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VII

Wieder ein paar Tage später; Vormittag.

Frau Professor Latzberg-Budde stand in einem nach Norden zu gelegenen Hinterzimmer ihrer Wohnung, hatte eine weite Malschürze vorgebunden, eine Palette in der einen, einen Pinsel in der anderen Hand und einen Blendrahmen mit angefangener Malerei vor sich stehen: an der Wand hing daneben eines jener impressionistischen Bildchen, wie sie Mitte der neunziger Jahre so vielumstritten in den Ausstellungen zu sehen waren: flott hingesetzte Farbentupfe, die in genügender Entfernung etwas Garten mit einer Wiese ergaben, auf der eine junge Dame in einer Schaukel flog, alles in flimmernde, brennende Sonne getaucht. Das Bildchen war zweifellos mit Verständnis gemalt, aber eben darum fatal schwer zu kopieren.

Darauf deutete das mißmutige Gesicht und die Röte der Erregung, die es bedeckte, während die schöne Frau vor- und wieder zurücktrat, um herüber und hinüber zu mustern.

Ein gewisses Talent, das sich in jüngeren Jahren angedeutet, und die Überfülle an freier Zeit, über die sie verfügte, zusammen mit den Anregungen der großen Kunststadt und der hier vielfach zugänglichen Gelegenheit, sich auszubilden, hatten ihr den Pinsel in die Hand gedrückt.

Eine kinderlose Frau, von allen Bequemlichkeiten umgeben – was fängt sie an, um ihren Tätigkeitstrieb zu befriedigen?

Das Bildchen hatte ihr eine befreundete Professorsfrau geliehen; sie war gerade dabei, ihren Geschmack zu modernisieren, hatte deshalb ihren bisherigen Lehrer aufgegeben und füllte die Lücke bis zur Neuwahl mit Kopieren.

»Karl Könneke« heißt der Namenszug des Malers in der Ecke des Bildes.

Frau Paula hatte gerade ein paar Nuancen von Orange aufgesetzt und stand seufzend an der Wand gegenüber, mit krauser Stirn; da klangen im Gang draußen Schritte und es pochte.

»Herein!« rief sie verdrießlich.

»Gnädige Frau,« sagte Meta, das Stubenmädchen, mit einem Paketchen in der Hand, »Peter hat das einem herrschaftlichen Diener abgenommen, hier sind auch zwei Visitenkarten. Wohin soll ich das legen? Es ist für Herrn und Frau Professor.«

»Geben Sie her.« Sie legte das Malgerät aus der Hand und band sich die Schürze ab. Als sie einen Blick aus die Karten warf, gab es einen Laut der Überraschung. »Legen Sie das Paket auf meinen Nähtisch, Meta,« sagte sie und ging hinter dem Mädchen her in das Schlafzimmer, um sich die Hände zu waschen.

Es waren Visitenkarten des Prinzen Georg.

Dieser Prinz interessierte sie doch gewaltig. Eine phantasievolle Natur, wie sie war, empfand sie gehoben und beklemmt zugleich den Nimbus, der die Mitglieder alter regierender Häuser umgibt, mit einem Rest jener Naivetät, mit der sie als Kind vor Märchenprinzen gefühlt.

Sie öffnete das kleine Paket und fand darin zwei Bücher und ein Billett: »Wollen Sie mich aufs neue verpflichten, indem Sie diese Unwahrscheinlichkeiten lesen und mir zu irgend einer Ihnen genehmen Stunde gestatten, mir persönlich Ihre Meinung darüber einzuholen? Ihr aufrichtig ergebener Prinz Georg.«

Eine Nachschrift: »Meine Empfehlung der Frau Professor.«

»Nun – etwas kühl, oder doch,« dachte Frau Paula. Sie schlug das eine schmächtige Buch auf: »Wie ich Spiritist wurde ... von Professor Cyriax« ... Dann das zweite stärkere, broschierte: »Es gibt keinen Tod,« weiß auf schwarzem Grunde zu lesen ... »von Florence Marryat.«

Das frappierende Äußere des zweiten Buches reizte, und Frau Paula warf sich in einen Schaukelstuhl und begann zu lesen. Eine klare, überzeugte Verteidigung des Spiritismus von einer Frau, die offenbar viel erlebt hatte, Tochter des bekannten englischen Romanciers, Schauspielerin, Schriftstellerin, mit Kindern gesegnet, selber starkes Medium und in nähere Beziehung zu allen namhaften englischen Medien getreten ... Frau Paula las sich heiße Wangen. Diese ganze fremde Welt von Ungeheuerlichkeiten, wie eine Sammlung wüster Träume, rollt sich vor ihr auf.

