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Der heilige Chrysostomus.

Die Kinder trugen das Verbot des Kreisschulrathes nach Hause. Das Aergerniß war groß. Sogar viele Rothen stießen sich an der jüdischen Maßregel. Aber die Herrenstube trat muthvoll ein für Mayer Hirsch. Gleich nach der Abfahrt des Kreisbeamten versammelten sich die Maßgebenden im Dorfe um den runden Tisch. Sie sprachen kräftige Verdammungsworte über das unterdrückte Gebet und ersäuften das Todtgeschlagene in einem Strome von Actienbier.

»Ich bin zwar Protestant,« sagte der Einnehmer, »und eure Sachen gehen mich nichts an. Bekennen muß ich aber doch, daß die Anordnung des Kreisschulrathes höchst zeitgemäß ist.«

»Und gehandhabt wird die Anordnung,« rief Knapper. »Habt ihr's gehört, ihr Herren, wie Waldhofen angeschrieben isch? ›Die Schulräthe in Waldhofen,‹ hat der Kreisrath gesagt, ›gehören zu den Einsichtsvollsten im Lande.‹ Ganz Baden guckt auf uns, und ganz Europa guckt auf Baden, also guckt ganz Europa auf uns. Wir haben einen großen Ruhm, und den lassen wir uns nit nehmen.«

»Nehmen?« rief stolz Mohr entgegen. »Besser muß es kommen. Die Pfaffenherrschaft muß nicht allein in den Schulen aufhören, ganz muß sie aufhören. Noch Dreck genug liegt im Lande, – all' muß er fort, und sollten wir uns Besen aus Dreschflegeln machen. Ja, auf Baden sieht ganz Europa! Baden ist das Musterland, – Baden ist der Vorposten der Aufklärung. Setzen wir es durch mit der Schule, dann gibt es neue Schulgesetze in Würtemberg, in Bayern, in Oesterreich, – überall werden die Schwarzröcke aus den Schulen, getrieben. Mohr war kein falscher Prophet. In Bayern, Würtemberg und Oesterreich wurde den Kammern im nämlichen Jahre (1867) und fast im nämlichen Monat ein neues Schulgesetz, im Geiste des badischen gehalten, zur Genehmigung vorgelegt. Das Antichristenthum ist vortrefflich organisirt. – Und der zahlreiche Clerus in Bayern? Die Pfarrherren bewiesen achtungsvollen Muth und baten, von ihren Waffen Gebrauch machen, diese Lebensfrage vor das Volk bringen zu dürfen. Die Prälaten hingegen unterdrückten das Waffengeräusch, blieben in streng gesetzlichen Bahnen, schrieben wieder eine Adresse an die Majestät und wurden – abermals abgewiesen.
Auch der bayerische Episkopat betheiligte sich im Jahre 1869 an dem siegreichen Kampfe, ganz vorzüglich der geistreiche und muthvolle Bischof von Augsburg. (Anm. zur II. Auflage.)
– Und bei der Schule dürfen wir nicht stehen bleiben, – ganz ausgekehrt muß werden. Wartet ab! Der Garibaldi wird mit dem Papst fertig, – wir werden mit unseren Schwarzröcken fertig. Ist der Kopf ab, der Papst nämlich, dann verblutet sich der ganze große Pfaffenleib von selbst. Sind aber die Kutten hin, hört das Geschwätz von den Kanzeln auf, hat die Zwingherrschaft ein End', dann erst kann jeder freisinnige Mann ruhig leben und genießen.«

Evchen hatte das Verbot des Juden in das alte Haus getragen. Die Mutter rang entsetzt die Hände.

»Herr Jesus!« rief sie. »Das ist ja der wahre Antichrist! – Aber nur still, Evchen, daß der Vater nichts hört. Das braucht er noch, – der Spektakel frißt ihm ohnehin das Herz ab.«

So kam es, daß Herr Schröter nach zwei Tagen erst Kunde erhielt von dem neuesten brutalen Eingriff in das religiöse Leben.

Der Landwirth stand bei den Schnittern, als Christoph Mühsam, die Hacke auf der Schulter, mit großen Schritten heran kam.

»Reps schneiden?« warf er kurz hin und einen forschenden Blick auf den Gutsbesitzer.

»Wir können zufrieden sein dieses Jahr, die Repsärnte wird ergiebig,« sagte Schröter.

»Warum nicht?« stieß Mühsam hervor und seine Augen musterten die Arbeiter. Dann schlug er mit der Hacke auf einen Schollen, daß in tausend Stücken der Stoff umherflog.

