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Der Schulstreit.

Kaum hatten die Männer des Jahres achtundvierzig ihre Streitäxte begraben, als im Lande Baden abermals ein Krieg losbrach. Diesmal galt es nicht die Vertreibung des Großherzogs, nicht preußischen Pickelhauben und Zündnadelgewehren trotzten die Heckersöhne, – viel ernster, die höchsten geistigen Interessen berührend, war der Kampf.

Voll Entsetzen hatte die überwundene Revolution gesehen, wie aus dem Unheile von Achtundvierzig »der Verhaßten« allein Vortheil erwuchs, – der katholischen Kirche. Mit Rom hatte der Großherzog ein Concordat geschlossen, dessen Inhalt besagte: die katholische Kirche soll frei sein im Lande Baden, die Sperrketten des Bureaukratismus werden ihr abgenommen, es wird ihr achtungsvoll begegnet, in der Volksbildung sollen fernerhin keine Handschellen des Absolutismus hemmen.

Darob hallte ein Aufschrei des Ingrimms durch das schöne Ländchen, und der Aufschrei fand Widerhall durch ganz Europa, – soweit nämlich die Männer des Fortschrittes und der Loge ihre Netze gesponnen. Die Führer des Zeitgeistes traten berathend zusammen. Allen wurde klar: moderner Bildung und gesunder Entwicklung bringe große Gefahr – die Freiheit der Verhaßten. Sie kannten ihre gewaltige Macht, gegen die seit achtzehnhundert Jahren die Muthvollsten ihrer Geistesgenossen vergeblich Sturm gelaufen. Vermochten sie es nicht, die Unfreie, die Geknebelte zu tödten, wie sollte die Entfesselte überwunden werden? – Der Krieg wurde beschlossen im Rathe, ein Krieg bis ans das Messer. Den Kampf leiteten gewandte Plänkler ein, streitbare Geister, die im Gewande von Zeitungspapier umgehen. Stolze Journale, auf der Zeithöhe triumphirend und vom Throne unfehlbarer Aufklärung das Volk beherrschend, schlugen Generalmarsch. Den ersten Violinen antwortete durch ganz Deutschland eine lebhafte Kriegsmusik, aufgeführt von gut besetzten und vorzüglich bezahlten Chören gesinnungstüchtiger Zeitungen, Blätter und Blättchen. Bald wandelte das Concordat häßlich angemalt vor den Augen des verblüfften Volkes. Es hatte Teufelskrallen, gesunde Sinnlichkeit zu erwürgen; – einen Rachen mit schrecklichen Zähnen, freie Selbstbestimmung zu zermalmen; – einen höllischen Schwanz, jede vernünftige Entwickelung erstickend zu umgarnen. Das fortschrittliche Völkchen in Baden sah das Ungeheuer, und das Entsetzen wuchs. Von allen Seiten liefen Streitbare zusammen, den Drachen zu bekämpfen, nieder zu werfen, zu tödten. Die Kriegsmusik der Presse wirbelte Sturmlauf, und der Angriff begann nach klug berechneten Planen erprobter Heerführer. Ganz Carlsruhe erbebte ob des furchtbaren Lärmes. Von den Fenstern des Residenzschlosses sah man drohende Schlachthaufen im ganzen Lande, und der Großherzog, lebhaft fühlend für die Bedürfnisse der Gebildeten seines Völkchens, sowie klaren Geistes gereifter Aufklärung huldigend, beschloß die Tödtung des römischen Ungethüms.

Aber der schreckliche Feind? – Zum höchsten Erstaunen der Badenser erwies sich derselbe nicht blutdürstig, – es war ein ganz harmloses Ungeheuer. Allen Hohn ertrug es in Geduld, alle Verläumdungen und tödtlichen Stiche mit seltener Ruhe. Die Männer in Wehr und Harnisch schwangen muthvoller die Streithämmer, seitdem sie erkannten, das Schreckliche habe im Grunde weder Teufelskrallen, noch Drachenschwanz. Sein Wesen gehöre nicht zur Gattung der Raubthiere, es schlage vielmehr in die Art der Schafe. Und als gar der papierne Unhold den Rachen öffnete, nicht um die Feinde zu zermalmen, sondern die Bitte vorzubringen, man möge ihn nicht ungehört zerreißen, ihm gnädig vor des Landes höchster Gerichtsbarkeit Vertheidigung gestatten, – da antwortete ein munteres Hohngelächter aller Gebildeten.

»Keine Vertheidigung, – kein Gericht, – zerreißt es, schlagt es todt!« lautete der Text wilder Melodieen durch alle tonangebenden Blätter.

Die Gerechtigkeit athmete indessen noch, schämte sich der Gewaltthat und gestattete Freiheit des Wortes.