Das tägliche Leben dieser Engländerin, die sich als eine so nüchterne Beobachterin gibt, spielt sich auf einer Schaubühne ab, auf der mehrere Geister als lebendige Menschen aufzutreten scheinen, Geister, die sich so menschlich geben wie möglich.

Die Bedingung dafür sind schlafende Medium-Menschen, die ein unsichtbares, aber wägbares Fluidum ausströmen, bis sie selber auf die Hälfte ihres Gewichts, ja bis zum Kindergewicht zusammenschrumpfen. Aus diesem Fluidum weben sich die Spirits Körper, Kleider – was sie wollen: bloß durch den Willen, dafern er über ein gewisses Kraftmaß verfügt; die Kraft läßt nach, und die Gebilde lösen sich auf, manchmal erst nach Tagen.

Diese Geister verüben allerlei, das Liebenswürdigste und den gröbsten Unfug. Die Grenzen, welche die Erdenwelt für Möglichkeiten unverbrüchlich zu ziehen scheint, existieren für sie nicht; sie können die Dinge »dematerialisieren« und wieder »materialisieren«, einen festen Körper durch den anderen drängen ohne Spur.

Sie erzählen, wie man stirbt: ein Sichlösen aus einer Puppenhülse, eine Anstrengung, nach der man schwitzt, sich matt auf stützende Geister lehnt, die einen begrüßen. Der erlöste Spirit trägt den Typ des verlassenen Körpers, aber er entwickelt sich im weiteren Verlauf zu einer fehlerfreien Idealform; die Kinder wachsen, die Alten erfahren eine Rückbildung; aber allmählich. Und es gibt eine stufenweise Weiterentfaltung zu noch höheren Daseinsformen, man stirbt mehr als einen Tod ...

Üble Menschen – üble Geister; mit ihrem Sinnen und Trachten auf die Erde gerichtet, klammern sie sich lange an die Erdennähe, roh, wüst, übermütig, zu tollen Streichen geneigt: dies sind die immer zugänglichen, zuerst sich einstellenden, wo Medien zu haben sind. Man muß sie abwehren, wenn man freien Raum für die Offenbarungen, die Einflüsse besserer, höherer Existenzen gewinnen will. Sie bemächtigen sich mit Vorliebe verwandter Naturen: die Säufer der Säufer, die Spieler der Spieler, die Diebe der Diebe, die Lüstlinge der Lüstlinge, stacheln sie, verderben sie ...

Vor allem lügen sie, täuschen, schwindeln, mit diabolischem Vergnügen. Man muß kritisch, sehr kritisch sein, wenn man Umgang mit Geistern sucht.

Dieses sonderbare Buch gibt sich als Sammlung von Belegen aus eigener Erfahrung über das alles.

Frau Paula setzte nur selten mit kritischem Zweifel ein. Sie las sich in Ekstase. Diese verblüffenden Seltsamkeiten, so nüchtern objektiv beobachtet scheinbar; Vorgänge, wie man sie träumen, aber wie sie ein einzelnes Menschengehirn doch wohl nicht erfinden kann! Was soll man dazu sagen? Ist das eine Mystifikation?

Nein. Da ist die Geschichte dieser Kate King, dieser Sitzungen, unter deren Zeugen auch Crookes aufgeführt ist ...

So weit war Paula gelangt, als der Prozessor die Tür öffnete.

»Guten Tag, Schatz. Ich habe Mordshunger. Übrigens hier ist ein Brief von deiner Mutter, ich habe ihn dem Briefträger abgenommen.«

»Ach? Da bin ich neugierig. Und ich habe etwas für dich! Nun sei du auch mal neugierig.«

Er nahm ihr das Buch aus der Hand, die er küßte. »Ja so – das – hat das der Prinz geschickt?«

»Dummer!« schmollte sie. »Du solltest es doch nicht gleich raten. Zwei Visitenkarten, zwei Bücher und ein Billett. Er will uns ja besuchen, denke doch!«

»Nun, was ist dabei? Er wird uns wenigstens nicht langweilen – du wirst ja ganz rot? Er will natürlich, daß ich mich ihm zu Gefallen um den Spiritismus bemühe ...«

»Nein, mir zu Gefallen – sollst du's! Jetzt ganz gewiß. Lies bloß dies Buch; darüber kann man ja nicht stillschweigend zur Tagesordnung übergehen, das ist ganz unmöglich.«

