den Kräften nicht angemessen, die Stämme zu dick, die Kleinen konnten sie nicht umspannen, und die Glätte verlieh den Baarfüßchen keinen Halt. Da und dort hingen sie ausruhend in bedeutender Höhe und blickten sehnsüchtig nach dem Ziele des Kampfpreises. Ringsum standen die Kinder gespannt über den Verlauf, durch Zurufe die Kletterer ermunternd. Aber es wollte keinem gelingen, die Fortschritte wurden immer geringer, die Spannkraft erlahmte, und jetzt rutschten Alle in kurzen Zwischenpausen herab, unter hellem Lachen der Zuschauer. Neuerdings unterzogen sich Muthvolle der Aufgabe, wieder begann das Klettern, und jener Knabe, der, seine Kraft schonend, anfänglich langsam emporstieg und öftere Ruhepausen machte, erreichte glücklich die Aeste. Jetzt stand der Sieger vor dem Herrchen und empfing den Preis.

An das Spiel knüpfte Frohmann eine Lehre.

»Wer von euch jenen dicken Eichbaum erklettert,« rief er, »bekommt hundert Gulden.«

Die Kühnsten schracken zurück. Allen war die Unmöglichkeit klar, den gewaltigen Stamm zu bezwingen.

»Gebt acht, Kinder!« rief das Herrchen ernst. »So unmöglich es euch ist, jene Eiche zu erklimmen, so unmöglich ist es euch, den hohen Himmel zu ersteigen. Wenn aber ein Riese käme, dessen Arme bis zu den Aesten des Eichbaumes reichten, und wenn der Riese euch im Klettern unterstützte, so würdet ihr mit einiger Mühe dennoch hinauf kommen. Ebenso ist es mit dem Himmel. Ohne Gott könnt ihr dorthin nicht gelangen, es ist gar nicht möglich. Wenn ihr aber jeden Tag Gott bittet, er möge euch helfen mit seinen Riesenarmen in den Himmel, so werdet ihr stark, tugendhaft zu sein, und die Tugend allein gewinnt den Himmel.«

Die Lehre vom Ersteigen des Himmels, so handgreiflich neben die unbesiegbare Eiche hingestellt, fiel unverwüstlich in die Kinderseelen, und aus ihr keimten Demuth und Gebetseifer.

Frohmann zog mit den Kleinen wieder in den Schloßhof, den bald munteres Treiben der Spielenden belebte. Endlich klatschte er in die Hände, die Kinderschaar kehrte zurück in das Wirthshaus, wo mächtige Schüsseln mit Sauermilch und gewaltige Brodlaibe die Hungrigen erwarteten. Auch vor den Geistlichen wurde ein Teller von gleichem Inhalte gestellt, und auch er schnitt sich von demselben Brode.

»Den Zartsinn der Kinder würde es verletzen, wählten wir eine kräftigere Kost,« sprach er zu Schröter. »Uebrigens ist das eine ganz gesunde Nahrung.«

Den Gutsbesitzer freute es, den Verehrten so heiter zu sehen, und im Parke war ihm der Gedanke gekommen, Frohmann sei unter Kindern wie ein Kind. Hieran knüpfte sich die Folgerung, daß nicht Jahre das Kindliche im Menschen aufheben, daß auch im Mannes- und Greisenalter Reinheit und Heiterkeit des Gemüthes fortleben, wenn nicht das Schlechte den klaren Spiegel der Kindheit trübte. Er begriff die vielseitige Wahrheit des Ausspruches Jesu: »Wenn ihr nicht werdet, wie die Kinder, so könnt ihr nicht eingehen in das Reich Gottes.« Er folgerte weiter, bedachte die traurigen Verhältnisse in Waldhofen, und es wurde ihm klar, daß Frohmanns zartes und reines Gemüth Qualvolles erdulden müsse durch boshafte Ränke und stirnlose Ungläubigkeit der Rothen.

»Sehen Sie heute zum ersten Male das schöne Haus der Fürstbischöfe von Speyer?« frug das Herrchen.