Den Spruch des Gerichtes im Geiste der Humanität zu beugen, arbeiteten rastlos die Gebildeten, vorab die listigen Brüder im Schurzfell. In allen Tonarten besang die Presse die Wünsche des Ländchens. Sie jammerte über die Gefahr, unter das Joch mittelalterlicher Finsterniß zu gerathen, und trieb knirschende Massen zum Gerichtstage über das Concordat. Die Richter saßen auf den Polstern, das Angeklagte auf dem Armensünderbänklein, und alle Fortgeschrittenen im Lande Baden zogen heran in hellen Haufen, unter rauschenden Klängen und kampflustigen Schlachtgesängen. Sodann erhoben sich die Väter des Volkes, deren es in Baden ungewöhnlich viele gibt, und gossen einen schwarzen Strom schwerster Beschuldigungen über das Concordat. Das Arme verlor bei allen Verdächtigungen nicht einen Augenblick seine Ruhe, und jetzt trat es vor zur Vertheidigung.

»Ich danke der ewigen Gerechtigkeit, die nicht zugelassen, daß ich ungehört verdammt werde,« sprach es. »Bei dem glühenden Hasse und der Macht meiner Feinde, darf ich einen günstigen Erfolg meiner Vertheidigung nicht hoffen. Aber meine Worte sind nicht vergeblich gesprochen, sie werden nicht untergehen, sie werden fortleben und künftigen Jahrhunderten erzählen, was hier, im Lande Baden, geschah. Und darüber werden kommende Geschlechter ebenso erschauern, wie manche gefühlvolle Seele sich entsetzt über das Verbrennen, Rädern und Viertheilen der Unschuld im Zeitalter der Neroen und Tibere.«

Bei den Worten brach ein schreckliches Getöse los. Die Männer der Humanität heulten unter dem Vergleiche mit Henkern, und das Volk der Bildung brüllte ingrimmig, da es sich so bestimmt getroffen fühlte. Das Concordat wartete das Ende des Sturmes ab, und redete unerschrocken weiter.

»Und da es zu allen Zeiten für die Kirche Neroen gab und die Verfolgung nie starb, so ist mein nahes Schicksal mir klar. Ich lese dasselbe in dem vernichtenden Brande eurer Augen und in dem tödtlichen Hasse eurer Züge. Euch ist Macht gegeben über mich und meine Richter, – aber nicht von Gott ist euch diese Macht gegeben, sondern von der Entartung und dem Untergange aller Rechtsbegriffe der Gegenwart. Ihr werdet mich also tödten, verbrennen und meine Asche in den Wind streuen.«

Ein rasendes Getöse schlug bestätigend auf aus der Menge, die Blutdürstigen drängten näher.

»Viele von euch, meine Feinde, sind irre geführt! Ich wurde dargestellt als ein böses Wesen, das Unheil bringe in das Land Baden. Erlaubt mir, euch zu sagen, daß ich die größte Wohlthäterin eures Volkes bin. Zwei Dritttheile von euch sind katholisch, und weil ihr das seid, muß euch an der Freiheit eurer Kirche gelegen sein. Der Rechtssinn eures Landesfürsten hat mich nach Baden gerufen, die Ketten zu lösen, in denen eure katholische Kirche schmachtete. Ich soll eurem geistlichen Oberhirten den unverkürzten Stab in die Hand geben, damit er die von Gott vertraute Heerde leiten, ihrer ewigen Bestimmung entgegen führen könne. Da es ferner gar viele Wölfe und anderes reißende Gethier in Baden gibt, sollte ich eure Hirten mit Vertheidigungsmitteln ausrüsten, die Räuber abzuwehren von den unbeschützten Schafen. Lange zögerte ich, in euer Land zu kommen, weil mir Ansehen und Macht der Feinde eurer Kirche nicht unbekannt waren, und mein Erscheinen ihren Haß zu lichten Flammen anblasen mußte. Da ich jedoch die Rechte Anderer nicht antasten, nur Rechte und Freiheit der katholischen Kirche wahren will, und da die Gewaltigen eures Landes der Freiheit so schöne Reden halten, so hoffte ich, in einem Lande geduldet zu werden, das Freiheit und Duldung für Alle anpreist. Ich schloß daher mit eurem Fürsten einen Vertrag, des Inhaltes, daß in Baden die katholische Kirche sollte frei und Verwalterin ihrer eigenen Angelegenheiten sein. Der Vertrag wurde geschlossen nach allen Formen des Rechtes, und selbst ihr, meine Feinde könnt diesen Vertrag nicht zerreißen, ohne euch der schreiendsten Ungerechtigkeit schuldig zu machen. In Baden zu existiren, dazu habe ich ein Recht. Ihr könnt mich nicht vertreiben, ohne eure Namen zu beschmutzen mit der Schmach, die Kirche zu knechten, und Sklaverei zu üben in einer Zeit, die sich der Humanität rühmt.«

Ein wüstes Geschrei verschlang die letzten Worte. Es zischte, heulte und brüllte ganz entsetzlich. Dennoch sprachen die Richter das Concordat frei von der Anklage, ein Ungeheuer und Verderber des Volkes zu sein.