»Kind, Kind,« sagte er mißmutig, »das ist meiner festen Überzeugung nach eine Sache, die mich Zeit kosten wird und bei der ich am Ende da stehe, wo ich angefangen. Ich habe mit dem großen Strome der Kulturentwickelung vorwärts zu schwimmen, hier handelt es sich um einen Sumpf, der daneben stagniert.«

»Und unsere Erfahrung mit dem Glase?« Sie riß den Brief der Mutter auf und überlas ihn; dabei fing sie zu lachen an, etwas unsicher. »Das ist allerdings lustig. Hör bloß: »Euer Geist scheint mir ein ausgetragener Lügenbold zu sein. Zufällig war ich an dem betreffenden Tage nicht wie gewöhnlich vor elf Uhr zu Bett gegangen, sondern hatte mich in einem, Buche festgelesen und las bis zwölf. Ferner war ich am Nachmittag nicht bei Feuerleins, sondern bei Frau Stadtrat Mielke zum Kaffee. Ich traf aber Frau Feuerlein tags darauf auf der Promenade und sie war kreuzvergnügt und wohlauf ...«

»Na also. Ätsch!«

»Ja das macht aber nichts,« sagte sie hastig, »die Geister, die zunächst zu haben sind, sind erfahrungsgemäß Lügengeister.«

»So so. Dann wollen wir uns wenigstens jetzt entschädigen und uns dem Reellen zuwenden. Ich habe Peter schon draußen verständigt und denke, er wird die Suppe aufgetragen haben ...«

Er pflegte nach Tisch sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen und auf dem Divan dort Siesta zu halten. Als er gehen wollte, sah er sich doch um: »Wo hast du – ja so, die beiden Bücher vom Prinzen sind in deinem Zimmer ...«

»Ich hole sie dir,« sagte sie rasch.

»Bring mir von den Übeln das kleinere, Schatz. Das größere liest du vielleicht gern selber zu Ende.«

Er las, sie las.

Als die Dämmerung überhand genommen, erschien der Professor bei Frau Paula. »Du auch noch?« sagte er lächelnd. »Wir wollen uns von den Geistern wenigstens nicht die Augen verderben lassen.« Und er ging an den elektrischen Knopf. – »Peter, zünden Sie Licht an!«

Paula hatte das Buch im Schoße liegen und schaukelte. »Nun? Wie weit bist du?«

»Fertig. Ich lese ja schnell.«

»Ist bei dir auch von Materialisationen die Rede gewesen?«

»Von allen Sorten. Dieser alte Herr Cyriax hat eine Zeitlang jede Nacht Besuche von Spirits empfangen, alle aus einer und derselben Schlafzimmerecke entsprungen, Männlein und Weiblein, schwarze, weiße und kupferrote; natürlich in Amerika. Der Mann ist weder ein Schwindler, noch ein Dummkopf. Im übrigen muß ich mir meine Meinung noch vorbehalten. Es gibt da zwei Punkte, die bemerkenswert sind, einer, der für Selbsttäuschung, einer, der gegen sie spricht.«

»Wie denn?« Frau Paula richtete sich neugierig auf.

»Der alte Herr spricht von einer Rückgratsverletzung in der Zeit, wo sich die materialisierten Spirits zeigten. Das ist verdächtig. Hingegen Nummer zwei: er hatte beständig einen kleinen Hund bei sich, der an den Erscheinungen lebhaften Anteil nahm, wenigstens an den männlichen – die weiblichen übersah er. Er fürchtete sich, kläffte sie an und befreundete sich mit ihnen, wenn sie öfter kamen. Hätte freilich der Herr Cyriax unter einer visionären Selbsttäuschung gestanden, würde er sich wahrscheinlich auch betreffs seines Hundes mitgetäuscht haben, muß man schließen.«

»Ich sage dir, Felix, nun lies bloß das Buch hier. Mag man drüber denken wie man will – das eine ist ein vollständiges Rätsel für mich, daß man von diesen Sachen so wenig gehört hat. Wenn wirklich viele Millionen Menschen daran glauben, so ist das doch ein Kapitel Kulturgeschichte, mehr noch: es ist wert, daß man sich damit wissenschaftlich auseinandersetzt.«

»Letzteres ist vermutlich geschehen – ich werde mich wohl oder übel danach umtun müssen. Jetzt beichte einmal, Paula: Hast du seither noch einmal deinen Bogen und dein Glas benutzt?«

Er lehnte lächelnd am Ofen.

»Wenn du es wissen willst: nein!«

»Hast du Lust?«

Frau Paula's Augen blitzten vor heimlichem Triumph.

