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Der Versucher.

Helene trat in den Hof, einen Eimer in der Hand. Der Eimer war ebenso ein Muster blanker Sauberkeit, wie seine Trägerin ein Typus ländlicher Schönheit und reiner Jungfräulichkeit. Das Holz des Eimers, dem Stamme der wilden Kastanie entnommen, wetteiferte an Weiße mit jener des Schnees, und die sorgfältig gescheuerten Kupferreife blitzten, wie neugeprägte Napoleons. Helena redete zu den Tauben, welche ihr um das Haupt flogen, und trat zum Brunnen. Sie stellte das Gefäß unter den kräftig hervorschießenden Wasserstrahl, stützte die Rechte an den Brunnenstock, die Linke in die Hüfte und sah, die klare Fluth den Eimer füllen.

In demselben Augenblicke öffnete sich die Hofthüre. Beide Blendung überschritten die Schwelle. Sogleich wurde Ferdinand gefesselt durch die reizende Gestalt am Brunnen, und die Gegenwart des Vaters hinderte nicht ein mächtiges Hinausströmen überwältigender Gefühle. Jeder ultramontane Sohn würde dem Ausströmen eine kräftige Klappe, gehämmert durch kindliche Zucht und gehärtet im Feuer des Gehorsams, vorgeschoben haben. Allein der Hochmögende hatte stolz jede christlich erziehende Methode verworfen und seinen Ferdinand im Geiste des Reinnatürlichen herangebildet. Daher Ferdinands völlige Unkenntniß auf dem Gebiete elterlicher Würde und kindlicher Ehrerbietung.

»Ah, dort sieh'!« flüsterte er, den Begleiter beim Arme fassend. »Was ist unsere Venus im Garten gegen jenes Kunstgebilde warmen Lebens? Siehe nur, wie sie dasteht, so natürlich schön, so hingegossen, so harmonisch vollendet, so göttergleich, so himmlisch reizend! Nein, so etwas hätte niemals ein Künstler erfunden! So ein Mädchen am Brunnen läßt sich nicht malen, nicht meißeln, nicht erdenken, nicht einmal in Verse bringen, – so etwas kann nur die reizendste Wirklichkeit gestalten.«

»Stille, – Schwulst!« brummte der Hochmögende. »Nimm Dich zusammen, Mensch!«

Helena gewahrte die eleganten Herren und erkannte überrascht die vornehmen Besitzer des Schlößchens. Gleiches Erstaunen überkam Fritz Schröter, der eben von den Feldern heimkehrte und hinter einer Flasche Wein saß, von Schinken und Butterbrod umstellt. Er ging dem Besuche freundlich entgegen und hieß die Herren willkommen. Blendung machte bedeutende Förmlichkeiten, und die sanfte Stimme flüsterte so andächtig, wie im Cabinet des Großherzogs.

»Da uns die Verhältnisse einen längeren Sommeraufenthalt in dieser reizenden Gegend gestatten, so durften wir uns der Pflicht keineswegs entschlagen, unserem nächsten Nachbar die schuldige Aufwartung zu machen.«

Und wieder gab es anstandsvolle Verbeugungen, so daß die natürliche Geradheit des Landwirthes beinahe gestrauchelt wäre über die Galanterie des süßlächelnden Herrn. Nur durch eine kräftige Ermunterung des Natürlichen gelang es Schröter, dem schlüpfrigen Boden der Verlegenheit zu entgehen.

»Ihr Besuch ist mir angenehm, meine Herren!« sagte er. »Wollen Sie gefälligst hier eintreten.«

Ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit Kanapé, gepolsterten Stühlen, Teppichen und anderen bescheidenen Vertretern moderner Ausstattung, empfing den Besuch. Auch Ungewöhnliches bewahrte das Zimmer: vier Gemälde altdeutscher Meister, ein minnigliches Liebfrauenbild, eine Kreuzabnahme, einen Christophorus und eine Geburt Jesu. Den mannheimer Geldherren blieb indessen der Kunstgenuß verschlossen. Kaum streifte ihr Auge die prachtvollen Denkmale deutscher Größe. Sie sahen nicht die reizende Naivetät der Auffassung, die lichtvolle Grazie mit religiösem Ernste schön vermählt, die zartsinnige Darstellung der Situation, den Triumph ächter Kunst. Ein flüchtiger Blick genügte, dem frommen Inhalte den Rücken zu kehren. Dagegen fand das Altertümliche des Zimmers Beachtung: – das braune Getäfel der Wände, mit kostbarem Schnitzwerk ein uralter Schrank, der scheu und fremd unter den Kindern der neuen Zeit stand, sogar die runden Fensterscheiben in Bleifassung und die gewaltige Dicke der Mauern.

Schröter hatte sich den Herrn gegenüber gesetzt, nicht unangenehm berührt durch den vornehmen Besuch. Obwohl der Millionär jeden Sommer die Villa in kurzen Pausen bewohnte, kamen beide Nachbarn doch niemals in nähere Berührung. Bei zufälligem Begegnen auf den Feldern wurden Grüße und kurze Reden gewechselt, gegenseitige Achtung bekundend. Von der politischen Thätigkeit seines Nachbarn hatte Schröter keine Ahnung. Er wußte nur, der stille Mann sei Millionär, besitze eine Tabaksfabrik in Mannheim und viele Weinberge in Waldhofen, auch sei ihm seit Jahren die Ehre geworden, im Hause der Abgeordneten einen Platz zu finden. Da er jedoch in Blättern niemals eine Rede Blendungs gelesen, niemals seinen Namen unter den Löwen des Tages gefunden, so hielt er ihn für einen jener Anspruchslosen, die regelmäßig jeder Sitzung beiwohnen, ihre Diäten mit Behagen verzehren, und bei Abstimmungen Zeugniß geben von ihrem Dasein. Und da er jetzt das bescheidene Wesen Blendungs wahrnahm, das sanfte Lächeln seiner feinen Züge angenehm fand und den zarten Fluß der Rede belauschte, hätte er nicht entfernt einen Arglistigen geahnt, der beabsichtigte, ihn, den schwarzen Häuptling, zu entwaffnen, oder gar in das Lager der Rothen hinüber zu führen.

