Helene Böhlau
In frischem Wasser
Helene Böhlau

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Zweites Kapitel.

Hans Ludwig Schmidt fragt die Anna Obrist, wie es ihrem Mann gehe, und erhält die Antwort, daß er sich wohl befinde. – Junge Hühner kriechen aus. – Ein Fisch außer Wasser. – Hans Schmidt ist erstaunt, daß er eine vernünftige Rede da nicht anbringen kann, wo sie seines Erachtens wohl angebracht wäre. – Hans Schmidt wird in die Schulter gestochen. – Ein hübsches Kind tritt in das Atelier.

Hans Schmidt fuhr an einem der letzten Märztage in den Nachmittagsstunden durch die Potsdamer Straße. Er stand vorn auf dem Pferdebahnwagen. Die mächtigen Tiere zogen kräftig, die klare, sonnendurchleuchtete Luft strich an ihm vorüber, in den Linden über ihm schimmerte es schon wie keimendes Leben. Es war, als läge ein grünrötlicher Hauch über den Bäumen. So fährt es sich prächtig die 24 Potsdamer Straße hinab. Vor den Blumenläden ist die schöne Ware aufgestellt, ganze Beete von Tulpen, Hyazinthen, Tazetten, von Bienen umschwärmt. In den Lindenspitzen sitzen die Stare, die wandelnde, eilige Menschenmasse zieht auf und nieder, reiche Equipagen, Omnibusse, Frachtwagen sausen und rasseln. Alles lebt, alles eilt; aber viele lustwandeln auch, denn die Potsdamer Straße hat nicht das geschäftsmäßige, ernste Ansehen sonstiger Straßen. In ihr weht eine besondere Luft, wie in keiner anderen; einen lebhaften Verkehr, schöne Läden, schöne Bäume findet man sonst kaum vereinigt wie hier.

Die Straße führt von einem Hauptpunkte der Weltstadt geradeswegs hinaus ins Freie.

Zuerst eine gute Strecke ist sie großstädtisch, vornehm lärmend – unmerklich mischt sich etwas Ländliches, Heimliches mit ein –, wohltätig! Es wird stiller, die Riesengebäude verschwinden, die Häuser werden freundlicher, einfacher, bis hin und wieder zwischen Villen unter Grün und Laub das alte märkische Bauernhaus vor uns steht mit seinem langen, hohen Dach, seinen niedrigen Mauern und seiner Reihe kleiner Fenster und seinem Gärtchen davor, und wir sind – in Schöneberg. Dahin führte auch Hans Schmidt der Weg unter den noch unbelaubten Bäumen hin, durch deren Zweige der Märzwind strich.

In Schöneberg steigt er aus und geht den aufwärtsführenden Weg entlang, biegt in eine Seitenstraße ein und steht vor einem ländlich gebauten Hause, das am Ende eines Gartens liegt. Er tritt durch eine eiserne Gittertür ein, die diesen Garten von der Straße abschließt.

Gänge, mit den noch kahlen Ranken wilden Weins überwachsen, führen rings um den Garten hin. Die Büsche und 25 jungen Bäumchen sind alle frisch beschnitten, und die Schnittflächen glänzen golden und rötlich feucht von dem frischen Lebenssaft, der in den Zweigen aufstieg. Die langen Beete waren zum Teil schon umgegraben, Werkzeuge liegen umher, dabei Gartenhüte der ursprünglichsten Form und stark mitgenommen; der eine ohne Krempe, der andere ziemlich ohne Kopf, wieder ein anderer zerschlissen auf irgendeine interessante Art.

Hans Schmidt bleibt vor einem davon stehen, wendet ihn gedankenvoll mit der Spitze seines Schirmes um und scheint ihn genau zu besehen. Er schüttelt den Kopf langsam und bedächtig. – Ein großer Schubkarren mit Dünger und Stroh steht in nächster Nähe und wird auch einer Betrachtung unterworfen. Auf allen Wegen war Stroh verstreut und Teile jener segensreichen Erdnahrung. In einem der Laubengänge war eine roh gezimmerte Kegelbahn angebracht. Kegel und Kugeln lagen, als hätte man sich ihrer eben bedient, umher. Hans Schmidt ging auch dahin und betrachtete sich die Kegelbahn. Er betrachtete, wie gesagt, alles und befühlte und untersuchte es mit der Spitze seines Regenschirms.

Zwei Ziegen waren auf einem Rasenplatz angepflockt. Hans Schmidt ging und besah sich auch die Ziegen.

Er tat dies alles ruhig und ernst.

