Matthias Blank
Fluch dir, o Liebe
Matthias Blank

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7. Kapitel

Natürlich stand im Salon auch ein Weihnachtsbaum, der dicht mit bunten, glitzernden Glaskugeln behangen war; die vielen Lichter brannten flackernd und warfen ihre zitternden Lichtreflexe in die hohen Spiegel, aus denen sie widerstrahlten.

Sogar das hatte sich Mutter Meschitz, der das kleine Haus in der Torweggasse gehörte, nicht nehmen lassen, all ihren Mädchen auch Geschenke auf den Tisch zu legen, der zur größeren Feierlichkeit weiß gedeckt war; da bekam jede ein weißes Spitzenhemd mit rosa Bändern und ein paar lange, durchbrochene Seidenstrümpfe, denn Mutter Meschitz war selbst an solchen Tagen immer noch praktisch veranlagt und gab nur Sachen, die zum Geschäft gehörten, denen auf einem Tellerchen ein paar Lebkuchen, Äpfel und Nüsse beigefügt waren.

Das Grammophon war aus dem Trinkzimmer geholt und auf den Tisch gestellt worden; mit den schnarrenden, heiseren Tönen sang es »Stille Nacht, heilige Nacht«.

Die Amanda, eine Wienerin mit hellblond gefärbtem Haar, weinte sogar vor Rührung, und die kleine Ada mit dem Fuchshaar und die Berlinerin sangen dabei mit. Trippelnd lief Mutter Meschitz umher, und als das Grammophon mit einem heiseren Rasseln und einem Knacks endlich verstummt war, da meinte sie:

»Ob heute viel los sein wird? Ich hab in das Trinkzimmer doch ein paar Weinflaschen stellen lassen. Man kann nicht wissen. Es gibt immer welche!«

»Ein fettes Geschäft bringt so ein Tag nie,« antwortete Amanda, die mit einem kleinen Spitzentaschentuch die Tränen fortwischte.

»Faule Sache! Heute haben sogar alle Junggesellen einen Schlupfwinkel, in dem sie Familie simpeln.«

»Pah! Fremde oder Reisende kommen auch heute. Ich gehe mal auf die Straße.«

Die Berlinerin holte ihre Geschenke vom Tisch; und die kleine Ada ließ sich auch gleich verlocken:

»Ich sehe mal in das Varieté hinüber, vielleicht ist da einer zu fangen.«

Da wollte auch Amanda nicht allein bleiben:

»Ich gehe nach dem Ballhaus.«

Mit solchem Eifer war Mutter Meschitz natürlich einverstanden, sie nickte eifrig zustimmend:

»Ja, ja, geht Täubchen, und schaut, daß ihr gute Kunden mitbringt; ich lege heute bei jeder Flasche Wein noch zwanzig Prozent zu. Ihr sollt auch was haben! Holt fesche Gesellschaft.«

Dann machte sie sich daran, die Lichter wieder auszulöschen, die sie doch nicht zwecklos brennen lassen wollte. Da gerade die Berlinerin als die letzte den Salon verließ, rief ihr die Mutter Meschitz noch nach:

»Aber alle dürfen auch nicht fort! Wenn nun doch ein Besucher käme?«

»Es ist ja die Aga noch im Haus.«

»Ach die!«

»Die brauchte auch nicht so faul zu sein! Die möchte nur immer darauf warten, daß ein Prinz für sie kommt. Wir müssen auch hinaus und auf der Straße suchen.«

»Es fragen doch viele nach ihr.«

»Ich weiß ja nicht, was die an ihr finden. Außer ihren großen Augen hat sie nichts – und die Jüngste ist sie wohl auch nicht mehr.«

Dann verschwand die Berlinerin.

Mutter Meschitz aber sorgte für Ordnung und trug das Grammophon wieder in die kleine Trinkstube.

Man konnte doch nicht wissen.

Dann kontrollierte sie die Aufwartefrau, die in dem halbdunklen Flur mit der roten Laterne stand und in die Nacht hinaushorchte, ob sich keine Schritte dem Haus näherten, um etwa Vorüberkommende dann mit leisem Lockruf herbeizubringen.

Das war ein Weihnachten bei Mutter Meschitz.

Aga war zu der Bescherung nicht hinuntergegangen, sondern auf ihrem Zimmer geblieben; sie wußte ja schon, wie es dabei stets endete; ein Hemd, Strümpfe, ein Lied vom Grammophon, dann in die Nacht hinaus. Sie hatte das schon zweimal miterlebt, seit sie aus dem Salon Steinheil fortgezogen war, seit sie sich zum erstenmal nicht mehr zur Weihnachtsfeier ihres Kindes gewagt hatte, seit Frau Wolfert es so verlangt.

Drei Jahre waren vergangen, daß sie nun Rose nicht mehr gesehen.

Es war besser so!

Immer wieder stand es in den Briefen, die Frau Wolfert geschrieben hatte.