Der Landwirth bemerkte die Erregtheit des Mannes, verstand dessen forschende Blicke nach den Arbeitern, deren Farbe er bezweifeln mochte, und sah schließlich die drückende Last auf dem Herzen Christophs. Demzufolge trat Schröter von den Arbeitern zurück und schritt langsam über das Stoppelfeld. Mühsam folgte mit größter Bereitwilligkeit und war dem Gutsherrn immer zwei Schritte voraus. In der Nähe des vorüberziehenden Feldweges blieb er stehen, stellte die Hacke vor sich hin, legte beide Hände darauf, und maß noch einmal flüchtig die Entfernung zwischen sich und den Arbeitern.

»Herr Schröter, ich wollte Ihnen etwas sagen! Hier können uns Jene dort nicht hören; denn ich traue Niemand mehr, selbst nicht Ihren Knechten und Taglöhnern. Höchstens gibt es noch zehn feste Schwarze in Waldhofen, – alle übrigen sind roth, halbroth oder scheckig. Jedes Wort, das man sagt, wird dem Bürgermeister und den Anderen hinterbracht, und wenn Stärkere, als ich, der Katze die Schelle nicht anhängen wollen, so mag ich es auch nicht. Aber fragen wollt' ich Sie doch etwas, Herr Schröter!«

»Was habt Ihr, Mühsam?«

Der Bauer sah dem Landwirthe scharf in die Augen, und der Ausdruck seines Gesichtes wurde zu einer Mischung von Schmerz, Zorn und Verzweiflung.

»Ich wollte fragen, ob Sie auch dazu stillschweigen?«

»Wozu denn?«

»Sie wissen es nicht? Sie wissen nicht, daß der Kreisschulrath am Freitag hier war?«

»Der Kreisschulrath? Davon höre ich das erste Wort.«

»Und daß der Kreisschulrath ein Jud' ist, der recht jüdisch in unsere Schulen hineincommandirt?«

»Ein Jude? Nicht möglich!«

»Doch – doch! Mayer Hirsch, heißt er. Ein ächter Jud', krummnasig, spitzbübisch im ganzen Gesicht, – hab' ihn selber gesehen.«

»Ein Jude – Kreisschulrath? – oberster Vorstand der christlichen Schulen im ganzen Kreise? – ein Jude? – Das kann nicht sein!« rief der Landwirth.

»Doch, – doch! Hören Sie nur weiter, gleich werden Sie den Juden kennen lernen! Der Mayer Hirsch ist also mit dem hiesigen Ortsschulrath in die Schulen gegangen, hat visitirt, Alles gut gefunden, den Bürgermeister gelobt, den ganzen Ortsschulrath gelobt und gesagt, es sei schon Vieles besser geworden, müsse aber immer noch besser kommen. Da hat's Verscheidung geläutet. Wie das der Jud' hört, fragt er, was es sei? Der Stephan erklärt's ihm. Darauf hat der Mayer Hirsch zuerst spöttisch gelacht, dann hat er über die Störung des Unterrichts gescholten, und schließlich hat er verboten, daß künftig in der Schule beim Verscheidläuten gebetet wird. – Das hat der Jud' gethan.«

Wäre ein Blitzstrahl in die vollen Scheuern des Gutsbesitzers zündend hineingefahren, der Mann wäre nicht stärker betäubt worden. Anfänglich stand er sprachlos. Dann hob er die Augen zum Himmel, faltete die Hände vor der Brust, und rief in einem Ausdrucke, der unbeschreiblich ist: »Heiliger Gott!«

Der Fortgeschrittenste des Dorfes, Gemeinde- und Schulrath Mohr, kam den Feldweg herauf. Wie er die Schwarzen bemerkte, beugte er sich nieder, rupfte Unkraut aus dem Acker, ließ Beide nicht aus den Augen, sah vergnügt Schröters Bewegungen des Schreckens und lauschte.

»Mayer Hirsch versprach noch mehr,« fuhr Mühsam fort. »Er hat gesagt, das Verscheidläuten müsse ganz eingestellt werden, weil es den Unterricht störe. – Ich glaubte, Sie wüßten das Alles, und wollt' nur fragen, ob wir uns von Juden und Freimaurern sollten geduldig weiter dressiren lassen.«

Der Landwirth sah wieder zum Himmel, helles Leuchten in den Augen.

»Allmächtiger Gott,« rief er, »dies kann Dein Wille nicht sein! Nein, – es kann nicht! Da stille halten im Gehorsam, – da ruhig liegen, und sich das Herz aus dem Leibe schneiden lassen ohne Aufschrei, – ohne Abwehr der Mörder am Heiligsten, – es kann Dein Wille nicht sein!«

Mühsam verstand den Sinn der Rede nicht, aber die Sprache im zuckenden Gesichte Schröters verstand er, und sie freute ihn.