»Zum ersten Male! Oft bin ich in Bruchsal gewesen, aber niemals dort hinaus gekommen.«

»Wie Alles in der Welt sich ändert, was von der Welt ist!« fuhr der Kooperator fort. »Vormals trugen die Bischöfe, neben der Inful, auch die Fürstenkrone, neben dem Hirtenstabe das Schwert. Die irdische Beigabe wurde ihnen genommen, und die Nachfolger der Apostel sind beinahe zur ursprünglichen Einfachheit emporgestiegen. Der Revolutionssturm hat nichts zerstört, Gottes Finger benützte ihn zur Läuterung der Lebensluft.«

Die Worte fielen zündend in Schröters Seele hinein.

»Ich danke Ihnen für diese Bemerkung, Hochwürden! Sie berührt bange Zweifel, welche der Anblick des verlassenen Bischofssitzes in mir wachgerufen. Wir Katholiken sind an das Unveränderliche alles Kirchlichen so gewöhnt, daß selbst der Einsturz zufälliger Formen beunruhigt. Vollkommen wahr: nur die irdische Beigabe wurde von den Bischöfen genommen, – die Oberhirtengewalt blieb unverkürzt. Vielleicht ist der Verlust fürstlichen Pompes keine Einbuße; denn ich las von manchen Bischöfen, daß sie den Hirten über dem Fürsten vergaßen.«

»Und jene düstere Zeit hat sogar in Kathedralen die Verirrung bewahrt,« sagte Frohmann. »Besuchen Sie den Dom in Mainz, wo eine lange Reihe von Erzbischöfen ruht, so werden Ihnen manche Grabmäler von geräuschvollem Hofleben und kriegerischem Glanze erzählen. Kanonen sind dort ausgemeißelt über bischöflichen Grüften, Schwerter und Lanzen, Kriegsbanner und Trommeln, und der Kirchenfürst selbst in Wehr und Waffen. Ein Stück Weltgeschichte in Stein gehauen. Und was dort die Geschichte erzählt, kann nur wieder dem Einsichtsvollen die Wahrheit des göttlichen Ausspruches bestätigen: Die Pforten der Hölle werden meine Kirche nicht überwältigen.«

Schröter bedachte die letzten Worte und konnte einen Zusammenhang mit den kriegerischen Erzbischöfen von Mainz nicht finden.

»Sie halten die weltliche Herrschaft der Bischöfe für nachtheilig?«

»Mit Unterscheidung! Die Fürstengewalt der Bischöfe war nicht Wesen, sondern Beigabe, nicht Zweck, sondern Mittel, und durch viele Jahrhunderte hat dieses Mittel Großes vollbracht. In Zeiten roher Kräfte umgab göttliche Weisheit die Bischofsstühle mit entscheidenden politischen Einflüssen. Die freie, fürstliche Stellung sicherte gegen Unterdrückungsversuche eiserner Kaiser, sie verhinderte die Knechtung der Kirche, die Herabwürdigung des Priesterstandes. Das Staatswesen lag damals großentheils in den Händen der Prälaten. Diese konnten den Geist des Christenthums, das Licht der Kirche, das Salz evangelischer Lehren, in alle Verhältnisse öffentlichen Lebens hineintragen. Der Sprößling des Christenthums, die Civilisation, wurde mächtig gefördert. Die Bischofssitze waren durch Jahrhunderte Pflanzstätten religiöser, wissenschaftlicher, künstlerischer und volkswirthschaftlicher Erziehung der naturwüchsigen Söhne des Mittelalters. In religiöser Hinsicht gab es Helden der Entsagung, leuchtende Sonnen am Himmel der Tugend, – Heilige, vor denen wir bewundernd stehen, zu deren Geisteshöhe wir staunend emporsehen. Und gläubig, tief religiös war das ganze Volk. Nicht zerfahren und schwächlich war die deutsche Nation, sondern voll einheitlicher Kraft, weil die Glaubensmacht sichere Verhältnisse auf religiösen Grundlagen geschaffen. Unsere größten Kaiser, in Wirklichkeit den Erdball in Händen tragend, bekannten öffentlich vor Gott und allem Volke Sündhaftigkeit und strafbare Mißgriffe. Im Angesichte des Volkes vertauschten sie den Purpur mit Bußkleidern. Dann kamen fromme Bischöfe und geißelten die Herren der Erde. Und diese Handlung war nichts Gemachtes, keine Demonstration zur Täuschung der Menge, – sie war eine Frucht am Baume tief religiösen Lebens. Der Höchste auf Erden bekannte Verantwortlichkeit und Schuld vor Gott: – von außerordentlicher Wirkung mußte das sein auf die gläubigen Herzen. Dem Kaiser, den bei feierlichen Gottesdiensten die Stola kleidete, und der wie ein Diakon das Evangelium sang, der zuweilen Bußkleider trug unter dem Purpur, traten die mächtigsten Reichsfürsten nach. Sie luden Arme zu Tische, eigenhändig pflegten sie Kranke, wuschen Armen die Füße, trugen Steine herbei zum Bau von Münstern und Kirchen. Großes übten sie im Entsagen, – und wenn diese mächtigsten Herren Bischöfe waren, so mußte das erhabene Beispiel, vom Throne herab gegeben, auf die Massen sittigend und spornend wirken.«