Ein großer Hund kam aus dem Haus gestürmt, stutzte, als er einen Fremden sah, stemmte sich auf die Vorderpfoten und fing an zu bellen. Von diesem Lärm angelockt kam, von hinter dem Hause her, ein Kotschinchinahuhn mit nackten langen Beinen und langem Hals herbeigelaufen, und als es dem Vorgang, wie es schien, wenig Interesse abgewinnen konnte, stolzierte es gravitätisch den Weg entlang 26 und zu der Gartentür hinaus, die Hans Schmidt offengelassen hatte. Hans Schmidt blickte ihm nach, schüttelte wieder den Kopf und murmelte: »Wo sie wohl alle stecken, sie müssen eben noch hier hantiert haben.«

In dem Augenblick drang ein vielstimmiges Rufen und Lachen aus dem Hause. – Wie aus dreißig Kehlen rief es: »Das Huhn ist aus dem Garten, das Huhn ist hinaus, der Gockel ist vor der Tür, das gelbe, das lange!« so schrie und rief es durcheinander, und aus der Tür stürzten zuerst zwei Buben mit roten Köpfen, dicken, blonden Locken und vor Jagdlust gierigen Augen, ihnen nach ein vielleicht fünfzehnjähriges Mädel und noch ein Mädel und noch ein Mädel – das kleinste vierjährig, ein braunes, festes Dingelchen; das jauchzte und schrie vor Lebenslust, darauf ein unternehmender Junge, der einen langen Strick irgendwo in der Eile hatte mitgehen heißen und jetzt bemüht war, im Laufen eine Schlinge zu knüpfen, jedenfalls in der Absicht, das lange, gelbe Huhn mit einer Art Lasso zu fangen. Im Laufen griffen einige Glieder des wilden Heeres nach einem Rechen, einer Schaufel, die mitten im Wege lag, und nahmen sie mit und schrien und lärmten in vollster Glückseligkeit.

Ihnen nach, nachdem eins nach dem anderen aus der Tür gesprungen war, wie die Apostel aus der großen Uhr zu Bern, kam lebhaft, eilig die Stufen herab, die von der Haustür zum Garten führten, eine hübsche, kräftige, blonde Frau, die einen sonderbaren blauen, faltigen Leinwandkittel trug, der zu ihrem frischen Gesicht gut stand und auch zu ihrem blonden Haar, das sie in einen Zopf geflochten ungekünstelt sich um den Kopf gelegt hatte.

»Um's Himmels willen, Kinder!« rief sie. »Macht keinen solch gräßlichen Lärm, so fangt ihr ja die Henne 27 nimmermehr! Heinz, Gottlieb, ihr infamen Jungen, wollt ihr wohl!«

Sie lief den beiden Lockenköpfen nach, die zuerst aus der Tür gestürzt waren und jetzt mit Steinwürfen die Kotschinchinahenne in die Enge treiben wollten. – Und im Nu war sie draußen auf der ländlichen Straße, hatte die Jungen erreicht, stand mitten unter der schreienden, jubelnden Gesellschaft, hielt einem Schlingel, der in seiner Lebensfreude brüllte, mit der einen Hand den Mund zu, so daß das Bürschchen zappelte und sich sträubte, und mit der anderen Hand lockte sie währenddem die Henne, die vor Angst blind und dumm mit dem Kopf vor einem Lattenzaun anrannte, vielleicht in der unwahrscheinlichen Annahme, daß sie ihren knochigen, derben Körper, wenn sie nur wollte, auch durch ein Nadelöhr zwingen könne.

Niemand von allen hatte unseren Freund Hans Ludwig Schmidt bemerkt, der nahe an der Haustür gestanden und die verschiedenen Personen an sich vorüberlaufen gesehen hatte. Auch zwei ältliche, große, hagere Damen beachteten ihn nicht, die eben noch, den anderen nach, aus der Tür eilten. Die eine, wie es schien, die jüngere, sprang lebhaft die Stufen hinab, sie trug einen zusammengewickelten Strickstrumpf, die fünfte Nadel aber stand ihr aufrecht wie ein Spieß in einem dünnen, schwarzen Zöpfchen, das sie zu einer kleinen Schnecke zusammengesteckt hatte. Sie lief jugendlich behende der lustigen Gesellschaft zu. Die andere Dame kam würdig nachgegangen und trug vorsichtig einen in Watte gewickelten kleinen, piependen Gegenstand in den hohlen Händen, in die sie alle paar Schritte mit großer Energie hineinhauchte.

Diese Beschäftigung verhinderte sie jedenfalls auch, Hans Schmidt zu bemerken.

28 Die beiden alten Damen hatten sehr faltige schwarze Kleider an, die sie beide, trotz ihrer Hagerkeit, auffallend breit erscheinen ließen. »Blinde Hessen!« murmelte Hans Schmidt. »Aber so sind sie! Und alle beisammen, die Frau, die Kinder, die Neffen, die Nichten, die Mädchen, die Jungen, die Tanten!« Hans Schmidt wiederholte sich etwas in seiner Aufzählung. »Ich wollte, sie liefen alle miteinander bis ans Weltende!« brummte er, machte sich jetzt auch auf und ging den Weg entlang der Gesellschaft zu.