Kinderaugen blicken tiefer, Kinderaugen sehen mehr – und Kinder fragen doch.

Damit hatte sie sich abfinden müssen. Sie hatte ja immer die Geschenke fortgeschickt, hatte immer das Beste gesucht, was Freude machen mußte, sie hatte immer auch den Dankbrief bekommen, der so voll Freude war, und in dem noch irgend etwas mitklang, ein Bedauern über die Krankheit, die jetzt die Reise nicht erlaubte, oder was Frau Wolfert sonst wieder zu erzählen gewußt hatte. Und in allen Briefen ein Begehren, wieder die Mama zu sehen. Ein Brief aber, vor dem sie beim Lesen gezittert hatte: »Ich kann dir nicht sagen, wie ich mich nach Dir sehne, denn ich möchte Dich soviel fragen, was mir Wolfertmutti doch nicht recht erklären kann, was sie auch nicht weiß, sondern nur Du sagen kannst. Aber schreiben läßt sich das auch nicht, denn ich könnte es nur fragen, wenn ich deine Hand dabei festhielte.«

Dieser Brief hatte Aga noch mehr fühlen lassen, daß sie fern bleiben mußte.

So weh es tat, so sehr es schmerzte, aber es mußte sein. Was würde sie auch antworten können, wenn sie erst die forschenden Kinderaugen spürte.

Jetzt durfte sie nur noch schenken.

Von unten herauf drang das heisere Gekrächze des Grammophons: »Stille Nacht –«

Wie würde es heute ihrer Rose ergehen? Aga hielt in der Hand die letzte Photographie, die ihr Frau Wolfert von Rose geschickt hatte; schlank und groß sah sie aus, eine junge Dame trotz der fünfzehn Jahre. Wie die schwarzen Augen träumend in irgendeine Ferne schauten!

Sicher würde sie sich über alles freuen, was ihr von der Mama geschickt worden war, und würde sogar Tränen in den Augen haben, wenn sie wieder irgendeine Geschichte anhören mußte, warum die »arme Mama« wieder nicht kommen konnte. Mit Lügen, mit frommen Lügen wurde Rose darüber weggetäuscht, damit ihre Augen nicht die Wahrheit sahen.

Und es war gut so!

Aga klagte nicht mehr.

Alles um des Kindes willen, das war der Beginn ihres neuen Lebens gewesen, das damals begonnen hatte, als sie sich von dem einsamen See ihrer kleinen Heimatstadt zum Hause ihres Vaters zurückgeschleppt hatte; alles um des Kindes willen – damit war sie auch vor dem furchtbaren Abgrund nicht erschrocken, in den sie niedergestiegen war – alles um des Kindes willen – das ließ sie jetzt mit dem Bild nur begnügen, ohne Rosens Stimme hören, ohne deren Haar streicheln zu dürfen.

Die Hoffnung blieb ihr ja: drei – vier Jahre nur noch, dann hatte sie das andere Ziel erreicht – dann konnte sie jenen Strich unter die ganze Vergangenheit ziehen, der sie erlösen sollte, dann konnte sie sich den Schlupfwinkel suchen, in dem sie auch ihr Kind zu sich rufen konnte.

Die Hoffnung –

Und was würde Rose heute – in dieser Nacht – sagen, wenn sie am Gabentisch die Lackschuhe fand, die kleine Uhr, das Perlenhalsband – Gewiß würde sie mit aller Sehnsucht die Mutter suchen, die hier einsam saß, hier im Hause der Mutter Meschitz.

Da half es nichts, nun die Lippen zusammenpressen zu wollen.

Sie war diesen Weg gegangen und mußte ihn vollenden – –

Die Türe wurde aufgeschoben und das spitze, hagere Gesicht der Mutter Meschitz schaute herein; gierig war ihre Stimme:

»Rasch, Aga, rasch, ein feiner Kunde ist eben gekommen, ein ganz leckerer. Kannst dir gratulieren, denn der läßt dir viel Strumpfgeld, wenn du nur etwas schlau bist. Rasch – es ist keine andere da, aber du mußt ihm ja gefallen. Nur schnell!«

Fort mit dem Bild – fort mit allen Gedanken an den fernen Weihnachtsbaum mit dem weißen Gabentisch für Rose – fort mit Träumen –

Im Salon wartete ein Kunde.

Und der verlangte anderes – –

Das war wieder einmal Agas Weihnacht.

* * *

Aga konnte im Spiegel sehen, wie sie an diesem Leben müde und zerfallen geworden war. Auch das Alter hatte seine Spuren eingegraben.

Sechsunddreißig; und dabei Mutter einer sechzehnjährigen Tochter.

Da waren bereits verräterische Fältchen um die Augen, Fältchen in den Mundwinkeln, die Haut war nicht mehr so weich und geschmeidig, sondern schon spröde, und in ihrem reichen, braunen Haar hatte sie bereits ein paar graue entdeckt. Sie konnte sich dagegen nicht wehren.

