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Kindergesellschaften.

Jeden Tag gab es nun eine neue Lustbarkeit im Garten, im Stall, beim Rudern und auf der Seemauer. Man hatte gar nicht Zeit, alle Pläne auszuführen, die beim Frühstück unterm alten Birnbaum entworfen wurden. Wenn Otto im Wasser war, sagte er, er möchte den ganzen Tag schwimmen; wenn sie im Schiff fuhren, wollte er nicht wieder vom Ruder weg, und im Klaregg gefiel es ihm und Trudi auch über alle Massen gut. Es war wunderschön, da Entdeckungsreisen zu machen und zu erforschen, was alles krabbelte und schwamm im »Roten Meer«, im »Käfertümpel«, im »Schwarzen Loch« im »Bosporus« und wie die Gewässer des Klaregg alle hiessen bei den Turnachkindern.

Am Ende der vorletzten Ferienwoche sprach man viel von den drei Kindergesellschaften, die nun stattfinden sollten. Die Turnachkinder durften jedes Jahr ihre Schulklasse in die Seeweid einladen.

Zuerst kam Mariannes Klasse dran. Das Einladen machte sich einfach: Marianne ging in die Stadt zu vier oder fünf Freundinnen, und diese übernahmen es, den andern, die nicht verreist waren, mitzuteilen, dass übermorgen Gesellschaft in der Seeweid sei.

»Es kommen etwa zwanzig oder dreiundzwanzig«, meldete Marianne, als sie zurückkehrte. »Von dreien weiss man es noch nicht recht. Sie freuen sich glaub' ich alle furchtbar!«

»Rechnen wir dreiundzwanzig«, sagte Mama. »Und ihr seid fünf. Wir müssen Frau Völklein um Tassen bitten und um ihre zwei grossen Gugelhopfformen. Ihr könnt auch gleich zur Bäckerin hinaufgehen und die Zimmetsterne und Mandelbretzeln bestellen.«

Am Montag um zwei Uhr langten die Mädchen an, zweiundzwanzig an der Zahl, alle in hellen Kleidern, mit frisch geflochtenen Zöpfen und fröhlichen Gesichtern. Viele wohnten in der Stadt in engen Gassen, und die Seeweid kam ihnen wie ein Wunderland vor.

»Marianne, ich hab' mich am meisten auf euere Kaninchen gefreut!« sagte eine. »Können wir nicht gleich zu den Kaninchen gehen –?«

»Nein, Marianne! zuerst zum Schilf, wo ihr Indianer gespielt habt!« riefen ein paar andere.

Alle liefen dann hinter Marianne zum Schilf hinunter, wo der Wigwam und der Feuerherd noch zu sehen waren.

Einige Mädchen fingen an, sich Büschel von den schönen bräunlichroten Schilfblüten zu brechen.

»Sie halten den ganzen Winter!« sagte Lotti, die mit Trudi natürlich mitten unter der Schar war.

Berta Strobel und noch ein paar Kecke versuchten, auf den einzeln aufragenden Steinen in den See hinauszugehen. Sie stiessen sich, so dass sie ins Wasser patschten.

»Das schadet nichts,« beruhigte Marianne. »Bei uns in der Seeweid wird man immer nass!«

Vom Schilf ging's zum Aquarium, in welchem gerade wieder Alexius sich aufhielt. Er sass behäbig auf dem Tuffstein in der Mitte des Glases und liess sich ruhig von Lotti herausnehmen, die ihn der Lisa Peter hinstreckte. Lisa aber schrie laut auf, und alle wichen zurück.

»O, wie ihr tut –!« sagte Marianne. »Er ist doch so zahm und nett!« Sie setzte ihn auf ihre hochgehaltene Hand.

Berta Strobel trat einen Schritt vor. Alexius dachte wohl, dass sie Freundschaft mit ihm schliessen wolle, und hüpfte in geschicktem Sprung auf ihre Schulter.

Jetzt natürlich neues Geschrei unter den Mädchen. Marianne konnte den erstaunten Alexius gerade noch zurück ins Aquarium retten.

Otto und Hans hatten von ferne zugesehen.

»Du, wie die schreien –!« sagte Otto.

»Wenn viele Mädchen beisammen sind, ist immer so ein Gequietsche«, bemerkte Hans.