»Sie bewohnen ein stattliches und altehrwürdiges Haus,« bemerkte rühmend der Hochmögende. »Die Mauern sind erstaunlich und für eine Ewigkeit gebaut. Sicherlich stammt der Bau aus alter Zeit, vielleicht gar aus dem Mittelalter.«

»Ihre Vermuthung ist begründet,« versetzte Schröter. »Ueber dem Eingang zeigt ein Stein die Jahreszahl 1425, darüber ein adeliges Wappen.«

»Sehr respektabel,« sagte Ferdinand. »Vom Alten bin ich ein Freund! Sie würden mich sehr verbinden, wollten Sie mir gestatten, während meines Hierseins zuweilen die Geheimnisse dieses alten Hauses zu erforschen.«

»Geheimnisse bewahren diese Mauern nicht,« versetzte lächelnd der Gutsbesitzer. »Indessen steht Ihnen jederzeit mein Haus offen.«

Ferdinand verbeugte sich dankend. Der Vater bewunderte die Geschicklichkeit des Sohnes. Er wußte, daß Ferdinand gleichgültig an Pompeji vorüber gegangen wäre, daß Sammlungen von Alterthümern ihm nicht die mindeste Theilnahme erweckten, und daß er in dem alten Hause nur das Mädchen am Brunnen suche.

Die Unterhaltung dehnte sich länger, als für das erste Begegnen schicklich, und jetzt lenkte Blendung auf einen Gegenstand, welcher zu dem Urtheile reizte, den Besuch möchte persönliches Interesse veranlaßt haben.

»Sie kennen meine Vorliebe für den Weinbau, Herr Nachbar, und wissen, daß ich bedeutende Flächen neu anlegte. Aber das Glück versagt mir alle Gunst. Bei genauester Fürsorge wollen die Reben nicht gedeihen. Gestern bemerkte ich wieder die Überlegenheit Ihrer Franken und Burgunder. Ich theile das Mißgeschick mit dem Herrn des Weinbergs im Evangelium, – ich komme und finde keine Frucht.«

»Ganz natürlich!« versetzte lebhaft der Landwirth. »Es wurden bei der Auswahl der Traubensorten bedeutende Fehler begangen. Unser Bodengehalt wechselt außerordentlich. Neben Sand liegen Kalkschichten, neben feuriger Erde kalter Thon. Die Bodenart aber bestimmt genau die Traubensorte. Legen Sie Traminer in Sand, so werden dieselben nicht fortkommen. Vertrauen Sie Rießling dem Thon, so bleiben dieselben Krüppel ihr Leben lang.«

Der Hochmögende saß aufmerksam, wie ein Knabe vor dem Lehrer.

»Ich bedauere unendlich,« sagte er, »bei Anlagen neuer Weinberge Ihren einsichtsvollen Rath nicht erbeten zu haben. Da ich abermals ein Stück Land mit Reben belegen will, so würden Sie mir große Freundschaft erzeigen durch Besichtigung des Bodens und die Angabe, welche Traubensorten anzupflanzen sind.«

»Mit Vergnügen!« sagte Schröter.

»Zu welcher Stunde darf ich Sie morgen erwarten, Herr Nachbar?«

»Ganz nach Ihrer Bestimmung!«

»Nein, – nein!« widersprach der Hochmögende. »Ich kenne Werth und strenge Einteilung Ihrer Zeit, und maße mir nicht an, störend einzugreifen. Haben Sie die Güte, die Stunde zu bestimmen.«

»Morgen Nachmittag fünf Uhr!«

Der Besuch ging, vom Hausherrn bis vor das Hofthor geleitet. Ferdinands Blicke fuhren suchend durch alle offenen Räume, allein die Gesuchte ließ sich nicht finden.

Am nächsten Morgen erstattete Schröter einen kurzen Gegenbesuch, und zur festgesetzten Stunde des Nachmittages trat er pünktlich vor den harrenden Millionär. Beide gingen nach dem Grundstücke, voraus Arbeiter mit Spaten. Schröter ließ an den verschiedenen Stellen vier Fuß tiefe Löcher in das Feld stoßen, untersuchte gewissenhaft den Boden, erklärte dessen Bestandteile, und gab die jedesmal gedeihende Traubensorte an. Blendung zeigte Theilnahme und Aufmerksamkeit in hohem Grade. Er ließ Pfähle in den Boden schlagen, dieselben numeriren, und in sein Taschenbuch verzeichnete er die Traubenart für die verschiedenen durch Pfähle bezeichnete Lagen. Als die Arbeit zu Ende gediehen, verbeugte sich tief der Hochmögende vor dem Landwirthe.

»Herr Nachbar, ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet! Die Volkssage berichtet, es seien des ewigen Lichtes beraubte Geister an bestimmte Orte gebannt: – Sie haben mir klar gemacht, daß die Weingeister demselben Bannspruche unterworfen sind. Und weil ich es unternahm, den Bann zu lösen, die Oertlichkeit zu befehlen, ohne Rücksicht auf Streben und Neigung der munteren Kinder des Bachus, darum konnten meine Weinberge niemals gedeihen. Mithin lehrt uns auch der Wein,« schloß er süß lächelnd, »daß keine Gattung im Reiche der Natur Zwang duldet, und Alles ungestörte Entwickelung fordert.«

Sie kehrten auf Umwegen zurück. Blendung berührte nicht entfernt die Schulfrage. Der Landwirth durfte glauben, dem reichen Manne liege eine Sache gar weit ab, die ihn selbst so tief bewegte. Eben gelangten sie auf einen Vorsprung der Hügelkette. Sie sahen gegen Waldhofen hinab, das still und friedlich um die Kirche lag. Aus Schornsteinen kräuselten dünne Rauchsäulen in den klaren Aether, die Hähne riefen sich Nachtgrüße zu, die Schwalben kehrten heim zur Ruhe, und auch die Menschen kamen ermüdet aus den Feldern. Die dämmernde Landschaft schied vom hinsterbenden Tage in süßem Frieden, gehoben und verklärt durch das Avegeläute umliegender Orte. Auch aus Waldhofen klang jetzt der bedeutungsvolle Glockenruf. Schröter brach mitten im Satze ab, zog den Hut und betete. Er würde es für Feigheit gehalten haben, um des Begleiters willen eine tägliche religiöse Uebung zu unterlassen. Blendung trat vom Betenden einen Schritt zurück. Ueber das feine Gesicht flog ein spöttisches Lächeln.