»Das Concordat,« sagten sie, »hat ein Recht in Baden zu bestehen. Es greift nicht ein in fremde Selbstständigkeiten, es hütet nur Bewegung und Leben der katholischen Kirche.«

Der Spruch wühlte die allzeit schlagfertigen Massen des Fortschrittes auf, und die lichtscheuen Arbeiter in den Freimaurerlogen gossen Oel in das Feuer und schürten mit klugem Verständniß die Gluth. Von allen Seiten erhob sich Getümmel, die Wilden fuhren über die Richter her, stürzten sie von den Stühlen, und setzten Vertrauensmänner auf die rothen Polster Das großherzogliche Ministerium von 1859 erlag bekanntlich dem fortschrittlichen Ministerium Stabel, Lamey und Roggenbach..

Sodann überfielen die Gebildeten das wehrlose Concordat, rissen es in Stücke, und traten hohnlachend das Zerrissene mit Füßen.

Ueber der Leiche des Ermordeten errichteten die Sieger einen Triumphbogen und schrieben darauf: »Neue Aera der Freiheit.«

Da jedoch die Verhaßte, obschon geknebelt und geknechtet, in achtzehnhundertjährigen Kämpfen seltene Lebenskraft bewies, so erdachten die Führer des Fortschrittes einen Todesstoß. Was römische Nerone und herzlose Tyrannen in einem Blutmeere von zwölf Millionen hingeschlachteter Christen vergeblich erstrebt, das hofften die Helden des Zeitgeistes glücklich zu vollbringen: – die Ermordung der Braut Jesu Christi, des Sohnes Gottes.

Wieder traten die Gewaltigen berathend zusammen. Ihre gefaßten Beschlüsse wurden bald offenbar; denn es stimmte die Lehrerin des souveränen Volkes, die Presse, Kriegshymnen an.

»Hinaus mit den Schwarzen aus den Schulen!« hieß der Text. »Die Verdummung des Volkes durch die Pfaffen muß aufhören. Der Zeitgeist duldet religiösen Wahn nicht länger. Die Aufklärung muß die Schulen befreien von den Finsternissen des Aberglaubens.«

Der Lärm wurde lauter und lauter. Crucifixe und Heiligenbilder in allen badischen Schulsälen zitterten. Der Boden unter den Füßen geistlicher Schulinspectoren wankte. Endlich war die neuerfundene Höllenmaschine gegen die Kirche fertig: – die berühmte Schulreform. Sie vertrieb aus den Lehrsälen die leitenden Ortspfarrer, übergab Regiment und Erziehung der Jugend dem »Ortsschulrathe«. Der Ortsschulrath bestand aus dem präsidirenden Bürgermeister, den Lehrern nebst einigen Bauern. Ueber den Ortsschulrath setzten die Väter des Volkes den »Kreisschulrath«, und über den Kreisschulrath den »Oberschulrath«. Kreis- und Oberschulrath waren nicht gebunden an irgend ein religiöses Bekenntniß, und so erhielt die liebe katholische Jugend Ungläubige, Juden, Auchkatholiken und Neuheiden zur bildenden Erziehung.

Die »neue Aera der Freiheit« beklatschte diese Erfindung eines aufgeklärten Kopfes und rühmte die zeitgemäße Toleranz, welche dem Ortspfarrer im Ortsschulrathe ein bescheidenes Plätzchen gelassen. Dieses Plätzchen war freilich sehr enge, ohne jeden nachtheiligen Einfluß der Schwarzen auf die zeitgemäße Erziehung der Kinder und deren Abrichtung zu Grundsätzen der Humanität.

Nun traf es sich aber, daß im Lande Baden nicht blos Juden, Neuheiden und Auchkatholiken existirten, sondern auch wahrhafte Katholiken. Diese, obwohl ungebildet und verdummt, bemerkten sogleich den Todesstreich, vom Zeitgeiste nach dem Herzen ihrer Kirche geführt. Sie protestirten gegen die meisterhafte Erfindung des Herrn Knies, und erklärten, ihre Kinder einer Erziehung zum Unglauben nicht anvertrauen zu können. Sie fanden es im höchsten Grade ungerecht und gewaltthätig, ihre leiblichen Sprößlinge von dem Herzen ihrer Kirche gerissen und an die kalte Brust des gemüthlosen Fortschrittes gelegt zu sehen. Sie behaupteten, das erste Recht auf ihre Kinder hätten sie, die Eltern. Darum sei es Gewissenszwang und Tyrannei, ihr Fleisch und Blut dem obersten Götzen der Gegenwart, dem Zeitgeiste, opfern zu müssen.

