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VIII

Könneke hatte ein paar Tage fleißig gearbeitet. Die »gelbe Stunde« interessierte ihn und gedieh ganz vortrefflich.

Seine beiden ältesten Sprößlinge mußten fleißig abwechselnd Modell stehen, damit ihre Schamhaftigkeit keinen Schaden leide, wofür Frau Könneke von vornherein sehr energisch eingetreten war.

Um sie schulfrei zu machen, hatte Könneke einen höchst beweglichen Brief an die Schulleitung verfaßt, worin er als betrübter Vater meldete, daß die Kinder beide zu Bett lägen, da aller Wahrscheinlichkeit nach sich bei ihnen eine ernste Krankheit entwickeln würde. Masern, Pocken und Scharlach stünden noch zur Wahl.

Vorsichtigerweise hielt er darauf, daß, wer von den beiden seinen modellfreien Tag hatte, während desselben im Bett stecken mußte, und er fand dies um so mehr angezeigt, als sie dabei zugleich eine etwa davongetragene Erkältung sofort auskurieren konnten. Seiner Anweisung gemäß hatte deshalb auch Frau Laura dem Opferlamm in angemessenen Pausen ein Quantum Fliedertee zu verabreichen.

Das jeweilige Modell stand indes splitternackt, von des Vaters Havelock umhüllt, auf dem herbstkalten Boden, ließ nach Kommando die Umhüllung fallen und nahm zähneklappernd Pose an, um, nachdem der Vater es genügend gemustert, schleunigst den Havelock wieder aufzuheben und um die Glieder zu schlagen. Zur Aufmunterung regalierte Könneke das arme Geschöpf ab und an mit einer selbst erfundenen Geschichte, eine immer grotesker als die andere, sämtlich bei einer ungeheuren Hitze spielend, deren Wirkungen er mit den lebendigsten Farben schilderte, in der Meinung, daß dies mit einer Gefühlstäuschung erwärmend wirke, wie das Atmen von Bratenduft oder das Betrachten appetitlicher Würste bei dem Kauen von trockenem Brot mit der Einbildung kulinarischer Genüsse zu trösten imstande sei.

Eines Tages erschien indes ein Schutzmann mit einer blauen Mappe, aus welcher er die Aufforderung entnahm, sofort ein ärztliches Attest über das Befinden der Kinder für die Schulakten zu beschaffen, widrigenfalls ... Zum Glück geschah dies gegen Abend, als die beiden Modelle im Bett staken, und Könneke versicherte händereibend, der Fall erledige sich damit, daß er andern Tags die Kinder wiederum in die Schule schicken werde, nachdem sich, dank fortgesetzter Anwendung von Bettwärme, die bedrohlichen Symptome ohne Schaden verzogen hätten. Dasselbe stand in dem Brief, den er andern Tages den Kindern mit auf den Weg gab, wobei er ihnen streng verbot, von Modellstehen etwas zu sagen, da dies ein Staatsgeheimnis sei. Er schimpfte zwar über Erwerbsstörung und daß man ihn amtlich zwinge, den Sonntag zu entweihen, aber das Ergebnis blieb: er konnte fortan nur absatzweise an der »gelben Stunde« arbeiten, wodurch die Fertigstellung des Bildes in die Ferne gerückt wurde, zur großen Betrübnis von Frau Laura, die zwischen dem Erlös daraus und der bald genug wieder in Aussicht stehenden Ebbe eine neue Sorgenlücke klaffen sah. Während dieser kurzen gesegneten Arbeitszeit schien Könneke den Spiritismus völlig vergessen zu haben. Er ging gegen Abend immer zur Stadt und kneipte in der Zunft; wie er sagte, um auf das Erscheinen des Bildes vorzubereiten, und so im voraus Reklame für dasselbe zu machen. »Ganze Provinzen horchen auf, wenn es heißt: Karl Könneke malt wieder,« versicherte er seiner Frau.

»Dann weiß ich bloß nicht, warum du das nicht öfter tust,« sagte sie.