Das »Gequietsche« setzte sich fort, als Mariannes Klasse in den Garten kam und da begann, »Begegnenfangens« zu spielen. Das war ungeheuer lustig: es ging immer um die Beete und Boskette herum. Umkehren durfte man nicht. Wenn man dem Fänger begegnete, war man gefangen. Manchmal konnte man mit knapper Not noch um eine Ecke entwischen.

»Macht doch auch mit!« schrie Lotti, die gerade am Fliederbusch, wo die Knaben standen, vorbei rannte.

»Ihr seid uns zu viel Mädel!« sagte Otto. »Wir fahren lieber auf den See hinaus.«

Als es dann aber zum Tee in die Buchenlaube ging, wo drei aneinander gestellte Tische gedeckt waren, und die drei Kuchen verlockend in der Mitte prangten, machten sich Hans und Otto doch herbei. Die Mädchen räumten ihnen die Plätze an den beiden Enden der Tafel ein. Hans hiess der obere und Otto der untere Tischpräsident. Es wurde geschwatzt und gelacht, dazu viel Tee getrunken und eine unglaubliche Zahl von Butterbroten und Gugelhopfstücken gegessen.

»Lotti«, sagte Hans leise zur Schwester, die neben ihm sass, »gib acht, jetzt halte ich einen Toast –«

»Was hältst du?« fragte Lotti.

Aber Hans stand auf und schlug mit dem Messer an seine Teetasse.

»Liebe Gäste!« sprach er laut. »Es freut uns sehr, dass ihr in die Seeweid gekommen seid, und wir wünschen, dass es euch recht gut bei uns gefalle. Wir heissen euch fröhlich willkommen. Ich trinke auf das Wohl von Mariannes Freundinnen. Sie sollen leben hoch – hoch – hoch!«

»Hoch – hoch – hoch!« schrie die ganze Gesellschaft mit, die Eingeladenen wie die Gastgeber.

»Das war wieder einmal fein von Hans«, dachte Otto. »Der weiss immer, wie man es macht!«

Aber an der linken Ecke, wo Lili Rabus sass, die Geschickteste in Mariannes Klasse, gab es ein Geflüster, und auf einmal stand Lili Rabus auch auf mit erhobener Teetasse:

»Wir sind alle schrecklich gern in die Seeweid gekommen. Es ist nirgends so schön und so lustig wie da, und nirgends gibt es einen so guten Gugelhopf. Frau Turnach und alle Turnachkinder und die Doktorskinder und die ganze Seeweid, sie sollen leben hoch – hoch – hoch!«

»Hoch – hurra – hoch!« ertönte es wieder jubelnd um den ganzen Tisch. Lili Rabus stiess mit Hans an, und nun folgte ein allgemeines Anstossen. Es war ein Wunder, dass dabei alle Teetassen ganz blieben.

»Jetzt zeigen wir euch die Tante Ängstlich und die Kaninchen!« schlug Lotti vor.

Wie ein Schwarm Vögel fuhr die ganze Schar auf und zum Hühnerstall hin. Tante Ängstlich kümmerte sich nicht mehr viel um ihre kecken Pflegeentlein, die schon ziemlich gross geworden waren und eben an einem Stück Fleisch herumrissen. Sie sass wieder auf Eiern und blinzelte wichtig mit den Augen, als die Kinder kamen.

»Sie denkt gewiss, sie wolle ihre neuen Jungen jetzt dann lieber gar nicht zum See führen, damit sie nicht wieder so einen Schrecken erlebt!« meinte Martha König.

»Diesmal werden es rechte Hühnchen«, sagte Marianne. »An denen wird sie Freude haben.«

Im Kaninchenverschlag waren neben den neun grossen Tieren sieben junge. Alle, die grossen wie die kleinen, mussten sich's gefallen lassen, auf den Arm genommen zu werden; aber die Mädchen taten das so sanft und manierlich, dass Jakob freundlich nickte.

»Das ist etwas anderes als die vier Panduren, die ihr mir damals in den Stall gebracht habt,« sagte er.

Und weil Mariannes Mitschülerinnen also keine Panduren waren, sondern bei allem Übermut artige Mädchen, durften sie sich in Stall und Scheune herumtreiben, so viel sie wollten.

Nebenan stand ein halbabgeladener Heuwagen. Berta Strobel kletterte die Leiter hinauf zum Heuboden, wo damals der kleine Vetter so gebrüllt und gestrampelt hatte. Lotti stand im Nu neben ihr:

»Wagst du es, da hinunterzuspringen?«

»Ja, wenn du auch springst«, sagte Berta Strobel.

