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Frost im Frühling

Blüten

Droben – blauer Himmel, schimmernde Wolkenschäfchen und schmetternder, ununterbrochener Lerchengesang; drunten – frisches Grün, weiße Blüten, Duft, Duft, fleißige Hände und Jubel in den Herzen.

Fleißige Hände, Jubel im Herzen – ob das wohl bei jedermann zutraf? Kaum zu glauben ist's, sicherlich jedoch war dies der Fall bei dem Andr aus dem Wanag-Gesinde. Denn obgleich die Sonne erst die Frühstücksstunde verkündigte, war schon das große Feld, eine flache Erhöhung inmitten einer Wiese, bis zur Hälfte aufgepflügt, und das gerötete Gesicht des Burschen, sowie das dampfende Rösslein bezeugten, dass diese Arbeit nicht ohne Mühe geschehen war. Nachdem er die Furche bis zu einem Faulbaum geleitet, welcher als dichter Busch seine Blüten am Raine wiegte, hielt der Bursche seinen Grauen an, hob den Pflug, stieß ihn kräftig in die Erde und ging und warf sich im Schatten des Faulbaumes in's Gras. So kräftig war der süßbittere Duft der Blüten, dass er ihm beinahe unangenehm wurde. Er zog sein Messer hervor, schnitt sich einen niedrigen, vollen Zweig ab und wälzte sich ein wenig vom Busche weg. Dann nahm er sich die Mütze vom Kopf, begann lustig zu summen und wand die Blüten um den Mützenrand.

Raidaidaida! Die aufgeputzte Mütze flog in die Luft, fiel in das glänzende Grün der Wiese nieder und der Bursche lachte. Die dumme Mütze, da lag sie nun und wusste nicht, ob Lerchen trillerten oder ob Herbststürme heulten. Trala, lala, lala! O, das schöne Wetter, das Wetter – das Herz hüpfte einem vor Freude … Andr streckte sich rücklings aus, schloss die Augen, lächelte und lag so eine Weile da: Die Sonne erwiderte sein Lächeln, küsste seine blühenden Wangen und trocknete seine feuchte, weiße Stirn.

Endlich hob der Bursche wieder den Kopf, stützte ihn mit der Hand und blickte nach dem Berge, hinter dem der Schornstein des Gesindes sichtbar war. Eine dünne Rauchsäule verriet, dass warmes Frühstück bereitet wurde. Wer wird es wohl nach unten bringen? dachte er. Sie? Ach, lieber Himmlischer, mach, dass sie kommt und nicht die alte Lihse oder Annule! Und Andr sah unverwandt nach dem Berge hin und erblickte dort oben nach einigem Warten ein hellrosa Tüchlein, eine dunkelrosa Jacke, eine weiße Schürze und einen grauen Rock. Sein Lächeln wurde noch heiterer und seine Augen begleiteten das Mädchen den. Berg herunter, über die Wiese und wandten sich nicht von ihr, als sie das in ein weißes Tuch gebundene Frühstück im Schatten des Faulbaumes auf die Erde stellte.

»Komm essen«, sagte sie, stand da und lächelte sich mit den Blütentrauben über's Gesicht. »Ach, ach, was für ein würziger … dass es nicht alt wird, Andr. Es gibt Mehlbrei mit Fleisch. Und Kartoffeln.«

»Bring's her«, sagte Andr mit freundlichem Necken.

»Ei sieh mal den Faulpelz! Fällt dir sogar das Aufstehen schwer? Ist es denn in der Sonne besser als hier?

»So nah ist mir der Geruch zu stark«, antwortete der Bursche und das Mädchen nahm das Frühstück und setzte es an seiner Seite nieder. Andr griff nach ihrer Hand, aber gewandt entzog sie sich ihm und sprang mit einem kurzem Satze zur Seite.

»Spitzbube!«

Der Bursche lachte herzlich auf, knüpfte das Tuch los und begann zu essen.

»Isst du selbst nicht mit?«

»Hab schon zu Hause gegessen.«

»Ach so … Aber einen kleinen Bissen könntest du trotzdem noch … zusammen mit mir. Du bist ja bereits wieder ein Stück gegangen.«

»Nein, nein.«

»Hier ist ein hübsches, mageres Stückchen. Das guckt dich so freundlich an. Dessen könntest du dich wohl erbarmen.«

»Lass es nur bleiben. Iss nur allein.«

»Nun dann geh, hole mir deine Mütze.«

»Wo ist sie denn? … Ach dort. Hast du sie einem Vogel nachgeworfen? Und geschmückt! Du sagtest ja, der Geruch sei dir zuwider?«

»Vom ganzen Busch, aber nicht von einem Zweige. Zuviel: dann ist er bitter. Von einem Zweige: dann ist er angenehm. Das ist ganz so wie mit Dir.«

»Was? Wie – mit mir?«

»Siehst du, wenn du zu viel … wen du dich zu viel zierst, dann bist du nur bitter, wenn du aber so ein ganz klein wenig tust, dann gefällst du mir.«

»Hm. Ich gefalle ihm … Da hast du deine Mütze.«

Sie warf sie ihm zu und warf so geschickt, dass sie Andr gerade auf den Kopf fiel.