Er schob die kleinen glitzrigen Quellaugen wie Knöpfe vor, sah sie durchdringend an und wiegte dann mißbilligend den Kopf: »Deine Logik, Laura! Wenn ich immerzu malte, dann horchten eben die Provinzen nicht auf wegen eines neuen Bildchens von mir, geliebte Seufzerlaube.«

Am ersten freien Vormittage kam er nachdenklich von einer kurzen Gartenpromenade herauf, zog den Sammetrock an, stülpte den Kalabreser auf und sagte: »Soll ich dir vielleicht etwas aus der Markthalle mitbringen?«

»Nein, nein,« wehrte sie hastig, »kauf bloß keinen Unsinn zusammen. Was willst du denn sonst in der Markthalle?«

»Ich wandle die Pfade des Okkultismus, meine Liebe. Das verstehst du nicht, das schadet auch nichts; im übrigen werde ich euch Apfelsinen mitbringen, ich halte die noch immer für höchst gesund.«

Damit ging er.

Zu Mittag war er wieder da und brachte einen großen Papiersack und alle Taschen voll Apfelsinen mit; außerdem ein Perlhuhn.

»Ach Gott – Mann, Mann ...«

»Ein Sonntagsbraten für morgen,« sagte er gerührt, nachdem er abgelegt, und umarmte Frau Laura. »Du hast ihn redlich verdient durch deine Verdienste um Mann und Kinder; und ich habe noch nie ein Perlhuhn gegessen. Tretet näher, meine Kinder, wißt ihr noch, wie die alten Griechen und Römer diese Früchte nannten?«

»Die Äpfel der Hesperiden,« war die einstimmige Antwort der drei größeren, die mit vergnügt-begehrlichen Gesichtern vor ihm standen.

»Sehr wahr. Wenn euch eure Lehrer etwas anderes sagen, so wißt ihr, daß ihr eurem Vater mehr zu glauben habt. Hier ...«

Er begann seine Taschen zu entleeren, während Frau Laura sich energisch des Papiersackes bemächtigte, um ihn überseite zu schaffen.

»Heute Abend betet für euren Vater mit Besonderer Inbrunst, denn er wird diese Nacht wahrscheinlich unter Gespenstern zubringen und es ist noch nicht ausgemacht, daß sie ihm nicht den Hals umdrehen.«

»Rede doch den Kindern nicht immer solchen Unsinn ein,« rief Laura von einer Kommode her, erbittert über das Perlhuhn und die Menge Apfelsinen.

»Es ist so,« antwortete er nachdrücklich. »Es bringt dir wirklich seinen Segen, Laurachen, daß du fortgesetzt die väterliche Autorität erschütterst. Hast du schon einmal von den Gespensterhäusern in der Potsdamerstraße gehört?«

»Da willst du doch nicht hin?«

»Gewiß will ich das; wenigstens in das eine. Wenn du etwa dich beteiligen möchtest ...« –

»Weiter fehlte nichts.«

»Ich kann dir das auch nicht zumuten, denn ich kann das Risiko nicht mit gutem Gewissen übernehmen, unsere Kinder zu Vollwaisen zu machen ...«

Er malte nach Tisch noch, so lange das Licht reichte, beschäftigte sich dann mit den Kindern, sagte ihnen, nach einem Blick auf die Taschenuhr, feierlich Lebewohl und machte sich zum Ausgehen fertig.

»Hast du denn da ein Bett zum Schlafen?« fragte Laura mit unsicherer Miene. »Ich denke, es steht alles leer?«

»Bett,« meinte er verwundert. »Ja, glaubst du denn, daß man schlafen kann, wenn es um einen spukt? Ich gehe doch gerade hin, um mich mit diesen faulen Brüdern zu begrüßen.«

Er steckte noch die Wellmerschen Broschüren, in die er bisher noch keinen Blick geworfen, und einen Bibliotheksband, den er mittag mitgebracht, zu sich, drückte Laura einen Kuß auf die Stirn und schritt gravitätisch hinaus.

»Was Vater von Gespenstern sagt, das ist alles Unsinn,« bedeutete Laura die kleinlaut gewordenen Kinder.

Gegen elf Uhr nachts trat Könneke aus dem sinnverwirrenden Fahrgerassel der Potsdamerstraße durch eine Gitterpforte in einen geräumigen Vorgarten und schritt auf das dazu gehörige Haus zu. Es war dies ein für die vielstöckige Umgebung sehr befremdlicher Bau, wohl aus der Entstehungszeit des Potsdamer Viertels, wo man hier »auf dem Lande« wohnte: ein hohes Souterrain mit besonderen Eingängen rechts und links, der eine zu einem Laden gehörig; darüber ein Stockwerk, zu dem eine Terrassentreppe inmitten des Bauwerks hinauf führte, mit säulengetragener Bedachung über der Terrasse: endlich das Hausdach mit zweifenstriger Mansarde. Das Straßenlicht war hell genug, um erkennen zu lassen, daß sich nicht nur der schwärzlichgraue Farbanstrich, sondern auch der Kalkbewurf des Gebäudes in verwahrlostem Zustande befanden. Desto erfreulicher schien der Vorgarten gepflegt zu sein.

