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XV

Ein klarer, kühler Novembermorgen folgte, der erste im Monat.

Es war zum ersten Male nach ihrem Unfall, daß Prinzeß Marie wieder mit dem Prinzen und dem Adjutanten ausritt. Der bekannte zahme Spazierritt, durch den Tiergarten, der so kahl schon war, so herb nach dem gefallenen Laub roch. Ein leichter Frost hatte die noch nicht aufgesogene Nässe der letzten Tage erstarrt, die welken Blätter zusammengebacken; man mußte die Tiere fest im Zügel halten.

Wenn sie Schritt ritten, plauderten sie.

»Nächster Tage gibts Hubertus,« bemerkte Herr von Schöning. »Das Wetter scheint sich ja zu halten, wie es aussieht.«

»Ich begreife doch nicht recht, Onkel, daß du das Rote Feld nicht mitreitest,« sagte die Prinzeß. »Ein Jäger wie du. Ich wäre gleich dabei.«

»Das ist Salonjägerei, liebe Marie. Ein Spiel wie Croquet und Tennis. Für einen Jäger wie mich gibts nur die Birschjagd. Und die stille Waldeinsamkeit. List gegen List. Vorsicht gegen Vorsicht. Bei dieser Jagd sind die Reiterkunststückchen die Hauptsache.«

»Nun, das ist doch auch etwas.«

»Willst du dir wieder eine Brausche holen?«

»Wenigstens fürchte ich mich nicht davor.«

Der Prinz sah sie mit leisem Lächeln überseite an, studierte einen Augenblick ihr feines, keckes Profil mit den geblähten Nüstern, das volle, geschmeidige Figürchen mit der sicheren Haltung. Das weiche, aschblonde Kraushaar hatte so etwas Sonniges, Lustiges.

»Wenn dir viel daran liegt, Durchläuchting, so können wirs vielleicht nächstes Jahr probieren.«

»Ja?« wandte sie sich strahlend herum. »Du besserst dich, Onkel. Aber ich bekomme soviel für nächstes Jahr versprochen, daß ich mir doch ein Konto dafür anlegen will.«

»Weiß Durchlaucht schon von der Rückantwort aus Charlottenburg, Hoheit?« fragte der Adjutant.

»Ach, hast du Nachricht? Warst du gestern bei der schönen Professorsfrau?«

»Allerdings.«

Ein prüfender Blick der großen Augen, fast feindselig, streifte den Onkel. »So – so ...« Er sprach merkwürdigerweise von diesen Besuchen niemals unter vier Augen mit ihr. »Was hat man denn geantwortet?«

»Dieser Geist ist ein großer Filou, liebe Marie. Man hat seine Angaben in aller Form desavouiert. Für die erlittene Blamage rächte er sich durch pöbelhaftes Schimpfen.«

»Und das schrieb die schöne Frau nieder?«

»Nein, sie sprach es sogar aus.«

»Hm – das muß merkwürdig geklungen haben – aus so schönem Munde.«

Der Prinz sah gerade vor sich hin. »Durchläuchting,« sagte er warnend, »wir werden anzüglich.«

»Das kannst du mir doch nicht verdenken, Onkel, ich glaube nämlich nicht an diesen Geist.«

»Du hast kein Urteil, mein Kind. Dazu muß man die ganze Entwicklung dieses Geisterverkehrs von den Anfängen an übersehen.«

»Schön, so nimm mich doch einmal mit. Ich möchte diesen Paradiesvogel von Frau auch kennen lernen. Vielleicht kann ich da noch anderes lernen.«

Der Prinz schnalzte darauf bloß und gab einen Schenkeldruck. Die Pferde schlugen einen kurzen Galopp an. Die Prinzeß kniff die Lippen zusammen, ihre Augen blitzten und sie hieb mit der Reitpeitsche hinter sich, flog voraus – hieb noch einmal, bis ihr Goldfuchs Karriere ging ...

Endlich mußte sie doch einhalten.

»Onkel, wird deine Frau Professor mit zur Sitzung in die Mulacksgasse gehen?«

»Jawohl; und ihr Mann auch.«

»Was ist das eigentlich für ein Mann? Von dem ist so wenig die Rede.«

»Ein sehr gescheiter und stattlicher Mann.«

»Ein schöner Mann?«

»Ich denke, ja!«

Das Gesicht der Prinzeß hellt sich auf.