Jetzt standen sie mit ausgebreiteten Kleidern und kehrten ihm den Rücken. Sie schienen die Henne in der Mitte zu haben. Die beiden Tanten, wie schwarze, spanische Wände, hatten die Röcke in erschreckende Dimension gezogen. Die eine besorgte dies selbst mit ihren langen Armen. Die andere aber, die in den Händen das unbestimmte Wesen trug, wurde von den beiden blonden Jungen zu der allermerkwürdigsten Breite auseinandergezerrt. Die lebhafte blonde Frau hielt auch ihren blauen Kittel der Henne entgegen und lachte aus vollem Halse so ausdrucksvoll, so lebendig, so ganz Eifer, Lachen und Jubeln der Buben und Mädchen fast übertönend, daß Hans Ludwig Schmidt nicht anders konnte, er mußte mit einstimmen.

Da schauten sich alle um, die Arme sanken herab, die Personen standen in ihrem gewöhnlichen Umfang da, die Henne flatterte in diesem günstigen Augenblick, wo sie sich von den breiten Phantomen nicht mehr umstellt sah, auf und lief spornstreichs wieder der offenen Tür zu. Die Kinder, die Tanten, die Frau schrien, lachten wieder, als sie dies bemerkten – jetzt erst wurde Hans Schmidt begrüßt. Die hübsche, blonde Frau steckte sich den Zopf fest, strich 29 sich das Haar aus dem erhitzten, lebensfrohen Gesicht und reichte dem jungen Maler die Hand.

»Wie geht es Obrist?« fragte er und blickte sie an, wie es schien, voller Bewunderung.

Sie sah in dem Augenblicke, wo alles an ihr von Leben durchbebt war, wo um ihren Mund noch das unschuldsvolle Lachen spielte, prächtig aus.

»Heinrich? Dem geht es gottlob ganz gut«, sagte sie und blickte in das goldige Schimmern und Gewoge der Abendsonne, die in den ersten Frühlingsmonaten die Luft zu durchsichtigem Golde wandeln kann.

»Es geht ihm gut?« wiederholte Hans Schmidt.

»Nun, so wie immer, nicht ganz gut«, war die Antwort, die sie ruhig und heiter gab. »Sie kommen doch natürlich mit hinauf? Kommen Sie nur, es ist gut, wenn Heinrich einmal einen vernünftigen Menschen sieht. Sie waren auch lange genug nicht da – wie ist denn das? Eine Ewigkeit nicht! Seit Jahr und Tag nicht!«

»Mangelt's ihm an vernünftigen Leuten?« fragte Hans Schmidt lachend.

»Freilich«, dabei überblickte sie die ganze Gesellschaft, »uns kann man gottlob nicht dazu rechnen – und sonst sieht er niemand.«

»Das sollten Sie doch nicht zulassen, Frau Obrist.«

»Zulassen oder nicht, jeder Mensch bleibt, wie er ist. – Wollt ihr wohl die Tür schließen, ihr Schlingel, soll denn die Henne wieder hinaus!« unterbrach sie die Antwort auf Hans Schmidts Frage.

»Hier«, rief sie weiter, »nehmt eure Hüte und den Schubkarren fort! Damit laßt es nur heute abend sein; ihr macht mir sonst Dummheiten!«

30 »Wir haben eine ganz hübsche Landwirtschaft beisammen«, sagte sie zu Hans Schmidt gewendet. »Ich kann es nicht leiden, wenn die Kinder vor lauter Lernen der Natur fremd werden. Bei meinen soll das nicht der Fall sein; aber man hat eine heillose Mühe dadurch, und ich weiß manchmal nicht, woher die Zeit nehmen!«

Jetzt gingen sie miteinander die Treppe hinauf, die Tanten und ein Teil der Kinder folgten.

»Er ist im Atelier«, sagte die Frau.

»Bitte«, erwiderte Herr Schmidt, »da wollen wir ihn doch nicht stören.«

»Wir stören nicht, kommen Sie nur!«

Sie öffnete die Tür zum Atelier. Die älteste Tante, mit dem in Watte gewickelten Geschöpf in der hohlen Hand, das sich als junges Hühnchen entpuppt hatte, trat zuerst als Respektsperson ein. Die andere folgte, die Kinder folgten, die Frau und Hans Schmidt als die letzten. Da waren sie alle im Atelier, einem großen Raum mit einem einzigen hohen und breiten Fenster. Es war schon dämmerig, denn das Fenster hatte man zum Teil verhängt und die Sonne war am Untergehen.

»Heinz«, rief die Frau, ehe Hans Schmidt eingetreten war, »hier kommt Besuch.«

Von einem mit Teppichen belegten Lager erhob sich eine Gestalt, ein Mann von über vierzig Jahren mit dunklem, lockigem Haar und nachlässig gekleidet, ganz erregt und verwirrt, wie aus dem Schlaf geweckt.

»Anna, was denn? wer den?« fragte er flüsternd und hastig. »Weshalb sagst du's nicht eher?«

»Weshalb denn, Heinz? Da ist er ja schon. Es ist der Hans Ludwig Schmidt.«

31 »Gleich, gleich«, flüsterte der aus seiner Ruhe Aufgestörte. »Gib mir meinen Rock.«

»Wo ist er denn?« fragte sie.