Könneke ging prüfenden Blickes an der Treppe hin bis zu dem Eingang links, dabei schnüffelte er mit krauser Nase, denn es roch hier fatal nach einem benachbarten Droschkenstand, dessen Laternen sich wie eine Glühkäferkette hinzogen. Am Eingang zog er an dem Griff einer Klingel.

Die Tür öffnete sich und ein älterer Mann in etwas gebückter Haltung erschien.

»'N Abend, Herr Lehmler,« sagte Könneke, »alles in Ordnung?«

»'N Abend – jawohl, kommen Sie nur herein. Meine Frau hat schon alles raufgeschafft; in den Gartensaal – 's ist Ihnen doch recht?«

»Natürlich; mir alles eins, die Hauptsache, daß es dort spukt.«

»Ja, wissen Sie, drauf schwören kann ich ja nicht. Wenn ich das Spuken selber besorgte, dann könnte ich Ihnen wohl bestimmten Bescheid geben. Aber so 'nen Geist kann einer ja nicht kommandieren.«

»Haben Sie ganz recht.«

»Was die Spiritisten sind, die sind wohl öfter schon oben gewesen, aber ich weiß auch nicht, wo die was erlebt haben. Es steht ja alles offen oben, wenn die Geister nicht in den Saal kommen wollen, dann können Sie's ja wo anders probieren.«

Er trat zurück und Könneke folgte durch den muffig riechenden Flur in die geöffnete Wohnstube, in der eine Petroleumlampe auf dem Tische brannte. »Meine Frau ist schon zu Bett; ich will bloß das Licht anstecken, Ihre Lampe oben können Sie sich wohl selber besorgen,« bemerkte der Gärtner.

»Gibt's denn einen Aufstieg vom Souterrain?«

»Ja. Wenn Ihnen was passieren sollte – ich kann ja nicht dafür stehen – aber Sie können jederzeit 'runter steigen und mich wecken, klopfen Sie nur an die Tür hier links; auch wenn Sie etwa die Langeweile kriegen und fort möchten. Ich schließe Ihnen dann auf.«

»Schön. Wenn mich der Teufel holen sollte, einladen will ich ihn gerade nicht dazu, dann grüßen Sie mir doch meine Frau und meine Kinder.«

»Machen wir, Herr Könneke.«

Sie gingen, der Gärtner mit der Kerze voran, in den Flur zurück, an dessen Wänden der Mauerfraß große Stellen gemürbt hatte, bis zu einer Treppe, die sie über Wurmmehl und zwischen Tapetenfetzen aufwärts stiegen. Der Gärtner klinkte eine Tür auf und Könneke blickte in einen dunklen, saalartigen Raum, der sich allmählich durch das Licht der Talgkerze vor seiner Neugier aufhellte.

»Hören Sie mal, die Geister wohnen ja möbliert,« sagte der Maler. »Ich dachte, hier wäre ausgeräumt.«

»Bewahre, da steht noch so'n altes Gerümpel von anno Tobak herum, was die Motten und Maden fressen. Ich habe dem Manne zugeredet, er soll's verkaufen, dazu ist es noch nicht zu schlecht. Aber er will nicht. Na überhaupt. Wie ich sage, man wird ja nicht klug daraus. Dann stecken Sie nur die Lampe da an. Dort sind die Stullen und die Kaffeemaschine mit dem Spiritus und dem Gemahlenen; beim Kamin steht das Bier.«

»Kostenpunkt?«

»Lassen Sie man, das können Sie morgen früh mit meiner Frau verrechnen. Gute Nacht, Herr Könneke, dann wünsche ich Ihnen, daß Sie was Ordentliches zu sehen kriegen, was der Mühe lohnt.«

Er nickte und verschwand durch die Tapetentür, die er hinter sich schloß, in das Treppendunkel. »Gute Nacht!« rief der Maler, der bereits die Lampenglocke abgenommen hatte, worauf er gemächlich fortfuhr, die Lampe instand zu setzen.

Nun löschte er das Licht und sah sich um.