Fühlte sie es nicht auch an anderen Erscheinungen?

Im Salon Weinholz hatte sie begonnen, dann war sie bei Frau Steinheil und jetzt bei Mutter Meschitz.

Immer tiefer!

Zuerst war sie begehrt und gesucht worden, und nun? Hatte sie bei Mutter Meschitz nicht auch schon auf die Straße gehen müssen?

Das Geld floß ihr nicht mehr so reichlich zu.

Aber das Ende mußte bald kommen!

Häufiger als sonst, fast jeden Tag saß sie nun vor dem Sparkassenbuche und rechnete und rechnete. Soviel noch, dann – ja dann.

Was für hohe Summen hatte sie bei Madame Weinholz eingezahlt? Dort waren oft blaue Lappen beim Sekt verschenkt worden, als Strumpfgeld für jede; damals hatte sie noch verächtlich so manchen zurückgewiesen, und dann doch um so mehr erhalten. Dann bei Frau Steinheil und nun bei Mutter Meschitz. Immer niedriger waren die Einzahlungen geworden, trotzdem sie an sich selbst immer mehr zu sparen versucht hatte.

Sie rechnete.

Sie schätzte, und es schien, als müßte sie endlich dem Ziel nahe sein.

Dies eine Jahr noch – das letzte! War das zu Ende, dann wollte sie verschwinden, sich still in einem Winkel verbergen, wo sie nur noch das Kommen ihrer Rose erwarten, nur noch ihrem Kinde leben wollte.

Dies eine Jahr noch – dann war es erreicht, das Ziel, das sie sich um des Kindes willen gesetzt hatte.

Noch soviel – und sie schätzte die Summen ab, die sie noch aufbringen mußte.

Häufiger als sonst tat sie dies, als fühle sie, daß sie nun enden müsse, wenn sie nicht doch in dem Schlamm versinken sollte, wie es jener wunderliche Doktor Strantz in seinem verbitterten Hohn erklärt hatte.

Davor aber fürchtete sie sich.

Doch nach dieser neuerlichen Prüfung war sie zufrieden. Sie war am Ziel – und nur diese zwölf Monate noch.

Das ließ sie sogar wieder lächeln; da konnte sie selbst diese Jahre überwinden, in denen sie ihr Kind wie eine Aussätzige gemieden hatte. Und war Aga hier in dem Hause für die andere Welt nicht auch gleich einer Aussätzigen?

Die Hoffnung, die blieb ihr.

Als sie an diesem Tage gegen Abend nach dem Salon hinunterging, in dem sich die anderen Mädchen der Mutter Meschitz mit giftigen Worten zankten, in denen sich die Häßlichkeit eines solchen Hauses widerlich offenbarte, die sie fühlen ließen, daß Stufe um Stufe abwärts geführt hatte, da empfing sie Mutter Meschitz gleich mit dem Ruf:

»Aga, da ist gerade ein Telegramm für dich abgegeben worden. Vielleicht kommt ein alter Verehrer? Das Geschäft mußt du dann schon hier machen.«

Sie schob die Depesche Aga zu.

Diese aber fühlte ein unerklärliches Erschrecken, als sie nach dem Papier griff. Ihre Hand zitterte beim Öffnen. Und dann tanzten ihr die Buchstaben vor den Augen.

Was war das?

Und doch Wahrheit? Da stand es Wort um Wort zu lesen:

»Kommen Sie sofort, ein großes Unglück. Frau Wolfert.«

Mehr nicht!

Und doch das Quälendste, das Furchtbarste in den wenigen Worten.

Ein großes Unglück! Das konnte nur Rose erreicht haben. Und wie groß, wie namenlos groß mußte dies sein, wenn Frau Wolfert in ihrer Unsicherheit keinen anderen Hilferuf gewußt hatte als den Schrei: Kommen Sie sofort!

Aber was war geschehen? Was?

Aga war in einen Stuhl gesunken und starrte für ein paar Sekunden wie entgeistert vor sich hin.

Die Mutter Meschitz fistelte:

»Was gibt es nun, Aga?«

»Ich muß fort – gleich – mit dem nächsten Zuge –«

Aga sprang auf, wie belebt von einer neuen Willensenergie:

Vielleicht gab es noch etwas zu retten.

Mutter Meschitz jammerte:

»Fort, gerade heute, wo sicher ein gutes Geschäft in Aussicht ist. Es ist doch heute der Kongreß der deutschen Sittlichkeitsvereine. Und da bekommen wir stets vielen Besuch. Und die Mara ist auch nicht da. Mit zweien nur kann ich nicht auskommen.«

Aber davon hörte Aga bereits nichts mehr.

Nur fort!

Sie hatte kein klares Bewußtsein dafür, was sie hastig in die Reisehandtasche füllte, ob es zwecklose Dinge waren, oder ob sie diese haben mußte.

Nur fort!

Was sie an Bargeld zusammenraffen konnte, nahm sie mit und dann zur Bahn.

Nur fort!