»Wart einmal«, sagte er nachdenklich. »Ich weiß schon, laß nur. Geh, führe Schmidt herein, was fällt dir denn ein, laß ihn doch nicht warten«, sagte Heinrich Obrist hastig, mit der Unruhe, die einem zurückgezogen lebenden Menschen eigen ist, wenn ein unverhoffter Besuch sich melden läßt.

In demselben Augenblick trat Hans Schmidt über die Schwelle.

»Treten Sie die Küchel nicht tot!« rief Frau Anna lebhaft und lachend und hielt mit einem schnellen Griff Hans Schmidt an der Schulter zurück, ehe dieser noch Obrist die Hand gereicht hatte.

Und jetzt bemerkte dieser, daß um das Lager, auf dem sein Freund gelegen, kleine gelbe Hühnchen krabbelten und piepten, Dinger wie gelbe Flocken, eben aus dem Ei gekrochen. Über einem Nachtlichte, in einem Gefäß mit Watte gefüllt, lagen Eier, aus denen noch Hühnchen kriechen sollten. Eins war schon angepickt und ein Krällchen schaute heraus, und das Tier im Ei zappelte und rückte, um die Schale vollends zu zersprengen.

»Eine ganze Brutanstalt!« sagte Hans Schmidt trocken.

Heinrich Obrist lachte verlegen laut auf, schob einen Stuhl zurecht und bat Hans Schmidt, sich zu setzen. – »Nun, kommst du einmal?« sagte er.

»Sonderbare Frage!« erwiderte Hans Schmidt ruhig.

Inzwischen hatten sich die Tanten, die Frau und die Kinder um die beiden Maler gruppiert, einige saßen, andere standen, die Tanten strickten und ein paar Kinder 32 machten sich flüsternd und kichernd mit den jungen Hühnchen zu schaffen – sonst war Stille im Zimmer. Niemand schien den Anfang zu einer regelrechten Unterhaltung zu finden.

Endlich unterbrach die älteste Tante würdig und zierlich das Schweigen, indem sie sagte: »Ich glaube zu erraten, was Sie zu uns führt. Sie haben jedenfalls auch von dem glücklichen Verkauf auf der Ausstellung gehört.«

»Von welchem Verkauf – was denn?« fragte Hans Schmidt augenblicklich verwirrt.

»Nun, Annas Bild«, erläuterte die Sprecherin verwundert.

»Gewiß«, sagte er, »das sind wir ja schon längst gewohnt.«

Frau Anna schaute lachend auf und sagte: »Daß es verkauft ist, ist das Gute daran, je unsinniger, je besser glückt's! Wenn Sie wüßten, wie ich das Ding – na!« Und wieder lachte die Frau – und die Kinder fielen mit Lachen ein, und die Tanten lächelten beide wohlgefällig.

»Nun, wie denn?« fragte Hans Schmidt.

»Erzähle es nur«, sagte Heinrich Obrist, »damit er vor deinem Glück Respekt bekommt.«

»Also, wollen Sie's hören?« Sie sprach immer lachend, wenigstens mit lachenden Augen, schob bald den einen Buben, bald den anderen, der sich an sie drängte, zurück, beobachtete die übrigen, die sich mit den Hühnern zu schaffen machten, und erzählte zwischen durch: »Ich laufe eines Tages hier im Atelier umher, mit der Palette in der Hand, die Leinwand ist schon aufgespannt, ein neues Bild soll angefangen werden – aber wie ich auch alles in mir umwende und dreh', es fehlt mir das Beste, die Idee. Es 33 reimt sich, hört ihr's, Kinder, ein ganz hübscher Vers, merkt's euch!«

Eben wollten die Kinder, wie es schien, den Vers im Chorus nachsprechen, da erhob sie den Arm, fuhr mit der Hand dem Bürschchen, das ihr am nächsten stand, übers Gesicht und rief: »Pst – ruhig – da!«

»Also ich gehe hin und her und mache Heinrich den Kopf warm; bei mir wird nun einmal nie ein Bild ohne Skandal begonnen und zu Ende gebracht. Im Anfang macht er immer Einwendungen gegen meinen Plan, und ich bin verzweifelt und außer mir, bis ich jedesmal sehe, daß er recht hat – und zu Ende, wenn ich denke, daß alles fertig und lange gut ist, da setzt er mir wieder zu, damit ich tausend Änderungen mache, natürlich gibt es dann immer erst recht Streit, bis ich mich wirklich dazu entschließe, wieder umzuwerfen und zu ändern. – Und wissen Sie«, rief Frau Anna lebhaft und stand auf, »wie ich auf diesen Menschen, den Obrist, eifersüchtig bin! Ich könnte ihn manchmal umbringen, wenn ich sehe, wie er mit einem Strich und ohne Mühe das macht, wobei ich mich halb zugrunde richten muß – oder vielmehr – er ist der abscheulichste, eigensinnigste Mensch und tut nichts – rührt nichts an. Ach, Herr Hans Ludwig Schmidt!« rief sie.