Grauweiße Tapeten mit Goldsternchen, stellenweise durch Feuchtigkeit verdorben; ein rissiger, bröckelnder Plafond, an dem sich ein höheren Zielen zugewandter Malergehilfe versündigt – die Mitte zeigte ockerfarbene, skrophulöse Engel mit Kartoffelbäuchen und Froschbeinen gegen in Wolken gefaßtes Himmelblau, die Ecken Frucht- und Blumenstücke von ähnlichem Kunstwert; ein paar fast bis zur Unkenntlichkeit nachgedunkelte alte Ölbilder und bunte Lithographieen; zwei mächtige Spiegel auf Konsoltischen; eine Geweihsammlung, mit plumpem Elchgeweih in der Mitte, über einem kleinen Büffet; an sonstigen Möbeln: zwei alte Kanapees und dazu gehörige Fauteuils mit beblümtem, hellem Möbelkattun bezogen; zwei kleinere Spieltische an der Wand; eine Glasservante, leer, bis auf ein paar Muscheln; in der Ecke ein Kamin mit höchst einfacher Fassung aus vergilbtem, dunkelgeädertem Marmor.

Könneke prüfte das alles mit vollkommener Seelenruhe von dem großen Ausziehtisch in der Mitte aus, auf dem die Lampe und die bezeichneten Vorräte der Gärtnersfrau standen.

Der mäßig große Raum war nach der Straße zu vollkommen abgeschlossen: vor der großen Glastür und den beiden flankierenden Fenstern lagen draußen Holzläden. In der Längswand gegenüber gab es zwei weiße Türen, in den Seitenwänden je eine. Könneke machte einen Rundgang und klinkte jede auf, um sie, nach einem Durchblick befriedigt, durch die daran befindlichen Riegel unzugänglich zu machen. Die Seitentüren führten in kleinere Zimmer, die Türen der Längswand auf einen Korridor, in dessen Mitte eine Treppe von oben mündete.

Nachdem der Maler sich solchergestalt gegen irdische Überraschungen gesichert, trat er wieder zum Tisch, verzog das Gesicht zu einem breitmäuligen Grinsen und murmelte: »Bitte, treten Sie näher!« Worauf er ein Butterbrot mit aufgelegten Leberwurstscheiben ergriff und zu kauen begann, während er sich auf den Weg zu den Bierflaschen machte. Bald nachher saß er in einem herzugeholten Fauteuil am Tische und futterte in aller Gemütsruhe. Er behielt den Hut auf und den Havelock an. Den Saal füllte eine dicke, feuchte, kalte Luft.

Im ganzen Hause herrschte Stille; indes sorgte der noch um diese Zeit ziemlich rege Verkehr auf der Straße dafür, daß eine richtige Spukstimmung bei dem auf Manifestationen einer übersinnlichen Welt gefaßten Maler nicht aufkommen konnte. Er zog, nachdem er die Eßvorräte bis auf einen Rest vertilgt, seine Lektüre aus der Tasche, rückte sich die Lampe näher und begann zu lesen.

Es verging wohl eine Stunde, ohne daß ihn irgend etwas störte; er trank dabei eine Flasche Bier nach der anderen; dies und die Kühle um ihn her machten ihn müde. Er legte die Broschüre, in der er las, aus der Hand, nickte ein paarmal nachdenklich vornüber, lehnte sich zurück, murmelte noch etwas wie »Fauler Zauber« und schlief ein.

Im Traum befand er sich in einem Variété-Theater und sah Schuhplattler tanzen. Allmählich wurde er munter, und plötzlich richtete er sich blitzwach auf: er vernahm deutlich über sich Schritte von mehreren Personen.

»Aha – Sapperlot,« sagte er, jetzt geht's los.« Er hörte Möbel rücken. Dann wurde es still. Ein Weilchen horchte er noch, ab und zu war es, als würde gesprochen.

»Hm!« Er stand auf. »Bin ich doch eingeschlafen. Verdammt kalt hier; muß mir doch 'nen Steifen brauen.«

Er zog die Uhr: sie zeigte auf halb eins. Er rückte die Kaffeemaschine näher, machte sie zurecht und goß Spiritus auf. Als die blaue Flamme unter der Maschine rieselte, begann er auf und ab zu gehen, immer mit gespanntem Ohr: in ihm rieselte es auch, das erste angenehme Prickeln des Gespenstergruselns. Dann setzte er sich wieder.

