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Vom Rudern und Schwimmen.

Das Schönste in der Seeweid war natürlich das kleine Schiff, das in der Bucht an der Gartenmauer lag. Jeden Tag wurde mindestens eine Fahrt unternommen. Marianne und Lotti hatten allerdings recht gehabt: Hans konnte noch nicht so gut rudern wie Papa; immerhin wusste er schon ordentlich mit dem Schiff umzugehen, so dass Papa gleich am Anfang erklärt hatte, Hans dürfe dieses Jahr allein hinausfahren.

»Und wir mit, Papa!« hatten Marianne und Lotti gebeten.

»Ja, ihr mit. Es muss nur alles vernünftig geschehen.«

»Und«, sagte Mama, »an ein paar Gesetze werdet ihr euch zu halten haben. Einmal wirst du nicht denken, Hans, man lasse dich gleich über den ganzen See fahren. Ich will euch, wenn ich vom Garten hinaussehe, im Auge haben.«

»Natürlich«, stimmte Papa bei. »Ihr fahrt nicht weiter hinaus als – sagen wir einmal: als dreissig Ruderschläge vom Lande weggezählt.«

»Papa, das ist furchtbar wenig«, wendete Hans ein.

»Dreissig Ruderschläge vom Lande weg. Dann seeaufwärts bis –«

»Bis zum Färberschiff, Papa!« schlug Marianne vor.

»Gut, bis zum Färberschiff. Und abwärts bis zum Rittmergut. Verstanden, Hans?«

»Ja, Papa.«

»Selbstverständlich fahrt ihr nur bei ganz ruhigem See hinaus. Steigt ein Wind auf, während ihr draussen seid, so kommt ihr sofort herein und wartet nicht, bis man euch erst ruft.«

»Dürfen wir durch den Schilf fahren, wo er recht dicht ist?« fragte Lotti.

»Jawohl!«, antwortete Mama. »Da kann nichts geschehen, als dass ihr stecken bleibt.«

»Dann steigen wir aus«, sagte Lotti. »Da wo der Schilf steht, geht mir das Wasser nie höher als bis ans Knie. Und dann stossen wir das Schiff los und steigen schnell wieder ein; gelt, Hans?«

Lotti sah dieses Abenteuer schon vor sich.

Das Wassergebiet zwischen dem Färberschiff und dem Rittmergarten, das Papa den Kindern zugewiesen hatte, war allerdings nicht sehr gross für Hansens Tatenlust. Aber die Schiffahrten gestalteten sich doch äusserst abwechslungsreich.

Schon allein das Wegrudern –! Das Schiff war meistens auf das Land heraufgezogen und mit der Kette an einen Pflock befestigt. Hans machte es los und schob es etwas ins Wasser; Marianne und Lotti stiegen ein; Hans fasste den Kiel und stiess das Schiff mit aller Kraft hinaus; im letzten Moment schwang er sich platt auf das Sitzbrett der Spitze.

Es begegnete oft, dass Hans ein bisschen mit dem Schiff ins Wasser hineinlief. Aber das schadete nichts.

»Ein Seebub hat bald trockene Füsse, bald nasse, wie's grade kommt«, sagte Jakob.

Die zweite Schwierigkeit war, aus der schmalen, auf beiden Seiten mit Mauern eingefassten Bucht herauszukommen. Hans musste mit den Stehrudern rückwärts fahren. Bald kam er zu stark links, bald zu weit rechts.

»Ui!« rief Marianne, »wir bekommen alle Augenblicke einen Puff!«

»Das ist lustig; das macht nichts!« meinte Lotti.

»Euch nicht, aber dem Schiff!« sagte Hans. »Ich kann nicht recht rückwärts sehen; sagt mir die Richtung ein wenig!«

»Links – rechts! rückwärts! stopp –«, kommandierten die Schwestern.

»Stopp« hatten sie vom Kapitän des Neptun gelernt, als sie mit Grossmama einmal eine Dampfschiffahrt hatten machen dürfen.