Und als sie endlich im Zuge saß, als dieser langsam über die große Rheinbrücke fuhr, da wollte sie mit ihren Gedanken schon am Ziele sein.

Was war geschehen? Was für ein Unglück?

Lebte Rose noch?

Da regte sich diese furchtbare Angst zum erstenmal.

Lebte sie noch?

Das Telegramm verriet davon nichts.

Nur am Ziel sein – nur Gewißheit haben –

Sie lehnte sich in eine Wagenecke und mußte die Augen schließen. Es war wie eine Ohnmacht.

* * *

Frau Wolfert stand in der Bahnhofshalle, als der Zug langsam einfuhr; Agnes Petrich hatte nicht vergessen, ihre Ankunft telegraphisch mitzuteilen.

Da sprang sie aus dem Wagen, mit ihren großen, braunen Augen angstvoll suchend.

»Frau Wolfert! Was ist mit Rose? Ist sie – ist sie –« Das furchtbare Wort wollte den Weg über die Lippen nicht finden; nur leise brachte sie es dann hervor: »– tot?«

Mit beiden Händen faßte sie dabei den Arm der Frau Wolfert und umklammerte ihn krampfhaft; die Augen bettelten.

Frau Wolfert wollte antworten; aber kein Laut war zu hören; dann stürzten ihr Tränen aus den Augen, schwere Tropfen, und sie konnte nicht anders entgegnen, als mit dem Kopf zu nicken, leicht nur, aber mit grausamer Deutlichkeit.

»Tot – also – doch! Tot!«

Ein starrer Blick; ein kurzes Gelähmtsein, als wäre jeder Wille erschlafft, als wäre sie selbst versteint. Agnes mußte erst dies Wort in ganzer Schwere und Mitleidlosigkeit erfassen.

Tot!

Da erst getraute sich Frau Wolfert mit einer ersten Erklärung hervor:

»Ich wagte das nicht zu depeschieren.«

Ob Agnes es hörte? Sie schüttelte den Kopf, ganz langsam und irrte mit den Augen an Frau Wolfert vorbei; dann raffte sie sich auf:

»Wo ist sie? Kann ich sie noch sehen?«

»In der Leichenschauhalle des südlichen Friedhofes.«

»Wir fahren hin, ich will zu meinem Kind, ich will es noch sehen.«

Frau Wolfert rief einen Wagen.

Stumm und wortlos saß Agnes Petrich im Wagen; sie hatte keine Kraft zu irgendeiner Frage, sie hatte keinen Willen dazu; sie wußte nur das eine: Rose war tot! Das war so schwer zu fassen, daß die Gedanken wie gelähmt waren, nicht mehr weiter denken konnten, daß hier der Wille versagte.

Ein Unglück! Welches!

Dafür fehlte Agnes noch jede Empfindung.

Als sie dann in die Friedhofshalle hineingingen, wollte ihr die Kraft versagen; ein Schleier legte sich vor ihre Augen, die Knie zitterten. Frau Wolfert mußte fest zugreifen und stützen. Ein etwas dämmeriger Gang, der schwere, herbe Geruch von Blumen, das düstere Schweigen, das die Nähe von Toten erfordert; wenige Menschen. Hohe Fenster mit schwarzen Umrahmungen. Dunkle Nischen. Darin Särge mit Toten und Blumen.

Draußen bimmelte schrill eine Totenglocke irgendeinem das letzte Geläut.

»Hier!« Die Hand von Frau Wolfert hob sich nur wenig.

»Rose!«

Und auf die Knie brach Agnes nieder, lehnte sich gegen die trennende, schwarze Holzwand und preßte ihr Gesicht gegen die kühle Glasscheibe.

Hinter dieser stand auf hohen Trägern ein weißer Sarg mit weißen Kissen; auf denen ruhte ein stiller, schmaler Mädchenkopf mit wachsgelben Zügen, mit geschlossenen Augen, mit dünnen Lippen und goldener, leuchtender Haarflut, die wie eine goldene Krone das junge, schöne Antlitz schmückte. Nelken, weiße, volle Nelken hielten die schmalen, dünnen Hände. In dem weißen Seidenkleid und mit den weißen Tanzschuhen lag sie wie schlafend; und Kränze, alle mit weißen, keuschen Blumen, waren auf den Sarg gelegt.

»Rose – Rose!«

Ein Wimmern, ein hilfloses, klägliches Wimmern wie von einem Tier.

»Warum – warum?«

Frau Wolfert war etwas zurückgetreten. Hier mußte sich erst der heftigste Schmerz ausweinen.

Immer tiefer sank Agnes; der Kopf glitt nieder, sank auf die Hände, die Knie brachen ganz, der Leib krümmte sich, und zuletzt lag da auf dem Steinboden ein zusammengesunkenes Menschenbündlein, ein armseliges Weib, das keine Hilfe mehr wußte, keine Kraft mehr hatte. So tief hatte sie der Schmerz niedergezwungen.