In diesem Augenblick gab es in der Ecke, wo die Tapetentür sich befand, einen schwachen Knall und ein feines Rascheln dahinter, das auf den Tisch zukam. Könneke sprang auf: dicht bei ihm wandelte es vorbei, langsam, genau wie das Rascheln eines seidenen Frauenkleides. Er hatte deutlich das Gefühl, als wehe es ihn an wie etwas Körperliches, gehe an ihm vorüber, weiter bis in die Ecke an der Straßenwand, verschwände dort.

Diesmal ließ ihn seine sonstige Unverfrorenheit im Stich, er war wie auf den Mund geschlagen und fühlte eine Gänsehaut über den ganzen Körper. So stierte er dem Verlauf des Geräusches ein paar Sekunden nach. Auf einmal aber rief er, wie um sich vor sich selber zu rehabilitieren: »Entschuldigen Sie, sind Sie vielleicht eine geborene Ratte?«

Die Möglichkeit war ihm eingefallen, daß eines dieser Tiere das Geräusch unter den Dielen erzeugt haben könnte.

Er setzte sich wieder. In der Maschine fing es zu brodeln an und ein feiner Kaffeeduft stieg ihm in die Nase. Sein Gemüt beruhigte sich, und er drehte die Daumen übereinander. Nach einigen Minuten wieder jener kurze Knall, diesmal in der Ecke an der Straßenseite, in der umgekehrten Richtung wie zuvor. Jetzt war er ruhiger, kritischer – er hatte die nämliche Empfindung, als bewege sich etwas mit einem kalten Hauch an ihm vorüber, seiderauschend – bis zu der Ecke an der Tapetentür.

Er horchte ... »Na, was ist denn das?« brummte er. »Es soll was Ordentliches dabei herauskommen. Der Spuk ist für die Katze.«

Ohne weitere Störung braute er seinen Kaffee fertig, goß ein und griff wieder zu der Broschüre. Allein kaum hatte er eine Tasse getrunken, so gab es oben im Hause irgendwo einen Krach, als ob eine Tür anschlüge. Und nun hörte er etwas mit langsamen, knarrenden Tritten treppab kommen.

»Aha,« sagte er unsicher. »Also doch.«

Er fühlte, wie seine Haare sich zu sträuben begonnen. Seine Hand griff unter den Havelock und brachte einen nagelneuen Revolver zum Vorschein. Die Tritte waren bis auf den Korridor gelangt, zögerten und setzten sich dann wieder in Bewegung. Bis zu der einen Tür.

Sein Haar stieg höher, sein Herz hämmerte. Er wandte den Kopf herum: eine Hand faßte an die Tür, an die Klinke, er sah die Klinke sich bewegen, hörte das Knacken des Drucks – zwei – dreimal.

»Ja woll ja, sagt Olga,« murmelte er.

Die knarrenden Tritte verließen die Stelle, suchten die nächste Tür auf, klinkten dort, stutzten wieder, kehrten zurück und verfolgten den Korridor. Kurz darauf hörte er die Tür zum Nebenzimmer sich öffnen, und das gespenstische Etwas schritt hindurch und klinkte auch hier.

Könneke schob mit einer Art Wut den Unterkiefer vor und murrte: »Immer ran, immer ran ...«

Aber die Schritte entfernten sich auf einmal, klangen im Zimmer, im Korridor, auf der Treppe.

»Ich bin ein feiger Hund,« rief der Maler. »Ein elender Jämmerling bin ich. Warum habe ich zugeriegelt, wenn ich hergekommen bin, um Gespenster zu sehen? Vorwärts, Karl Könneke, aufriegeln ...« Aber er blieb sitzen, schenkte mit einer grimmigen Bewegung eine zweite Tasse Kaffee ein und trank sie aus, worauf er eins der letzten Butterbrote ergriff und vertilgte. Auf einmal hielt er an: über ihm gab es ein Möbelrücken, das Gehen mehrerer Personen; jetzt war es wieder auf der Treppe lebendig, kam mit undeutlichem Gespräch – gedämpfte Männerstimmen, eine helle Frauenstimme dazwischen – auf den Korridor herab, in das Nebenzimmer. Hier ward es still, nur ein Geflüster war zu hören.

Könneke erhob sich sacht, stemmte ein Knie auf die Sessellehne – der Stuhl geriet ins Kippen und fiel mit einem Gepolter um, das in der großen Stille wie ein Donnerschlag dröhnte. Könneke stieß einen Fluch aus. Das Gefühl einer ungeheuren Wurstigkeit überkam ihn.