»Nun, wie war das?«

Andr rückte die Mütze zurecht und winkte dann dem Mädchen, dass es sich setzen möge.

»Komm doch, sei so gut.«

Das Mädchen ließ sich am Feldrande nieder, jedoch nicht in Andrs nächster Nähe und sah ihn mit schelmischen Blicken an.

»Nun sitze ich. Nun, was wird's jetzt geben? Weshalb hast du dir die Mütze so geschmückt?«

»Weshalb?« … Der Bursche schwieg eine Weile und sagte dann mit fester Stimme: »Deshalb, weil ich die Leene freien will.«

Freien? Die Leene? Welche Leene?«

»Dieselbe, die dort auf dem Raine sitzt.«

»Oho Bruder! Also so!«, rief das Mädchen in scherzhafter Weise die Worte übermäßig dehnend. »Sieh' mir einer an die Dreistigkeit. Wenn du nun aber abgeblitzt wirst, Bruder, – was dann, Bruder?«

»Weswegen soll ich denn abgeblitzt werden? Meinst du, dass ich ihr nicht gefalle?«

»Ach, über das Gefallen … aber … aber … aber …«

»Nun, was sonst? Gibt's andere, bessere Fresser? Gefällt ihr so'n Dreiundsiebziger, der so oft ums Gesinde herumschleicht …«

»Du bist wohl nicht recht gescheit mit deinem Dreiundsiebzigen. Dem fällt auch im Traum das Heiraten nicht mehr ein. Aber freilich, du weißt, es gibt andere Freier auch.«

»Und bessere?« forschte Andr mit etwas unsicherer Stimme aus.

»Ach, bessere! Aber sie will noch nicht. Sie ist noch so jung. Die Mitgift ist noch nicht fertig, die Ehebettdecke noch ungewebt …«

»Ich bin auch mit einer alten Pferdedecke zufrieden, wenn sie mich nur mag.«

»Du! Das glaub' ich! Wer weiß, womit du nicht zufrieden wärst. Aber so gehen die Sachen nicht. Alles muss seine Art haben.«

»Art, Art! Hör mal, Leene, du wirst mich noch mit deiner Art verrückt machen! So sag' doch nur einmal, weshalb du mich nicht heiraten kannst?«

»Fang' nur wieder nicht an zu jammern. Dann geh' ich den Augenblick fort. Schau doch, was das für eine Luft ringsum ist und bei solch einem Wetter kannst du an's Heiraten denken!«

»Aber gerade zu einer solchen Zeit … wo du, Menschenkind, das Auge hinwendest, da siehst du … ach, an solchen Tagen gehst du mir gar nicht aus dem Sinn. Liebes Leenit, sag' doch Ja, sag' doch Ja.«

»Bist du schon satt?«

»Ich bitte, dass du Ja' sagst.«

»Und ich frage, ob du schon gegessen hast? Ich gehe nach Hause.«

»Wart', wart', wart', ich esse ja noch«, rief Andr und begann wieder zu essen, nur um Leene noch ein Weilchen in seiner Nähe zu haben.

»Dich hat wahrscheinlich der Wirt angesprochen?«, bemerkte er sichtlich gedrückt.

»Angesprochen hat er mich, gewiss«, versetzte Leene. »Aber diesen pockennarbigen Affen … hm … den nehm' ich nicht, nein, nie.«

»Aber er ist doch ein tüchtiger Mensch, der sein gutes Auskommen hat«, fuhr der Bursche fort, in der Absicht, noch vollständiger ihre Meinung über dem Nebenbuhler zu erfahren.

»Tüchtiger Mensch, der sein gutes Auskommen hat? Tüchtiger Mensch, gutes Auskommen! Wenn ich mich mit einem jeden tüchtigen Menschen, der sein gutes Auskommen hat, hätte verloben wollen, dann könnte ich jetzt aus meinen Ringen eine Kette schmieden. Tüchtiger Mensch, gutes Auskommen – Unsinn!«

»Nun so wird dir am Ende nichts anderes übrigbleiben, als mit mir zum Pastor zu gehen«, sagte Andr, klappte sein Messer zusammen, zwirbelte seinen hübschen Schnurrbart auf und sprang in die Höhe.

Im selben Augenblick stand auch Leene wieder auf den Füßen.