»Für den Stadtbewohner ist die ländliche Stille ungemein wohlthuend,« sagte er. »Das Gerassel der Straßen und das Geräusch des Verkehrs schweigt hier. Die Sinne werden weiter, der Geist fühlt sich gehoben und versucht, das glückliche Loos von Menschen zu beneiden, deren Leben in regelmäßiger Thätigkeit, im Frieden und im gesunden Genusse des Gegebenen verläuft.«

»Es ist doch nicht so harmlos auf dem Lande, wie es scheint,« versetzte Schröter. »Auch hier machen sich Leidenschaften fühlbar, und wilder Streit schlägt mißtönend in den geordneten Gang ländlichen Berufes.«

»Streit?« wiederholte unbefangen der Hochmögende. »Welche Streitfragen sollten in Waldhofen zu beantworten sein?«

»Streitfragen von höchster Wichtigkeit,« entgegnete ernst der Landwirth. »Auf die Entchristlichung der Volksschulen ist es abgesehen, und wir können uns das nicht gefallen lassen. Hoffentlich wächst der Widerspruch des Volkes zu Verhältnissen heran, die jede Gewaltthat gegen die höchsten Interessen unmöglich machen.«

»Lassen Sie Ihre Gemüthsruhe durch den Schullärm nicht stören, verehrter Herr Nachbar! Die Zeit wird auch das verflüchtigen,« versetzte scheinbar gleichgültig der Millionär.

»Theilnahmslosigkeit ist hier unmöglich!« rief Schröter. »Kein Vater darf schweigen zur beabsichtigten Verbildung der Jugend, kein Katholik die schlau erdachte Untergrabung religiösen Bewußtseins schweigend ertragen.«

Während der Gutsbesitzer kraftvoll eintrat gegen die neue Schulordnung, jedes Wort seinen Eifer steigerte, blieb der Hochmögende kalt. Es war offenbar: – Herr Blendung hatte an dem landbewegenden Streite nicht das mindeste Interesse.

Am folgenden Morgen empfing der Landwirth ein duftendes Billet, das ihn zu Tische nach der Villa lud.

Der Millionär, Fabrikherr und Kammergewaltige empfing seinen Gast im Salon. Der schwarze Häuptling warf einen flüchtigen Blick über die ringsum herrschende Pracht und fand verschwenderische Eleganz, neben laut pochendem Reichthum. Aber das Schönste und Gelungenste des ganzen Prachtraumes blieb immerhin Schröter, der stattliche Mann mit den regelmäßigen Zügen, dem offenen, scharfen Blicke, dem geraden Wesen und der hohen Gestalt.

»Ich danke Ihnen, verehrter Herr Nachbar, für die gütige Annahme meiner Einladung,« sprach der sanfte Blendung. »Die ganze Tischgesellschaft wird zwar nur aus drei Personen bestehen, die sich indessen genügen.«

Auch Ferdinand erschien und grüßte in seiner leichten Weise, aber freundlich, den Vater der schönen Helena.

Ein Diener bot Sardellenbrod und Madeira, den Magen zu reizen. Schröter belächelte das künstliche Reizmittel, dessen er niemals bedurfte, und das ihm stete Bewegung ersetzte. Nachdem Vater und Sohn das Vorspiel zum Tische pünktlich überwunden und das Mittel hatten wirken lassen, begab sich die Gesellschaft in das Speisezimmer. Dort wechselten einige Gänge feiner Speisen, deren englische Zubereitung sich dem Gaste nicht empfahl. Desto größere Aufmerksamkeit schenkte er den Weinen, suchte aber vergebens einen deutschen Bekannten unter Franzosen, Spaniern und Ungarn. Diese Mißachtung des Vaterländischen verletzte den stolzen Landwirth.

»Beziehen Sie diesen Burgunder direkt?«

»Direkt, durch ein befreundetes Geschäftshaus.«

»Ich erziele einen besseren Rothwein,« sagte Schröter mit Selbstgefühl. »Ich werde Sie mit Vergnügen überzeugen, daß Ihr Franzose vor meinem Deutschen die Waffen strecken muß.«

»Dann wäre der Vorzug Ihrer tüchtigen Behandlung beizumessen,« sagte Blendung. »Mir wenigstens wollte in keinem Jahrgange ein erträglicher Rothwein gelingen.«

»Und doch haben Sie für Burgunder die besten Lagen,« entgegnete Schröter. »Wo aber die Winzer Burgunder einlegen sollten, pflanzten sie Gutedel.«

»Sie meinen die Weingelände am Hirtenkopf?«

»Um Vergebung! Dort ist der Gutedel ganz am Platze. Ich meine den feurigen Kalkboden am Eselssteig.«

In dieser Weise lief das Tischgespräch um Wein- und Feldbau. Die Schulfrage wurde nicht entfernt berührt. Da zog plötzlich Ferdinand, scheinbar ohne Absicht, diesen gefährlichen Stoff in die Unterhaltung.

»Ich muß eine sonderbare Frage an Sie stellen, Herr Schröter! Wächst hier auch schwarzer Wein? Auf meinen Spaziergängen höre ich nämlich die Leute gegenseitig fragen: »Hast auch Du schwarzen Wein getrunken?« – Was ist das eigentlich für ein Saft?«

»Ein Stichwort!« entgegnete Schröter. »Der Schulstreit hat Waldhofen in zwei Parteien geschieden, von denen die eine ›die Rothen,‹ die andere ›die Schwarzen‹ heißt. Demzufolge gibt es auch ›schwarze‹ und ›rothe‹ Wirthshäuser. Der Ausdruck: ›schwarzen Wein trinken,‹ – will sagen, ein schwarzes Wirthshaus besuchen. Und diese Parteifärbung beginnt, Alles zu ergreifen. Es gibt schwarze und rothe Krämer, schwarze und rothe Männer und Frauen, schwarze und rothe Mädchen, und diese wieder tragen in Tüchern und Kleidern die schwarze und rothe Gesinnung zur Schau. Kurz, – Alles ist parteiisch gefärbt, sogar die Gerechtigkeit, die Nächstenliebe, die Zuneigung, die Grüße und die Schlagwörter.«

»Das ist traurig,« sprach theilnahmsvoll Herr Blendung. »Die Menschen könnten so friedlich neben einander leben, aber sie verbittern sich ihr Dasein durch zwecklosen Parteihader.«