»Dennoch gediehen auch im Mittelalter finstere Thaten,« warf der Landwirth ein.

»Aber die Finsterniß gelangte nicht zur Herrschaft, wie heute,« versetzte Frohmann. »Die Glaubensherrschaft zwang den Frevler zu strenger Buße, das heißt jenen Frevler, den irdische Gerechtigkeit niemals erreichen kann. Der Zeitgeist des neunzehnten Jahrhunderts schämt sich der Buße. Er brüstet sich in Thaten, welche das Mittelalter sühnte in Einöden, in stillen Klosterzellen, in schwerer Genugthuung bis zum letzten Athemzuge.«

»Mein Einwurf wollte nicht bestreiten, Hochwürden, daß in der Blüthezeit unserer Nation der Glaube regierte. Gerade der Glaube an das Höchste und das Streben nach dem Höchsten haben unser Vaterland groß gemacht. Und weil heute das Verneinen dominirt, weil die Götzen des alten Heidenthums, das goldene Kalb, Bacchus und seine Freundin, frech concurriren mit den reinen Geistern des Christenthums, darum ist es so elend bei uns. Würde auch ein Zufall, oder eine Weisung der göttlichen Weltregierung die politische Einheit Deutschlands herstellen, bald würden himmelschreiende Ungerechtigkeiten und brutale Gewaltthaten die innere Fäulniß bloß legen, und dem neuen Reiche das Brandmal der Lebensunfähigkeit aufdrücken.«

Das Herrchen nickte beistimmend.

»Gleiche Dienste leisteten Fürstbischöfe den Wissenschaften,« fuhr er fort. »In stillen Klöstern saßen tiefe Denker, fleißige Federn der Mönche vervielfältigten durch Abschreiben die Werke classischer Vorzeit. Ohne die Kirche besäßen wir keinen Homer, keinen Virgil, keinen Plutarch, keinen Dichter und keinen Geschichtschreiber des Alterthums. Damals gab es keine Schulen, außer den Klosterschulen, keine Bildung, ohne die Kirche. Und ohne reiche Mittel hätte die Kirche ihre wissenschaftliche Mission nicht erfüllen können. Was jetzt unsere Fürsten und Kammern zusammen thun, that ganz allein die Kirche und zwar in Verhältnissen, welche die »mittelalterliche Finsterniß« als eine Verläumdung bezeichnen. – Und die Kunst? Nun, – die Reformation und ihr Gefolge haben das Meiste aus jener großen Zeit vernichtet. Das lautere Evangelium hat die Gotteshäuser gereinigt von den Schöpfungen des Papstthums, und mit den Gliedmaßen kunstvoller Schnitzwerke haben die Calvinisten ihre Hammelskeulen gebraten. Was aber gerettet wurde, in Stein und Holz geschnitten, auf Leinwand, Holz und an Kirchenwände gemalt, oder in den Riesenbauten deutscher Münster aufgeführt, das läßt unsere Unfähigkeit sattsam erkennen. Seit die Kunst aus der Kirche fortgezogen, ist sie tief herabgestiegen, und heute lebt sie größtentheils von der Nachahmung. Der Strom künstlerischen Schaffens versiechte, weil Unverstand ihn abgegraben vom Quell des Guten, Wahren und Schönen. Nur dort findet der Kunstfreund in Schöpfungen der Gegenwart Befriedigung, wo sich das Talent religiösen Ideen wieder zugewandt.«

