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XI

Frau Paula schwelgte in Offenbarungen. Jenes dämonische Etwas führte ihr jetzt, sobald sie wünschte, die Hand, wenn sie sich zum Schreiben vor ein Blatt Papier hinsetzte. Das stille Grauen, das damit verbunden war, übte einen um so größeren Reiz, je vertrauter es ihr wurde. Und eine brennende Neugier auf das Unbekannte, das noch aus ihrer Feder fließen würde, drückte ihr diese über Tag wieder und wieder in die Hand.

Sie verbarg die Blätter vor ihrem Manne, mit einer gewissen Scham über ihre Unbeherrschtheit – denn sie hatte ihm schließlich doch versprochen, in seiner Abwesenheit die Finger davon zu lassen – aber auch aus einem anderen Grunde noch, einem ganz wunderlichen Gefühl.

Sie beschäftigte ihre Seele da höchst intim mit einem zweiten Manne!

Denn sie war es nicht, die da schrieb – ganz ausgeschlossen. Das war eine ganz brutale männliche Persönlichkeit, von einer Überkraft, die sie betäubte, roh, schmutzig, manchmal voll boshaften Witzes, schlagfertig und drastisch, von einer Frechheit des Selbstgefühls, die übermenschlich erschien. Etwa im Stil von Heinrich Heine, sagte sich Frau Paula.

Das konnte doch nicht sie sein – auch keine »Unterströmung« von ihr, wie ihr Gatte wollte.

Sie fragte: »Bist du der Geist Heines?«

»Dumme Gans – ich bin Otto.«

»Ich danke für das Kompliment. Otto – wer ist das?

»Das geht dich gar nichts an; gib dir keine Mühe: wer ich bin, wirst du nie erfahren.«

Die Ungelenkheit der Schriftzüge hatte bald aufgehört, sie schrieb ziemlich leserlich und zusammenhängend, ohne abzusetzen, ohne Interpunktion und sonstige Zeichen, mit einer Schrift, die wenig von der ihrigen hatte und vielfach den Charakter wechselte. Manchmal plötzlich riesengroß, manchmal winzig klein. Das gespenstische Geschöpf in ihrem Finger versicherte auf ihre Frage, jenes bedeute erhobene Stimme, dies vertrauliches Flüstern.

Niemals kam der große Buchstabe F in der Schrift vor; einem Worte, das damit anfing, wurde irgend etwas vorgesetzt, gewöhnlich ihr Vorname: statt Finger Paulafinger, statt Flüstern Paulaflüstern. Sie selbst wurde ständig Paulafrau angeredet. Auf ihre Frage, warum das? kam die Erklärung: »Weil mir dieser Buchstabe zuwider ist. Ich war verrückt geworden und als man mich deshalb beobachtete, verlangte man, daß ich ihn schreiben solle, darüber ärgerte ich mich und kann ihn seitdem nicht leiden.«

Dennoch begannen auf Paulas Wunsch schließlich Versuche, das F zu schreiben, wie es denn zwischendurch immer wieder Schreibübungen gab; manchmal schloß ein Wortanfang mit wunderlichen Schnörkeln; manchmal war die Hand plötzlich wie tot und schrieb gar nicht, oder mit verständigen Antworten wechselte vollkommener Blödsinn.

»Du labberst wieder, Otto,« sagte Frau Paula.

»Jawohl, ich labbere ... labbere ... labbere ... für eine so alberne Schraube wie du bist, ist das gut genug.«

Aber gleich darauf schrieb er: »Du liebe ... liebe ... liebe Paulafrau.« Sie fühlte ordentlich seine Zärtlichkeit, glaubte dran, obwohl er auf ihre Frage, ob er ihr gut fei, versicherte: »Nicht im geringsten. Ob ich sage: du Gans, oder: liebe Paulafrau, ist ganz dasselbe. Ich liebe niemand.«

Überhaupt widersprach sich dieses Wesen beständig und mit voller Absicht. Auf eine Aussage, die wie eine Offenbarung aussah, folgte eine andere, die sie annullierte.