»Zwecklos ist der Streit gerade nicht,« widersprach der Landwirth. »Die Schwarzen bekämpfen ein Unternehmen, das abzielt auf die Entchristlichung der Jugend und künftigen Generation. Ein Mann von religiöser Ueberzeugung kann so wenig gleichgültig sein bei der Sache, wie ein Mann, dessen Haus in Brand gesteckt wird.«

»Ueberzeugung ist achtungswerth,« sagte Blendung »jeder Kampf für die Ueberzeugung verdient Anerkennung. Allein was nützt dieser Kampf? Glauben Sie denn, die Landesregierung werde um der Opposition eines Dorfes willen das Schulgesetz fallen lassen?«

»Nein, – um eines Dorfes willen nicht! Nimmt dagegen die Opposition große Verhältnisse an, verwirft die Majorität der Bevölkerung die Schulreform, dann dürfte die Regierung den Wünschen des Landes dennoch gerecht werden.«

»Ohne Zweifel, – bei der Begeisterung des gegenwärtigen Ministeriums für das Volkswohl! Halten Sie aber die angedeutete Majorität für möglich?« frug unbefangen der Millionär.

»Für wahrscheinlich sogar,« versetzte eifrig der schwarze Häuptling. »Die Bewegung wächst im Lande. Schon spricht man von Adressen der Massen an den Großherzog.«

Der Hochmögende zuckte leicht zusammen.

»So ist's recht!« rief Ferdinand. »Der Adressensturm bringt doch einiges Leben in die Alltäglichkeit.«

»Und ich beklage diese bürgerlichen Feindseligkeiten,« sagte fromm Herr Blendung. »Das Leben bringt ohnehin Bitteres genug, es ist ein Strom, der wenige Goldkörner der Freude, aber tausend Dinge des Aergers, des Ekels und Anstoßes mit sich führt. Nicht umsonst lehrt die heilige Schrift: jeder Tag hat seine Plage. Wozu nun die Drachensaat des Zwistes ausstreuen? Schon die Parteiungen eines Dorfes fördern häßliche Mißgeburten zu Tage, – was müßte geschehen, würde das ganze Land in den Strudel des Haders hineingerissen? Vom religiösen Standpunkte muß die Bewegung entschieden verdammt werden; denn es befiehlt Religion Gehorsam gegen die Obrigkeit.«

»So lange die Obrigkeit höhere Interessen nicht schädigt,« unterbrach der Landwirth. »Aber das neue Schulgesetz ist ja gerade gegen die Religion gerichtet.«

»Scheinbar!« versetzte gutmüthig Blendung. »Die religiöse Bildung der Jugend ist durchaus nicht gefährdet und den Geistlichen gestattet, ihres hohen Berufes zu warten. Nur soll Alles in ein kluges System gefaßt, die Aufgabe der Volksschule erweitert werden.«

»Um Vergebung!« rief der Gutsbesitzer kräftig in das rieselnde Bächlein sanft dahin fließender Worte. »Die Schulreform ist dennoch gefährlich; denn sie bezweckt religionslose Schulen. Jetzt schon entzieht das Schulgesetz der Geistlichkeit die Leitung der Jugendbildung. Es verbietet den Lehrern, mit religiösen Stoffen sich zu befassen, den Katechismus abzuhören und ist so kühn, die Religion auf gleiche Stufe mit Zahlen und Buchstaben zu stellen. Jeder Mann von Einsicht wird die Vaterschaft dieses Schulgesetzes auf den ersten Blick erkennen: – den antichristlichen Zeitgeist. Und jeder Mann von Ueberzeugung wird alle Kraft einsetzen wider diese schädliche, in ihren Folgen verderbliche Neuerung.«

»Denken Sie an Revolution, Herr Nachbar?« frug liebenswürdig der Hochmögende.

»Ein Kampf für das Höchste ist ein heiliger Kampf,« antwortete Schröter feierlich. »Kein aufrichtiger Katholik darf sich dem entziehen.«

»Ihre Begeisterung verleitet offenbar, mein lieber Herr Nachbar, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Angenommen, das Schulgesetz sei in Wirklichkeit feindselig der frommen Gläubigkeit. Angenommen, die moderne Schulbildung beabsichtige eine Kränkung der Religion: – wäre es dann im Geiste christlicher Lehre, die Fahne der Empörung aufzupflanzen gegen ein Instrument, das auf gesetzlichem Wege entstand und vom Landesherrn bestätigt wurde? Sie müssen, als gläubiger Katholik, die Frage mit »nein« beantworten. Die Christen der ersten Jahrhunderte lebten unter heidnischen Tyrannen, unter dem Zwange einer blutdürstigen Staatsgewalt, in endlosen Verfolgungen bis in den Tod, – haben sich jemals die ersten Christen empört? Weit entfernt! Sie ertrugen das Schrecklichste und beteten für ihre Peiniger, weil sie der Lehre Christi gehorchten und den Sold des duldenden Gehorsams der Obrigkeit darbrachten.«

Der kluge Anwalt moderner Aufklärung hatte mit psychologischer Berechnung den schwarzen Häuptling gepackt, – Schröter saß überrascht und betroffen. Blendung gewahrte den Eindruck, und ein befriedigtes Lächeln belebte die sanften Züge.