»Sie glauben demnach, Kunst gedeihe nur auf religiösem Boden?«

»Die Kunstgeschichte erzwingt mir diesen Glauben, noch mehr das Wesen der Kunst. Was ist künstlerisch schön? Die Einheit in der Mannigfaltigkeit. Zur Einheit gehört aber das Wahre, Gute und die Gottesidee. Da Gott, das Gute und Wahre nur in der Religion existiren, so folgt, daß Kunst ohne religiösen Glauben unmöglich ist.«

Dem Gutsbesitzer schien die Behauptung gewagt.

»Ich habe in der Stadt ein Bild ausgestellt gesehen,« sagte er, »das Sie als unsittlich würden verurtheilt haben, – eine moderne Venus. Dennoch waren die Formen künstlerisch vollendet, das Ganze schön.«

»Künstlerisch schön in – der Form; zugegeben! Allein die Form ist nicht das Wesen, sondern eben nur die Form. Soll die Form genügen, dann muß sie einen guten Inhalt haben. Wird Sie ein künstlich geformtes Gefäß befriedigen, das Gift bietet zum Genusse? Unmöglich! Hätte Ihr moderner Venusmaler in die vollendet schönen Formen der Darstellung zugleich den geistigen Inhalt des Unsittlichen, der Ausschweifung und aller Consequenzen getreu hineingemalt, das Bild müßte häßlich sein. Weil er aber dies nicht gethan, darum ist das Bild unwahr. Zur ächten Kunst gehört vor Allem – Wahrheit. Und weil das Venusbild unsittlich ist, darum ist es nicht gut, und weil es weder gut, noch wahr ist, darum ist es nicht schön. Sie sehen, die schöne Form der Venus ist nur eine Täuschung; denn sie lügt einen gewissen Inhalt, der gefällt, sie lügt Befriedigung, wirklichen Genuß und Glück, – sie lügt das, weil auf dem Gebiete des Unsittlichen verfliegende Räusche, aber dauernde Befriedigung und Glück nicht existiren. Wo Sklaverei der Leidenschaft herrscht und Zügellosigkeit des Sinnlichen, dort stirbt der Frieden und versinkt das Glück. Borgt aber das Böse, wenn es sich als schön darstellen will, den Schein des Guten, so ist dies eben nur ein Beweis, wie nothwendig das Gute zum Inhalte des Schönen gehört.«

»Vollkommen einverstanden, Hochwürden! Ich danke Ihnen wirklich. Sie wissen, die Fortgeschrittensten gehen mit dem Plane um, die Kunst an die Stelle der Religion zu setzen, weil Religion sich ausgelebt, und nur die Kunst weiter führen könne. Ich weiß nun, was von diesem Unternehmen zu halten ist.«

»Meinen es die Unternehmer aufrichtig,« sprach das Herrchen, »dann müssen sie auf das Fundament aller Kunst, auf die Religion, stoßen. Mithin wäre Hoffnung, verirrte Kunstfreunde für den Glauben zu gewinnen durch die Kunst. – In der Kirche ist die Kunst eine ganz naturgemäße Erscheinung, weil im Göttlichen das ewig Schöne liegt. Und auch der Kunst des Mittelalters mußten die reichen Mittel der Kirche überaus förderlich sein. Bischöfe, die von spärlichem Jahrgehalte leben, würden ihre Cathedralen nicht mit Gemälden ausgeschmückt, oder Steinmetzen-Hütten unterhalten haben. So bestimmt tritt in der Geschichte die Kirche als Mutter der Künste hervor, daß mit der großen Spaltung, der Reformation, im deutschen Reiche die Kunst zu sterben begann. Der berühmte Maler Holbein beklagt dies bitter. Er wurde brodlos, mußte wandern und sich ernähren von entwürdigender Arbeit, weil die Eiskälte der neuen Sectenlehren den Künsten widerstrebte. Sogar feindselig erwies sich der Protestantismus den Künsten, vernichtete ihre Schöpfungen und glaubte, den Allerhöchsten verehren zu müssen in Kirchen, die er zuvor gereinigt vom »Wuste des Papstthums«, – das heißt, von Gebilden der Kunst. – Gleicher Ruhm verherrlicht die Kirche in volkswirthschaftlicher Beziehung. Mönche waren die ersten Bauern, die ersten Handwerker, die Träger von Cultur und Civilisation im wilden Germanien. Mönche lehrten unsere Vorfahren in Bärenfellen nicht blos menschlich denken und streben, sondern auch menschlich leben. Sie bändigten die Wilden, sie trockneten Sümpfe aus, lichteten Wälder, schlugen Brücken über reißende Ströme, sie brachten den Weinstock nach Deutschland und zogen Saatfurchen. Dies Alles hat freilich die undankbare Gegenwart vergessen. Der Fortschritt weiß nicht einmal, daß er ohne die Kirche noch tief in den Sümpfen von Germaniens Urwäldern läge. Und auch das sieht der Fortschritt nicht, daß er ohne die Kirche in einen weit gefährlicheren Sumpf allgemeiner Fäulniß hineinwatet. Aber es wird eine Zeit kommen, wo den Herren der Boden schwindet, und sie verzweifelt in aussichtslosen Morästen zappeln. Ist jener Zeitpunkt höchster Noth und Rathlosigkeit hereingebrochen, dann wird sich der alte Spruch abermals bewähren: »Ohne die Kirche kein Heil.«