Heinrich Obrist blickte lächelnd, in einer eigentümlichen Weise lächelnd, auf die blonde Frau. Diese fuhr, ohne auf ihn zu achten, fort: »Ich gehe also an jenem Morgen verzweifelt auf und ab und frage Obrist hin und her, was ich malen soll, was ich anfangen soll. Es ist aber nichts aus ihm herauszubringen.«

»Und das alles war am Morgen!« warf Hans Schmidt dazwischen.

34 »Oh, da war noch viel mehr!« sagte Obrist trocken. »Erinnerst du dich noch, Anna?«

»Wie sollt ich? Bei dem ewigen Trafik!« sagte sie, und ihr silberhelles Lachen hüpfte wie eine Quelle über ihre Lippen. – »Ein Morgen ist kein Morgen, und ein Morgen ist wie jeder Morgen.«

»Nein, das war, dächte ich, ein besonderer, oder scheint es mir nur so«, sagte Obrist. »Zuerst, wenn ich nicht irre, kamen die Tanten mit Babys Badewanne, weil es im Kinderzimmer zu kalt war, ins Atelier. Darauf wurde gebadet – und darauf warfen sie die Badewanne miteinander um –«

»Aber bester Heinz«, riefen die Tanten mit hohen Stimmen, »wie können Sie das sagen, die Wanne schwappte etwas.«

»Das mag ein andermal gewesen sein, aber an dem Morgen fiel die Wanne wirklich um. Dann wurde gründlich gewischt, bei der Gelegenheit gleich einmal ordentlich gestäubt, dazwischen kamen Gottlieb, Peter – und noch einer, damit Anna ihnen die lateinischen Aufgaben abhörte – darauf weiß ich nicht, was weiter geschah – aber es geschah allerlei, entweder kündigte das Mädchen, oder Gott weiß, es ereignete sich irgend etwas Fürchterliches. Danach kam Annas Verzweiflung – und ich muß gestehen, daß ich sie an dem Tage sich selbst überließ.«

»Siehst du!« rief sie, »jetzt sagst du's selbst.«

Er unterbrach sie mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ich will auch erzählen«, fuhr er lächelnd fort, »was weiter geschah: Eine Zeitlang steht sie gedankenvoll vor der Staffelei, zieht langsam ihren blauen Kittel über und ruft mit einemmal mit einer Stimme, als brennte es, nach den Kindern. Die kommen von allen Seiten hereingestürmt, 35 und sie sagt ihnen: ›Geht, lauft und holt mir, was ihr finden könnt, ich will alles nehmen, was ihr bringt; aber nicht dummes Zeug, jeder bringt, was er zum Malen am schönsten findet. Ich will dann sehen, wer der Gescheitste ist.‹ – Höchst originell dachte ich und sah der Sache zu, wie sie sich entwickeln würde. – Da kam Dickchen und brachte Resedastöcke, und wie sie damit soweit angelangt war, fielen sie ihr vor die Füße und zerbrachen. – Das Kind weinte, aber mein tolles Ding von Frau schrie auf vor Entzücken – ›da haben wir eine neue Idee‹ – und stand ganz glückselig vor den Scherben. – Dickchen wollte sie aufheben. ›Unglückskind, willst du gleich alles liegenlassen, das ist ja herrlich, wie es ist.‹«

»Übrigens«, unterbrach er sein lebhaftes Sprechen und sagte langsam: »Wo ist denn Dickchen? Geh, ruf sie, sie soll nicht so lange in der Abendluft bleiben.«

Anna stand auf und rief dem Kind durch das Atelierfenster zu, heraufzukommen.

»So ist alles nach und nach zustande gebracht«, fuhr er fort, »der eine schleppte das, der andere jenes herbei, Sie kennen ja das Ganze. – So macht sie's. – Und ich muß selbst sagen: es ist nicht übel, es ist Reiz darin. – Nun, wohl ihr!«

In dem Augenblick trat das etwa fünfzehnjährige schlanke Mädchen ein; ihr dunkles Haar war einfach gescheitelt, die Augen hielt sie niedergeschlagen. Und jedem, der darauf achtete, mußte auffallen, was sie für wunderbar schöne Augenlider hatte. Sie gaben dem Gesicht einen ganz merkwürdigen Ausdruck von Abgeschlossenheit und Frieden. Die Stirn des Kindes war ruhig und heiter.

»Dickchen, wo hast du denn gesteckt?« rief Heinrich Obrist und streckte dem Kinde die Arme entgegen. – Sie 36 trat näher, reichte dem Gaste die Hand, und im Augenblick darauf lehnte sie ruhig und friedlich an der Schulter ihres Vaters und hielt ihn umschlungen. Obrist strich dem Mädchen über das Haar und blickte mit einem zärtlichen, milden Ausdruck auf sie, mit einem Ausdruck, wie er schwerkranken Menschen, denen eine Freude zuteil wird, eigen ist.