»Er ist doch nicht halbroth geworden,« dachte er. – »Packen wir an, Herr Schröter! In Waldhofen sind Sie der Stärkste. Es muß gehen, wenn Sie nur wollen. Hätten Sie nicht nachgelassen, Viele von uns wären nicht zu den Rothen übergelaufen, unsere Sach' stünd ganz anders.«

»Mühsam, – mein Leben für meinen Glauben! Allein vor Gott will ich nicht dastehen, wie ein Aufwiegler gegen die Obrigkeit.«

»Gegen welche Obrigkeit? Gegen den Jud' Mayer Hirsch?«

Mohr trat grüßend heran. Schadenfreude in den falschen Zügen und Tücke in den Augen.

»Wie fällt's aus?« frug er, über die lagernden Repsschichten hinblickend.

»Schlecht, – ganz schlecht, – zum Verzweifeln schlecht!« versetzte Schröter.

»Schlecht? Ei, der Reps ist ja ausgezeichnet!«

»Der Reps? Ja, – der Reps ist ausgezeichnet, aber die Wirthschaft in Waldhofen ist teuflisch.«

Mohr lächelte.

»Ah, – die Herren sprechen gewiß von der neuesten Verfügung der Kreisschulbehörde wegen des Verscheidläutens! Nun, wissen Sie, Herr Schröter, die Wirthschaft im Staate ist so teuflisch gerade nicht. Die Wirthschaft wird eben haushälterischer und sparsamer geführt. In den Schulen wurde zu viele Zeit verschwendet mit unnützem Zeug. Die Geisteskultur wurde vernachlässigt. Der Gedankenflug der Bildung wurde gelähmt durch die Zwingherrschaft der schwarzen Zunft. Nun wirft die Bildung veralteten Kram aus den Schulen hinaus und führt Dinge ein, die zum Volkswohl passen.«

»So, – Ihr versteht es, die Phrase zu handhaben,« sagte Schröter. »Wo habt Ihr das gelernt, Mohr?«

»Hm, – bin zwar nicht studirt, wie Sie, Herr Schröter, bin auch nicht ganz dumm, aber doch stark dreiviertel.«

»Dumm, Mohr, – nur dumm?« wiederholte der Landwirth. »Laßt Euch sagen: Dummheit ist zuweilen entschuldbar, nicht aber Gottlosigkeit.«

»Weil ich zu den Schwarzen nicht halte?« rief Mohr boshaft. »Nein, lieber halt' ich's mit dem Volkswohl, und das wächst nicht auf schwarzen Aeckern. Der Gewissenszwang hat einmal ein End', alle Schwarzen in ganz Europa können das alte Joch der Geistestyrannei nimmer zusammenflicken. Der morsche Stuhl in Rom geht aus dem Leim, und liegt er in Stücken der heilige Stuhl, ha – ha! – dann wird's mit der Geistesfinsterniß bald gar sein.«

»Geh', Du Freimaurer!« rief Mühsam zornig. »Gelt, das wär' Dir ganz recht, wenn's keine Kirch', keine Priester, keinen Altar, kein Gottes Gebot und keinen Gott mehr gäbe, – das wär' Dir recht! Du ekelhafter Mensch! Guck, wenn ich in Dein Gesicht seh', mein' ich, ich seh' ein Brechmittel.«

»So – so!« sagte Mohr wüthend. »Natürlich wäre mir's recht, wenn es das Alles nimmer gäbe. Kirchen, Altäre, Priester sind lauter überflüssige Sachen, – man könnte viel Geld sparen.«

»Um es an schlechte Weibsbilder zu hängen das Geld, – nicht wahr, Du Brechmittel?« warf Christoph verächtlich hin.

»Natürlich!« versetzte Mohr schamlos. »Und was Gott anbelangt, – nun, – ich habe den Renan gelesen.«

»Den Teufel hast Du gelesen!« schrie Mühsam entgegen. »Der Renan wird gerad' so ein Kerl sein, wie Du. Der Renan wird auch ein Wittmann sein, der nebenher seine Käth' hat, wie Du. Dir und dem Renan ist's freilich recht, wenn's Gott und Gottes Gebote nimmer gibt, wenn Alles Natur ist. Aber das sag' ich Dir: – gefreimauert wird nicht bei uns, – trotz Juden und Renan! Die Kirch' bleibt im Dorf', und eure rothe Sippschaft soll sie nicht einreißen.«

»Ei, – ei, Mühsam, Du wirst hitzig!« sagte Mohr in lächelnder Raserei. »Wir reißen die Kirche nicht ein, – ist auch nicht nothwendig. Man kann sie ja später brauchen für einen Tabaksschuppen. Es wäre schad', um die schönen Steine.«

Mühsam verging die Sprache. Mohr redete lächelnd weiter.