Da erst wagte sich Frau Wolfert wieder heran.

»Gnädige Frau, Sie müssen aufstehen, Sie müssen! Es kann alles nichts ändern. Sie müssen in die Verwaltung hinein.«

Und sie hob den Kopf, schaute wie irr um sich, als müßte sie erst zur Besinnung kommen, wo sie sich befand.

Der Arm von Frau Wolfert stützte, daß Agnes sich aufrichten konnte.

Dann die erste Frage:

»Wie – wie war es denn gekommen? Was für ein Unglück?«

Tonlos die Stimme, schon ergeben in das Unvermeidliche.

»Aus dem Wasser zog man ihre Leiche.«

»Aus –«

Ein Schrei! Gellend, aufkreischend. Dabei ein gehetztes Irren der Augen, als wollten sie sich verkriechen. Das Unglück! Und eine heisere Frage, in letzter Qual:

»Aus dem Wasser? Und – und selbst – selbst gewählt? Selbst gesucht?«

Wieder ein Nicken bloß – eine harte Zustimmung.

»Selbst gesucht?«

Deshalb, um dieses Ende hatte sie damals den Weg zum Leben nochmals zurückgesucht? Um solches Ende! Vom Tode war sie fort, und nun war ihr Kind freiwillig vom Leben zum Tode.

Grausam – allzu grausam spielte das Schicksal.

Da mußte Frau Wolfert mit beiden Armen eine Bewußtlose auffangen.

* * *

Agnes Petrich saß in dem kleinen, hellen Stübchen, in dem Rose bis zu ihrem letzten Tage gelebt und geatmet hatte; sie saß an dem kleinen Schreibtische aus Kirschholz, auf dem Bücher lagen, eines noch aufgeschlagen, als wäre die Bewohnerin dieses duftigen, freundlichen Raumes nur für Minuten hinausgegangen.

Weiß und hell waren die durchsichtigen Mullgardinen an den Fenstern, das Bett stand in der Ecke. Ein Nähtisch mit Spitzen und Klöppelarbeiten war an ein Fenster hingerückt.

Wie alt war Agnes in diesen vierundzwanzig Stunden geworden! So schmal war ihr Gesicht, die Lippen so dünn, die Falten um die Augen tiefer eingegraben, und der Blick nicht mehr klar und leuchtend, sondern trüb und verschleiert. Sie wußte nun alles! Jetzt war sie nur noch da, um von diesem Stübchen Abschied zu nehmen, das so aussah, als lebe noch die Wärme des Atems der Entschwundenen hier im Raum.

Ein Abschied.

Hier konnte sie nicht bleiben. Hier erinnerte sie alles wieder an die unerbittliche Grausamkeit des Schicksals, dessen höhnendes Grinsen in allen Ecken lauerte.

So bitter hatte sich der größte und schwerste Irrtum ihres Lebens gerächt, daß Kinder nicht fragen sollten.

Agnes hob den Kopf; ihr war es, als müsse sie leise Schritte hören, als müsse die Tote nochmals durch das Stübchen gehen.

Aber nein, da lagen ja auf dem Schreibtische die letzten Blätter der Tagebuchnotizen der Toten, die letzten Blätter, die mit hastig, fiebernder Schrift die drängenden Sorgen verrieten, mit denen sich ihr Kind gequält, bis es für sich keinen anderen Weg mehr gewußt hatte.

Agens ergriff ein Blatt und las.

Ein zweites:

Sie hatte diese Zeilen ja schon so oft gelesen; jetzt sagten sie ihr nichts Neues mehr, jetzt erschreckte sie an den Blättern nichts mehr, daß sie aufschreien mußte. Nur der herbe Zug der Trostlosigkeit grub sich noch schärfer ein.

Jetzt lag die Erde bereits leicht auf dem weißen Sarg, in dem Rose den langen Schlaf hielt, der Erlösung bedeutete. Jetzt war es vorbei!

Nur zum Abschied hob sie noch Blatt um Blatt; das eine legte sie flüchtig zur Seite, ohne es nochmals zu lesen, ein anderes aber prüfte sie, als müßte sich ihr der Inhalt für ewige Zeiten einprägen.

Vier Blätter waren es, die sie zuletzt behielt; diese vier Blätter, zwischen denen noch so viele lagen, waren es, die Rosens Geschichte erzählten.

Das erste:

»Wenn nur Mama einmal wieder käme, einmal wieder, denn sie würde mir auch sagen können, was Wolfertmutti doch nicht weiß. Warum habe ich keinen Vater? Und ist es wirklich häßlicher, keinen Vater zu haben? Und Wolfertmutti, die ja gut ist und die doch immer nur trösten will, weiß nicht alles. Aber vielleicht ist es doch etwas Häßliches, keinen Vater zu haben, weil mich die anderen immer heimlich mit einem Lächeln ansehen, weil sie tuscheln und flüstern, was ich nicht wissen soll. Nur davon reden sie. Und ich kann niemanden fragen, denn nur Mama kann alles erklären. Warum habe gerade ich keinen Vater? Und warum erzählte sie mir nie davon? Mama, so komm doch, damit ich es dir klagen kann, denn ich will mich vor den anderen nicht schämen müssen.«

Das erste Blatt! Ein weher Aufschrei. Sie wollte sich vor anderen nicht schämen müssen.