»Sind Sie auch der Meinung, Herr von Schöning?«

»In der Tat, Durchlaucht. Er ist bräunlich und schön wie David, aber er hat eine erheblich bessere Figur als dieser gehabt haben soll.«

»Du nimmst mich doch bestimmt mit in die Mulacksgasse, Onkel?«

»Wenn du recht artig gegen die Frau Professor zu sein versprichst,« betonte der Prinz.

»Wie denn nicht? Du hast mich ja schon so gut erzogen,« betonte sie da wieder.

»Apropos: ich habe auf nachher Herrn Wellmer bestellt, mit dem ich vorher noch Rücksprache nehmen will.«

Der Prinz sah wiederholt nach der Zeit und wandte endlich zur Heimkehr. Vor der Villa meldete der Portier, daß der Herr Wellmer bereits warte; indem kam dieser mit langen Schritten aus dem Garten, wo er herumspaziert war.

»Ah, sehr freundlich von Ihnen, mein werter Herr Wellmer ...«

Prinzeß Marie musterte den oft Genannten, der sich bei seiner Vorstellung so ungelenk tief verbeugte, interessiert und doch zugleich mit einem Zug von Hochmut. Sie hatte einen Augenblick Lust gehabt, der Unterredung beizuwohnen, aber sie gab es auf, nickte wortlos und ging ins Haus.

»Ich habe den Wunsch, etwas mit Ihnen zu besprechen – kommen Sie nur mit, Schöning ... Wie geht es Ihnen sonst? Wir haben da etwas ausbaldowert ...«

Das Zimmer des Prinzen deutete seine Jagdliebhaberei an: ausgezeichnete Stücke von Jagdtrophäen an den Wänden, Fellteppiche, vor allem die Sitzmöbel aus Büffelhörnern mit einer Fellmosaik als Bezug. Ein so charakteristisches wie freundliches Interieur. Wellmer saß indes so zuversichtlich, nachdem er seinen Zylinder auf den Tisch neben sich abgelegt, als befände er sich in seiner gewohnten Umgebung, während Schöning am Fenstersims lehnte und der Prinz sich, eine Hand in der Hosentasche, bequem ab und zu bewegte.

»Also, kurz gesagt: kennen Sie eine Frau Häbler?«

Wellmer zog ein zweifelhaftes Gesicht. »Ja und nein, Hoheit. Sie hat sich an mich herangedrängt, aber ich habe sie mir vom Leibe gehalten. Trotzdem treibt sie sich mit ihrem Mann, der Graveur ist, auf meinen Vortragsabenden herum und wirbt Zuspruch für ihre Talente und ihre Wirtschaftskasse. Von verschiedenen Seiten ist mir ja gesagt worden, sie wäre stark medial, brächte Materialisationen zustande, hätte Apporte, wäre Sprechmedium, Hörmedium, Somnambule ... na, wissen Sie, Hoheit, weniger wäre mehr. Ich habe keinen Fiduz zu ihr und empfehle sie darum nicht.«

»Hm,« sagte der Prinz und lehnte sich halb sitzend an den Tisch neben Wellmer; »aber warum untersuchen Sie die Glaubwürdigkeit dieser Person nicht?«

»Offen gestanden: was mich nicht brennt, das blase ich nicht gern. So lange die Häbler nicht öffentliches Ärgernis gibt, lasse ich sie laufen. Es ist schon was wert, daß sie die ganze spiritistische Frage im Fluß halten hilft.«

»Dann kann ich Ihnen nur sagen, daß sie in zwei mich näher angehenden Fällen in einer Weise eingegriffen hat, die sie als geradezu gemeingefährlich stempelt, wenn sie nicht ein tadellos ehrliches Medium ist.«

»Nun also, Hoheit – nehmen wir sie doch mal unter die Lupe. Mir ists recht.«

»Wir können vielleicht damit Unheil verhüten. Also, kommen Sie mit? Die Sache ist nämlich von meiner Seite bereits vorbereitet.«

Wellmer schob die dicken Lippen vor und überlegte.