Sicher lächelnd näherte sich ihr der Bursche.

Leene wich gegen den Busch zurück.

»Was kommst du!«, rief sie aus. »Komm nicht! Ich dulde das nicht! Ich wickle mir die Schürze um den Kopf.« Und sie lief hinter den Busch, wo Andr sie einholte und umarmte.

»Andr!«, rief das Mädchen unfreundlich. »Einen Kuss kriegst du doch nicht.« Sie warf sich die Schürze über den Kopf, er aber riss sie weg und küsste Leene wiederholt auf den Mund. Nun sträubte sie sich nicht mehr und als Andr sie von neuem freundlich fragte, ob sie ihn wolle, antwortete sie leise: »Ach, was fragst du nur so viel, du weißt es ja wohl, das ich keinen andern heiraten werde.« Als er sie aber wieder losgelassen hatte, rief sie trotzdem: »Ach, du Hundeschnauze!«, ergriff das leere Schüsselchen und das Tuch und eilte über die Wiese den Berg hinan.

Das unverzehrt gebliebene tüchtige Stück Brot an das Rösslein weggebend, begleitete Andr das Mädchen wieder mit den Blicken, bis der graue Rock, die dunkelrosa Jacke und zuletzt das hellrosa Kopftuch hinter dem Berge verschwunden waren.

Dann reckte er in überquellendem Kraftgefühl die Hände empor … Ah … Das Leben! … Das Glück! … Die prächtige Sonne! … Das Glück! … Das Glück! …

»Meine Blume!«

Und ein Liedchen pfeifend, fing er wieder an zu pflügen.

Frost

Gleichzeitig mit Leene – jedoch nur von der anderen Seite – betrat das Gehöft des Wahag-Gesindes Vater Mahlneek, ein langer, trockener Greis, dessen Anwesen, vom Wanag-Gesinde gegen Norden gelegen, in einem Tal am Rande eines Birkenhaines zwischen Eichen- und Obstbäumen sich ausbreitete.

Er war sorgsam gekleidet und grüßte das Mädchen in einem sonderbaren Ton, warf ihr einen sonderbaren Blick zu und trat in's Haus.

Leene tat das Geschirr samt dem Tuch beiseite und begann in der Küche zu hantieren, indem sie dabei dachte, dass Mahlneek für sein Alter in letzter Zeit eigentlich zu oft den Wanagsberg heraufsteige.

Da kam der Wirt in die Küche.

Er war rot und schien ein wenig betreten.

»Denk' dir, Leene«, stieß er schnell hervor, »das alte Lu- der alte Mahlneek ist zu dir gekommen.«

»Was? Was?«, fragte das Mädchen unaufmerksam.

»Mahlneek will mit dir sprechen«.

»Du siehst doch, dass ich keine Zeit habe. Lass ihn in die Küche kommen.«

»Versteh doch, er ist gekommen … er will dich heiraten«.

»Heiraten?«

Leene stützte sich an die Herdmauer. Ihre rosigen Wangen wurden blass und nach einer Weile murmelte sie: »Das kann nicht sein.«

»Komm, sprich dich mit ihm aus«, sagte Wanag und verzog das Gesicht, Leenes Erbleichen bemerkend.

»Mein Gott!«, rief Leene. »Was soll ich mit ihm reden! Ist er verrückt? Hilf Gott, hilf Gott!« Und sie begann vor Scham zu lachen.

»Komm, komm«, versetzte der Wirt mit kaltem Ton. In Leenes Lachen lag etwas, das ihn verletzte.

»Wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich sagen soll! Ich schäme mich! So ein Alter! Was denkt er sich wohl! Verrückt, wirklich ganz verrückt! O Gott, o Gott, o Gott, o Gott!« Und wieder lachte sie und die Gedanken flogen ihr wirbelnd durch den Kopf … Zweiundsiebzig Jahre … Witwer … Erbgesinde voll ausgezahlt … keine Kinder … vier schöne Stuben und ein Vorhaus mit Glaswänden … Nach drei, vier Jahren ist der Alte tot … vielleicht nach einem Jahr … Und viel Geld soll auch noch da sein … Und ein Apfelgarten … und Pflaumen und Kirschen und Weinranken an der Sonnenseite des Hauses und der Alte ist vielleicht schon nach einem halben Jahr tot … o, Gott, o, Gott, und Andr …

»Ich melde, dass du kommst«, sagte Wanag eisig und verließ die Küche.

Mit heftig klopfendem Herzen wusch sich Leene die Hände, netzte auch das Gesicht, obschon sie sich am Morgen gewaschen hatte und trocknete sich sorgfältig ab. Dann ging sie in die Gesindestube und setzte sich auf ihr Bett. Sie war gänzlich verwirrt. Sie durfte dem Alten doch nicht zusagen. Nein, nein, was würde dann Andr, was die Welt … Aber abweisen, – einen solchen Reichtum abweisen, welches Mädchen täte das wohl?