»Guck, Christoph, wenn vom Berg ein Fels herabstürzt, so schmettert er Alles zusammen, was im Wege liegt. Siehst Du, der rollende Fels ist die moderne Bildung, – der Zeitgeist, – die Aufklärung, – der Fortschritt. Ihm stellen sich die Schwarzen entgegen, die Finsterlinge, die Pfaffenknechte. Die armen Teufel thun mir fast leid; der Fels geht über sie weg und zermalmt sie. Darum, Christoph, sei gescheidt! Geh' dem niederstürzenden Fels aus dem Weg', – schade wär's um Dich. Und wenn Du auch alle Eichbäume im Wald zusammenschleppst, um sie als Stützen für das morsche Haus der Geistesfinsterniß zu benützen, – es hilft nichts! Die Menschen haben denken gelernt, und das Denken verträgt der Glaube nicht. – Und jetzt geh' ich zu meiner Käth' und sag' ihr, der Christoph Mühsam sei noch so dumm, daß er an den Satzungen des Juden Moses halte. Schließlich muß ich Dich warnen, Freund Mühsam, gegen die Regierung zu revolutioniren. Es gibt noch Gerichte und Gensdarmen!«

»So, – Du Scheinheiliger! Wer hat denn im Jahr achtundvierzig revolutionirt? Wer war bei den Heckern? Wen haben die Preußen bei Waghäusel gefangen und eingesteckt? War's nicht der Judenknecht Mohr?«

»Der war's, Mühsam, der war's! Mohr kämpfte für Freiheit und Volkswohl gegen eine knechtende Regierung, – und derselbe Mohr läßt sein Leben für eine aufgeklärte Regierung. Wir haben im Jahr' achtundvierzig gegen die Preußen gekämpft und wurden besiegt. Warte ab: – bald kommt eine Zeit, wo die Sieger den Besiegten Handlangerdienste thun. Der Preuß' wird vielleicht auch noch heckerisch. – Guten Tag, ihr Herren!« – und der Ortsschulrath ging höhnisch lachend von dannen.

»Hören Sie, was in den Schuften steckt?« rief Mühsam. »Hören Sie, Herr Schröter, was sie im Busen führen?«

Der Landwirth stand sinnend. Kaum hatte er den Hader vernommen, und jetzt schritt er dem alten Hause zu.

Vater Gangolph saß im Hofe, die Legende auf den Knieen und las. Fritz hatte ihm Blendung's Mittheilungen aus der jüngsten bayerischen Geschichte, sowie die Eindrücke nicht verschwiegen, welche diese Mittheilungen auf ihn hervorbrachten.

»Ich kann nicht weiter, Vater!« hatte der Landwirth gesagt. »Für einen guten Kampf wollte ich mit Gut und Blut einstehen, – aber gegen mein Gewissen kämpfe ich nicht.«

Der Greis vermochte nicht, die Bedenken zu heben und billigte des Sohnes Zurückhaltung.

»Wenn das Aufwiegelung und Empörung ist gegen die Obrigkeit, dann müssen wir still halten und Alles Gott anheim geben,« sprach der Greis.

Aber den Verlauf des Schulstreites ertrug Gangolph schweren Herzens. Die Schwarzen sah er muthlos und zerstreut, seit Fritz vom Kampfplatze gewichen, die Rothen siegestrunken und anmaßend, und der alte Mann betete mehr und las häufiger in der Legende. Als jetzt der Landwirth in den Hof trat, rief ihn der Greis heran.

»Da komm' mal her, Fritz! Hier lies, was da von dem heiligen Bischof Chrysostomus geschrieben steht! Der hat's nicht so gemacht, wie der Blendung meint, daß es sich passe für einen Christen. Lies nur, Du wirst Dich verwundern!«

Schröter griff nach dem Buche und sogleich fesselte ihn die Lektüre.