»Ich fürchte bloß, daß dann bei der Sitzung nicht viel herauskommt. Die Art hat Dampf vor mir. Wie machen wir das ...«

»Vielleicht kann Herr Wellmer die Frau sicher machen,« sagte der Adjutant am Fenster.

»Wie meinen Sie das?« wandte sich Wellmer herum.

»Mit einem Wink hinten herum, daß Sie mit allem, was sie tut, einverstanden wären und eventuell zur Sicherheit selber hinkämen.«

Wellmer wiegte den Kopf. »Wenn sie faulen Zauber macht, ist sie jedenfalls eine schlaue Person. Vielleicht können Sie sie ohne mich besser abfassen. Aber wie Hoheit meinen.«

»Tun Sie's; es bleibt immer noch die Möglichkeit, eine zweite Sitzung ohne Sie zu veranstalten. Ich hätte Sie gern dabei, wenn's anginge. Wollen Sie sich an den Schreibtisch bemühen?«

»Gut,« nickte Wellmer und stand auf. »Aber ich muß eines annehmen dürfen.«

»Was wäre das?«

»Daß Hoheit ihre Stellung zum Spiritismus nicht von dem Resultat abhängig machen.«

»Aber Bester – ich denke nicht daran.«

Herr von Schöning gab Wellmer Schreibmaterialien und dieser setzte sich und schrieb:

Geehrte Frau Häbler!

Seine Hoheit Prinz von X. will, wie ich erfahre, eine Séance bei Ihnen haben. Das ist von großer Tragweite für den Spiritismus wie für Sie, tun Sie, was Sie können! Vielleicht komme ich mit, die Sache ist mir zu wichtig. Es begrüßt Sie
Ihr ergebener Wellmer.

»Etwa so!« Und Wellmer las vor.

»Sehr gut, sehr gut. Kuvertieren Sie das.«

Wellmer kuvertierte und schrieb die Adresse.

»Apropos: Sie erinnern sich des Malers Könneke, mit dem wir im Spukhause damals zusammentrafen – das Klopfen im Tische ist mir übrigens noch heute das Frappierendste – nun also: dieser Könneke hat ein Renkontre mit der Häbler gehabt, die seiner Frau deren baldigen Tod prophezeit hat. Die Frau soll ganz tiefsinnig davon sein. Angeblich soll sie Neujahr nicht mehr erleben.«

»Na, da wird sich wenigstens bald herausstellen, ob die Häbler somnambul ist oder nicht. Schreibt denn die Frau Professor noch immer?«

»In der Tat, und ich stehe noch immer zwischen der Meinung, daß dies Schreiben animistisch von ihr selbst ausgeht, und der Wahrscheinlichkeit, daß sie doch unter dem Einfluß eines Spirit schreibt.«

»Warum soll sie nicht? Es kann ebenso gut eines wie das andere der Fall sein.«

»Also, mein werter Herr Wellmer,« brach der Prinz ab, indem er Wellmer die Hand reichte, »ich erwarte Ihre Nachricht, ob man Sie akzeptiert. Wiederholten Dank, daß Sie gekommen – –«

An dem nämlichen Tage fiel ein Lichtstrahl in die hilflose Bekümmernis der Baronin.

Es war in der mittägigen Visitenzeit. Die Gräfin hatte etwas Migräne und lag zu Bett – wie sie denn überhaupt jetzt viel zu Bett lag, aus Feigheit, mit einer wahren Angst vor dem Alleinsein mit der Baronin, in stumpfem Brüten. So war es denn die Baronin, die den kleinen hübschen blonden Leutnant von Triglaff empfing, zu dem die beiden Damen aus früherem intimem Familienverkehr her in einer Art von Tantenverhältnis standen; die Gräfin war zudem seine Pate.

Man plauderte sich durch allerlei Familiennachrichten und Erinnerungen durch, nachdem der Leutnant mit oh und ah sein Bedauern über das Unwohlsein von Tante Bensheim bekräftigt.

Dann kam eine kleine Pause.