Zuletzt kam man glücklich hinaus auf den freien See. Dann nahm Marianne die Sitzruder, die am Boden lagen, und hängte sie ein. Sie ruderte schon ganz schön mit Hans im Takte. Manchmal versuchte es auch Lotti, obgleich Hans nicht viel hielt auf ihr Geruder, wie er es nannte.

Eine besondere Freude hatten die Kinder, wenn Mama mit dem Schwesterlein und mit Werner an der Gartenmauer stand und zusah, wie die drei vorbeiruderten. Für Werner was es zwar zuerst immer ein Schmerz gewesen, nicht dabei zu sein. Er durfte nur mit, wenn ein Erwachsenes im Schiffe war. Nach und nach hatte er sich aber drein gefügt und schrie jedesmal lustig: »Hurra, hurra! ich darf dann mit Papa fahren!«

Er hatte eine kleine Trompete, auf der man ihn blasen liess, wenn die Kinder hereinkommen sollten. Dieses Mittel machte er sich bald zunutz und rief die Geschwister mit seinen Trompetenstössen heim, so oft es ihm einfiel. Natürlich zankten sie deswegen mit ihm.

»Also, siehst du, Werner«, erklärte ihm Hans, »wenn du wieder bläst, ohne dass man dich heisst, dann trauen wir dir nicht mehr und kommen auch nicht, wenn es gilt. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.«

»Ich hab' nicht gelügt«, verteidigte sich Werner. »Wenn ich im Garten spaziere und Trompete blase, weil es mir langweilig ist, dann hab' ich nicht gelügt!«

Die Kinder lachten über das possierliche »gelügt« und weil Wernerlein sich so schlau herauszureden versuchte.

Die Turnachkinder richteten ihre Fahrten womöglich auf die Zeit, da ein Dampfschiff vorbeifuhr. Hans wendete dann mit ein paar starken Ruderschlägen, so dass der Kiel die daherziehenden Wellen schnitt. Es war prächtig, wenn man so auf und ab geschaukelt wurde.

»Eigentlich fein ist's erst, wenn man recht nah beim Dampfschiff ist«, sagte Hans. »Da geht's hoch hinauf und dann hinunter, dass man fast meint, man versinke. Nächstes Jahr darf ich hoffentlich weiter hinaus. – Jetzt wollen wir zu den Steinen rudern, wo die jungen Fische sind.«

Die Steine waren grosse Blöcke, die überall längs den Ufermauern aufgeschüttet waren, damit die anschlagenden Wellen die Mauer nicht zerstörten. An der Ecke des Rittmergutes waren jetzt, am Anfang des Sommers, eine Unmenge von ganz kleinen Fischen zu sehen. Zu Hunderten und Hunderten schwammen sie da, so dicht ineinander, dass sie das Wasser verdunkelten. Fuhr man in sie hinein, so flohen sie nach allen Seiten, konnten aber in ihrem eigenen Gewimmel gar nicht schnell genug entkommen. Da schossen denn die einen sogar aus dem Wasser auf und in weitem Sprunge darüber hin. Es war, als ob kleine silberne Blitze aus dem grünblauen Wasser aufsprühten, um im nächsten Augenblick wieder zu versinken.

Am lustigsten aber war es, wenn man irgendwo an einer seichten Stelle auffuhr.

»Kann man da noch drüber oder nicht?« war jedesmal die wichtige Frage. Um sie zu lösen, fuhr man frisch drauf los, bis das Schiff auf den Kieseln des Grundes knirschte und man feststeckte. Dann griff Hans nach einem Sitzruder und begann zu stacheln, während Marianne mit dem andern hantierte. Lotti sass auf der Mittelbank und schrie: »Fest, Hans, fest –! Marianne, du tust falsch –! links – links –!«

Einmal wurden sie gar nicht mehr flott. Da hiess Hans Marianne und Lotti aussteigen, damit das Schiff leichter werde. Als sie die Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatten und im Wasser standen, das ihnen nicht viel über die Knöchel ging, kam wirklich Hans mit einem tüchtigen Stosse los.