»Du hast wieder gelogen,« sagte Paula entrüstet.

»Ich lüge immer; alles, was ich sage, ist gelogen.«

Sehr merkwürdig war, wie zuweilen ein früherer Ausdruck korrigiert wurde: plötzlich fühlte Paula, wie die Hand einen Zug rückwärts bekam, die Feder zog einen Bogen irgendwohin, strich dort aus, setzte etwas anderes darüber und kehrte wieder um.

»Das bin ich doch nicht,« wiederholte Paula immer aufs neue, »daran habe ich doch nicht gedacht!«

Anheimelnd durch all diesen Wust von sinnlosem Quatsch, grotesker Weisheit, verblüffenden, zuweilen aufregenden Lügen und frechem Geschimpf zog sich eine Reihe von Bemerkungen, die wie mit warmem Freundesanteil ihr zusprachen, warnten, Rat gaben. »Du arme Paulafrau hast dich heute wieder ärgern müssen« ... »Du sollst jetzt nicht mehr schreiben, es greift deine Nerven an« ... »Otto findet, daß dein Mann heut nicht so aufmerksam gegen dich war, wie er gesollt hätte« ... »Du solltest heute nichts Süßes mehr naschen, es bekommt dir nicht« ... »Otto liebt dich, er wird bei dir bleiben, bis du stirbst, damit du dich nicht fürchtest« ... »Otto hütet Inge im Jenseits, bis sie sich materialisieren wird; er hat ihr heute ein Zuckerschäfchen geschenkt« ... »Wenn Inge geboren wird, so wird sie Ottos Kind sein, nicht Deines Mannes.«

Paula wurde schamrot, indem sie das schrieb. Immer tiefer wurzelte sich bei ihr das Gefühl ein, daß sich eine fremde Männerindividualität ihrer bemächtigte, beständig neben ihrem Ich stand, ihre ganze weibliche Schamhaftigkeit aufreizte und wiederum zugleich allmählich abstumpfte. Eine wunderliche heimliche Vertrautheit erwuchs da, die nicht ohne Süßigkeit war. Dies männliche Etwas imponierte ihr gerade durch seine Brutalität, sein mächtiges Temperament, seine rücksichtslose Frechheit, die jedes weiche Wort dazwischen zehnfach wertvoll und schmeichelhaft machten. Und dieser verführerische Liebhaber spekulierte obendrein auf ihr Mitleid! Sie bekam feuchte Augen: »Ich armer trauriger Geist, der bei Lebzeiten elend war, verlacht, mißhandelt, einsam, ohne Liebe, und der durch dich die Welt wieder finden, durch deine Sinne endlich etwas von all der Erdenschönheit genießen darf ...«

Sie blieb dabei, ihn mit Mitleidsarmen zu umfassen, auch nachdem er ihr dahinter spöttisch versichert, daß davon kein Wort wahr sei, den Mund voll nahm mit Schilderungen, wie appollinisch schön er gewesen, wie verführerisch für die Weiber, von feinsten Allüren, ein Mann der großen Welt, dem alle Genüsse zugänglich gewesen.

Sie fragte, ob er an Speise und Trank noch Genuß habe. »Nur an Honig und Rotwein: ich nasche davon soviel wie eine Fliege.« Und Paula setzte heimlich ein winziges Gläschen mit Honig und ein zweites mit Rotwein auf ihren Schreibtisch, glaubte aus den absetzenden Ringen zu ersehen, daß er öfters davon nippte, beim Kosten, daß der Geschmack sich verändert habe; ergänzte ab und zu – obwohl er erklärte, das alles sei Blödsinn, es fiel ihm nicht ein, etwas zu sich zu nehmen. Wenn sie ja in einem Anfall von Ärger die Gläser fortsetzte, schrieb ihre Hand gleich dahinter zehnmal: »Otto hat heute noch keinen Rotwein gekriegt«, und wenn sie wieder eingoß; schimpfte das Geschöpf, solchen Rotwein tränke er nicht, das sei eine Mischung aus Blaubeeren und Strychnin.