Wenn sich doch jetzt jemand fände, der Rat wüsste, dachte sie, wenn jemand nur sagen könnte, wie lange der Satan noch leben wird? Zwei Jahre? Drei Jahre? Mehr als vier Jahre gewiss nicht. Sechsundsiebzig … Das ist ein hohes Alter. Wird Andr so lange warten? Nein, nein, Mahlneek wird so lange nicht leben. So lange lebt selten einer … Aber wer kann's wissen? Er ist ein Marnn der alten Zeit … aus einem starken Geschlecht. Wenn er bis in die Achtzig hineinlebt? Nun – dann könnte man – pfui, was für Gedanken … mag er gehen, woher er gekommen, wenn man nicht wissen kann, wann er sterben wird.

Leene wollte sich erheben und die Stube verlassen, allein die Beine versagten ihr und sie blieb sitzen. Sie saß und saß und erglühte und erbebte, bis sich endlich die Tür zur Stube des Wirten öffnete, Wanag herauskam und sagte: »So geh' doch hinein«.

»Bei Gott, ich weiß nicht, ob ich soll oder nicht soll?«

»Wovor fürchtest du dich denn? Mitnehmen kann er dich doch nicht sofort«.

»Ja, aber …«

»Ach, tu doch nicht so! Du bist doch sonst nicht so … geh' hinein!«, sagte der Wirt beinahe zornig.

Das Mädchen erhob sich und schritt langsam über die Stube und verschwand hinter der Tür des Wirtenzimmers.

Mit einer tiefen Falte über der Nasenwurzel blickte ihr Wanag nach. Verfluchter Reichtum! Und er ging hinaus und schritt unruhig im Gehöft auf und nieder. Sie wird doch wirklich nicht so wahnsinnig sein?

In der Stube blieb Leene an der Tür stehen und vermochte nicht die Augen emporzuheben. Sie bereute es, überhaupt eingetreten zu sein. Sie schämte sich dermaßen, dass sie in die Erde gesunken wäre.

Mahlneeks Verhalten war das durchaus entgegengesetzte. Mit ruhigem Wohlgefallen betrachtete er Leenes rosiges Antlitz, nickte mit dem Kopf, als ob er damit etwas früher Gedachtes bestätigen wollte, und fuhr mit seiner trockenen, knochigen Hand glättend über sein Knie.

»Komm doch näher«, sagte er dann und wies auf einen Stuhl. »Der Wirt hat dir doch gemeldet, weshalb ich hergekommen bin?«

Er wartete auf Antwort, aber Leene rührte sich nicht und blieb stumm.

»Gleich nach dem Tode meiner zweiten Frau gedachte ich wieder zu heiraten«, fuhr Mahlneek fort. »Ich bin daran gewöhnt, von Frauenhänden gepflegt zu werden, und es fällt mir schwer, ohne sie auszukommen. Aber ich habe bisher keine gefunden, die mir nach dem Sinn wäre. Was da jung ist, das ist mir zu fahrig; was ältlich, zu träge. Und allen gleichmäßig fehlt es an dem nötigen Verstande für eine große Wirtschaft. Meine beiden Verstorbenen waren kluge und vernünftige Wirtschafterinnen, eine solche suche ich jetzt mir auch. Das zweite Jahr bereits beobachte ich dich, und sehe, du bist nicht wie die anderen Dienenden. Du hast den Geist einer Wirtin. Als du es selbst gar nicht merktest, beobachtete ich dich und wog deine Tugend ab. Wenn du das Vieh hütest, brüllst du nicht unnütz, wie es meine Mägde und eure Hüter, Groß und Klein, tun. Das Vieh versteht es zwar nicht, ob man es schimpft und verflucht oder ob es … ob man ihm liebliche Worte sagt. Das ist ihm einerlei. Aber des Menschen Herz lässt sich aus solchen Worten erkennen … Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über. Sitzen einem Kröten drin, so fliegen sie ihm auch über die Lippen … Und ingleichen du das Maul im Zaum halten weißt, ingleichen weiß auch deine Hand, was sich schickt. Ich rede nicht davon allein, dass du nicht unnützerweise schlägst. Zu deinen Fingern ist für alle Dinge ein richtiges Maß. Das Salz ist ein billiges Gut. Aber hättest du deswegen jedes Mal die Grütze versalzen? Das Wasser haben wir umsonst. Aber hättest du deswegen jemals das Brot zu dünn eingeteigt? Für andere Mädchen ist das ein Nichts. Wie's gerät, so ist es recht. Du verlässt dich nicht auf gut Glück, du tust alles mit Bedacht. Das zeigt den Geist einer Wirtin. Wie denkst du denn nun über das Mahlneek-Gesinde? Möchtest du dort nicht die Wirtin sein?«