Im selben Moment flogen die beiden und lagen lachend in dem rauschenden Heu des Wagens. Nun kletterte alles nach. Mutig wagten die einen den Sprung; zaghaft standen die andern und schauten hinunter. Aber schliesslich merkten auch sie, wie gefahrlos und wie lustig es war, hinabzuspringen, sich aus dem weichen Heu herauszuwälzen und wieder die Leiter hinaufzuklettern.

Plumps – plumps –! ging's in einem fort. Manche fassten sich an der Hand und flogen zu zwei. Es war ein Prachtsvergnügen. Schliesslich waren alle ganz ausser Atem und sahen mit ihren wirren Haaren voll Heu aus wie die Wetterhexen.

»Nun machen wir uns draussen zurecht und ruhen aus!« schlug Lili Rabus vor.

Aber als sie auf die schattige, frischgemähte Baumwiese kamen, dachten sie nicht mehr ans Ruhen, sondern begannen gleich, Spiele zu machen: »Vogel flieg aus«, »Kapitän«, »Fürchtet ihr den schwarzen Mann nicht –?« und »Kommt, wir woll'n spazieren gehn; 's ist doch wohl kein Bär im Wald!« Werner war auch herbei gelaufen. Lili Rabus, die kleine Kinder sehr gern hatte, aber zu Hause allein war, nahm ihn unter ihren Schutz; er lief immer an ihrer Hand mit, wenn sie zu springen hatte.

Am Abend kam die Pflaumenlese. Mama ging mit den Kindern durch die Allee zu den zwei letzten Bäumen, die schon ganz reife, süsse Pflaumen trugen. Wenn man nur ein wenig an den Stamm stiess, fielen die Pflaumen auf den Grasboden, plumps – plumps –!

»Gerade wie wir vorhin!« rief Berta Strobel und stellte sich dicht unter den Baum, so dass die Pflaumen sie auf den Kopf und die Schultern trafen.

Die Kinder jauchzten und sammelten in ihre Körbchen, die sie auf Mariannes Ermahnung alle von zu Haus mitgenommen hatten. Hans und Otto kletterten in die Bäume hinauf, um noch die einzelnen Äste zu schüttelt. Der Pflaumenregen wollte gar kein Ende nehmen. Mama gab acht, dass alle Körbchen ungefähr gleichmässig gefüllt wurden, und legte in jedes vier Zimmetsterne und vier Mandelbretzeln. Die Mädchen trugen ihren Vorrat zur Seemauer, wo sie sich in einer Reihe hinsetzten, gerade über dem Schilf. Jedes konnte nun essen und behalten, so viel es wollte. Die meisten hatten Schwestern und Brüder daheim und freuten sich, etwas mitbringen zu können.

»Du, Marianne«, sagte Lisa Peter, »es ist zu nett, so auf der Mauer zu sitzen und über den See wegzusehen! Um unsern Garten stehen rings lauter Häuser. – O, da kommt auch ein Dampfschiff –!«

»Das ist das Siebenuhrschiff!« bemerkte Trudi, die sich in den Dampfschiffen schon auskannte.

»Das Siebenuhrschiff –!« Lili Rabus stand auf. »Viertel nach sieben sollte ich ja zu Hause sein! Ich dachte, es wäre kaum sechs Uhr!«

»Ja, wenn es nur erst zwei Uhr wäre!« riefen die Mädchen, während sie gingen, ihre Hüte zu holen und Frau Turnach zu danken. Marianne, Lotti und Trudi begleiteten die Mädchen bis zur Landstrasse. Dann ging es an ein Händeschütteln und Winken, und immer tönte es den Dreien noch nach:

»Adieu, adieu! Das war lustig! Das war schön!«

Lottis Kindergesellschaft verlief ähnlich und ebenso vergnügt. Nur gab es da ein grosses allgemeines Baden.

»Sie wollen durchaus ihre Badeanzüge mitbringen, Mama!« berichtete Lotti.

»Aber die haben doch nicht alle Platz im Badhaus!« warf Marianne ein.

»Ja, da hab' ich mir schon ausgedacht. Wir errichten zwei Zelte nebenan. Nicht wahr, Mama, Sophie darf uns grosse Tücher geben, und Hans und Otto machen das Gerüst.«

»Was es doch bei uns immer gibt!« sagte Sophie. »Letzte Woche eine Indianerhütte, nun zwei Badezelte! Nächstens baut ihr einen chinesischen Glockenturm –!«

»Ja, da haben wir keine Glocken dazu,« erwiderte Lotti lachend.