Hans Schmidt ließ ihn indessen nicht aus den Augen und beobachtete ihn forschend.

»Ich habe dein Bild jetzt in der Ausstellung gesehen«, begann Hans Schmidt zu Obrist gewendet.

»Ah, mein Junge«, sagte dieser lächelnd, »schweigen wir davon, der alte Schmarren, ich weiß kaum, welcher Esel ihn gemalt hat, lassen wir das. – Die Frauenzimmer haben es mir über Hals und Kopf weg hingeschickt.«

»Hm«, sagte Hans Ludwig Schmidt und blickte auf die Spitzen seiner Stiefel.

»Nicht wahr, Herr Schmidt«, rief die älteste Tante eifrig – »es war erforderlich, daß unser Heinz wieder einmal ausstellte, wenn es ja auch nach unserer Einsicht nicht ganz pastos gemalt war.« Die Anwesenden mochten in Zweifel sein, was die alte Dame mit »pastos« so eigentlich meinte.

Hans Schmidt aber blickte erstaunt auf, ungefähr so, wie er es in dem Fall tun würde, wenn das Kotschinchinahuhn unten im Hof plötzlich seine Meinung über Heinrich Obrists Bilder geäußert haben würde.

»Ja«, fuhr die alte Dame fort, »es war erforderlich in jeder Hinsicht, was sollte man von ihm denken. Er hat damit, daß er das Bild einsandte, seinen Pflichten als Familienvater genügt. Sei es auch, wie es wolle – die Pflicht geht über die Kunst.«

Während dieses weisen Ausspruchs faßte die Dame ihren 37 Strickstrumpf energischer, klappte mit den Nadeln und warf Hans Schmidt einen Blick zu, der Einverständnis ausdrücken sollte und soviel heißen mochte als: das hat gesessen, siehst du, mach es auch so, schieß los, rüttle ihn auf!

Obrist lächelte vor sich hin und spielte mit Dickchens Hand. Ein allgemeines Schweigen lag über der Gesellschaft, nur die Tanten klappten immer heftiger mit den Nadeln.

Dickchen schlang beide Arme um den Hals ihres Vaters und legte ihre Wange an die seinige.

»Sag einmal, Heinrich, wie geht es dir jetzt eigentlich?« fragte Hans Schmidt unvermittelt.

»Ganz vortrefflich«, erwiderte dieser.

»Wieso denn vortrefflich? Arbeitest du?«

»Nein – daher eben vortrefflich.«

»Ah was, du solltest arbeiten, der kränkste Mensch kann arbeiten wenn er will –«

»Weshalb?« war die ruhige Antwort, worauf eine der Tanten die Zähne zusammenbiß, die Augen gen Himmel wendete und mit dem einen Fuß, den sie über den anderen geschlagen hatte, ungeduldig schnickte.

»Nun, haben wir nicht zu leben?« fragte Obrist, indem er mit größter Gemütsruhe den schnickenden Fuß der Tante betrachtete.

»Freilich, Heinz«, sagte Frau Anna zärtlich, »es wäre nur gar zu gut, um deinetwillen, wenn du dich ein wenig aufraffen wolltest, du könntest es, ich weiß es gewiß.«

»Ja, mein Kind, nehmen wir an, ich könnte es; aber was wäre damit erreicht? – Ich habe so meine Gedanken. – Stell dir einen großmächtigen Käse vor. – Tust du das? Gut – auf dem leben Millionen Maden –, hübsche, kleine Maden, alles kribbelt. – Es haben schon Generationen von Maden, Millionen und Millionen und 38 Millionen vor ihnen den Käse bewohnt. Gut – Nun stell dir vor, jede von den Maden ist ungeheuer geschäftig, jede glaubt die Hauptmade zu sein, jede bohrt auf eine ganz besondere Manier, um sich das Leben zu fristen. Da ist vielleicht eine, die hat sonderbare Ideen im Kopf, hört aus irgendwelchem Grund auf zu bohren, sie rollt sich zusammen und denkt: Es geht auch ohne mich. – Da sagen ihre Verwandten und Freunde: Welcher Jammer! – Welche Kraft hat unser Käse gerade an dieser Made verloren! Man redet von ihren Talenten, von ihrer Eigenart, ihrer einst so glücklichen Beanlagung zum Bohren.