Seltsam: dieser Seelenfreund, dieser Manngeist war eifersüchtig auf ihren Gatten, haßte ihn! Wie berechnete Nadelstiche kehrten in abgemessenen Pausen Bemerkungen wieder, die ihn lächerlich machten, bespöttelten, jeden Wert an ihm in Frage stellten – so boshaft, niederträchtig, heimtückisch, daß sie die Feder hinwarf und aufstand.

Aber sie nahm sie dennoch immer wieder auf.

»Dein Mann ist mit ganz gleichgültig« ... »Er ist ein geistloser Kopf, der gelehrtes Stroh drischt« ... »Dein Mann ist dir untreu, er hat eine Frau in Charlottenburg, die Vilma Klein heißt, und drei Kinder« ... »Er ist ein dummer Gärtnerjunge, ein Hammelgehirn mit Hörnern davor« ... »Du müßtest doch merken, daß es mit seiner Liebe zu dir nicht weit her ist, sonst wäre er doch ganz anders zärtlich zu dir« ... »Er ist ein Schwächling; Otto ist ein ganz anderer Mann, aus ihm könnte man zehn solche machen« ...

Jede dieser Glossen ein Stich, der sie empörte, aber ein Gifttropfen darin, der nachwirkte. Sie fühlte, wie sie anfing scharfsichtig, kritisch gegen den Mann zu werden, den sie geliebt, bewundert. Sogar die Möglichkeit, daß er untreu, konnte sie bei allem guten Willen nicht mehr ausschließen.

Als sie ein Blatt mit solchen Bemerkungen zerriß, in den Papierkorb warf, ein neues Blatt anfing, wehklagte es: »Du hast meine Kinder gemordet ... du hast meine Kinder gemordet ... Fluch dir, du bist eine Mörderin ...

Ihr wurde eiskalt dabei.

»Das wird mir zu bunt, mein Lieber; wenn du so fortfährst, werde ich dich einfach kalt stellen.« Und sie setzte wieder die Feder an.

»Oho, das geht auch gerade, mich wirst du nicht mehr los, von mir kannst du nicht mehr lassen. Ich bin dein Herr und Gemahl, ich bin dein Gott, ich erdrücke deinen Willen. Ich mache dich so schlecht und gemein, wie ich selber bin, ich ruiniere deine Nerven ...«

Paula ließ die Feder fallen, zerriß entsetzt auch dies Blatt und stand auf. »Nie wieder; das muß ein Ende haben.«

Und sie ging, angeekelt und voll tiefsten Grauens, in das Nebenzimmer, ging auf und ab und suchte nach einem Entschluß. Sie wollte umkehren, die ganzen Papiere zerreißen, aber es kämpfte in ihr etwas dagegen ... »Nein.« Sie ging an den Flügel, nahm ihren Beethoven und schlug die Geistersonate auf. Mitten im Spiel blieb sie stecken.

Sie wird wieder anfangen zu malen, fleißig sein, die Zeit besser anwenden, als mit dieser unheimlichen Schreiberei.

Ihre Absicht, Könneke aufzusuchen, fiel ihr ein. Sie wird diese Absicht ausführen; es ist Vormittag und gerade noch Zeit dafür.

Sie klingelte dem Diener: er solle die Adresse im Adreßbuch ermitteln und eine Droschke besorgen, begab sich in ihr Schlafzimmer, um Besuchstoilette zu machen; das Mädchen gab ihr den Regenmantel um, als Peter zurückkehrte.

Der Tag war trübe, die Lust voll feinen Sprühregens: häßliches, fröstliches Wetter. Sie rief dem Kutscher die Adresse zu und stieg in das geschlossene Coupé.

Welch eine endlose Fahrt! Soviel müßige Zeit, um sie mit Gedanken zu füllen. Es ist unmöglich, mit seinem Kopfe nicht auf diesen Otto zurückzukommen. Und mit dem Finger! Es zuckte darin, kribbelte? aber sie wollte nicht. Einmal sah sie auf den Zeigefinger der rechten Hand, der ausgestreckt auf ihrem Knie lag – er fing an zu schreiben.