»Halt, halt!« riefen die Mädchen; »nimm uns doch auch mit!«

Aber Hans fuhr im Übermut davon, ganz weit weg. Da erhoben die Mädchen ein Geschrei. Ans Land konten sie nicht waten, weil dorthin der Grund wieder tiefer wurde.

Balbine, die eben im Gemüsegarten nach dem Erbsenbeete sah, kam ans Ufer gelaufen. Sie war nicht an einem See aufgewachsen und deshalb sehr misstrauisch gegen alles Schiffen und Rudern.

»Kinder, Kinder!« jammerte sie; »du liebe Güte! wie kommt ihr da hinaus! Ich rufe Sophie oder Jakob –«

Sie eilte zum Hause, ohne in der Bestürzung zu sehen, dass Hans in einem schönen Bogen eben wieder zu den ausgesetzten Schwestern zurückkehrte. Aber die Kinder schrien ihr nach: »Balbine, Balbine! Es war nur ein Spass. Er holt uns wieder!«

Balbine blieb stehen.

»Wartet ihr –!« brummte sie und drohte mit dem Finger. »Es wird noch gehen wie beim Werner und seiner Trompete: Wenn ihr einmal recht in der Klemme seid, hilft man euch auch nicht.«

»Ach, Balbine«, sagte Hans, der nahe herfuhr. »Wir kommen nicht in die Klemme! Willst du vielleicht ein wenig mitfahren?«

»Ich danke, ich danke höflich! Was mich betrifft, ich bleibe auf dem Lande und bewege mich auf meinen zwei Füssen; da weiss ich doch, woran ich bin. Dieses Wassergeschwampel ist mir höchst verdächtig.«

Damit ging Balbine zurück zu ihrem Erbsenbeet.

Einen wirklich grossartigen Charakter aber nahmen die Schiffahrten an, wenn Onkel Alfred oder Fritz Völklein dabei waren. Fritz Völklein war der Grossneffe von Frau Völklein. Er wohnte in der Nähe der Seeweid und kam sehr oft zu seiner Tante. Er war schon fünfzehn Jahre alt, stark und gewandt und ruderte ausgezeichnet. Auch hatte er etwas Vorsichtiges, Besonnenes. Mit ihm liess Frau Turnach die Kinder überall hinfahren, seeauf, seeab und querüber. Wenn sie noch so lange nicht heimkamen, sie ängstigte sich nicht.

Die Kinder kannten auch nichts Schöneres als mit Fritz Völklein zu fahren.

»Zuerst zum Färberschiff!« hiess es dann meistens. Das Färberschiff war ein plumper, viereckiger Kahn mit einem grossen Tisch in der Mitte und einem festen Dach. Das Schiff lag draussen auf dem See und war durch eine eiserne Kette gehalten, die am Grund befestigt war. Meistens sah das Wasser ringsum dunkelrot oder violett aus von den Garnstrangen, die hier ausgewaschen wurden. Wenn die Färber nicht da waren, konnte man in das komische Schiff hinübersteigen. Das war ein Hauptspass. Aber man durfte es nur tun, wenn Fritz Völklein oder Onkel Alfred dabei waren.

Manchmal brachte Onkel Alfred ein eigenes kleines Boot aus der Stadt mit. Dann wurde ein wundervolles Spiel gespielt. Das Färberschiff war Sankt Helena, weil es da draussen lag wie eine Insel im Meere. Hans war Kaiser Napoleon der Erste, den man auf die Insel Sankt Helena verbannt hatte mit seinem Gefolge, das aus Marianne und Lotti bestand. Fritz Völklein war der englische Feind und fuhr bewachend um die Insel. Wenn er ihr aber einmal den Rücken drehte und weiter hinausfuhr, kam Onkel Alfred als Anhänger Napoleons mit seinem Schoner daher, um Napoleon zu befreien. Es war sehr aufregend, bis der Kaiser und sein Gefolge in dem französischen Schoner geborgen waren. Denn der Kapitän der englischen Brigg nahm die Einschiffung wahr und schoss in grosser Eile herbei, um den Fluchtversuch zu vereiteln. Nun entstand eine wilde Jagd auf dem See. Napoleon selbst musste mitrudern. Die englische Brigg bemühte sich, zuvorzukommen und den Hafen zu versperren. Manchmal gelang es trotzdem, den Kaiser und sein Gefolge auf Frankreichs Boden zu setzen. Oft aber kam die englische Brigg dem französischen Schoner so nahe, dass der Kapitän die Kette hinüberwerfen konnte; das war das Zeichen, dass Napoleon gefangen war und mit seinem Gefolge wieder nach Sankt Helena zurück musste.