Die »Baderei«, wie Hans sich ausdrückte, ging natürlich unter Lärm und Getümmel vor sich. Die Kinder plätscherten und spritzten, was sie konnten.

»Wie eine Schar Frösche!« sagte Otto, der mit Hans und Fritz Völklein draussen vorbeifuhr.

»Wie Frösche kann man nicht sagen,« meinte Hans. »Sie tun eher wie Hühner, die ins Wasser gefallen sind. Sieh nur – kein einziges kann schwimmen ausser Lotti, und die macht's nicht besonders.«

»Nu, nu,« begütigte Fritz Völklein. »Sie sind eben noch klein. In Lottis Alter waren deine Schwimmkünste auch nicht bedeutend.«

»Ein paar aus meiner Klasse möchten auch gerne baden,« nahm Hans wieder auf, der schon an seine Gesellschaft dachte.

»Aber die andern sagen, es sei keine Zeit dazu. Mit meinen Buben geht es überhaupt ganz anders als mit Mariannes und Lottis Mädchen. Wir spielen Räubers, und da ziehen wir weit am See entlang oder gegen den Berg hinauf. Wir kommen erst spät zurück, und dann richtet man einen englischen Tee.«

Englisch nannten die Turnachkinder den Tee, wenn es dazu belegtes Brot gab.

»Du liebe Güte«, sagte Balbine, als sie am Donnerstag nachmittag die Buben daherkommen sah. »Das ist keine Gesellschaft mehr; das ist ja wie ein Truppenzusammenzug –!«

Es waren wirklich zweiunddreissig Buben, als man sie zählte. Da die Ferien zu Ende gingen, waren auch die, welche verreist gewesen, wieder in die Stadt zurückgekehrt. Zum Glück hatte Mama Onkel Alfred gebeten, zu kommen und ein wenig zum Rechten zu sehen. Fritz Völklein war natürlich auch da.

Nachdem die zweiunddreissig Buben alle Sehenswürdigkeiten der Seeweid aufgesucht und ein paar Partien Ball gespielt hatten, gab's ein kurzes Vesperbrot unter den Bäumen bei der Scheune, wo riesige Stücke Aniskuchen und eine ungezählte Menge saftiger gelber Birnen verzehrt wurden. Dann begann das Räuberspiel. Schon oft hatten es die Knaben zusammen gespielt, aber so »famos« noch nie. Onkel Alfred war mit einem Schiff in die Seeweid gekommen. Dieses wurde mit Landjägern gesetzt, das Turnachsche Schiff mit Räubern. Natürlich drängte alles zu den Schiffen.

»Es wird abgewechselt!« beruhigte Onkel Alfred. »Jeder muss seinen Seedienst tun. Aber dass ihr's wisst, Kerls«, fuhr er fort, indem er sich auf die Bank seines Schiffes stellte, »da ist strenge Disziplin! Wer nicht aufs Wort gehorcht, der ist ein Meuterer, der wird an Händen und Füssen gebunden und ohne Pardon in den See geworfen. Verstanden –?«

»Ja –!« schrien die Buben.

Die Räuber steckten sich zum Abzeichen grüne Zweige auf die Mützen und Hüte. Ihr Schiff stiess unter Fritz Völkleins Führung ab; die übrigen Räuber zogen von Hans geleitet zu Fuss ins Klaregg hinaus.

Die Landjäger, die rote Schnüre um den Arm bekamen, gaben den Räubern eine Viertelstunde vor; dann machten sie sich zu Wasser und zu Land auf, die Räuber zu verfolgen. Um sich mit ihrem Schiffe, in dem Onkel Alfred Kapitän war, zu verständigen, hatten sie eine Pfeife, während die Räuber einander durch Hornstösse Signale gaben.

Es wurde eine äusserst interessante Jagd, reich an kühnen Schlichen und Wagestücken. Einmal fuhr das Schiff der Landjäger spähend um das Südkap des Klaregg – und nichts ahnend vorbei an den Räubern, die mit ihrem Boote im Schilf versteckt lagen. Bald nachher aber gelang es ein paar Landjägern, eine Kiesgrube zu umzingeln und dort vier Räuber festzunehmen. Dann gab es eine spannende Szene am Seeufer, wo einige Piraten von den Landjägern verfolgt wurden und im letzten Augenblick sich in das Schiff schwingen konnten, das zu ihrer Rettung herbeigeeilt war.