»Als der Kaiser Arkadius zu Constantinopel regierte, da herrschte großes Sittenverderbniß in jener Stadt. Das Volk ergab sich allen Ausschweifungen, vergaß Gottes Gebote und watete tief hinein in den Sumpf der Laster. Allen voran im Bösen ging die Kaiserin Eudoxia, ein üppiges, sittenloses Weib. Das Volk zu Constantinopel sah das Beispiel der Kaiserin und lief ihr nach im Schlechten; denn was die Fürsten Gottloses thun, das wird zuerst nachgeahmt von ihren Höflingen, dann von sehr Vielen aus dem Volke. Auch gab es damals im Reiche des Arkadius Hofbischöfe, das sind Männer, welche zwar die heiligen Weihen empfangen haben, die Fürsten aber mehr fürchten, als Gott. Und zu Constantinopel gab es viele Hofgeistliche. Diese sollten zwar predigen gegen die Sittenlosigkeit und donnern gegen das Laster, aber sie thaten es nicht, weil es Höflinge waren und der bösen Kaiserin Eudoxia nicht mißfallen wollten. So kam es, daß immer tiefer das Laster hineinfraß in den Leib des Volkes, wie ein Krebs, und die Menge auf dem breiten Wege zur Hölle wurde immer größer. Da starb der Bischof von Constantinopel, und Gott fügte es, daß ein heiliger Mann, nämlich Johannes von Antiochien, zum Bischof von Constantinopel erhoben wurde, im Jahre des Heils dreihundert sieben und neunzig. Johannes wurde auch genannt »Chrysostomus,« verdeutscht: »Goldmund,« – weil er ein gar wunderbarer Redner war, und das Wort Gottes wie ein goldener Strom aus seinem Munde hervorquoll.«

»Als nun der heilige Chrysostomus nach Constantinopel kam und das große Elend sah, da wurde er sehr betrübt. Auch die Quelle entdeckte bald der heilige Mann, aus der alles Verderben floß, nämlich den kaiserlichen Hof. Weil nun der heilige Chrysostomus keine Menschenfurcht hatte und kein Hofbischof war, sondern ein ächter Bischof, wie er sein soll, darum predigte er scharf gegen das Verderbniß. Der Kaiserin Eudoxia schrieb er dringende Briefe, belehrte und ermahnte sie, abzustehen von ihrer Sittenlosigkeit und das Volk nicht weiter zu verführen durch ihr böses Beispiel. An solchen Briefen hatte aber die Eudoxia nicht den geringsten Gefallen. Vielmehr zürnte sie dem heiligen Mann und wollte weiter keine Briefe. Chrysostomus hingegen ließ nicht ab vom Ermahnen, bis er sah, die Eudoxia werde nur boshafter und starrsinniger im Schlechten. Jetzt schrieb der heilige Bischof nicht mehr, – aber in der Sophienkirche öffnete er seinen Mund, wie eine Posaune, furchtlos der Kaiserin, ihrem Hofe und allem Volke das Lasterleben vorhaltend. Die Volksmenge lief herbei in dichten Massen, den gewaltigen Prediger zu hören. Viele Tausende gingen in sich und thaten Buße. Und weil der Goldmund die Großen nicht fürchtete, sondern nur Gott, und weil er alle Einkünfte unter die Armen vertheilte, dabei sehr streng lebte und Großes wirkte, so erkannte das Volk bald, daß er ein heiliger Mann sei. Darum liebte es ihn, wie seinen Vater, und allmälig begannen die Leute, zu murren gegen das schlechte öffentliche Leben großer Herren und Frauen.«

»Als Eudoxia das hörte, wurde sie ergrimmt gegen den Goldmund, weil er Zorn gegen den Hof unter dem Volke angestiftet. Sie schickte den Minister Rufinus mit schweren Drohungen zu dem heiligen Johannes, und Rufinus trat mit großer Aufgeblasenheit vor den Bischof.«

»Ich komme zu Dir im Namen der Kaiserin, begann Rufinus, um Dir zu sagen, Du solltest vernünftig predigen, und das Volk nicht aufhetzen gegen die Obrigkeit, wie Du gethan. Fährst Du aber in Deinen Schmähreden fort, so muß Dich der Zorn der Kaiserin treffen. Darum sei klug, o Bischof Johannes, und werde keine – persona ingrata! Bedenke Dein Bestes und bleibe in des Hofes Gunst und Gnade.«

»Deine Worte betrüben mich sehr, Rufinus!« versetzte der heilige Mann. »Niemals habe ich Schmähreden ausgestoßen gegen die Kaiserin, sondern nur das Laster verdammt.«

»Du hast freilich die Kaiserin nicht genannt,« unterbrach ihn der Minister, »es weiß aber Jedermann, daß die Kaiserin gemeint ist.«

»Warum weiß Jedermann, daß die Kaiserin gemeint ist, wenn ich die Kaiserin nicht nenne? Antworte mir, Rufinus!«