Rasch krampfte sie die Hand zusammen. Aber in ihrem Kopfe summte es mit weicher zärtlicher Stimme: »Du liebe Paulafrau ... du liebe, liebe Paulafrau ...«

Immer wieder.

Hinter Westend fing der Kutscher an, sich zu befragen. Niemand wußte recht Bescheid. Endlich doch ein Schutzmann. Diese Fahrt wird ein Abenteuer: ins Freie hinaus, über Feld. Das lenkte wenigstens die Gedanken ab.

Da war das idyllische Gärtnerhaus, und die Droschke lockte genug Gesichter ans Fenster, um sich rasch über die Könnekesche Wohnung zu vergewissern. Auch Frau Könneke hatte das Fenster geöffnet, und jetzt stürzte sie die Bodentreppe hinauf: »Karl, da kommt eine Dame in einer Droschke und will zu uns.«

»Schlage drei Kreuze, Laura, und empfange sie würdig, ich komme gleich. Sie scheint von wohlhabender Abkunft zu sein,« ertönte die Stimme des Malers, der auf eine Stunde zu seinem Bilde gegangen war; seit der Zusammenkunft mit dem Prinzen war er in gehobener Stimmung und bestrebt, fertig zu werden, abgerechnet, daß der Ertrag des Bilderbuches erschöpft war und Frau Lauras leidende Miene bereits wieder das erste Stadium des beginnenden Defizits andeutete.

Könneke band die Malschürze ab, legte den Fez beiseite und stieg in dem verschabten Sammetjackett langsam und gewichtig die knarrende Treppe hinunter.

»Mein Name ist Karl Könneke – womit kann ich Ihnen dienen?« sagte er mit Würde.

»Mein Mann ist der Universitätsprofessor Budde-Laßberg ...« Ihre Augen weiteten sich einen Augenblick – ihre Gedanken suchten ... »Wir sehen uns, wie ich glaube, nicht zum ersten Mal,« lächelte sie sichtlich überrascht. Sie hatte den Stuhl noch nicht besetzt, den Frau Laura geschwind mit der Schürze abgewischt und hingestellt hatte. Die großen Kinder waren noch in der Schule, während die beiden folgenden sich gegen das Sofa zu in Sicherheit gebracht hatten, wo sie mit offenen Mäulern standen; das kleinste lag im Schlafzimmer.

Auch in Könneke dämmerte die Erinnerung. »Ah, bei den Geistern ... dem Paar aus der Mulacksgasse ... waren Sie vielleicht einmal in der Mulacksgasse?«

»Nein; aber Sie haben inzwischen ja interessante Erfahrungen gemacht, der Prinz Georg hat mir davon erzählt.«

»So, so – Sie kennen Seine Hoheit näher – ist mir außerordentlich bedeutend. Ich male eben an einem Bilde, das er sich ansehen will; ein echter Könneke, gnädige Frau, habe mich mal wieder in die Riemen gelegt. Aber darf ich bitten, Platz zu nehmen? Vielleicht verdanke ich Hoheit den Vorzug ...?«

»Das nicht gerade ... ich male selbst ...«

»So so, Sie malen selbst,« sagte Könneke enttäuscht. »Sie sollten sich malen lassen!« fügte er begeistert hinzu. »Das wäre noch mal ein Vorwurf, der die Mühe lohnt.«

Frau Paula setzte sich, lächelte ... »Das ist am Ende nicht ausgeschlossen.«

»Goldgelber Hintergrund – braunes Sammetkleid – großartig! Haben Sie zufällig einen Dachshund? Nicht? Schade!«

»Darüber vielleicht ein andermal. Was mich heute herführt, Meister, ist der Wunsch, kurzgesagt: Ihre Schülerin zu werden. Ich bin nämlich Ihre verständnisvolle Bewunderin, seit ich versucht habe, ein Bildchen von Ihnen zu kopieren, das einer Bekannten von mir gehört.«

»Ach, das wird mein Mann ganz gewiß tun,« sagte Frau Laura beglückt– »Ja? Würden Sie?«

Könneke warf seiner Frau einen Vorwurfsvollen Blick zu.