Wenn du nun diese Unterhaltung zwischen den Maden, die auf dem Käse geführt wird, belauschen könntest, würde sie dir sehr unsinnig erscheinen und du würdest nicht begreifen, wie die Maden mit solcher Blindheit geschlagen sind, daß sie von einer lumpigen ihresgleichen und deren Fähigkeiten soviel Aufhebens machen können, daß sie nicht besser ihre eigentliche Bedeutung erkennen. Du würdest lachen, wenn zum Beispiel eine Made ohne die andere nicht leben könnte und sich auf das jammervollste gebärdete, wenn bei dem Ableben eines Würmchens ungeheuere Bestürzung herrschte, und wenn eins aus dem Ei kriecht, ungemeine Freude. Du würdest auch zwischen einer intelligenten, berühmten Made, von deren Bewunderung der ganze Käse überströmt, und einer ganz obskuren durchaus keinen Unterschied entdecken können und so weiter und so weiter.«

»Was soll das, was willst du wieder damit?« fragte Frau Anna, und ein Schatten zog über ihr sonniges Gesicht. »Geh, ich weiß, was du willst, du bist ganz abscheulich, du sollst vor den Kindern nicht solches Zeug reden«, sagte sie bittend.

»Gewiß, du hast recht«, erwiderte Obrist.

39 »Verstehst du, Hans Schmidt«, sagte Obrist nach einer Weile, »es kann einer am Schnupfen erkranken, nicht wahr, oder am Fieber, an der Schwindsucht, Cholera, Typhus – oder auch an überweltlicher Anschauung – kosmischer Anschauung, wenn du mich so besser begreifst, und dann steht es schlecht um ihn. – Was der Kerl auch denkt und tut, er steht darüber. Die gewohnte Wertschätzung der Dinge, bei der man sich wohl fühlt, verschiebt sich. Alles schrumpft und verliert seine Bedeutung. Das Selbstbewußtsein hat keinen Grund und Boden mehr – es ist eine miserable Krankheit, es verzehrt das innerste Lebensmark.«

»Nun Dickchen«, sagte er zu dem Kinde gewendet, »was soll man mit so einem Menschen tun?«

Und wieder schmiegte sich das Kind innig, fast leidenschaftlich an seinen Vater.

»Heinrich«, sagte Hans Ludwig Schmidt, »du bist ganz gehörig nervös, dächte ich.«

»So? Dächtest du? – Ich denk es auch«, sagte Obrist und lachte laut auf. »Mit nervösem Volk sollte aufgeräumt werden; wenn ich etwas zu sagen hätte, würde eine Radikalkur gebraucht, da sollte kein nervöser Hund am Leben bleiben.«

»Anna, zeig deine neuen Skizzen«, unterbrach er sich, »Hans Schmidt kann sein Urteil abgeben.«

»Nein, nein,« antwortete die Frau lebhaft, »erst zeigen wir deine neueste Arbeit – warte nur, wir schaffen sie her, komm mit, Dickchen!«

Anna stand auf, das Töchterchen folgte ihr. Sie gingen beide zur Tür hinaus, und nicht lange währte es, da kamen sie und brachten eine Kinderbettstelle angeschleppt, die auffallend in der Form war; das Kopfende war gemalt. Die ziemlich breite und hohe Fläche stellte einen Wiesenabhang 40 dar, eine Überfülle von bunten Blüten, saftige, goldgelbe Blumen, üppige, krautige Büschel wuchsen an dem Grase, inmitten saß ein Nymphchen, eine nackte Kindergestalt, nur in ein blaues Schleierchen eingehüllt, Vögel flatterten in ihrer Nähe, alle übrigen Teile des Bettchens blühten wahrhaft von Wald- und Feldblumen, Moosboden, Kampanulasträußen, Schmetterlingen, Eidechsen – eine kleine Welt von Poesie.

Hans Schmidt stand auf und nahm das Wunderwerk in Augenschein und rückte es ins letzte Abendlicht; die Kinder umdrängten ihn.

»Das hat Heinrich zu malen begonnen, als unser Jüngstes geboren war, das wird im Mai vier Jahr, und jetzt hat er es mir endlich fertig gemalt. Nicht wahr, es ist ein reizendes Ding?« fragte Anna eindringlich.

»Gewiß«, erwiderte Hans Schmidt.

Heinrich Obrist hatte sich inzwischen wieder auf das Lager, von dem er vorhin aufgestanden war, ausgestreckt.

»Obrist, du solltest nicht soviel liegen«, sagte Hans Schmidt kurz. »Übrigens, was fällt dir ein, gerade die Bettstelle zu malen, das ist ja eine unsinnige Arbeit. Weshalb hast du deine Kräfte nicht besser verwendet?«

»Wieso besser?« fragte Obrist. »Es ist das einzige, was im Laufe von vier Jahren von mir zustande gekommen ist – und es stellt doch etwas vor – es ist eine Bettstelle, und außerdem lasse ich meinen Kindern ein hübsches Andenken zurück.«

Dickchen trat zu ihm und sagte ihm etwas ins Ohr.

Darauf lächelte Obrist, und das Kind stellte sich ans Fenster und sah hinaus.

»Was hat sie denn gesagt?« fragte Anna.