Das Siebenuhrschiff fuhr gerade wieder der Stadt zu, als die Buben mit Hallo in die Seeweid zurückkehrten, um sich zu dem englischen Tee in die Buchenlaube zu setzen mit einem Hunger und Durst, wie er noch nie erlebt worden war. Marianne, Lotti und Trudi hatten nur zu rennen mit den belegten Broten und den leeren Tassen, die Mama aus dem grossen Teekessel füllte. Drei grosse hochaufgetürmte Platten mit Broten waren dagestanden; im Hui hatten die Buben zwei geleert und die dritte in Angriff genommen.

»Gottlob«, sagte Balbine, die mit Sophie in der Küche schnitt und strich, »es ist doch genug da!«

Als aber Marianne und Lotti immer wieder kamen, um neue Schinken- und Wurstbrote zu verlangen, wurde ihr Angst.

»Sophie, so etwas hätte ich nicht für möglich gehalten. Wenn es nur noch zehn Minuten fortdauert, so gehen uns Schinken und Wurst aus; du wirst sehen!«

»Dann spring ich zu Frau Völklein hinauf«, sagte Sophie, während sie einen frischen Brotlaib anschnitt. Frau Völklein war immer die letzte Zuflucht. Sie wusste alles und hatte alles und war jederzeit bereit, zu helfen.

So gab sie auch jetzt ihre zwei Rauchwürste her, die dicke und die dünne. Und die dicke sowohl als die dünne wurden aufgegessen.

»Sehen Sie«, sagte Balbine zu Frau Völklein, »das ist gerade wie die Heuschrecken, die über Ägypten herfielen und alles kahl frassen!«

»O«, lachte Frau Völklein, »Sie machen einem fast Angst! Wenn mir die Heuschrecken nur nicht noch meine ganze liebe Buchenlaube abnagen!«

Schliesslich aber wurden die Buben doch satt. Es begann zu dunkeln; da brachten Hans und Otto sechs grosse bunte Papierlaternen, die an Stöcken in der Laube befestigt wurden.

»Fein – fein –!« schrien die Buben. »Eine venezianische Nacht! Jetzt bleiben wir noch lang da, gelt Hans!«

Und nun fingen sie in ihrer Fröhlichkeit an zu singen:

»Wenn einer eine Reise tut,
So kann er was erzählen ...«

und

»Ich hatt' einen Kameraden ...«

Dann kam das Jägerlied:

»Im Wald und auf der Heide,
Da such' ich meine Freude ...«

und dann das alte, schöne:

»Freut euch des Lebens ...«

Da musste immer einer allein singen. Arnold Weidmann, der am besten sang, übernahm die erste Solostrophe:

»Gar mancher macht sich Sorg' und Müh',
Sucht Dornen auf und findet sie,
Und lässt das Veilchen unbemerkt,
Das uns am Wege blüht.«

Frisch und zweistimmig fiel dann der Chor ein:

»Freut euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht;
Pflücket die Rose,
Eh' sie verblüht.«

»Gegessen haben sie wie die Wilden; aber singen tun sie schön!« sagte Balbine, die mit Sophie und Frau Völklein an der Laube stand.

Endlich aber, als wieder ein Lied zu Ende war, trat Frau Turnach an den Tisch.

»Liebe Buben«, sagte sie, »es ist zwar nicht Sitte, dass man seine Gäste fortschickt. Aber jetzt muss ich doch allen Ernstes sagen: macht, dass ihr eilig aufbrecht, sonst wissen eure Eltern nicht, was sie denken sollen, und ihr findet weder Weg noch Steg mehr!«

»Dann übernachten wir hier in der Laube, Frau Turnach!« rief ein Übermütiger.

»Ja, ja! wir holen Heu im Stall!« schrien ein paar andere.

»Wenn wir einmal beim Militär sind, müssen wir auch im Freien übernachten!«

Aber die Vernünftigeren machten sich doch auf. Hans und Otto nahmen zwei von den Laternen, um auf dem dunklen Wiesenweg zu leuchten. Arnold Weidmann stimmte das Lied an:

»Nun ziehen wir zum Tor hinaus,
Ade, du lieber Ort ...«

Und im Takte marschierte die ganze Schar unter den Birnbäumen dahin und zur Landstrasse hinauf. Noch lange tönte ihr fröhliches Singen zur Seeweid zurück.


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