»Indessen ist es gar nicht nothwendig,« fuhr der Hochmögende salbungsvoll weiter, »zu den ersten christlichen Jahrhunderten hinaufzusteigen. Die Gegenwart bietet dem Christen laut sprechende Thatsachen für sein Verhalten unter dem Drucke kirchenfeindlicher Mächte. Blicken Sie nach Bayern, wo man den zweiten Max eben in die Gruft gesenkt. König Max von Bayern machte durchaus kein Hehl von lebhafter Abneigung gegen die katholische Kirche. Das Concordat verlor in Bayern seine Geltung. Die acht Bischöfe jenes katholischen Staates baten wiederholt und dringend um Abnahme der Fesseln, um freie Bewegung und Achtung des Concordates. Alle bischöflichen Denkschriften, Vorstellungen und Bitten blieben erfolglos. Die Majestät würdigte die Prälaten zuweilen nicht einmal einer Antwort, – ja, die Majestät wurde eifriger im entschlossenen Niederhalten ultramontaner Geister. Vergebens machten Roms beste Soldaten, die Jesuiten, alle Anstrengungen, im katholischen Bayern sich häuslich niederlassen zu dürfen. Max wies beharrlich die Unliebsamen hinaus. Alle Vereine dürfen leben in Bayern: – Schützen-, Gesang-, Turner-, Landwirthschafts-, Schullehrer-, sogar Cigarrenspitzensammler-Vereine, dem Jesuitenverein aber bleibt das katholische Bayern verschlossen. Was Dänemark, Holland, Preußen, – ja der Kaiser von China und der türkische Sultan den Katholiken nicht wehren, das versagt ihnen das sogenannte katholische Bayern. Und wenn Sie bedenken, daß religiöse Orden zum Leben der Kirche gehören, wie ist die Verbannung des thätigsten Ordens aus Bayern zu verstehen? – Ueber jeden Zweifel erhaben strebt und schafft der kirchenfeindliche Geist in Bayern. Er beruft glaubenslose Professoren auf die Lehrstühle der Universität München, die, wie Ihnen bekannt, stiftungsgemäß eine katholische ist. Kann die Kirche mehr geschädigt werden? Ueberlegen Sie: – Roms Tyrannen erwürgten die Christen, aber sie tödteten nur die Leiber. Die bayerischen Kirchenfeinde tödten nicht die Leiber, wohl aber, so viel in ihrer Kraft liegt, die katholische Ueberzeugung; denn die berufenen Männer der Wissenschaft machen aus ihrem Unglauben kein Geheimniß. Sie führen die studirende Jugend systematisch ab vom Wege religiösen Glaubens. Sie werfen in Vorträgen Spott und Hohn gegen die dumme Gläubigkeit, selbst gegen die Person des Erlösers. Und die verführten Studenten sind ja bestimmt, als künftige Beamte in einflußreiche Lebenskreise zu treten. Voraussichtlich werden die kleinen Herren nach gewonnenen glaubenslosen Grundsätzen regieren, dekretiren, den Geist empfangener Bildung verbreiten. Kurz, – die in Bayern angesponnene geistige Kirchenverfolgung scheint gefährlicher und weittragender, als jene der Tibere des heidnischen Rom.«

»Das ist übertrieben!« widersprach Ferdinand. »Der bayerische Staatsgeist bewegt sich einfach in Kreisen moderner Bildung. Und was König Max betrifft, – nun, er handelte nach bestem Wissen und Wollen. Wie sein Vater die Künste fürstlich bedachte, so wollte Max die Wissenschaft fördern, nicht aber die Religion verfolgen. Huldigt moderne Wissenschaft dem Unglauben, wer könnte Max von Bayern dafür verantwortlich machen?«

»Gut, – immerhin hat Max den bösen Geist umgehen, die Wissenschaft des Unglaubens an die Universität berufen lassen,« versetzte Blendung. »Unerschütterlich besteht, was jener Fürst gegen die Kirche geschehen ließ, – die geheimen leitenden Absichten fallen nicht in das Bereich meines Urtheils. – Angenommen also, jedoch nicht zugegeben,« schloß der Hochmögende, »in dem badischen Schulgesetz stecke ein kirchenfeindlicher Geist, so wird Ihnen das leuchtende Beispiel der bayerischen Prälaten zeigen, wie sich dem Zwange gegenüber ein Christ verhalten muß.«

»Was konnten die bayerischen Bischöfe mehr thun?« rief Schröter. »Haben sie nicht protestirt? Traten sie nicht verwahrend in Conferenzen zusammen? Baten sie nicht wiederholt den König um Gerechtigkeit und Freiheit für die Kirche?«

»Es freuet mich, daß Ihnen dies Alles genügt,« sprach lächelnd der Millionär. »Doch geben Sie Acht, mein lieber Herr Nachbar, wie Ihr Benehmen jenem der bayerischen Prälaten widerspricht! – Die Bischöfe betraten den Weg schriftlicher und mündlicher Klagen vor dem Landesherrn, sie bewegten sich strenge in amtlichen Kreisen. Aber die Bischöfe brachten die jammervolle Lage der Kirche nicht vor das Volk, sie gebrauchten die furchtbare Macht ihrer oberhirtlichen Stellung nicht gegen Bayerns kirchenfeindliche Gewalten. – Sie hingegen, Herr Nachbar, suppliziren nicht, Sie reichen nicht Bitt- und Denkschriften ein gegen das Schulgesetz. Sie werfen den Stoff nach Kräften unter die Leute. Sie regen die Geister auf gegen die gesetzliche Obrigkeit. Bedenken Sie doch, was geschehen wäre, hätten die bayerischen Prälaten Ihre Kampfesweise befolgt! Wären die Bischöfe in Hirtenbriefen vor das Volk getreten, in lebhaften Farben die Knechtung der katholischen Kirche schildernd, – hätten die Bischöfe sämmtlichen Pfarrherren in ganz Bayern befohlen, die Katholiken aufzuklären über Bedrückung und Verfolgung ihrer Kirche, – hätte sich der Gesammtclerus an der Spitze der Massen aufgeworfen gegen die königliche Lieblingsidee des religiösen Nivellirens, – was glauben Sie, wäre die Folge gewesen? Eine gewaltige Gährung hätte das katholische Bayern ergriffen, – der Geist des Glaubens wäre entrüstet aufgestanden zur Abwehr Blendungs Auffassung wurde eine glänzende Bestätigung. Der Clerus hatte seine Aufgabe begriffen, und kurz vor dem zweiten Erscheinen dieses Buches stürzte das bayerische Volk die heillose Herrschaft der kirchenfeindlichen Fortschrittspartei durch richtige Kammerwahlen.. – Und was weiter geschehen wäre im Großen, das können Sie im Kleinen an Waldhofen sehen. Bei der moralischen Macht des Clerus würde der ganze bayerische Staat erschüttert worden, vielleicht die Aufwiegelung in helle Flammen der Empörung ausgebrochen sein. – Wie klug handelten demnach die Prälaten, wenn sie ihre geknechtete und mißhandelte Kirche allerunterthänigst nur dem Könige, nicht aber dem Gesammtclerus und den Massen vorstellten? Wären Sie Bischof in Bayern gewesen, Verehrtester, Sie hätten ohne Frage das Land in Brand gesteckt.«