»Dagegen wird der Zeitgeist mit letzter Kraft sich sträuben,« sagte Schröter. »Feindseligkeit, Haß und Gewaltthat gedeihen täglich mehr. In allen Kammern und Kämmerlein sprudeln saftige Phrasen der Volksmänner gegen die Kirche. Wer am kräftigsten schimpft, die Pfaffenherrschaft recht gefährlich und verderblich in schreienden Farben ausmalt, der hat den lautesten Beifall der Galerieen und der rothen Presse. Erstaunlich ist hiebei die Unverbesserlichkeit systematischer Verläumdungssucht gegen die Kirche, gegen ihre Geschichte, und Lehren. Die Fabel von der Päpstin Johanna, von der Einführung der Beichte im dreizehnten Jahrhundert, und anderer Dichtungen, wurden schon tausendmal wissenschaftlich zusammengeschlagen. Dies hindert aber die Aufgeklärten nicht am Wiederholen der Lügen. Neulich hat sogar ein hessischer lutherischer Prälat, Zimmermann, glaube ich, heißt der Mann, für die Schulen ein Lehrbuch voll schmählicher Lügen gegen die Kirche geschrieben. Mit diesem Lügenfutter wird die Jugend groß gezogen, in blinden Haß, in folgenschwere Vorurtheile gegen die Stiftung Gottes auf Erden hineingetrieben. Das ist unverantwortlich und gewissenlos!«

»Die Kirche lebt eben das Leben ihres göttlichen Herrn, ein Leben der Verfolgung und Schmähung,« sagte Frohmann. »Seit achtzehnhundert Jahren haben die Mächte des Abgrundes kein Mittel unversucht gelassen, die Verhaßte zu stürzen. Es gab große und kleine Wütheriche, blutdürstige Nerone mit Schwert und Federn, in Harnisch und Advokatenröcken, Kirchenfeinde in Purpur und Prälatenkutten. Uns aber tröstet die Ueberzeugung, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden.«

Die Kinder hatten die Schüsseln geleert und trieben spielend durch den Hof. Der Großknecht erschien mit der Meldung, es sei angespannt. Das Völklein bestieg die Wagen, und diese rasselten durch Bruchsal. Der alte Lehrer stimmte ein Lied an. Der helle Chor der Knaben fiel ein, die wogenden Fruchtfelder nickten freundlich, die Weinberge grüßten, und hoch in den Lüften weckten die Kinderlieder ein schallendes Echo von Lerchenstimmen. Schröter griff das unterbrochene Gespräch wieder auf; denn sein Glaube war ihm das Höchste und Alles von anziehender Wirkung, was mit ihm zusammen hing. Das gelehrte Herrchen aber sprach in neuer Weise und klar über Manches, was dem Gutsbesitzer dunkel geschienen.