»Weil Deine Worte genau auf die Kaiserin passen.«

»Du hast recht geantwortet, Rufinus! Wenn also meine Worte, gegen das Laster gesprochen, die Kaiserin treffen, dann möge Eudoxia ihren lasterhaften Wandel aufgeben und Buße thun.«

»Wie, Du wagst es, die Kaiserin lasterhaft zu nennen?«

»Du sagst ja, Rufinus, meine Verdammungsreden gegen das Laster passen genau auf die Kaiserin.«

»Wie lange, meinst Du, wirst Du noch Bischof sein, wenn ich der Kaiserin Deine Worte melde?«

»Wie lange ich Bischof bin, das steht in Gottes Hand, o Rufinus! So lange ich aber Bischof bin, werde ich meine Pflicht erfüllen und das öffentliche Laster öffentlich verdammen, – das Laster der Großen und der Kleinen. Würde ich die Menschen fürchten, so könnte ich Gottes Diener nicht sein.«

»Du bist undankbar,« sprach entrüstet der Minister. »Hat Dich Kaiser Arkadius nicht auf den ersten Bischofsstuhl des Reiches erhoben?«

»Ich habe diese bürdenvolle Würde nicht gesucht, Du weißt es, Rufinus! Der heilige Chrysostomus wurde bekanntlich durch List und Gewalt von Seite des Kaisers Bischof von Constantinopel. Einmal aber Bischof geworden, muß ich die bischöflichen Pflichten erfüllen. Und dann, Rufinus, bin ich kein Staatsbeamter, weil meine Sendung nicht vom Kaiser, sondern von Gott ist. Christus der Herr bestellte Priester und Bischöfe, – nicht der Kaiser. Derselbe Herr Jesus Christus gab den Bischöfen Vollmachten, Gewalten, Satzungen, – nicht der Kaiser. Die Geistlichen sind Diener der Kirche und nicht des Staates, und die Kirche ist eine Macht Gottes, aber keine Magd der Menschen.«

»Weil Du hartnäckig bist, Bischof Johannes, will ich Dir einige Fragen vorlegen. – Weißt Du, daß die Menge schimpft gegen Eudoxia?«

»Ich weiß es!«

»Weißt Du auch, daß Deine Predigten das Murren und Schimpfen des Volkes gegen die Kaiserin hervorgerufen?«

»Ich weiß es!«

»Gut, – dann bist Du ein Aufwiegler des Volkes gegen die Obrigkeit und verdammungswürdig.«

»Dasselbe haben die Pharisäer Christus dem Herrn vorgeworfen,« antwortete Chrysostomus. »Sie haben gesagt: er wiegelt das Volk auf! Aber die Anklage war falsch, weil der Herr lediglich die Sünden der Vornehmen verdammte. So verhält es sich hier. Das Volk habe ich nicht aufgewiegelt, sondern die öffentlichen Laster des Hofes angegriffen und verdammt, – und wehe mir, thäte ich das nicht!«

»Wenn nun aber, in Folge Deiner Predigten, eine Empörung ausbricht, wer hat dieselbe zu verantworten?«

»Die Unbußfertigkeit des kaiserlichen Hofes!«

»Und Dich sprichst Du frei von Schuld?«

»Ja, Rufinus! Denn ich habe nicht den Gehorsam gegen die Obrigkeit verdammt, sondern das öffentliche Sittenverderbniß. Und darin muß ich fortfahren bis zum letzten Athemzuge. Man muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen.«

»Erzürnt verließ der Minister Rufinus den heiligen Bischof. Der Goldmund aber fastete noch strenger, betete noch glühender, als zuvor. Die Drohungen der Kaiserin machten ihm keine Furcht, und er unterließ nicht, die Sittenlosigkeit des Hofes im Sophiendom anzugreifen und zu verdammen?

»Darüber gerieth Eudoxia in Wuth. Sie beschloß den Untergang des heiligen Mannes, wie Herodias den Untergang des heiligen Johannes des Täufers beschlossen hatte. Aber die Eudoxia griff es schlauer an, als die Herodias. Sie kannte einen mächtigen Hofbischof, den Patriarchen Theophilus von Alexandrien, einen herrschsüchtigen, bösen Mann. Mit diesem verband sich die Kaiserin zum Sturze des heiligen Goldmundes. Theophilus versammelte noch andere Hofbischöfe um sich, und diese luden den heiligen Johannes vor ihr Gericht. Allein Chrysostomus erschien nicht vor den Hofbischöfen. Darauf bannten sie ihn, als einen gottlosen, ketzerischen Menschen, und der Kaiser Arkadius, von Eudoxia gewonnen, sprach über den heiligen Mann die Verbannung aus.«

Weiter las Schröter nicht. Er saß steif und sah einige Sekunden gerade aus. Da begann der matte Blick zu flammen, und die schlaffe Haltung verschwand. Jetzt schnellte er von der Bank, wie von fremden Mächten getrieben. Der hochragende Mann hatte plötzlich die alte Kraft wiedergewonnen.

