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XX

In der Schloßvilla der Fürstin zogen sich rechts der weiten und hohen Eingangshalle die Zimmer der Portiersfamilie, links Wirtschaftsräume hin. Dahinter, auf beiden Seiten des unteren Treppenabsatzes mit dem roten Smyrnabelag und dem vergoldeten Geländer, liefen Gänge mit großen Bogenfenstern nach dem Hofe zu. Während vom Ende des linken Ganges eine Verbindung mit dem Stallgebäude bestand, wo die männliche Dienerschaft ihre Unterkunft hatte, endigte der rechte in einem Treppenturm, dessen Wendeltreppe bis zu den Mansarden hinaufführte, in denen die Mädchen schliefen.

Beim Portier gab es heute eine Geburtstagsfeier, und die ganze Dienerschaft war daran beteiligt, flog, soweit sie in später Stunde oben noch benötigt wurde, ab und zu, bis schließlich alles beisammen war, um noch ein Weilchen ungeniert sein Wesen zu treiben. Selbst die Kammerfrau der Fürstin, die nachts ihr Zimmerchen neben dem Schlafzimmer der Fürstin nicht verlassen durfte, da diese nicht sonderlich schlief und häufig Wünsche hatte, war bis zwölf Uhr beurlaubt.

Die Fürstin zog sich unweigerlich um zehn Uhr zurück, und dies war für Familienmitglieder wie sonstigen Hausbesuch das Zeichen, daß man sich auf sein Zimmer begab.

Es war zwischen elf und zwölf Uhr.

In dem lichten Mädchenboudoir der Prinzeß Marie, mit den drei sanften Glühlichtern an der Decke, saß diese zusammen mit der Komteß Meerheimb bei einer sehr wunderlichen Beschäftigung.

Rechts und links offene Türen zu Schlafzimmerchen, das rechts gelegene erhellt. Die enge Freundschaft der beiden Mädchen hatte es sich ertrotzt, daß Komteß Lida zuweilen für ein paar Tage Gast in der fürstlichen Villa sein durfte. Die drei Räume für beide lagen im Oberstock unweit der Wendeltreppe, während die Zimmer des Prinzen und des Adjutanten sich am anderen Ende der Korridorflucht befanden.

Prinzeß Marie saß in einem Lehnstuhl, hatte ein bis zu den Füßen reichendes weißes Nachthemd über die Kleidung gezogen, dessen Bauschärmel die Komteß im Begriff stand zusammenzuziehen, und ihr dick weiß gepudertes Gesicht mit dem Glasgefunkel darüber blickte aus ungewöhnlich weit geöffneten Augen gespensterhaft genug drein.

»Ich glaube, der Kniff von der Häbler bestand darin, daß sie sich auf die Zehen hob und die Arme hoch in der Luft bewegte, das macht größer und schlanker,« sagte Komteß Lida. Die Komteß war ein schönes Mädchen mit blendendem Wuchs und lebhaften, lachlustigen Augen, die bei sichtlich gutem Willen ihrer Eigentümerin nicht verbergen konnten, daß diese es hinter den Ohren hatte.

Die Prinzeß sagte nichts, sondern seufzte.

»Nun hör auf, Marie; du sitzest da wie ein betrübter Lohgerber.«

»Nu ja, ich brauche doch als Geist nicht gerade Rad zu schlagen.«

»Aber man stöhnt doch nicht so, wenn man einen Spaß aufführen will.«

»Ich weiß nicht – jetzt, wo wir soweit sind, kommt mir die ganze Sache so albern vor. Sich so aufzuputzen, um Jungfern und Köchinnen zu erschrecken – bah! Bei einem Publikum, wie wir bei der Häbler waren, hätte das Sinn für mich.«

»Ich bitte dich – eine Ahnfrau geht eben um: glaubst du, daß sie darauf wartet, daß ihr hochfürstliche Personen begegnen? Die spukt darauf los.«

Die Prinzeß war von diesem Argument sichtlich nur wenig getröstet.

»Wir hätten wenigstens warten sollen, bis mein Onkel fort war. Der findet mich grenzenlos kindisch, verlaß dich drauf. Ich sinke noch um so und so viel Grade in seiner Achtung.«

»Im Gegenteil: du betrachtest diese Komödie als eine Art Satire auf seinen Spiritismus. Hat er sich etwa geschämt, daß er uns en grand cortège zu dem Affentheater in der Mulacksgasse geführt hat?«

Die Prinzeß sah nachdenklich zu, wie die Komteß den Geistertüll vom Tisch raffte.

Sie seufzte wieder.

»Es wird furchtbar langweilig hier werden. Mein Onkel fort – und Schöning fort ... Wenn ich bloß wüßte, wozu er fort geht. Ob er sich Gewissensbisse macht, daß die arme Bensheim an dem Abend mit ihrem Verstande Schiffbruch gelitten hat? Mir tut bloß meine Mama leid ...«

Die Komteß, beide Arme voll grünlichen Tülls, stand mit blitzenden Augen vor ihr, lachend.