»Wenn die Fürstengewalt der Bischöfe so Großes geleistet, dann wäre ja der Fortbestand geistlicher Fürstenthümer von hohem Nutzen gewesen.«

»Ich habe gesagt: Die Fürstengewalt der Bischöfe sei nicht Wesen, sondern Beigabe, nicht Zweck, sondern Mittel,« antwortete Frohmann. »Leider kam es zu trüber Entartung. Es hat sich das Fürstliche nicht im Geiste der Kirche entwickelt. Auch hier streute der Feind Unkraut unter den Weizen. Nachgeborene Prinzen griffen zum Hirtenstabe, nicht aus innerem Drang, eine geistliche Leuchte zu werden, sondern weil der Hirtenstab den Scepter enthielt. Männer ohne allen Beruf, ohne Reinheit des Wandels, ohne apostolischen Funken wurden Bischöfe. Das Walten und Hofleben dieser Eindringlinge gestaltete sich zum Aergernisse der Gläubigen. Ja, – diese Prinzen mit Insul und Hirtenstab waren mitunter die größten Feinde jener heiligen Sache, die sie vertraten. Darum zog Gott den befleckten und befleckenden Purpur von den Schultern der Bischöfe. Die Beigabe wurde hinweggenommen, das Wesen blieb. Die glänzende Hülle zerbrach der Herr, weil sie das heilige Amt schändete und Räuber auf Hirtenstühle lockte. Und jetzt gelüstet keine berufslosen Prinzen mehr nach bischöflicher Einfachheit, nach Mühen und Kämpfen apostolischer Wirksamkeit. Hat die Revolution Scepter und Kronen der Kirchenfürsten zerbrochen, so arbeitete sie, ohne Absicht, zum Heile, zur Reinigung und Erhebung der Verhaßten, – der katholischen Kirche.«

Schröter nickte beistimmend.

»Hätte ich im Geiste Ihrer Belehrung das alte verlassene Bischofsschloß in Bruchsal betrachtet, düstere Eindrücke wären fern geblieben. Indessen erscheint der Verlust irdischer Gewalt für den Clerus auch von einem anderen Gesichtspunkte wünschenswerth. Bekanntlich trompetete und trommelte die schlechte Presse unausgesetzt von »pfäffischem Einflusse,« von »geistlicher Herrschsucht,« von »clerikalen Umtrieben«. Förderte Unverstand etwas Verkehrtes zu Tage, flugs wurde es auf Rechnung der Priesterherrschaft geschrieben, die Entrüstung der öffentlichen Meinung gegen den Clerus gewandt. Seitdem nun die Einflußlosigkeit des Clerus auf die Staatsmaschine offenbar geworden und der Zeitgeist allein den Staatswagen lenkt, seitdem muß die alte Verläumdung dem verbissensten Religionsfeinde sinnlos erscheinen.«

»Aber von anderer Seite droht Gefahr,« sprach zögernd das Herrchen. »Den Staatsabsolutismus reizt es, auch in die Kirche hinein zu regieren und die Grenze zu übersehen, welche ihn naturgemäß trennt von der Regierung des Reiches Gottes auf Erden. Die Bischöfe, von Christus mit göttlichen Gewalten und himmlischen Vollmachten betraut, möchte er als willenlose Räder in die Staatsmaschine einfügen, zu Beamten seiner Sphäre herabwürdigen. Werden alle Bischöfe diesem beständigen Drucke widerstehen? Oder wird es gelingen, Hofbischöfe zu schaffen, Männer, denen es an Kraft gebricht, in heißem Kampfe mit der Staatsgewalt die Sache Gottes zu vertreten? – Gott bewahre seine Kirche vor der Pest des Byzantinismus und das deutsche Volk vor der Schmach heidnischer Gewissenstyrannei!«

Gegen Abend fuhren die Wagen durch Waldhofen. Die Ausgeflogenen kehrten zurück in die elterlichen Behausungen, und lange lebte in den Kindern der Tag als schöne Erinnerung fort.

Das Herrchen aber bekam, auf die Anzeige des Bürgermeisters, von der Regierung einen scharfen Verweis wegen ordnungswidriger Unterbrechung der Schule. Frohmann legte die neueste lange Nase getrost zu den übrigen, weil er ein Vergehen in dem Bemühen nicht entdecken konnte, der Jugend eine unschuldige Freude bereitet zu haben.


 << zurück weiter >>