Ferdinand lachte. Schröter saß verwirrt. Vater Blendung sah andächtig nach der Zimmerdecke und dort las sein Geist in feurigen Buchstaben die Worte: »Der unerbittliche Gang künftiger Ereignisse wird nachholen, was eine laue Vergangenheit versäumte.«

»Ihre Ausführung ist schlagend,« sprach niedergedrückt der Landwirth. »Dennoch widerstrebt sie meinem ganzen Fühlen und Denken.«

»Sehr natürlich!« entgegnete süß lächelnd Blendung. »Die stille Arbeit des Bureau widerstrebt, weil Sie ein Mann entschlossener That sind. Wären Sie Bischof, Sie lägen bald in Ketten. – Indessen, Verehrtester, steht, religiös genommen, verzeihende Liebe weit höher, als thatkräftiger Widerspruch. Den Unvollkommenen kostet es sicher die größte Ueberwindung, das Unrecht geduldig zu ertragen, – was ja bekanntlich ein Werk christlicher Barmherzigkeit ist.«

Ferdinand staunte über die religiösen Kenntnisse des Vaters, und bewunderte die Klugheit ihrer Anwendung.

Schröter saß stumm und drehte mißvergnügt die duftende Havannah zwischen den Fingern. Blendung beobachtete die Seelenbewegung des Landwirthes, emsig beflissen, das erwachende Mißtrauen gegen den bisher eingenommenen Standpunkt zu fördern.

»Ein christlicher Grundsatz lautet: in omnibus charitas, – Liebe in allen Dingen! Dieser Grundsatz fand Anwendung sogar auf den jüngst verstorbenen kirchlichungnädigen Max. Bei allen Todtenfeiern warf der Clerus nicht ein Wort des Tadels gegen den Höchstseligen von den Kanzeln. Ich selbst hatte Gelegenheit, in einer Domkirche so eine Predigt auf Max anzuhören. Der geistliche Redner berührte mit keiner verletzenden Sylbe des Verstorbenen bekannte concordatsfeindliche Gesinnung. Er pries vielmehr dessen hohe Eigenschaften, so daß die große Beamtenversammlung höchlich erbaut sein, die Preisrede sogar gedruckt werden mußte.«

»Hat der Prediger auch nicht wahr, so hat er jedenfalls klug gesprochen,« warf Ferdinand etwas beißend hin. »So eine Preisrede auf einen König ist ohne Zweifel sehr empfehlend. Muß gestehen, mir haben die Ruhmesreden auf den bayerischen Herrn manche heitere Stunde verschafft. So oft die Blätter kamen, suchte ich nach bayerischen Predigten. Den höchsten Lorbeer gewann jedenfalls ein Hofprälat, – ein Graf so und so. Diesen Herrn trieben Begeisterung und Liebeseifer bis zu treffenden Vergleichen der Königin von Bayern mit der Königin des Himmels. Hoffentlich wird irgend ein Historiker diese ganz außerordentliche Erscheinung verewigen Den Lesern außerhalb Deutschlands und Europa's, welchen die kirchlichen Zustände in Bayern unbekannt sind, diene zur Kenntniß, daß jener Vergleich von einem bayerischen Hofgeistlichen thatsächlich gemacht worden ist.

»Nehmen Sie kein Aergerniß an dem Spötter, mein lieber Herr Nachbar! Stoßen Sie an auf christliche Liebe, auf hochherziges Verzeihen, vor Allem auf Frieden in Ihrer Gemeinde.«

Die Gläser klangen. Schröter nippte innerlich widerstrebend. Dem Gaste wurde es zu eng in dem großen Zimmer. Es trieb ihn fort in freie Luft, in die Stille der Felder. Mit wohlberechneten Griffen hatte der verkappte Feind die Sicherheit religiöser Ueberzeugung angetastet, und es gab nichts auf Erden, was dem Herrn des alten Hauses empfindlicher sein konnte.

»Der schwarze Häuptling ist fort, – den Zersetzungsstoff Deiner Bekehrungspredigt im Leibe,« rief Ferdinand lachend. »Hoffentlich wird er den Streithammer niederlegen und den Rothen das Feld räumen.«

»Ich theile nicht diese Hoffnung,« versetzte Blendung. »Schröter ist eine zähe Natur. Er wird den ersten Stoß überwinden. Für jetzt bleibt uns die Aufgabe, eine lebhafte Verbindung mit ihm zu unterhalten, in zarter, absichtsloser Weise den Ultramontanen zu bekehren. Gelingt es, Schröters Thätigkeit zu lähmen, der schwarzen Partei die Seele zu entreißen, dann ist Waldhofen der neuen Geistescultur gerettet. Und wer weiß, ob wir durch Bändigung des ultramontanen Aufruhrs in Waldhofen dem Gedeihen der Zukunftsreligion nicht wesentliche Dienste leisten? In dem kleinen Nußdorf brach jener Bauernkrieg los, welcher die Burgen des Adels in Asche legte, dem Ritterthum den Helmbusch abriß und manches Pergamentstück alter Standesrechte in den Flammen eines wilden Krieges verbrannte. Hätte in Nußdorf zufällig ein Edelmann den Bauernhäuptling gewonnen oder lahm gelegt, die Katastrophe wäre verhindert worden. Und ist auch Waldhofen kein Nußdorf, immerhin bleibt es ein rühmlicher Triumph, den schwarzen Geist eines einzigen Dorfes beschworen zu haben.«

Ein Diener trat ein.

»Herr Nathan aus Mannheim ist da.«

»Schon?« that Blendung überrascht. »Führe den Herrn in mein Cabinet.«

»Du hast ihn verschrieben?« frug Ferdinand. »Nun geht's los; denn Salomon Nathan schwebt schöpferisch über der öffentlichen Meinung, wie der Geist Gottes über den Gewässern. Auch ich will mich umsehen nach Thätigkeit. Dürfen meine Leistungen auch keine Ansprüche erheben, so verschaffen sie doch Zeitvertreib in der bevorstehenden Balgerei.«

Der Hochmögende empfing den Redakteur eines gesinnungstüchtigen, weit verbreiteten Journals. Das salomonische Blatt gehörte zu den einflußreichsten Organen des Fortschrittes und benagte erfolgreich, mit tadellosem Aufwande zeitgemäßer Phrasen und liberaler Scheinheiligkeit, den kleinen Ueberrest socialer Ordnung und sittlicher Hoheit.