»Bloß? Bloß? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: du bist eine großartige Heuchlerin, Marie.«

»Sei nicht albern,« sagte die Prinzeß.

»Aber sei doch froh, daß er von der gefährlichen Professorsfrau fortkommt. Ich glaube, er will eine Entziehungskur machen. Doch jetzt zur Sache.«

»Aber davon sprich nicht mehr.«

»Doch! Ich will dich aufhetzen. Du bist viel zu zahm und gottergeben gegen deinen Onkel Georg. Ärgere ihn, sage ich dir. Verachte ihn. Er hat viel für dich übrig, und wenn die Männer erst für einen etwas übrig haben, dann ist's wie bei den Fischen: man zieht den Köder ihnen vor der Nase ein Stückchen fort, so werden sie lustig darauf. Das ist Weisheit von meinem Bruder Barnim.«

Dabei drapierte die Komteß sehr geschickt den Tüll um die Freundin, vom Kopf angefangen, steckte hier und da fest. »So, nun erhebe dich, Geist aus Olims Zeit ...«

Schließlich führte sie die Prinzeß vor den großen Stehspiegel in der einen Ecke des Zimmerchens und klatschte in die Hände.

»Grandios! Hebe dich mal aus die Zehen und halte mit den Armen über dir Balance!«

Währenddes ging sie und öffnete die Tür zum Korridor.

»Alles dunkel. Jetzt gehst du hinaus und wandelst lautlos zwischen hier und der Mitteltreppe, sie drehen natürlich beim Heraufkommen die Minutenbrenner auf, wenn du da bei der Mitteltreppe stehst, hast du gerade die richtige Beleuchtung. Mache nur gerade eine so schwebende Pose wie die Häbler.«

»Laß aber eins von den Mädchen Courage haben!«

»Wo denkst du hin! Und wenn: der Minutenbrenner verlischt – du kannst die Mitteltreppe hinunter flüchten, in irgend ein Zimmer ... ah, daran ist ja gar nicht zu denken ...«

Und sie schob die Freundin in die Dunkelheit des Ganges draußen.

»Du hättest das viel besser gemacht, Lida –« hauchte die bleiche Tüllwolke draußen, dann schloß sich die Tür.

Und die Tüllwolke trippelte auf dem Teppichläufer, der jeden Schritt bis zur Unhörbarkeit dämpfte, und schwebte darauf hin.

Nacht, Schweigen? weit drüben, wo die Zimmer des Onkels lagen, ein nebelhaftes Fenster.

So ganz unhörbar waren die Schritte doch nicht. Das aufgeregte Ohr der Prinzeß quälte sie mit diesem schwachen Schlürfen. Sie stand, ging weiter, stand und ging wieder. Auch der steife Tüll knisterte leise.

Aber sie gewöhnte sich daran.

In dem langweiligen Auf und Ab bekam sie Sehnsucht.

Er ging fort – morgen ging er fort!

Und dort hinten saß er – stand er – lag er? Hoffentlich war er schon zu Bett gegangen.

Träumte von seiner schönen Professorsfrau.

Sie war gerade wieder bis zur Mitteltreppe gelangt, und das zog sie ... ah ah, sie wird ein Stück weiter schweben. Sie fühlt, daß sie zittert, wie sie näher kommt – hier muß Schönings Zimmer sein ... hier – Gott, wenn er plötzlich die Tür aufmachte ...

Es raschelt, flüstert, murmelt im Zimmer. Er ist also noch irgendwie beschäftigt.

Sie hebt die Arme und führt eine Fingerspitze über dem Tüll zum Munde.

Nun fort!

Eine Minute darauf steckt sie den Kopf zu Lida Meerheimb ins Zimmer, durch die Türspalte: »Du – das ist furchtbar langweilig.«

»Ach wo –! Setz dich auf die Treppe, die Mitteltreppe, und tu nachher, als kämst du die Treppe herauf gespukt. Sage dir Gedichte her oder das ABC und das Einmaleins ...«

Und Prinzeß Marie schloß sacht die Tür wieder und begann aufs neue ihre Geisterwanderung in der Dunkelheit.

Irgendwo schnarrte eine Uhr zwölf.

Die vergnügte Gesellschaft bei Portiers löste sich auf, die Kammerfrau der Fürstin war eine an Pünktlichkeit gewöhnte Person und gab das Zeichen zum Aufbruch.

Unten in der Halle schäkerten die Männer noch ein paar Augenblicke mit den Mädchen, der Leibjäger des Prinzen verfolgte sie ein Stück den Gang hinunter; die Kammerfrau schalt, aber er kehrte erst bei der Wendeltreppe um.

Halblautes Schwatzen und Kichern auf der Treppe: aufflammende und wieder verlöschende Minutenbrenner ...

Mit einem Male stieß eins der Mädchen einen entsetzlichen Schrei aus, durchdringend, als würde sie gemordet. Und dann eine wilde halsbrecherische Flucht treppab.

Prinzeß Marie stand wie gelähmt. Drüben brannte noch der Minutenbrenner. Einen Augenblick konnte sie noch sehen, daß Prinz Georg vor seine Tür getreten war, dann erlosch das Licht.