Er eilte hinein und schrieb auf ein Blatt Papier: »Ein Amt zu Ehren des heiligen Chrysostomus, – wo möglich morgen.«

Dann zog er eine schwere Schublade, in der gefüllte Geldsäcke standen, griff aus dem Dicksten der Säcke ein Zweithalerstück und wickelte es in das beschriebene Blatt. Drängende Eile in den Zügen, ging er mit großen Schritten nach der Küche. Feuer brannten um Kessel und Häfen. Er rief nach den Mägden, nannte ein halbes Dutzend Namen, erhielt aber keine Antwort. Er stürmte hinaus. Hänschen trieb seinen Tanzknopf durch den Hof.

»Hänschen, da komm' her, mein Lieber, – nur geschwind!«

Der väterliche Ruf klang so hastig, daß Hänschen die Peitsche entfiel und er ohne Verzug herbei lief.

»Gehe hinunter zum hochwürdigen Herrn Cooperator, gib ihm das und frage, ob's morgen sein könnte. – Hast Du mich verstanden?«

»Ja, Vater! Ich soll zum Herrchen gehen, ihm das geben und fragen, ob's morgen sein könnt'!«

»Recht so, – lauf' geschwind!« – und Hänschen flog über den Hof, durch das Thor.

»Anton!« rief der Landwirth einen Knecht an. »Sattle augenblicklich! Laß Alles stehen und liegen, – sattle!«

»Welchen denn, Herr?« frug der überraschte Anton.

»Den Braunen, – nur gleich!« – und der Herr verschwand im Hause.

Frau Schröter schnitt Grünes im Garten und vernahm dort die Stimme ihres Gatten. So überraschend klangen ihr die kräftigen Zurufe, daß sie innehielt und sich aufrichtete. Seit Wochen hatte sie Worte von gleicher Lebhaftigkeit aus dem Munde des Vielgeliebten nicht mehr vernommen. Sein früheres energisches Wesen war vor ihren Augen vergangen, und mit ihm die blühende Gesichtsfarbe.

»Mein Gott, mein Gott!« seufzte sie oft im Stillen. »Fritz fällt ganz aus dem Fleisch, die Kleider werden alle zu weit. Er wird doch nicht krank sein!«

Und wenn sie ihn besorgt frug, erhielt sie beruhigende Antworten, die ihre Angst nicht hoben, sondern vermehrten. Auch dem Großvater trug sie schwere Befürchtungen vor.

»Sei nur ganz ruhig, Sanne, das macht der Schulstreit! Es wird vorübergehen.«

Allein die Frau vermochte nicht, den Geisteszustand ihres Gatten zu fassen, und auch nicht die aufreibende Wirkung einer gequälten Seele auf den Körper. Sie fürchtete, Fritz habe die Auszehrung, und weinte im Verborgenen heiße Thränen. Als sie nun die Stimme so voll und kräftig durch den Hof schallen hörte, schnitt sie rasch das Nothwendige in den Korb und eilte in das Haus. Vom oberen Stockwerk klirrten Sporntritte, und vor der Hausthüre schlug der Braune ungeduldig Feuer aus dem Pflaster. Rasch kam der Gutsbesitzer die Stiege herab, von seinem staunenden Weibe im Flur erwartet. Er lächelte ihr froh entgegen, und Susanna jubelte das Herz über das plötzlich veränderte Wesen des lieben Mannes. Wie ein altes Kleid hatte er den Trübsinn abgeworfen, die frühere Spannkraft und Geistesfrische waren mit einem Schlage zurückgekehrt.

»Ich muß einen nothwendigen Ritt machen, Frauchen!« sagte er. »Heute Abend bin ich zurück. Kommt der Vater, sag' ihm, der heilige Chrysostomus hätte mir ein Licht angezündet.«

Hänschen trat keuchend herein.

»Schönen Gruß vom Hochwürdigen, und es könnt' sein morgen.«

»Brav! – Sannchen, morgen früh muß Alles zur Kirche: – Kinder, Knechte und Mägde.«

Noch stand Frau Schröter verwundert über das Unverständliche, als der Landwirth hinauseilte und sich wuchtig in den Sattel schwang. Nochmals grüßte er lächelnd herab, ritt durch das Thor, den Hügel hinab, und bald stürmte er auf der Straße gegen Siebelfingen dahin.