»Gnädige Frau,« sprach er stirnziehend und die Quellaugen herausdrückend wie eine Flunder, »meine Zeit ist erstlich kostbar –«

»Darüber werden wir schon einig werden.«

»Hm – hm –« Er strich sein dünnes Barthaar. »Wie Sie aus meiner Wirtschaft ersehen, bin ich eine Art Mal-Diogenes. Ich verabscheue jede Art Luxus und bin für Abhärtung. Mein Atelier ist ein eigens für diesen Zweck hergerichteter Dachboden ohne Wärmeapparat, auf dem die Mäuse frei herumlaufen und der schon deshalb für Damen nicht benutzbar ist.«

»Aber da können Sie doch im Winter nicht malen?«

»Bitte sehr – mit Handschuhen ganz vortrefflich.«

»Da müssen Sie aber wirklich sehr abgehärtet sein. Wie schade, wie schade, da müßten wir den Unterricht auf den Sommer verschieben –«

»Karl, vielleicht kannst du zu der Frau Professor gehen,« unterbrach Frau Laura angstvoll.

»Ja? das wäre reizend. Einen Tag in der Woche, Meister, zwei Vormittagsstunden, während gutes Licht ist ... oder, wissen Sie was: Sie malen mich bei mir ... ich wußte übrigens nicht, daß Sie auch Porträt malen.«

»Selten,« sagte Könneke kopfwiegend, während Frau Laura einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. »Nur wenn das Objekt mich reizt. In diesem Falle – à la bonheur

»Also wäre es Ihnen recht so? Vielleicht zwei Vormittage in der Woche – Porträt und Unterricht?« Sie hielt ihm lächelnd die Hand hin.

»Hm« – mit einer Hand schlug er ein, mit der anderen nahm er wieder seine paar Barthaare zusammen – »aber die berüchtigten Könneke-Preise.«

»Fürchten Sie sich nicht, gnädige Frau, es ist nicht so schlimm,« beeilte sich Frau Laura zu unterbrechen.

»Liebe Laura,« sagte Könneke mit tiefer Stimme, indem er sie bedeutend anglotzte, »ich glaube, unser Jüngstes nebenan verlangt nach mütterlicher Unterstützung, möchtest du nicht einmal nach ihm sehen?«

Laura verstand, aber sie blieb hartnäckig. »Ich höre wirklich nichts, Karl, du hast dich geirrt.« Sie zitterte innerlich vor Aufregung.

»Wenn ich Ihnen zwanzig Mark für die Stunde zahlte?« fragte Frau Paula unsicher.

»Hm.« Könneke ließ ihre Hand los. Heimlich erwog er triumphierend, daß man an einem Porträt furchtbar lange malen könne. »Es ist ein weites Stück Weg für mich, verehrte Frau. Aber dann wenigstens ein ordentliches Stück Leinwand, daß man mal auslegen kann! Es muß ein pompöser Ausstellungsschinken dabei herauskommen, daß das Publikum in Haufen davorsteht und die Mäuler aufsperrt.«

»Gewiß; besorgen Sie das nur nach Wunsch! – Aber mein Himmel – vielleicht genügt Ihnen der Raum nicht, den ich mir als Atelier hergerichtet habe ... Wollen Sie nicht morgen einmal herankommen? Meine Wohnung steht auf der Karte da ...