»Da du durchaus willst ...« sagte sie und verließ den Schaukelstuhl, der sich hinter ihr automatisch zur Ruhe wiegte.

Eine Minute nachher saßen die beiden wieder vor einem Tischchen einander gegenüber, zwei Finger auf dem Boden des Glases.

»Sind Geister hier?« fragte Frau Paula.

Eine kurze Pause, dann rutschte das Glas.

»Ja.«

»Wer bist du?«

»Otto.«

»Warum hast du uns über Frau Feuerlein so unverschämt belogen?«

Das Glas schob sich auf dem Papier herum.

»Habt ihr Geister nichts Besseres zu tun?«

Auf einmal machte das Glas Halt, als besänne es sich, und ging dann entschlossen auf das W zu, und in kurzen Bogen weiter.

»Wir utzen Dumme,« las der Professor. Er lachte laut auf.

»Das bin doch nicht ich!« rief Frau Paula aufspringend.

»Aber vielleicht doch etwas in dir, etwas Unbewußtes – die unterdrückte gesunde Vernunft ...«

»Ach du! So mag ich dich gar nicht.«

Er umarmte die schöne Frau, die es verdrießlich duldete. »Sei gut, Schatz, und laß diese Spielerei, wenn sie auch amüsant ist. Apropos« – er ließ sie los und sah nach der Uhr – »Himmel, ich muß ja noch eine Stunde ins Laboratorium – wie wär's: bist du mir böse, wenn ich nicht zum Abendbrot zurückkomme, sondern im Künstlerhause esse?«

»Geh nur« – ihr fiel plötzlich etwas ein: »Felix, erkundige dich doch einmal nach dem Maler Karl Könneke, von dem ich das kleine Bild kopiere. Wenn er in Berlin ist, möchte ich ganz gern von ihm profitieren. Das Bildchen imponiert mir so.«

»Ich will mir einen Knoten ins Taschentuch machen.«

Er verabschiedete sich. Die schöne Frau blieb allein in dem warmen, ganz mit einem tief sanften Weinrot getönten Boudoir zurück: Wände, Möbel, Bezüge, Fußbodenbelag. Sie liebte diese Farbe.

Und sie legte sich wieder in den Schaukelstuhl, faßte nach dem Buch der Marryat, ließ es aber liegen und wiegte sich lebhaft, nachdenklich. Die Erregung, der Verdruß zitterten in ihr nach.

Beim Ofen stand das verlassene Tischchen mit dem Glase auf dem Papier, als warte es auf jemand. Sie wollte nicht wieder dahin zurück, aber ihre Blicke blieben immer wieder darauf haften, als ginge ein dämonischer Zug davon aus. Etwas Lebendiges wartete dort, und es war so eine einfache Sache, sich zu unterhalten. Man legte zwei Finger auf jenen Glasboden. Man unterhielt sich – mit wem?

»Es ist nicht wahr, das bin ich nicht,« sagte es in ihr.

Aber ist es dann nicht etwas Ungeheures, sich da mit Wesen zu unterhalten, die kommen, gehen, sich äußern, auf Fragen Rede stehen, und die man nicht sieht? Die also fraglos einer anderen Daseinsform angehören, als der irdischen?

Eine Weile widerstand sie, aber sie wußte ganz genau, daß sie wieder zu jenem Tischchen gehen würde. Und endlich, mit trotzigem Entschlusse, erhob sie sich und ging.

Da saß sie und legte die Finger auf.

Nichts rührte sich.

»Ist niemand hier?« fragte sie.

Langsam drehte sich das Glas auf der umgebenden Kreislinie.

»Wer bist du?«

»Meyburger.«

Sie fuhr auf, ein Zittern überflog ihren Körper. »Allmächtiger! bist du mein Vater?« – »Ja.«

Sie stieß einen unterdrückten Schrei aus, ein kurzes Schluchzen erschütterte einen Moment ihre Brust. Sie hatte diesen Vater sehr geliebt.

»Willst du mir etwas sagen?«

»Glücklich,« buchstabierte das Glas.

»Heißt dies, daß du glücklich bist?«

»Ja.«

»Hast du Sehnsucht nach mir?«

»Ja.«

Paula weinte laut auf, ganz erfüllt von einem unsäglich süßen Grauen.

»Sprich zu mir, bitte, sage mir mehr.«

Hier fing das Glas an, auf dem Papier herumzurasen, bis ein fatales Quieken entstand, wie sie es bereits einmal gehört hatte. Auf einmal schob es sich auf »Nein« und blieb dort stehen.

Frau Paula fühlte etwas wie einen kalten Wassersturz.