Am folgenden Morgen läuteten die Glocken zusammen. Vom alten Hause hernieder stieg ein feierlicher Zug festlich gekleideter Menschen. Voran Fritz Schröter, stattlich anzusehen, hoch aufgerichtet, ein mächtiges Gebetbuch in der Hand, dessen Goldschnitt im Leuchten seiner Augen wiederzustrahlen schien. Ihm zur Seite Susanna, Freude im Angesichte und Jedermann froh zunickend, sogar den Rothen. Dann kam der Großvater im Dreispitz, im langen Flügelrock, in kurzen Hosen, weißen Strümpfen und Schuhen mit Silberschnallen, ungebrochen einherschreitend, und Hänschen an der Hand führend. Ihm zur Seite Helena, schlank und kräftig, reizend und schön. Sie ging ohne Sonnenschirm, ohne Vorstecknadel, hatte die langen Zöpfe um das Haupt gewunden und trug zum bescheidenen Haarschmuck bescheidene Kleider. Aber die Bescheidenheit der Tracht und die Sittigkeit des Wesens entwertheten nicht, sie hoben vielmehr den Reiz ihrer Erscheinung. Ueber der Brust blitzte ein goldenes Kreuz an schwarz seidenem Faden, Heinrichs Geschenk, und an der Hand führte sie die stets plaudernde Eva. Nun kamen die Mägde, kräftige Gestalten, und schließlich die Knechte, alle in Feiertagskleidern.

Im Dorfe erregte das Haus Schröter bedeutendes Aufsehen. Die Rothen sahen dem Zuge der Schwarzen verwundert nach und steckten berathend die Köpfe zusammen. Die Schwarzen grüßten froh den Häuptling und er dankte mit freundlichen Worten. In der Nähe der Kirche begegnete Heinrich, an Ferdinands Seite. Es gab kurzen Aufenthalt und flüchtigen Austausch der Rede. Ferdinands Blicke verschlangen Helena, welche erröthete und sich dem Zwange des Stehenbleibens mit Ueberwindung unterzog.

»Wäre ich kein Ketzer,« sagte Ferdinand, »ich würde an Ihrem Kirchengange Theil nehmen.«

»Die Kirche steht Jedermann offen,« erwiederte Schröter. »Aber Heinrich ist eingeladen, an dem Amte zu Ehren des heiligen Chrysostomus Theil zu nehmen.«

»Wer ist das?« frug Ferdinand.

»Ein Bischof, der einstand für Religion und gute Sitte. Sogar die bösen Geister der höchsten Regionen bekämpfte er, und beinahe wäre darüber eine Empörung des Volkes ausgebrochen. Lebte der heilige Chrysostomus in Waldhofen, er gehörte jedenfalls zu den Schwarzen; denn er würde die Schulreform »dämonisch« heißen, dazu ersonnen, das heranwachsende Christenvolk im Keime zu verderben.«

Ferdinand vernahm erstaunt die Worte und dachte: »Das bedeutet Krieg!«

»Nun, Heinrich,« schloß der Landwirth in bester Laune, »folge dem Rufe der Glocken und singe in der Kirche ein schönes Lied zum Preise des heiligen Chrysostomus.«

Der Eingeladene stand schwankend. Nach Helena's Meinung sollte er ohne Zögern des Vaters Ansinnen folgen, da es ja christlich und gut war. Als er nun schwankte und fragend auf den Begleiter sah, schnitt es ihr durch die Seele.

»Um Vergebung, Herr Schröter!« sagte Ferdinand. »Heinrich hat sich mir für die nächsten Stunden verlobt, und ich schätze ihn so hoch, daß ich ihn selbst der Kirche nicht zehn Minuten abtreten mag.«

Helena folgte niedergeschlagen den Eltern.

»Er geht lieber mit dem fremden Menschen, der eine so widerliche Art hat,« dachte sie. »Er geht nicht mit uns zur Kirche, obwohl mein Vater so freundlich gegen ihn gewesen. Und wie übernächtig er aussieht! Saß er vielleicht gar bis zum Morgengrau bei den Rothen im Ochsen? – Heilige Mutter Gottes, – behüte ihn!« betete sie, in der Nähe des Liebfrauen-Altares in die Kniee gesunken. »Heiligste Jungfrau, nimm ihn unter Deinen Schutz, – o gestatte nicht, daß der fremde Mensch ihn verderbe!«


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