Glatter, als es mit diesen Worten geschah, hätte der Alte dem Mädchen den Weg in das Mahlneek-Gesinde nicht ebnen können. Sie fühlte sich mächtig erhoben durch dieses unerwartete Lob und ihre Scham begann zu verfliegen. Acht Jahre mochte er bereits Witwer sein, acht Jahre hatte er vergeblich gesucht, bis er sie gefunden hatte. Das war eine Ehre.

»Nun, was meinst du?«

»Ich weiß nicht. Ich hab' mich noch nicht bedacht«, antwortete Leene zögernd.

»Was ist hier viel zu bedenken! Die Sache ist klar. Ich bin ein alter Mahn, der eine Pflegerin nötig hat. Das ist eins. Das Gesinde hat eine vernünftige Wirtin nötig. Das ist das andere. Für diese zwei … zwei … wie sag ich's doch? Ämter erhältst du nach drei, vier Jährchen das Mahlneek-Gesinde zu erb und eigen. Länger werde ich wohl nicht leben. Mein Vater starb mit neunundsechzig, mein Größvater im dreiundsiebzigsten. Meine Zeit ist ja bereits auch da und klüger wär's getan, an einen Sarg zu denken als an … an … aber was tust du, Mensch: Siehst du, hab' solche Schrullen: Ich kann es nicht ertragen, dass auf meinem Gesinde, während ich noch die Augen offen habe, keine Ordnung herrscht. Hab' es ausprobiert, so und so. Aber fremde Hände bleiben fremde Hände, zahl' du ihnen so viel du willst. Siehst du, deswegen hab' ich beschlossen, wieder zu heiraten. Klar setze ich dir die Sache auseinander. Wir werden leben wie Vater und Tochter, wie ein Kind mit dem Vater. Was ist da also länger zu bedenken? Komm, gib mir die Hand und sage ›Ja!‹«

Mahlneek sprach so verständig, seine Stimme klang so überzeugend, dass es Leene bereits so zu Mute war – zu gehen und die Hand zu reichen. Andr konnte ja warten. Eines solchen Gesindes wegen konnte man drei oder vier Jahre warten. Und länger würde Mahlneek nicht leben, er sagte es selbst und er sagte doch das, was erfühlte. Ein Heuchler war Mahlneek nicht. Leene hob die Blicke – und zuckte zusammen. Dort am Tische saß ein Greis mit kahlem Hinterkopf und spärlichem gelblichem Haar und Bart, einem runzligen Gesicht und matten, wie in Fett schwimmenden Augen. Seine Lippen waren bloss, die Zähne lang, schwärzlich und schief. Ein Ekel erschütterte Leene. Die Frau dieses Alten! Nimmermehr! … Aber das Gesinde! Das Gesinde und das Geld und ein freies und leichtes Leben. Ach, ach, ach, ach!

»Komm, komm, gib mir die Hand und sage Ja!'«

»Ich weiß nicht … ich weiß nicht … wir werden wahrscheinlich nicht zusammenpassen.«

»Ei, weshalb denn nicht, so red' nicht. Ich bin ein Mensch, der Frieden hält, und du bist auch nicht eine, die das Feuer in der Schürze umherträgt: Du wirst mich doch nicht abweisen? Wenn ich das geahnt hätte, dann … dann … die Wahrheit gesprochen, es ist da noch eine andere auch, an die ich gedacht hab'. Die ist noch jünger als du, taugt nicht so für mich und gefällt mir auch im Ganzen nicht so wie du. Aber nehmen würde sie mich, das weiß ich ganz genau. Ich kann dir auch ihren Namen nennen. Es ist des Staklu-Wirten Jüngste. Soll ich nun den Weg von dir zu ihr nehmen? Die Schande wirst du mir doch nicht bereiten?«

»Geh nur«, wollte Leene sagen, aber ihre Zunge bewegte sich nicht. Der Mund war ihr ganz trocken. Des Staklu-Wirten Jüngste! Die war zwei Jahre jünger als sie, ein hübsches Mädchen und wohlhabender Eltern Kind. Und die wollte den Alten heiraten! Weshalb der Tochter des Staklu-Wirten den Vorteil gönnen, der ihr selbst angeboten wurde? Was werden die Leute sagen, wenn sie erfahren, dass sie sich solch ein Glück hat entgehen lassen? Werden sie überhaupt glauben, dass Mahlneek sie angesprochen hat? … Und Leene ließ wieder den Kopf sinken, biss sich in die Unterlippe und quälte sich ab, die richtige Antwort zu finden.