Ein scheues Bekenntnis der ersten Not.

Und nun ein zweites Tagebuchblatt.

»den 12. Februar.

Heute tanzte er wieder nur mit mir, und die anderen im Kränzchen sahen mich so an, als wollten sie mir alle Freude nehmen. Und doch freute ich mich, denn sein Schritt beim Tanzen ist so leicht und seine Hand faßt so weich und zärtlich. Sein hellbraunes Haar trägt er immer sorgsam gescheitelt und in seinen Augen ist ein sammetweicher Glanz. Ich mag es gern, wenn er mich sucht und mit mir tanzt, aber ich höre auch seine Stimme gern, die so warm klingt. Ich will ihn als Freund haben. Ich glaube, er möchte es mir auch sein, weil die anderen mit solchem Neid auf mich schauen. Mir gönnen sie es nicht, nur mir nicht. Als wäre ich eine, die kein Glück haben dürfte, kein Recht daran. Aber warum? Weil er der einzige Sohn so reicher Eltern ist? Herbert! Er hat mir seinen Namen verraten. Und wenn ich auch sonst, und wenn es alle hören, Herr Möllendorf zu ihm sage, wenn ich in meine Tagebuchblätter schreibe, dann werde ich ihn doch nur Herbert nennen. Wenn Mama einmal käme, da wollte ich ihn ihr zeigen, und ich weiß, sie würde sich freuen, weil es meine Freude ist.«

Länger als auf dies erste Blatt starrte Agnes auf dieses zweite.

Wie trieb das Schicksal sein Spiel? Herbert Möllendorf, der Sohn Herberts, dem Agnes mit ihrer ersten und größten Liebe angehört hatte, dem sie sich mit aller Leidenschaft geopfert, dessen Sohn kreuzte tändelnd die Lebensbahn ihres Kindes, das die Tochter des gleichen Vaters war. Sie, die doch Geschwister, von einem Vater waren, hatten Gefallen aneinander gefunden. Erste Kinderliebe – erstes Sehnen.

Und zwei Erinnerungen lebten in Agnes auf: Jene Bahnfahrt zu Rose, als Herbert Möllendorf mit seiner Frau und diesem Sohn in ihr Wagenabteil eingestiegen war. Damals hatte sie einen hochaufgeschossenen Jungen gesehen, der über seine Jahre hinaus reif erschienen war.

Die andere: als die Meschonke ihr mit so wunderlichen Worten die Karten gedeutet hatte. So hatte sie gesagt: von dem Mann, der ja der Vater selbst scheint, spinnt ein Unheil zum Kind, aber nicht durch ihn selbst, sondern durch einen, der von ihm kommt. Durch seinen Sohn! So deutete sie jetzt die Worte.

Schicksal – Schicksal!

Unheil und immer nur Unheil war von dem Manne über sie gekommen, den sie doch nur geliebt hatte.

Fluch dieser Liebe!

Sie selbst war ins Elend gesunken, und Unheil war von diesem Manne auch über Rose gekommen.

Das dritte Blatt:

»17. März.

Er hat mir gesagt, daß er mein Freund sein will. Leise hat er mir noch verraten, daß er mich liebt. Er hat es mir in einem Gedicht gestanden, das er mir heimlich zusteckte, und das ich schon auswendig gelernt habe. Und ich habe ihn auch lieb, trotzdem er so stolz ist, oder weil er es ist. Über alle anderen lächelt er nur, und nur mich holt er immer wieder. Wenn mich die anderen deshalb hassen, dann ist meine Freude um so größer, denn ich weiß, daß es der Neid ist. Aber das Widerlichste an Neid ist es, wenn sie mich beschimpfen, weil ich die Fröhlichere bin. Daß ich keinen Vater hätte, sagen sie. Ich weiß es nicht. Aber das kann das Schlimmste immer noch nicht sein. Und daß sie ein ganz häßliches Wort über meine Mama sagten, das hat mir weh getan, nur weh, weil sie es sagten. Ich glaube es ja nicht. Aber so froh wäre ich, wenn Mama doch einmal, endlich einmal käme, daß sie diese dann sehen könnten, daß sie es sehen müßten, wie sie alle – alle lügen. Es ist ja nicht wahr, Mama! Du bist nur krank, du mußt leiden, und wärst doch ebenso gern bei mir wie ich bei dir. Mama komm und hilf! Nur wenn er es hörte oder gar glauben könnte, dann – ja dann müßte ich traurig werden. Dabei ist es doch, als dürfte er es nicht glauben, wie ich es nicht kann. Aber warum sie es tun? Mama, wenn du mir nur ein Wort selbst sagtest –«

Immer noch der Glaube.