Auch der greise Hermann in Freiburg, dieser unsterbliche apostolische Mann, erhob seine Stimme. Den Geistlichen verbot er, in dem aufgeklärten Ortsschulrathe zu sitzen, sowie jede amtliche Gemeinschaft mit den zeitgeistigen Geschöpfen des Herrn Knies. Aber die Gewaltigen achteten nicht des Schmerzensschreies niedergetretener Katholiken, und da sich diese zu krümmen nicht aufhörten, so entbrannte ein mächtiger Streit, – der Schulstreit. Weiter und weiter wurde der Kampfplatz, die Fehde immer bedenklicher, das ganze Völkchen hinein verwickelt. Und wie vormals die kampflustigen Deutschen riefen: »Hie Welf, – hie Waiblingen!« – so hallte es durch ganz Baden: »Hie Schwarzen, hie Rothen!« Da war keine Stadt, kein Dorf im ganzen Lande, – Mannheim etwa ausgenommen, das im Lichte vollendeter Bildung glänzt, – wo nicht Schwarze und Rothe sich bekämpften.

Auch in Waldhofen, einem schönen wein- und fruchtreichen Dorfe, hatte die siegreiche Humanität aus den Armen der Eltern die Kinder gerissen, um sie in den Schoos der kniesischen Schöpfung zu legen. Anfänglich gedieh der Kinderraub ziemlich geräuschlos. Die waldhofer Bauern hatten Weinberge und Fluren zu bestellen, von der Tragweite der Neuerung keine Ahnung. Ihr alter Pfarrer, seit vierzig Jahren die Heerde führend, liebte ungestörte Ruhe für die letzten Tage und friedliches Zusammenleben mit den Pfarrkindern. Der Geist des neuen Schulgesetzes entging ihm nicht, und er schüttelte über die Bosheit dieses mörderischen Instrumentes sein ergrautes Haupt. Allein der hochbetagte Mann fand nicht mehr die Kraft in sich, ein Werk erfolgreich zu bekämpfen, dessen hochgefeierter Schöpfer in starken Armen ruhte. Demnach schwieg der gutmüthige alte Herr, und legte ohne Widerrede die Zügel der Schulleitung in die Hände des Dorfschulzen. Und als der Erzbischof jede Theilnahme an den Sitzungen eines kirchenfeindlichen Collegiums den Geistlichen verbot, glitt auch diese Maßregel in Waldhofen geräuschlos vorüber. Altersschwäche und Kränklichkeit verhinderten ohnehin manche Amtshandlungen des hinfälligen Hirten, darum fiel die Abwesenheit im Ortsschulrath nicht auf. Die Bauern lasen zwar an Sonntagen im »Blättchen« über den Schulstreit, sie hörten auch das Echo des Kampfgeschreies im Lande, kümmerten sich aber wenig darum. In Waldhofen blieb es ja friedlich. Der Bürgermeister griff thätig ein in das Schulwesen, die Lehrer warteten ihres Amtes, der Pfarrer hatte nichts einzuwenden. Der letzte Umstand überzeugte die Bauern, das Ganze sei bedeutungslose Balgerei. Wäre etwas daran, meinten sie, dann würde es der Hochwürdige schon gesagt haben.

So kam es, daß in Waldhofen die Höllenmaschine still arbeitete. Der aufgeklärte Schulmeister lehrte immer weniger von Gott und seiner Offenbarung. Die Märchen der biblischen Geschichte wurden vertauscht mit schönen Sagen eines Handbuches, welches klug an die Stelle der Bibel gerückt wurde. Dem thätigen Bürgermeister wurde Belobung vom Amte wegen preiswürdiger Schulleitung. Der amtliche Sporn stachelte den Ehrgeiz und hob das Selbstgefühl des Schulzen in dem Grade, daß ihn bereits der Plan beschäftigte, alle bildlichen Erinnerungen an religiösen Wahn aus den Schulsälen zu entfernen. Sogar dem katholischen Gruße, »Gelobt sei Jesus Christus«, hatte er den Tod geschworen und die Absicht, die verdummten Kinder fortschrittlich grüßen zu lehren.

Plötzlich aber umwölkte sich der Friedenshimmel über Waldhofen, es wurde in den Streit hineingezogen, die gedeihende Arbeit der Humanität ernstlich bedroht.


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