Da näherten sich Schritte der Tür und eine tiefe Männerstimme ertönte dahinter: »Gott zum Gruß – sind Geister drüben?«

»Alte Hüte,« sagt Könneke. Und auf einmal zog er die Brauen hoch, machte seine Knopfaugen und grinste über das ganze Gesicht. »Der Teufel soll mich frikassieren, wenn das Gespenster sind,« brummte er vergnügt für sich.

»Wir haben Glück, Hoheit,« hörte er die Männerstimme drüben zuversichtlich sagen, die ihm merkwürdig bekannt vorkommen wollte. – »Willst du dich uns offenbaren?« – »Mit Wonne,« versicherte Könneke in Baßtiefe, und um dieser Versicherung Nachdruck zu geben, ergriff er den umgefallenen Sessel und zog ihn dreimal um den Tisch herum.

»Es ist einer von den Radaumachern, den Spaßvögeln,« erklärte die Stimme drüben. »Es sollte mich wundern, wenn es nicht wieder der Otto wäre. – Bist du der Geist Otto?«

»Allerdings.«

»Weißt du, wer ich bin?«

»Du bist Wellmer, der Spiritist.«

»Weißt du, wer noch hier ist?«

»Keine Ahnung. Faule Köpfe jedenfalls.«

»Hahaha – du bist ein Schäker, das wissen wir, mein Lieber. Sag mal, willst du uns jetzt erzählen, was du gewesen und wie du gestorben bist?«

»Jawohl. Ich war Maurergeselle und bin in der Steglitzerstraße vom Gerüst gefallen.«

»So so. Otto: unsere Freundin hier hat einen Kontrollgeist, der ein Türke war und sich Naga nennt; kennst du den?«

»Allerdings. Er war kein Türke; er war ein Flickschuster in Perleberg, der nie einen ganzen Stiefel gemacht hat und darum keine Ruhe finden kann.«

Drüben wurde geflüstert. Jetzt scholl es wieder an der Tür: »Es riecht hier nach Kaffee; woher kommt das?«

»Das kommt vom Kaffeekochen her.«

»Hahaha – ein geistreicher Herr ...«

Wieder flüsterte man drüben. Könneke, dem die Sache langweilig wurde, ging möglichst geräuschlos an die Tür. »Erlauben Sie mal, bester Herr Wellmer,« hörte er halblaut sagen, »mir scheint doch hier nicht alles in Ordnung zu sein; halten Sie es wirklich für ausgeschlossen, daß sich drüben ein Mensch befinden könnte?« Unter dem Schutz dieser Worte hatte der Maler leise aufgeriegelt und sich vorsichtig zurückgezogen.

»Vollkommen ausgeschlossen, Hoheit,« sagte die Stimme Wellmers. »Ich kenne meine Pappenheimer.«

»Wenn er sich doch mal zeigen wollte.«

»Ich will ihn fragen. – Otto, könntest du dich uns nicht sichtbar machen?«

»Immerzu,« sagte Könneke, indem er die Stellung einer Terpsichore annahm. »Bitte nur herein zu spazieren.«

Lebhaftes Geräusch drüben, die Tür öffnete sich und drei Personen erschienen im Rahmen des Flügels: Prinz Georg, Wellmer und jene blasse, schmächtige Blondine, die in der geschilderten Sitzung in Moabit beim Tischrücken mitgeholfen.

»Darf ich die geehrten Herrschaften vielleicht zu einem Täßchen Kaffee einladen?« sagte Könneke treuherzig, seine Pose aufgebend. »Ich habe allerdings nur eine Tasse hier, aber wir können ja noch ein paar heraufholen. Mein Name ist Könneke, Karl Könneke, Kunstmaler.«

»Hm,« brachte Wellmer, sichtlich unangenehm berührt von der Lösung, hervor. »Hm, diesmal führt uns der Zufall doch an der Nase herum, Hoheit – Sagen Sie, Sie sind wohl durch Vermittelung des Gärtners unten hier hereingekommen?«

»Jawohl. Sie natürlich nicht, denn sonst hätte der mir davon gesagt. Aber wollen die Herrschaften nicht näher treten?«

»Ich habe den Schlüssel vom Besitzer,« sagte Wellmer nachlässig; die Gegenwart des Prinzen stärkte sein Selbstbewußtsein dem Fremdling gegenüber bedeutend. Er komplimentierte den Prinzen mit ein paar tiefen Verbeugungen voraus, der mit verstecktem Lächeln die wunderliche Figur des Malers mit dem fledermausartigen Havelock und dem ungewöhnlichen Haarwuchs unter dem Kalabreser ins Auge faßte, und folgte dann mit dem Fräulein. »Ich habe die Ehre, Ihnen Seine Hoheit ...«

»Bitte lassen Sie das,« winkte der Prinz ab.