Dabei aber schon die Angst und das Verlangen zur Mutter.

Agnes grübelte nicht lange, denn vor ihr lag das vierte Blatt mit den gehetzten, gejagten Buchstaben, das Tagebuchblatt, das am letzten Tage geschrieben worden war, an dem Rose den Tod in den schmutziggrünen Wogen der Isar gesucht hatte, an der sie schon einmal mit der Mutter gesessen war, aber noch festgehalten von dem Leben, das nun doch dies Ende genommen.

Das vierte Blatt; zwischen diesen einzelnen waren noch manche, die mehr erklärten, die wiederholten, die von anderen Einzelheiten wußten. Aber sie füllten nur übersehbare Lücken.

Diese vier erzählten allein.

Das vierte Blatt:

»Es ist wahr, ja, es ist wahr; und wenn ich die Hände auch vor das Gesicht schlage, dann brennt die Glut doch durch die Finger. Es ist wahr – und nichts anderes als: es ist wahr! Und so häßlich haben sie mir das Gift gegeben. Die Adresse der Mama haben sie mir zugesteckt und haben dazu geschrieben, was für ein Haus dies ist. Woher sie es wußten, ich kann es nicht wissen. Nur das habe ich gefühlt, daß es der Neid getan hat, der Neid, weil ich so anders war als sie. Und ich weiß, sie werden es auch ihm sagen. Oder weiß er es schon? Weiß er es schon, weil er vorgestern nicht gekommen ist, weil er da zum erstenmal abgesagt hat. Verfolgen mich Gespenster? Oder haben mich da schon die Augen mit lüsternem Neid beobachtet? Dann kommt er nicht mehr – und wenn er es erst hören wird, dann wird er mich auch verachten und sich meiner schämen. Und ich wage niemanden mehr anzusehen, ich wage die Augen nicht mehr aufzuschlagen, ich wage mich nirgends mehr hin. Es brennt in meinem Gesichte wie ein Flammenzeichen, wie ein Brandmal. Es ist wahr – es ist wahr, ja! Gezittert hatte ich zuerst. Aufschreien hätte ich wollen; aber dann hatte ich weiter gefragt. Und ich habe es selbst gelesen: ja, es gibt ein solches Haus, und in diesem ist – meine – meine –«

Da brachen die Zeilen ab; sie hatte das Wort »Mama« und das Wort »Mutter« nicht mehr zu schreiben gewagt, sie hatte sich vor dem Wort erschreckt. Und daß sie dies Wort nicht mehr gefunden hatte, das war wie das Urteil des Kindes, das den Namen damit besudelt, beschmutzt sah, den Namen, der ihm das Teuerste war.

Dies letzte Blatt!

Kein weiteres Wort. Und darin doch alle Verzweiflung! Wie mußte sie noch umhergeirrt sein, wie mußte sie gekämpft haben, bis sie den Tod gefunden?

So rächte sich das Schicksal, grausam und erbarmungslos.

Um des Kindes willen! Deshalb war Agnes ihren Leidensweg gegangen.

Um des Kindes willen alles!

Und das Kind hatte alle Opfer von sich gewiesen, das Kind war in den Tod gegangen, vor dem die Mutter um des Kindes willen geflohen war, vor dem die Mutter den Weg zum Leben erstrebt hatte.

Um der Mutter willen war das Kind in diesen gleichen Tod gegangen!

Um der Mutter willen hatte das Kind nur den Weg zum Tode gewußt.

Kinder fragen doch!

Das war der große Irrtum ihres Lebens gewesen.

Kinder fragen doch und urteilen mitleidlos, grausam, hart –

Vier Blätter nur aus einem Tagebuch, und doch eine lange – lange Geschichte.

Der Abschied!

Agnes schob die Blätter zusammen.

Sie hatte keinen Entschluß mehr. Nur fort – fort! Umsonst gelebt, umsonst geopfert, umsonst – umsonst.

Und dabei gebrochen, willenlos, matt, verloren.

Was wollte sie jetzt noch?

Zu feige geworden, zu kraftlos, um den gleichen Weg zu suchen. Sie wußte, daß ihr Kind auf dem Weg zum Tode kein Wort mehr für sie gefunden hatte. Ihr Kind erwartete sie auch im Tode nicht mehr.

Fort also!

Vergessen, betäuben, versinken, daß kein Gedanke mehr den Namen suchte, daß kein Erinnern mehr zurückfand, damit es in ihrem armen Kopfe so leer wurde, daß keine Saite mehr von einem Liede wußte, das einmal Kinderlippen sangen.

Rausch suchen – fort – denn vor dem Tode empfand Agnes jetzt ein Grauen, ein Entsetzen, da sie ja das Kind dann wiederfinden würde, das sie anstarren würde mit dem mitleidlosen »Warum?«

Sie fürchtete jetzt den Tod, weil dieser sie mit ihrem Kinde vereinen würde, dem sie keine Antwort wüßte, vor dem sie nun zitterte.