Nachdem er eine Zeitlang geschwiegen, fuhr Mahlneek wieder fort:

»Dein Zögern verstehe ich ganz gut. Wenn du bisher an das Heiraten dachtest, so standen dir nur junge Männer vor Augen. Und nun kommt zu dir statt der Jungen so'n alter Kerl, wie ich. Das hat dich so wie erschreckt, du bist so wie … so wie … betrogen und das Herz schreit: nein und nein! Aber der Stimme des Herzens kann man nicht jedes Mal nachgeben. Bedenke wohl, was du von dir weisest. Ich hab' ein Gesinde, für das man mir bietet – jederzeit, ungefragt – zwölftausend Rubel. In barem Gelde liegen mir auf der Bank zehntausend. Die hab' ich mir noch in jener Zeit erspart, als ich mit Holz handelte. Alljährlich nimmt mein Vermögen mindestens um fünfhundert Rubel zu. Außer einem Tausend, das ich meinem einzigen Taufsohn zugedacht habe, will ich dir alles, was ich besitze, noch vor der Hochzeit in meinem Testament verschreiben. Das ist für uns einfache Bauern ein großer Reichtum. Ich prahle nicht damit, aber ich sage, wie es ist. Liebe, – freilich, die kann man auch nicht für doppelt so viel erkaufen. Aber ein freundliches Gesicht und weiche Hände für alte Knochen … ich glaube, dass vier, fünf Tausend Rubel jährlich für ein freundliches Gesicht und milde Hände ein Lohn ist, den man nicht verschmähen sollte. Das Wirtschaften im Mahlneek-Gesinde bezahlt sich noch besonders.«

Während dieser Worte warder Alte aufgestanden und hatte sich Leene genähert, die wie kraftlos gegen die Wand zurückgesunken war. Zehn und zwölftausend Rubel! Welch ein ungeheures Geld! Für so reich hatte niemand den Mahlneek gehalten. Und nach einigen Jahren damit frei schalten können! Das Blut stieg Leene kochend zu Kopfe und plötzlich fühlte sie, dass Mahlneek ihre Hand in der seinen hielt. Hatte sie ihm dieselbe gereicht, hatte er sie selbst ergriffen – sie wusste es nicht, sie hörte nur noch, wie er sagte: »Du bist ein vernünftiges Mädchen, Leene, du wirst es nicht bereuen«, und dann befand sie sich allein in der Stube.

Vollkommen betäubt trat sie an den Tisch und sank in den Stuhl, auf dem der Freier gesessen hatte und stützte den Kopf in beide Hände. War es denn wirklich und wahr? Hatte sie eingewilligt, einen so alten Mann zu heiraten? Nein, o nein, nein, das war ja nicht möglich, sie hatte sich versehen, das übermäßig viele Geld hatte sie dumm gemacht … So musste sie also all dem Reichtum entsagen? Ach nein, ach nein, das war auch nicht möglich … und dennoch, dennoch musste sie entsagen – sie musste, sie musste entsagen …

Nach einer Weile hob sich die Türklinke mit Geräusch und Leene fuhr auf und wandte sich um. Wanag war eingetreten. Mit einem halb spöttischen, halb verächtlichen Lächeln sah er das Mädchen an, näherte sich und reichte ihr dann die Hand.

»Ich höre … ich hörte soeben solch eine … sehr fröhliche Nachricht. Ja, ja, Leene, wer hätte das gedacht. Ein solches Glück … so groß … da haben ja Glückwünsche keinen Raum mehr.«

In seinen Worten klangen derselbe Spott und dieselbe Verachtung, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelten und verletzten heftig Leene's aufgeregte Gefühle. Weshalb durfte er also mit ihr reden? Sie war doch nicht daran schuld, dass Mahlneek sie angesprochen hatte. War es denn eine Unehre, ihn zu heiraten? Warum verhöhnte er sie? Geschah es nicht deshalb, weil sie eine arme, niedrige Magd war? … Und mit unbezwinglicher Gewalt ergriff sie das Verlangen, herauszukommen aus dieser Stellung, höher zu steigen als andere, sich über das ganze Gebiet, über die ganze Umgegend zu erheben und den Wanag sich tief zu Füßen zu sehen. Und in dem gleichen Ton, in dem der Wirt gesprochen und mit dem gleichen, spöttisch-verächtlichen Lächeln, das er gelächelt, versetzte sie:

»Ja, nun hab' ich mich dem Glück in den Schoß gesetzt. Nun werde ich zehn und zwanzig Mal reicher sein als die künftige Wanag-Wirtin!«

»Natürlich, natürlich – an der Seite eines zehn und zwanzig Mal älteren Mannes«, bemerkte Wanag.