»Fräulein Morgenstern: mich kennen Sie?«

»Natürlich. Ich war in Ihrem Vortrag, darum bin ich hier. Hoheit – mir ein großer Genuß!« Er machte eine kurze Verbeugung. »Wenn Hoheit einmal einen echten Könneke haben möchten – stehe fulmin gern zur Verfügung.« Er zog den Hut.

»Sie haben uns einigermaßen in Aufregung versetzt, Herr Könneke,« lächelte der Prinz.

»Ganz auf meiner Seite, Hoheit; Gänsehaut ganz auf meiner Seite.«

»Kann ich mir denken. Ja, mein werter Herr Wellmer, da wir einander doch nichts weiter vorspuken können, werden wir wohl am besten die Sache für diesmal abbrechen. Sie können ja natürlich nichts dafür, daß der Spuk unter den obwaltenden Umständen für heute versagt.«

»Na, so ganz nicht,« fiel Könneke mit einer Grimasse ein. »Hier spazierte so etwas wie ein unsichtbares Seidenkleid zwischen der Ecke dort und der da.«

»Haben Sie das auch erlebt?« rief Wellmer rasch mit gesicherter Würde. »Sie hören, Hoheit, es stimmt. – Haben Sie nichts dabei gefühlt? Äußerlich meine ich.«

»Doch – wissen Sie: es kam so kalt davon her.«

»Das ist das sichere Zeichen einer Geisternähe. Wie schade – wie schade!«

»Hm! Ich hätte das sehr gern selber erfahren,« sagte Prinz Georg. »Ich bin vorläufig noch so ganz auf das Hörensagen angewiesen. Meinen Sie, daß es vielleicht noch zu Klopftönen gekommen wäre, wenn wir oben länger gesessen hätten?«

Wellmer sah das Fräulein überlegen an. »Was glauben Sie, Fräulein Morgenstern?«

»Doch, ich glaube es sicher,« nickte die mit einer gewissen schüchternen Bestimmtheit.

»So. Wollen wir versuchen, mein Fräulein, ob es hier unten besser gelingt?« fragte der Prinz. – »Ja, ich bitte.«

Wellmer holte einen der kleinen Tische herbei, in Größe eines Spieltisches. »Vielleicht beteiligt sich der Herr daran,« sagte er mit einem schielenden Blick auf den Maler, während er Stühle herumsetzte. »Sie scheinen mir medial zu sein.«

» Avec plaisir,« versicherte der.

Der Prinz und Fräulein Morgenstern nahmen auf der einen, Wellmer und Könneke auf der anderen Längsseite Platz und legten die Hände auf. Der Prinz sowohl wie Könneke beobachteten kritisch ihre Nachbarschaft.

Der Tisch fing an, sich nach der Seite des Prinzen hin überzulegen.

»Aha,« meinte Wellmer befriedigt, »Naga, bist du hier?«

Der Tisch kippte dreimal – »Schön. Willst du uns klopfen?«

Kurze Pause; auf einmal ertönte unter der linken Hand des Prinzen ein mehrmaliges Klopfen, innerhalb der Tischplatte. Ein eigentümlicher Ton, nicht hart und wie aus einer ganz nahen Ferne.

Die acht Hände lagen vollkommen ruhig, ebenso ruhig die Füße der vier Personen.

»Das ist verblüffend,« sagte der Prinz halblaut, das Ohr tief zu der Stelle neigend. Aber nun klopfte es unter der einen Hand Könnekes, der sie mit einem »Au!« hochschlenkerte, als ob ihn etwas gestochen hätte. »Das kitzelt,« grinste er. »Das ist gerade, als ob ein Spargel durchwachsen wollte und das Holz höbe.«

»Naga, willst du uns eine Mitteilung machen?« fragte Wellmer mit dem nachlässigen Kommandoton des privilegierten Geisterbändigers.