»Dann bist du nicht mein Vater.«

»Nein.«

Sie sprang in zorniger Enttäuschung auf. »Elender!« rief sie. Und sie klingelte.

»Machen Sie Licht im Eßzimmer.«

Sie nahm das Buch der Marryat und ging in das Eßzimmer. Dort saß sie und las, aß Abendbrot und las wieder, allmählich unaufmerksamer.

Sie legte das Buch fort.

Was bedeuten Mitteilungen aus zweiter Hand, wo sie selber die Tür zu diesen Geheimnissen offen stehen hat? Sie zögert, zögert ... ah, sie wird sich nicht wieder düpieren lassen, wird diese Sache nicht wieder ernst nehmen. Selbst der Schwindel ist interessanter, wenn man ihn persönlich erlebt.

Sie geht aufs neue zum Glase, fest entschlossen, sich mit nichts aufregen zu lassen.

Und das alte Spiel fängt wieder an. Ein »Adolf«, ein »Hermann« kommen, sind fort. Dann ein »Egbert«. Sie stutzt. »Was bist du?« fragte sie. »Ein Kind,« ist die Antwort.

In ihren Herzen rührt sich etwas. Etwas Heimliches. Die kinderlose Frau mit dem tiefen, brennenden Wunsch in der Seele, Mutter zu werden, ein Kind zu herzen, sagt sich: »Das sind Kinder.« Nur ihr Mann weiß, daß sie ein Kind ersehnt – ein Mädchen. Im Eßzimmer steht ein friesischer, alter Schrank aus dem Brautschatz einer Inge von der Mühlen, wie eine geschnitzte Inschrift besagt. Der Name gefällt ihr so; Inge müßte ihr Mädchen heißen.

Der Geist eines Kindes! Wie rührend. Ihre Stimme nimmt einen glücklich weichen Klang an, während sie weiter fragt.

»Hast du Vater oder Mutter drüben?« – Nein. – »Aber Gespielen?« – Ja. – »Willst du ihre Namen nennen?« – Ich darf nicht. – »Wie alt bist du?« – Zehn Jahr. – »Wann bist du gestorben, weißt du das?« – 1390. – »Ist's schön drüben?« – Nein. – »Warum denn nicht?« – Ich darf es nicht sagen. – »Erzähle mir irgend etwas; was du willst.« – Eiapopeia – lieb, ja ja ... »Was heißt das?« – Ich liebe dich –

Ich liebe dich – wie süß! Das klingt ihr in der Seele nach, während sie zerstreut weiter fragt: ob er Kleidung habe?« »Eine Kinderjacke.« Ob er Nahrung zu sich nähme? »Eia, hie süße Milch.«

Ich liebe dich!

»Kannst du nicht wieder ein Mensch werden? Ein Kindchen?«

»Ja.«

»Mein Kind?«

»Ja.«

»Ein Mädchen auch? Ich möchte ein Mädchen haben.«

»Ja.«

»Wie würde ich dich nennen? Weißt du das?«

»Inge.«

»Sage mir ein Wort, das ich gern hören möchte!«

»Mama.«

Wie sie das durchschauerte! Die kluge Frau übersah darüber den Widerspruch zwischen der Sprache und der Altersangabe des geheimnisvollen Etwas, übersah, daß in dem Buche der Marryat Kindergeister sich jenseits ebenso wie im Diesseits entwickelten.

»Willst du jetzt mit mir schlafen gehen?«

»Ja.«

»Wie sagt ein artiges Kind vorher?«

»Gute Nacht, liebe Mama.«

Welch Betrüger ist dieser Mutterinstinkt! Frau Paula ließ das Gas in dem Zimmer löschen und ging schlafen, und sie schlief mit dem wunderbaren Gefühl ein, den Geist ihres zukünftigen Kindes bei sich zu haben. Als ihr Mann kam, wachte sie auf. »Nun, Schatz – komme ich zu spät? Dein Könneke wohnt hier, in einem Gärtnerhause in Westend, muß ein schnurriger Kauz sein.« Sie hörte nur mit halbem Ohr, was er berichtete: es brannte ihr auf der Seele, von dem Kinde zu erzählen.

Er hörte zu, lächelnd und stirnrunzelnd zugleich. »Närrchen, Närrchen! Ich habe mit einer Autorität auf diesem Gebiete gesprochen und kann dir nur sagen, daß selbst die Spiritisten dergleichen Offenbarungen nicht auf Spirits, sondern auf das eigene Ich zurückführen.«

»Du willst eben nicht glauben,« sagte sie und kehrte sich von ihm ab.


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