»Morgen Vormittag; gut. Der Prinz muß dann eben Geduld haben.«

Paula erhob sich. »Ich will Sie nicht länger vom Arbeiten abhalten. Darf ich den geweihten Raum nicht einmal betreten, in dem Sie so Schönes geschaffen?«

»Ersteigen, Verehrteste! Wollen Sie's riskieren? Aber, wie gesagt, gegen Mäuse übernehme ich keine Garantie. Liebe Laura, säubere die jungen Könnekes, sie sollen der gnädigen Frau die Hand küssen.«

»Hier ist meine Tonne,« sagte der Maler, als beide den Boden betraten. Paula hörte ein Rascheln und hob unwillkürlich ihr Kleid, aber es war nur die Gärtnerkatze, die an den Sparren zu einer offnen Luke hinaufkletterte und durch diese verschwand. Die hohe, königliche Gestalt der schönen Frau hatte etwas von einer Göttin neben dem kleinen untersetzten Maler in dieser Dachhöhle, wie sie auf das Staffeleibild zuschritten. »Ach,« sagte sie, »das ist sehr schön. So etwas entmutigt mich immer; nicht das Fertige, sondern das Werdende. Das ist eine wunderbare Stimmung –«

»Nicht wahr? Die gelbe Stunde. Es ist eine Naturoffenbarung erster Güte. Ich hoffe, Hoheit läßt sich's nicht entgegen. Ich weiß nicht, ob er Kenner ist ... na, gnädige Frau werden ihm wohl ein Licht aufstecken.«

»Sehr gern, sobald er zu uns kommt ... Wie diese Farben sitzen, so befremdlich und doch so überzeugend – die Kinder mit den blauen Schattenflecken und an sich so übersonnt flach ...«

»Meine Ältesten,« sagte Könneke mit Vaterstolz. »Hier müssen sie stehen; ich härte sie ab, daß sie nackt aus dem Südpol Polka tanzen können, ohne zu erfrieren.«

Er mußte Paula noch einige Skizzen und liegen gebliebene Bildanfänge zeigen. Dann nahm sie Abschied und er begleitete sie zu der wartenden Droschke.

»Also auf Wiedersehen morgen!«

Könneke stieg mit befriedigter Miene händereibend wieder treppauf. Unten tat sich eine Tür auf und die Stimme der Wirtin rief: »Na, Herr Könneke, Sie hatten ja feinen Besuch; hats ein gutes Geschäft gegeben?«

»Massenhaft, Frau Schotte. Wissen Sie zufällig einen guten Bankier, der nicht Pleite macht? Ich möchte ihn anpumpen. Aber diesmal wirfts wirklich eine Stange Gold ab.«

»Na, das freut mich.«

»Dito, danke für gütige Nachfrage.«

Oben kam Laura aus der Tür und fiel ihm schluchzend um den Hals. »Gott, Karl, das ist ein Glück, am Ende wirds noch mit uns.«

Könneke machte sich sanft los, zog sein rotes Taschentuch heraus, wischte ihr die Augen, putzte ihr dann die Nase und sagte: »Du bist verrückt, mein Kind.« Worauf er sie stehen ließ und wieder zur gelben Stunde hinaufstieg.

Paula fuhr den endlosen Weg zurück. Der Regen blitzte und rann auf den geschlossenen Fenstern des Coupés. »Du liebe, ließe Paulafrau,« sagte es in ihren Ohren. Dieser arme, starke, frech-trotzige Geist, der im Leben so elend gewesen und den sie zum ersten Mal glücklich machte ... der sie liebte ... Eine seltsame Zärtlichkeit kam über sie. »Du liebe, liebe Paulafrau!«

Ihr Zeigefinger kribbelte immerzu. Nein! Er mußte eine Lektion haben. Er durfte sich dergleichen wie zuletzt nicht wieder herausnehmen.

»Du liebe, liebe Paulafrau!«

Als sie ihre Wohnung betrat, war es Essenszeit, der Professor schon zuhause. Sie legte rasch ab und ging um ihr Haar zu ordnen. Und während sie sich kopfwiegend kokett im Spiegel prüfte, legte sie den Zeigefinger auf die Platte des Toilettentisches und lächelte aufmerksam, als gälte es, eine ferne Stimme zu hören.

»Otto hat heute noch seinen Rotwein gekriegt« – schrieb der Finger.

Sie lachte laut aus und sagte draußen im Vorbeigehen zu Peter, sie wünsche zu Tisch Rotwein zu trinken.


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