»Hm! Du kennst doch das Sprichwort: Lieber unter eines alten Mannes Bart, als unter eines jungen Burschen Peitsche – in die vielleicht noch der Mangel seine Knoten geflochten!«, gab Leene zurück und wandte sich zur Tür. Dieselbe öffnete sich und Mahlneek trat in die Stube.

»Der Junge kommt schon mit dem Korbe«, sagte er heiter und erklärte, dass er in Voraussicht eines günstigen Ausfalles seiner Werbung ein paar Flaschen Wein in einen Korb getan und einen Knaben beauftragt habe, aufzupassen, wenn er vom Gehöft aus winken würde. Dann sollte der Korb heraufgebracht werden.

»Wir müssen doch ein Glas auf das Wohl der künftigen Wirtin leeren.«

»Ich weiß nicht, ob das nötig wäre«, bemerkte Leene mit leiser Stimme.

»Gewiss, gewiss«, versetzte der Alte und bat Wanag, er möge für Gläser Sorge tragen.

Wanag besaß keine Weingläser und stellte ein kleines, ungeheuer dickes Schnapsglas auf den Tisch.

»Was sollen wir dann mit dem Fingerhut beginnen!«, lachte Mahlneek. »Fort, fort damit – gib, Nachbar, Teegläser.«

Der Wirt holte die geforderten Gläser aus dem Schrank und bald darauf war auch der Wein da.

Leene setzte zum ersten Mal im Leben guten Wein an ihre Lippen. Bedächtig kostete sie ihn und nachdem sie gefunden, dass er ihr schmeckte, nahm sie einen tüchtigen Schluck. Auf Mahlneeks Zuspruch trank sie dann noch wiederholt und empfand, wie eine eigentümliche, angenehme Wärme ihren Körper durchrieselte. Ihr Ärger gegen Wanag legte sich und die Unruhe des Herzens schwand – ihr erschien es nicht mehr übel getan, was sie getan hatte. Sie trat an's Fenster, durch welches man einen Ausblick auf das Mahlneek-Gesinde hatte und weidete ihre Augen an dem schönen Bilde, das da unten sich darbot. Wie gefällig sich dort die roten Dächer des Wohnhauses und der Kleete von dem dichten Grün der Bäume abhoben, wie im Hain die weiße Rinde der Birken glänzte und das gewundene schmale Flüsschen schimmerte! Leenes Herz schwoll in stolzer Freude! Dort wird sie nun nach ihrem Sinne wirtschaften, ganz nach ihrem Sinne, dort wird sie befehlen, denn das alles wird ihr gehören! O, du himmlischer Vater, wer sich das erträumt hätte!

»Wirst du den Leuten im Hause nicht auch zu einem Glas herumreichen?«, fragte Mahlneek, zu Leene herantretend. »Wein ist noch genug da.«

»Ja«, antwortete das Mädchen, »aber vorhin war niemand in der Stube.«

»Ich werde sie zusammenrufen«, beeilte sich Wanag zu sagen und ging hinaus. Draußen sagte er dem Mahlneek'schen Jungen, er möge bis zum Abhang laufen und Andr zupfeifen, dass er nach Hause komme, und suchte selbst das übrige Gesinde zusammen.

Unterdessen stand Leene noch immer am Fenster und blickte ins Tal, Mahlneek dagegen setzte sich an den Tisch. War es der Wein, der so wirkte, oder das Glück des Bräutigams, aber er sah jetzt um ein Bedeutendes jünger aus als vorhin. Die Spitzen seiner Wangen erschienen leicht gerötet und in seinen Augen, die er nicht von Leene verwandte, glühte ein eigentümliches Feuer. So saß er eine Weile da, ohne ein Wort zu sagen und horchte, wie die Lerchen draußen sangen. Oder hörte er sie nicht? … Dann erhob er sich und tat ein paar zögernde Schritte, um sich Leene aufs neue zu nähern. Es trieb ihn etwas wenn nicht mehr, so doch die Hand auf ihren Kopf zu legen und ihr kosend über das volle Haar zu fahren. Aber er blieb stehen, zauderte, und setzte sich wieder an den Tisch. Hier war die Hitze der Jugend nicht am Platz, hier dürfte nichts übereilt werden. Und er saß und betrachtete seine Braut und lächelte glücklich.

Dann meldete Wanag, dass das Gesinde gesammelt sei.

»So lass uns gehen«, sagte Mahlneek und erhob sich. »Du, Leenit, nimm das Glas und traktiere.«

Leene ergriff ein Glas und eine Flasche, Mahlneek selbst nahm auch eine Flasche und alle drei begaben sich in die Gesindestube. Wohl trug Leene ihren Kopf hoch, im Herzen erbebte ihr aber dennoch die Frage: Was werden die nur alle sagen?