Jetzt antwortete ein vereinzeltes Klopfen nahe der Tischmitte.

»Er ist wahrscheinlich tückisch,« meinte Könneke, »weil ich behauptet habe, er wäre Flickschuster.«

Rasches dreimaliges Klopfen.

»Na, dann entschuldigen Sie, verehrter Geist. Ich revoziere und depreziere und erkläre mein Betragen für fast gemein.«

»Die Herrschaften wollen sich von der Wahrheit des Spiritismus überzeugen. Vielleicht singst du uns etwas. Willst du?« Wellmer wurde sehr energisch.

Einmal Klopfen, also nein. Dann dreimal in der Tischmitte.

»Ah, also. Kannst du – was denn gleich – vielleicht: So leben wir, so leben wir ...«

Und in der lautlosen Stille – die Straße draußen war jetzt völlig ohne Geräusch – klopfte es rhythmisch, während der Prinz und der Maler sich mit verhaltenem Atem vorneigten: So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage.

»So deutlich haben wir es selten gehabt,« sagte Wellmer erfreut, »wie, Fräulein?«

»Zu Hause, allein, höre ich's wohl öfter so.«

»Versuchen Sie, bitte, weiter,« mahnte der Prinz.

»Kennst du den Herrn, der jetzt gesprochen, Naga?«

Keine Antwort.

Ebenso scheiterten alle weiteren Versuche.

Der Prinz lehnte sich in den Stuhl zurück. »Es genügt vorläufig schließlich. Das interessiert mich aufs höchste. Hat man denn versucht, dieses Klopfen, das man doch nicht aus der Welt schaffen kann mit bloßem Leugnen, irgendwie natürlich zu erklären?«

»Jawohl, Hoheit. Ich kann das ja vielleicht mit der großen Zehe machen, oder mit einer Art von Bauchschnalzen,« warf Wellmer mit überlegener Ironie hin.

»Ach, Scherz,« meinte der Prinz. »Und dieser – sagen wir also Naga, ist immer zu Ihrer Verfügung, Fräulein?«

»Ja, fast immer.«

»Hat er Ihnen mitgeteilt, wie er dazu kommt?«

»Weil er froh ist, ein gutes Medium gefunden zu haben.«

»Ich denke aber, meine Herrschaften, wir haben wohl alle genug für diesmal.« Er stand auf. »Das heißt, was uns drei betrifft; Herr Könneke hat vielleicht besondere Dispositionen. Kann man einmal von Ihren Arbeiten etwas sehen, Herr Könneke?«

»Ratzenkahl geräumt, Hoheit. Könnekes gehen ab wie warme Semmeln. Aber ich habe gerade was Gutes in Arbeit.«

»Schön, schön. Wenn Sie fertig sind, lassen Sie mir vielleicht durch Herrn Wellmer einen Wink zugehen?«

Der Maler baumelte die Arme bis auf die Erde. »Unbedingtes Vorkaufsrecht, Hoheit!«

Der Prinz reichte ihm die Hand mit freundlichem Lächeln.

In diesem Augenblick gab es ein Stückchen von ihnen ab, in der Luft, in halber Zimmerhöhe, ein heftiges Klopfen, wohl ein Dutzend mal hinter einander. Die vier Gesichter fuhren blitzschnell danach herum.

»Potz Donner,« sagte Könneke, »jetzt drücke ich mich auch mit. Leben Sie mir gütigst wohl da oben!« Und er griff zu seinem Kalabreser.

Sie verließen das Haus durch das Seitenportal, zu dem Wellmer den Schlüssel hatte. Der Prinz informierte sich über die Fahrtrichtung der drei anderen und erbat sich höflich, aber mit jenem Tonfall, der Widerspruch ausschließt, die Erlaubnis, für die Beförderung derselben Sorge tragen zu dürfen. Ein paar Minuten später fuhren alle vom nächsten Droschkenstand in vier Richtungen auseinander, Wellmer mit einer ausgelöschten Laterne in der Hand.

Als der Gärtner früh aufstand, vermutete er, der Maler sei oben eingeschlafen. Er ging hinauf, fand die Lampe ausgelöscht, die Reste von Könnekes Nachtmahl – ihn selber nirgends.

»Mutter,« sagte er kopfschüttelnd unten, »der ist fort. Wenn den nicht wirklich der Deubel geholt hat, dann weiß ich nicht, wie er rausgekommen ist. Da bin ich jetzt doch neugierig.«


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