Sie hörte die rasch nahenden Schritte des Onkels, zitterte am ganzen Leibe – dann kam eine stumpfe, gedankenlose Resignation über sie.

Mochte er aus ihr machen, was er wollte.

»Marie – Marie –« sagte es neben ihr. O die liebe, tiefe Stimme! »Bist du das, Marie?«

»Ja,« hauchte sie.

Ein starker Arm faßte sie um. »Was machst du? Komm mit!«

Er zog sie mit sich; widerstandslos, halb ohnmächtig hing sie in diesem Arm. Etwas wunderbar Süßes kam über sie – weiter wollte sie nichts denken und fühlen. Sein Gesicht atmete dicht über dem ihren. Als er in den Schein kam, der aus seiner Tür auf den Korridor fiel, hatte sie die Augen geschlossen.

Schöning, der wahrscheinlich bereits zu Bett gelegen hatte, öffnete seine Tür im Augenblick, da das Paar über die Schwelle nebenan getreten. »Schöning, bleiben Sie, es ist bereits alles in Ordnung,« rief der Prinz und zog hinter sich zu.

Er ging nur drei Schritt weiter ins Zimmer hinein mit der kleinen Prinzeß, ließ sie nicht los. Herzklopfen hüben und drüben. Diese Tüllwolke – sie sprach wieder überwältigend zu seinen Sinnen, wie damals im Grunewald, im blühenden Haidekraut. Da lag hinter der durchsichtigen grünen Verschleierung ihr Gesicht zurückgelegt, maskenhaft weiß, aber der Mund lächelte purpurn und die Augen sahen halb geöffnet, dunkel, geheimnisvoll verlangend in die seinen.

»Meine liebe Marie,« sagte er gedämpft, und das klang so gepreßt und unsicher, und dabei bog sich sein Kopf tiefer und tiefer – »Meine süße kleine Marie –«

Und nun preßte er durch den Tüll hindurch einen Kuß nach dem anderen auf den purpurnen Mund, der sich ein wenig aufschloß, als blühe er auf, und durch den Körper der verliebten Prinzeß ging ein zitternder Schauer, daß der Arm, der sie umfaßte, mit zitterte.

»Hast du mich denn wirklich so lieb! Und willst du denn wirklich meine Frau werden, du süße, spukende Schneeflocke? Ich bin doch zu alt für dich.«

Sie schüttelte nur langsam mit dem Kopfe, damit er nicht gehindert ist, weiter zu küssen.

»Und was werden deine Eltern zu dem Ketzer sagen? Und euer heiliger Vater – meinst du denn, daß er uns Dispens geben wird?«

Und sie nickt langsam, wieder so, daß er sie recht gut noch küssen kann.

»Ich habe dich furchtbar lieb, Onkel Georg,« haucht sie endlich.

»Mädchen, so geht das nicht weiter,« sagt er, sich aufraffend. »Steh mal fest auf deinen winzigen zwei Ballschuhen.«

Und er richtet sie auf und steht. »Jetzt hab ich dich,« spricht sie glückselig und wickelt ihre Arme fest in den Tüll.

Draußen kommt es und klopft. »Was ist?« Die Stimme der Kammerfrau: »Durchlaucht Frau Fürstin lassen Hoheit bitten, zu untersuchen. Die Mädchen trauen sich nicht nach oben, sie hätten hier einen Spuk gesehen.«

»Sagen Sie der Fürstin, es wäre bereits geschehen, es hätte sich jemand einen Scherz gemacht; die Mädchen sollen nur ruhig hinauf gehen, es wird nicht wieder spuken.«

Die Prinzeß hatte sich in einen der Fell-Fauteuils gesetzt.

»Nun – verreist du nicht?« fragte sie unruhig.

»Doch: aber nicht morgen. Ich muß noch mit Großmama reden. Dann fahre ich zu deinen Eltern und bringe deine Mama mit, wenns gut geht.«

»Ah, sag ihnen, daß sie selber schuld sind – sie haben mich ja hergeschickt, um dich zu erobern.«

»So?« lächelte er. »Nun dann freilich ...«

Eine Pause. Und dann ein flehender Blick.

»Onkel Georg – geh nicht mehr zu der schönen Professorsfrau. Ich habe so viel um sie ausgestanden!«

»Nein; sei versichert,« nickt er ernst. – »Nun geh, Marie. Du bist eine höchst gefährliche kleine Person.«

Sie steht auf – noch einmal hat er sie an der Brust und sie preßt ihn mit einem schluchzenden Laut von Glück – dann fliegt sie aus der Tür – den Teppich hin im Dunkel, tastet: »Lida, Lida ...«

»Wo bliebst du? Wo warst du?«

»Du darfst mir gratulieren, ich habe mich eben verlobt,« sagt die kleine Prinzeß mit Grabesstimme. Dann stößt sie einen erstickten Schrei aus und umfaßt die verdutzte Freundin.

»Mädchen ...!«


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