»Ich muss ihr eine Neuigkeit mitteilen«, sprach Mahlneek zu den Versammelten heiter. »Ich werde euch Leene wegnehmen. Sie wird meine Wirtin. Trinket auf ihr Wohl.«

Die Leute, welche bereits durch Wanag von der Verlobung in Kenntnis gesetzt waren, erhoben jetzt einen großen Lärm vor Verwunderung. Wer das gedacht hätte! Sieh mal, sieh mal, was für Sachen! Was das für eine tüchtige Wirtin sein wird! Ja, ja, Mahlneek hatte verstanden zu suchen. Eine Bessere hätte er in ganz Livland nicht gefunden! … Und eingedenk dessen, dass sie vielleicht im nächsten Jahr ihren Jungen bei Leene als Hüter verdingen könnte, hatte eine schlaue Familienmutter vor lauter Überraschung der Braut die Hand geküsst.

Der Lärm gab Leene ihre Sicherheit wieder und als sie den Wein herumreichte, tat sie es nicht mit gesenkten Blicken, sondern sah jedem frei ins Gesicht. Und als alle getrunken hatten, da war sie fest überzeugt, dass sie recht getan, sich mit Mahlneek zu verloben. Denn auf allen Gesichtern hatte sie hinter der lauten Freude und Verwunderung besser oder schlechter verhehlten Neid gelesen. Mit würdevollen Schritten machte sie in der Stube nochmals die Runde, »für den zweiten Fuß« einschenkend, wie Mahlneek scherzte, als Andr eintrat. Überrascht blieb er beim Anblick des versammelten Gesindes und Mahlneek's an der Tür stehen.

»Was ist denn das?«, rief er und schob unwillkürlich die noch immer blütengeschmückte Mütze nach dem Hinterkopf.

»Verlobung, Freund – Verlobung«, antwortete Wanag und wies mit vielsagendem Lächeln auf das Brautpaar. »Hier der Bräutigam dort die Braut … Leenit, sei so gut, gieß ihm doch auch ein Glas ein.«.

Leene zuckte sich beinahe unmerklich zusammen, wandte sich jedoch sogleich dem Burschen zu und goss Wein in das Glas, wobei der Hals der Flasche wiederholt auf den Rand des Glases aufschlug.

»Da«, sagte sie dann schüchtern und näherte sich Andr um einen Schritt.

Wie erstarrt stand der Bursche vor ihr. Was ging hier vor? Machten die Leute hier Unsinn? War er verrückt geworden? Oder war alles ein böser Trug? … Er blickte um sich und sah aller Augen an sich gerichtet und die Gesichter aller erschienen ihm in geradezu unnatürlicher Deutlichkeit. Dort – die Alte hatte vier Runzeln auf der Stirn, das hatte er früher nicht bemerkt … Sollte, er schreien? Und was sollte er mit der Hand machen, die er vor sich in einem dunkelrosa Ärmel sah? Und mit dem blutigen Wein? Trinken? Oder der Geberin ins Gesicht gießen?

»Na, trink, trink – trink auf das Wohl meiner künftigen Wirtin«, munterte ihn der Alte auf und Andr ergriff das Glas und leerte es bis auf den Grund. Dann wandte er sich um und ging hinaus.

In der Stube war es still geworden.

Die Lippen zusammengekniffen, ließ Mahlneek die Blicke von einem zum andern schweifen und ging dann in die Stube des Wirten.

»Ein hübscher, kräftiger Bursche«, sagte er ruhig, die Flasche auf den Tisch stellend. »Den müssen wir im nächsten Jahr zu uns verdingen.«

»Ich glaube nicht, dass er kommen wird, es geht ihm hier auch gut«, versetzte Leene ebenso ruhig und sah den Alten freundlich an.

»So, so«, brummte Mahlneek.

Unterdessen hatte sich Andr zum Stall begeben und war zu seinem Grauen getreten, welcher mit hungrigem Maule Heu fraß. Er legte seinen Arm um den feuchten Hals des Pferdes, drückte seine Stirn an die Mähne und liebkoste das Tier.

Mit leisem kurzem Ton wieherte ihn das Pferd an und fraß weiter.

Der Bursche hörte mit seinen Liebkosungen nicht auf und der Graue stieß abermals ein paar gemütliche Töne hervor, wandte wie verwundert den Kopf und berührte mit seinen weichen Lippen Andrs Arm.

»Mein Grauchen!«, flüsterte Andr erbebend. »Mein Grauchen! … Mein Pferdchen! … Mein Grauchen! … Mein Glück! … Mein Glück! …«

»Meine Blume! …«


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