»Sie hat mich an meinen Prometheus erinnert –«

41 »Und nicht mit Unrecht«, sagte Hans Schmidt, »die Idee ist famos.«

»Aber die Ausführung, mein Junge«, unterbrach ihn Obrist, »greisenhaft«. – Er zündete sich eine Zigarette an und sagte, indem er es tat und die ersten Rauchwölkchen der Decke zublies, auf eine gleichgültige, leichte Weise: »Und weshalb soll ich es nicht gestehen – es fällt mir nicht ein, mich mit Leichtsinn oder Oberflächlichkeit oder Künstlerlaune, oder liederlicher Genialität – heidi – herauszureden, was du in meinem Prometheus findest – ist Unvermögen – reines, unschuldiges Unvermögen – du siehst, ich stehe der Sache kühl gegenüber.«

»Lassen wir das«, sagte Hans Schmidt jetzt ungeduldig.

»Nein, lassen wir das nicht«, fuhr Obrist fort, »wollen wir sagen, es kommt daher, weil ich ein kranker Mensch bin, oder es kommt daher, weil sich mein Talent erschöpft hat – wir sind einmal eine elende Generation – oder Gott weiß, woher es kommt, aber ich bin fertig. – Es ist so. – Hier im Hause hat man sich daran gewöhnt – und glaubt es dennoch nicht. – Ich denke, sowie ich mich körperlich ein wenig mehr erholt habe, werde ich Tüncher – oder Schreiber – dergleichen etwas. Ich bin meiner Pflichten als Familienvater vollkommen eingedenk. Nicht wahr, Anna, wir machen unsere Sache dann ganz gut miteinander –?«

»Wie bist du nur heute?« unterbrach Anna einigermaßen ungeduldig.

»Frag Hans Schmidt, wie ich bin«, erwiderte Obrist, »der wird dir's sagen.«

»Willst du vielleicht allein mit ihm reden?« fragte Anna.

42 »Wie soll ich darauf antworten?« Er lächelte. »Wir haben uns nichts zu vertrauen, das ich wüßte.«

Anna erhob sich und sagte. »Wir aber haben allerlei vorzubereiten für heute abend; Sie bleiben doch unser Gast, Hans Schmidt, ich bin den Kindern ein Fest schuldig für den glücklichen Verkauf. Ich habe es ihnen versprochen, und Kindern muß man Wort halten.« Während sie noch sprach, war in dem mit Watte gefüllten Gefäß auf dem Nachtlicht weiteres Leben entstanden und das eine Hühnchen hatte sich vollkommen aus der Schale gepickt. Ein anderes machte eben wieder Anstalten dazu. Beide piepten.

Anna, die Kinder, alle kauerten im Nu auf dem Erdboden, und es entstand wieder das lustigste, schreiende Durcheinander, ein grenzenloser Jubel.

Obrist legte sich vollends zurück, wie es schien, ungeduldig, erregt; Anna nahm das Hühnchen und gab es ihm in die Hand – und Dickchen und er beschauten es miteinander.

Der Jubel, das Schreien und Toben der Kinder nahmen kein Ende.

Die Tanten mit den Strickstrümpfen standen wie schwarze Säulen inmitten der bewegten Wellen. Und eine davon, ganz versunken in den Anblick, wollte Hans Schmidt, neben dem sie stand, darauf aufmerksam machen und stach ihn zu diesem Zweck mit der fünften Nadel, die sie eben abgestrickt hatte, energisch durch den Rock in die Schulter; sie hatte sich in der Kraft ihrer Bewegung etwas getäuscht.

Hans Schmidt fuhr bei der unerwarteten Attacke zusammen, und die Tante sagte gerührt, ohne dem Unglücksfall irgendwelche Wichtigkeit beizulegen: »Welch glückliches Familienbild!«

43 Hans Ludwig Schmidt rieb sich die Schulter und blickte ganz erstaunt um sich her.

Obrist lachte laut auf. »Aber beste Tante«, sagte er, »was fällt Ihnen ein, Hans Ludwig Schmidt zu stechen?«

Ein Blick höchster Unzufriedenheit traf ihn aus den Augen der würdigen Dame, die sich stolz und ruhig und in ihrem mitfühlenden Herzen gekränkt auf den Weg machte, um aus dem Zimmer zu gehen.

»Tante«, rief Anna, »vergessen Sie nicht, sogleich nach der Sülze zu sehen, und nehmen Sie sich in acht, daß das Wasser nicht hineinläuft. Wir kommen gleich nach.«

»Nehmt die Hühner fort«, sagte Obrist.

»Ach, laß sie doch hier, die Tierchen stören nicht, und ich weiß im Augenblick wirklich nicht, wohin damit –«

»Gut, gut, laßt's nur«, war die etwas hastige Antwort.

Jetzt, nachdem sie sich noch eine Weile mit den Hühnern zu schaffen gemacht hatten, zog eines nach dem anderen aus der Tür, zuletzt Frau Anna, und als die Tür hinter ihr zufiel, setzte sie sogleich mit einem frischen, glockenreinen Liedchen ein, und man hörte sie durchs ganze Haus singen und rufen.

 


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