So wußte sie nichts anderes: Vergessen – betäuben – fliehen, vor den eigenen Gedanken –

* * *

Ein Champagnerpfropfen knallte zur Decke, und die weiße Gischt sprudelte aus dem Glas.

In den Kelchen perlte der Wein.

Ein Johlen; die Stephanie kreischte, denn die stäubenden Schaumperlen des Champagners waren ihr auf den heißen Nacken gesprüht.

Auf dem Stuhle lehnte Doktor Strantz, der seine langen Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt hatte; noch rissiger schien die Haut seines verwitterten Gesichtes geworden zu sein. Aber seine Leidenschaften waren die gleichen geblieben. Zechen mit Dirnen, die er doch nicht begehrte, und dabei alle Galligkeit seiner Gedanken ausschütten, die meist nicht verstanden, aber doch stets mit Lachen aufgenommen wurden.

Nun war die tolle Stephanie bei ihm, eine der Wildesten. Und auf einem Stuhl stand die kleine Adrienne; die in Fleischmassen fast erstickende, immer schon mit Asthma ringende Mary trank eben aus einer Flasche. Das gab bei ihrem Durste mehr aus.

Wieder Kreischen.

Tollheit!

Doktor Strantz wollte eben sein Glas erheben, um einen seiner verwegenen Trinksprüche anzubringen, als eine neue Gestalt in diese Trinkstube trat. Ein fast welkes Gesicht, aber mit großen, starren Augen, die tot schienen, die kein Leuchten mehr hatten. Und doch noch eine unleugbare, wenn auch schon verblühte Feinheit der Züge, eine Schlankheit der Figur.

Sofort ließ Doktor Strantz den Arm mit dem Glas sinken.

»Aga! Also schon so weit! Ich habe fidele Gesellschaft. Ich fragte dich immer schon und wußte doch, du hattest nie Zeit für mich, so frage ich dich auch heute wieder: Willst du nicht mit trinken? Oder mit saufen? Einmal hast du mir zur Antwort gegeben, du müßtest Durst haben. Ist dir der Durst noch nicht gekommen, der die Kehle brennend macht und sich nie stillen läßt? Komm, Aga, ich sehe es deinen Augen an, du willst trinken.«

»Gib!«

Kurz hingeworfen. Und Agas Hand zitterte nach dem Glas. Sie stürzte den Wein hinunter, lechzend, gierig. Dann mit heiserer Stimme, die fremd klang und nicht mehr den warmen Ton hatte wie einst:

»Noch eines, hier, ich habe Durst!«

»So haben wir beide nun zusammengefunden! Da! Und noch ein drittes! Das tut gut, Aga!«

Sie leerte das zweite, das dritte.

Doktor Strantz stemmte die Fäuste in die Hüften und schaute ihr mit ganz schmal zusammen gekniffenen Augen zu; dann schrillte seine Stimme wieder:

»Du hast viel zu löschen! In deinen Augen flackert nichts mehr. Der Funke, oder die Seele, die darin war, ist tot, ganz tot! Du hast nichts mehr zu verschenken. Und so hast du nichts anderes mehr als meine letzte Weisheit: Saufen! Saufen!«

Wieder ein Glas.

»Du verstehst es! Ich glaube, wir zwei könnten einander Geschichten erzählen; und wenn wir nicht saufen würden, dann würden wir beide heulen, heulen wie Hunde, heulen über zwei, die an einem Giftbrocken erstickt sind. Ja, Aga, an einem Giftbrocken. Die Menschen nennen es Liebe. Nicht wahr? Davon haben wir unseren Knacks bekommen. Saufen also! Das umnebelt das Gehirn, daß kein Raum mehr darin übrig bleibt, in dem sich so was wie Erinnern einnisten könnte.«

»Erinnern? Du sollst das Wort nicht sagen. Dies verfluchte Wort.«

Und Aga, die nach einem Glas gegriffen hatte, schleuderte dieses gegen Doktor Strantz, daß der Inhalt über seine Weste rann und das Glas am Boden zerschellte.

Die anderen kreischten, johlten.

Nur Doktor Strantz lachte heiser:

»Dies verfluchte Wort! Ja, du hast Recht! Dies verfluchte Wort! Aber ersäufen läßt es sich. Und wenn auch nur für Stunden. Trink, Aga, trink! Einmal torkelt man doch in die Tiefe, in der man dann ausschlafen kann. Leichter geht es so! Ich wittere so etwas, als ob wir Schicksalsgefährten seien. Einmal hast du mir's nicht glauben wollen, doch jetzt ist dir mein Glas willkommen.«

Und wieder forderte sie.

»Gib!«

»Da! Vergessen, vergessen! Das ist es! Versuchen wir es zusammen. Vielleicht – aber auch das ist ein verfluchtes Wort. Nichts wissen, nichts, nur trinken – –«



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