Mit Benagungswerkzeugen war Salomon Nathan vortrefflich ausgerüstet. Sein Spott fraß mit Vorliebe am Herzen nationaler Lebensbedingung: – am Glauben der Väter und an christlicher Sitte. Kühn stellte er freie Forschung finsterer Geistesknechtschaft gegenüber. Den Genius der Menschheit führte er siegreich gegen den Wahn dummer Gläubigkeit, und die Sonne der Freiheit brannte unbarmherzig die verhaßte Kirchenherrschaft zusammen. Und da es Herrn Salomon an gründlichem Wissen fehlte, so entging ihm, bei jedem Faustschlage in das leuchtende Angesicht der Wahrheit, die bittere Gewißheit, ein Schuft zu sein. Der Jude schrieb mit beispielloser Gewandtheit über Geschichte, über Moral, über Dogmatik, über Exegese, sogar über die schwierigsten offenen Fragen theologischer Wissenschaft, ohne jemals ein Handbuch dieser Wissenschaft oder gar einen Kirchenvater gelesen, – nein, nur geöffnet zu haben. Allein Herr Salomon war unter dem Zeichen der Aufklärung geboren und deßhalb berechtigt, allen Kindern finsterer Vergangenheit elegant oder schlächtermäßig die Hälse umzudrehen. Brennende Fragen der Gegenwart beantwortete er mit unfehlbarer Sicherheit. Hätte man immer die Rathschläge des Herrn Salomon Nathan befolgt, die Welt wäre längst verjüngt aus der Asche verrotteter Zustände wie ein Phönix aufgestiegen. Ausbildung und Meisterschaft hatte Herr Nathan zu Wien erhalten, wo bekanntlich die Juden regieren und die Kinder Israels nach Belieben Steine und Koth nach dem Christenthum werfen dürfen.

So bildete Nathans Journal ein Evangelium, eine Encyclopädie alles Wissenswürdigen, ein Arzneimittelbuch für alle kranken Zustände, zum frommgläubigen Gebrauche aller religiös ungläubigen und gebildeten Männer.

Jetzt saß dieser Herkules bescheiden und lernbegierig zu den Füßen des reichen Herrn der Villa. In der folgenden Unterredung verwandelte sich die wohlthuende Süße des sanftmüthigen Blendung zuweilen in Schärfe und befehlende Strenge, so oft nämlich Herr Nathan, Steuermann am Ruder öffentlicher Meinung, sich erlaubte, entgegengesetzter Ansicht zu sein.

»Ihr neuestes Schweigen über die Schulfrage ist aufgefallen, Herr Nathan! Sie wissen doch, im Concerte unserer Tagespresse gibt Ihr Journal den leitenden Ton an. Darum hat Ihr Schweigen auf eine ganze Reihe unserer Blätter schädlich gewirkt.«

»Um Vergebung! Ich hielt ein kluges Gehenlassen für nützlicher. Das Schulgesetz wurde nach vielen Mühen glücklich geboren. Nun möge es in Frieden wachsen und wirken. Fortgesetzte Polemik wäre zwecklos und müßte die Ultramontanen reizen.«

»Falsch, grundfalsch!« rief Blendung entschieden. »Ueberaus rührig sind die Ultramontanen. Der Kreis der Bewegung wird größer. Der Aufstand gegen die Aussaat moderner Bildung beginnt, sich zu organisiren. Darum ist es geboten, die öffentliche Meinung wach zu erhalten, die sittliche Entrüstung zu schüren gegen die finsteren Plane der Pfäffischen.«

»Ich unterwerfe mich ganz Ihrer gereiften Einsicht,« versetzte bescheiden der streitbare Jude. »Der Kampf soll unverzüglich aufgenommen werden.«

»Wiederholen Sie in allen Tonarten, daß der badische Schulstreit keine örtliche Zänkerei ist, sondern der bewegende Anstoß des unaufhaltsamen Ganges der Civilisation. Führen Sie in pikanten Wendungen durch, das badische Ländchen sei nur ein vorgeschobener Posten jenes gewaltigen Krieges, den fortschrittliche Entwickelung der Menschheit gegen die verderbliche Macht verdummender hierarchischer Gelüste führt. Stacheln Sie das reizbare Selbstständigkeitsgefühl des Publicums gegen die drohende Autorität des Symbolzwanges. Wirken Sie überhaupt klug und beharrlich, die öffentliche Meinung rege und feindselig zu erhalten gegen den Widerstreit des Pfaffenthums.«

Der Jude nickte gehorsamst.

»Das Feuilleton verdient mehr Aufmerksamkeit,« fuhr Blendung fort. »Die Belletristik ist von unschätzbarem Einflusse. Viele lesen eben nur die Novellen – alles Uebrige ist ihnen gleichgültig. Deßhalb ist nothwendig, unsere novellistischen Talente zu ermuthigen. Aber der Inhalt beschränke sich nicht auf sentimentale, zwecklose Liebesduselei. In den Erzählungen müssen geharnischte Männer auftreten, kämpfend für Bildung und Fortschritt, Todeswaffen führend gegen den Aberglauben. Die Vergangenheit bietet ja Stoff in Menge gegen die schwarzen Feinde gereifter Bildung. Für eine so beschaffene Novelle böte ich tausend Gulden und beauftrage Sie, unsere Novellisten hievon in Kenntniß zu setzen.«

»Ueberaus rühmlich, Herr Blendung! Das bedeutende Opfer, welches Ihre freigebige Hand neuerdings auf dem Altare der Humanität niederlegt, wird nicht verfehlen, unsere Novellisten für die Preisarbeit zu begeistern. Indessen erlaube ich mir, die Ansicht auszusprechen, daß sociale Novellen aus der Gegenwart von größerer Wirkung sind, als historische über die Vergangenheit.«

»Falsch!« unterbrach ihn der Millionär stirnrunzelnd. »Die Geschichte im Gewande der Novellistik ist von bestechender Gewalt. Historisches Material muß bearbeitet werden. Eine Nachtgeschichte aus dem Jesuitenorden, – oder aus dem Vatikan ein Skandal, – auch eine packende Episode aus der Bartholomäusnacht, oder aus den Folterkammern der Inquisition; diese und ähnliche Stoffe sind angenehm.«

Immer weiter dehnte sich die Unterweisung.