»Tante Meiringen,« sagte der Leutnant mit einer gewissen Zaghaftigkeit, »eigentlich ist mirs angenehm, daß wir unter vier Augen reden. Möchte mir eine Frage erlauben – habe da munkeln hören, Tante Bensheim hätte sich mit einem Rittmeister von Güldenstubbe verlobt. Darf man fragen, ob das wahr ist?«

»Weshalb fragen Sie mit einer so bedenklichen Miene, lieber Bodo?«

»Befinde mich da in einer eigentümlichen Lage. Offen gestanden, ich wäre in Verlegenheit gekommen, wenn ich Tante Bensheim hätte gratulieren müssen, hätte das wenigstens ohne starke innerliche Reserve nicht zustande gebracht.«

»Ja, warum? Reden Sie, sprechen Sie sich aus, mich interessiert dies aufs höchste. Kennen Sie den Rittmeister? Liegt etwas gegen ihn vor?«

Der Leutnant wand sich ein wenig.

»Mittelgroßer älterer Herr mit Schnurrbart, Haar so hinten gescheitelt, gefärbt – sehr höflich, ruhig ...?«

»Stimmt: und weiter?«

»Pardon – wie soll ich mich ausdrücken ... war da neulich auf Veranlassung eines Kameraden in einem Spielklub – aber nicht weiter sagen, Tante Meiringen, gehe bestimmt nicht wieder hin ... kurzum, ein Rittmeister Baron Güldenstubbe, wie der geschilderte, legte da Bank und hat, wie ich glaube, darin ungeheure Übung ...«

»Um Gottes willen! Ein professioneller Spieler?«

»Denke, so etwas Ähnliches. Fürchte, er wird sich mit Tante Bensheims Einkünften raillieren wollen. Bekam gestern Abend einen Totenschreck, als Arnim Strachwitz von einer Verlobung des Barons mit Tante gelesen haben wollte. Mir käme es ja nicht zu, Tante einen Wink zu geben; aber eigentlich wäre es doch Pflicht, sie darüber aufzuklären ...«

»Aber natürlich, aber selbstverständlich – ich bin ja glücklich, ihr mit etwas Positivem kommen zu können; Vernunftsschlüsse verfangen bei ihr absolut nicht, sie ist völlig vernarrt in den Menschen. Jetzt, wenn sie hört, daß diese Nachricht von Ihnen kommt –«

»Pardon – hm – Tante Meiringen – wäre mir einigermaßen peinlich. Spielklub ist tabu, gewissermaßen feudale Gesetzwidrigkeit. Möchte denn doch nicht, daß auf meine Veranlassung die Lampe der öffentlichen Ordnung da hineinleuchtete. Könnte für mich recht unangenehme Folgen haben.«

»Ja. haben Sie einen anderen Vorschlag?«

»Vielleicht genügt es, ganz im allgemeinen von aus guter Quelle und dergleichen zu sprechen? Will mich übrigens doch genauer über die Antecedentien des Barons, was sein Spielen betrifft, erkundigen. Gegebenenfalls wäre ich selbstverständlich bereit, in Tante Bensheims Interesse mit dem Baron ein Wort unter vier Augen zu reden. Das würde niemand kompromittieren.«

»Großer Gott, das ist der erste Hoffnungsstrahl für mich. Aber es eilt, Bodo, der Mann wird alles aufbieten, um die Verbindung zu beschleunigen; auf dem Standesamt ist sie ja vorbereitet! Denken Sie doch, er hat die Unglückliche zu einem Spiritistenmedium geführt und durch deren Mund ihren seligen Mann seine Einwilligung geben lassen!«

Der Leutnant schnalzte. »Das genügt. Ich kann ja nicht bestimmen, wie rasch meine Rekognoszierung zu dem gewünschten Resultat führen wird, bin dienstlich stark in Anspruch genommen. Die Sache ist ja aber noch im letzten Moment zu ordnen. Vierzehn Tage ist doch sicher noch Frist?«

»Unter allen Umständen.«

Der Leutnant erhob sich und griff zum Helm. »Tante Meiringen – bis auf weiteres!« Er küßte der Baronin die Hand. »Aber Diskretion nach außen hin, ich bitte!«

Die Baronin geleitete ihn auf den Flur. Als sie die Stube wieder betrat, lag ein Zug harten Triumphes auf ihrem Gesicht.

Die Genugtuung der Feindin sprach lauter in ihr, als die Teilnahme der Freundin an dieser Wendung.


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