»Ein wohldurchdachter, einheitlicher Schlachtplan,« schloß endlich Herr Blendung, »erleichtert den Sieg. Darum setzen Sie die Leiter unserer Organe von dem Inhalte gegenwärtiger Unterredung in Kenntniß. Rüstiges Vordringen und bezwingender Sturm ist doppelt geboten, da sich ultramontane Gestaltlosigkeit zur Gegenwehr aufraffen möchte, die klerikalen sogar eine Ahnung von der Wichtigkeit der Presse überkommen will.«

Der Millionär trat zum Arbeitstische und zog ein sorgfältig gefaltetes Päckchen hervor, durch dessen Umschlag Nathans scharfes Auge die Banknoten erspähte.

»Hier ein kleiner Ehrensold, Herr Nathan, für Ihre erfolgreiche Thätigkeit.«

Ferdinand saß rauchend in einem Vorzimmer, durch welches der Jude zurückkehren mußte. In den Zügen des jungen Mannes lag es unternehmend, spöttisch um den kleinen Mund und in den Augen erfinderisch.

»Hauptrattenfänger ist Nathan der Weise,« sprach er in den Cigarrendampf hinein. »Der Hunger dieses Juden Salomon wäre groß genug, alle Ultramontanen zu fressen sammt Haut und Haaren. Und Salomons Weisheit beschämt sogar die Weisheit seines Namensvetters, Stammesgenossen und Königs, der bei aller Weisheit sich doch von Weibern verführen ließ, – Beweis, daß keine Weisheit das Herz zu bändigen vermag. Und diese Thatsache beweist wieder, daß die Menschheit um kein Loth besser wird, sollten auch die Kinder als promovirte Doctoren der Philosophie zur Welt kommen, so lange das Herz seine Tücken übt. Ich hätte Lust, über diesen Stoff ein Buch zu schreiben. Das Buch müßte ungeheure Sensation erregen. Es würde nämlich beweisen: keine Weisheit schützt gegen dumme Streiche. Die raffinirteste Bosheit wächst nicht auf dem Boden uncultivirter Rohheit, sondern im Garten fortgeschrittener Bildung, und die Mehrzahl der Verbrechen entspringt jenen Herzen unabhängiger Menschen, denen ein vielwissender Kopf dienstbar ist. Ich will das Thema überlegen und Schriftsteller werden, sobald es an dieser Gattung mangelt. – Zu den Goldstücken, von meinem Alten dem Juden in die Tasche geschoben, will ich noch eine dicke, fette Ente stecken. Nathan der Weise soll sie nach Mannheim tragen, dort im Redactionsbureau kunstgemäß herrichten und durch ganz Deutschland fliegen lassen. Das gibt einen Hauptspaß! Eben kommt er. Ich höre ihn seinen Dank wimmern und sehe die orientalischen Verbeugungen des gekrümmten Rückens. Nur herein, – weiser Nathan! – Ach, wen sehe ich? Herr Nathan, Sie hier?«

»Von Ihrem hochgeehrten und verdienstreichen Herrn Vater zu einer Besprechung beschieden, benütze ich die Gelegenheit, dem Herrn Sohne meine tiefe Hochschätzung auszudrücken, den Wunsch anfügend, die Landluft möge heilsam und stärkend wirken.«

»Dank, Herr Nathan! Mir gefällt es ganz außerordentlich hier, es ist unterhaltend, erbaulich, ergötzlich in Waldhofen. Die Bauern haben sich getheilt in »Schwarze und Rothe«. Jeden Augenblick gibt es eine Balgerei, und ich liebe die Hahnenkämpfe. Sogar bis in die Sakristei hinein erstreckt sich Thatendrang und Schlaglust. Es ist köstlich!«

»Bis in die Sakristei? Was ist vorgefallen in der Sakristei?« frug gespannt der Jude.

»Nun, – Pfarrer und Lehrer haben sich weidlich geprügelt, – oder vielmehr: der Pfarrer hat den Lehrer geprügelt, und der Lehrer hat sich genothwehrt.«

»Prachtvoll!« rief Salomon. »Das ist ja ein Skandal, ein höchst pikanter Beitrag zur Tagesgeschichte! Darf ich bitten: – wie verhält sich die Sache näher?«

»Sehr einfach! Vor der Messe kam Lehrer Stephan in die Sakristei, um ein Buch zu holen, das noch dort lag aus der Zeit kirchlicher Gefangenschaft. Der Pfarrer, eben im Begriffe, die Meßgewänder anzulegen, forderte des Lehrers Beistand. Der Schulmeister versagte jede Hilfe, weil ihn das neue Schulgesetz vom Meßnerdienste erlöst habe. Der Pfarrer polterte, ein Wort gab das andere. Zuletzt packt der Hochwürdige den Lehrer bei der Kehle, drosselt und drückt ihn gegen die Wand. Der Lehrer gurgelte bedenklich, schlug dem Pfaffen eine blutige Nase und das Faustduell entwickelte sich immer lebhafter, bis einige alte Männer und Weiber herbeiliefen, um die Kämpfenden zu trennen.«

»Ausgezeichnet! Dieser Nasenstüber für die Clerikalen ist so vortrefflich, daß er nicht besser könnte erdacht werden. Darf ich für die Oeffentlichkeit von dieser Episode aus dem Leben eines Pfarrers Gebrauch machen?«

»Meinetwegen, – aber nur unter zwei Bedingungen! Erstens: ich garantire für gar nichts, weil ich an Preßprocessen keinen Geschmack finde. Zweitens: Sie nennen den Ort nicht, wo dieser Kampf statt gefunden.«

»Beide Bedingungen sind leicht erfüllbar. Herr Blendung, meinen wärmsten Dank für diesen höchst anziehenden Stoff.«

Der Jude verschwand unter Bücklingen. Ferdinand lachte ihm nach.

»Glücklicher Nathan, eile nach Mannheim und gieße den reizbaren Stoff in Deine zierlichsten Formen! – Es ist gar keine Frage: meine Erfindung ist meisterhaft. Sie wird durch alle gesinnungstüchtigen Journale die Runde machen, Tausende edler Seelen gegen die Pfaffen erbittern und die Clerikalen unbändig ärgern. Ich bin brauchbar. Meine fünf Talente sollen nicht begraben liegen, – wuchern will ich damit im Interesse unbeschränkter Geistesemancipation.«


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