Schade war es, wenn mitten im Spiel Werner mit seiner Trompete auf der Gartenmauer erschien, und neben ihm Sophie, zum Zeichen, dass es ernst gelte und dass die Trompetenstösse als Ruf zum Abendessen zu nehmen seien.

Der Mai war dieses Jahr schön und warm gewesen. Am 27. nachmittags hatte das Seewasser schon 16 Grad gehabt, und so konnte jetzt mit dem Baden begonnen werden. An der Mauer des Obstgartens stand, in den See hinausgebaut, das nette alte Badhaus. Hans machte immer den Anfang und war schon im Wasser, wenn die Mädchen in ihren roten Anzügen auf der Treppe erschienen.

»Es ist prachtvoll!« schrie er. »Ganz warm! Kommt nur!«

Ganz warm –? nein – Lotti, die mit der Fusspitze hineintippte, fand es eher kalt. Sie blieb ein Weilchen auf der Stufe stehen; dann stieg sie langsam zur folgenden hinunter.

»Au –!« Sie zog die Achseln in die Höhe.

Nun kam aber Hans: »Wart, Lotti; ich will dir helfen. Ich weiss ein Mittel, da bist du im Augenblick im Wasser –«

Damit fing er an zu spritzen, dass Lotti über und über nass wurde und gar nicht mehr wusste, ob das Wasser warm oder kalt sei. Schreiend und pustend sprang sie hinunter und fand es alsbald auch prachtvoll. Sie lief auf Marianne zu, um sie zu fangen. Es war so komisch, wie man im Wasser gar nicht rasch gehen konnte. Die Kinder versuchten zu tauchen und übten sich im Schwimmen.

»Seekinder müssen schwimmen können wie die Enten!« sagte Papa immer.

Hans schwamm schon ziemlich gut. Marianne machte fünf oder sechs Züge; dann fing sie an zu zappeln, bis sie mit den Füssen an den Boden kam. Das war noch nicht das Richtige. Lotti wagte gar nicht recht, sich auf das Wasser zu legen.

»Ich hab' immer Angst, ich komme mit dem Kopf hinunter und könne dann nicht mehr atmen!« sagte sie.

Hans erinnerte Mama daran, dass er letztes Jahr eine Schwummel gehabt habe, mit der er ganz leicht schwimmen gelernt.

»Ja, Mama, bitte, mach' uns Schwummeln!« riefen Marianne und Lotti, und Werner, der das Wasser gar nicht liebte und immer mörderlich schrie, wenn Sophie ihn eintauchte, bettelte natürlich mit: »Mir auch eine Schwummel! ich will auch schwimmen!«

Zu einer Schwummel brauchte man von den Binsen, die da und dort im See wuchsen, wo er nicht tief war. Man band die leichten Stengel mit Bindfaden zu einem langen, geraden, stark armdicken Bündel zusammen, den man dann in der Mitte knickte und an beiden Enden durch eine Schnur verband. Zum Schwimmen legte man sich in das Dreieck hinein. Eine frische Schwummel trug einen so sicher, dass man damit hätte über den See schwimmen können. Nach und nach wurde sie gelb und welk und trug mit jedem Tage weniger gut. Aber während der Zeit hatte man gelernt, sich selber über Wasser zu halten und vorwärts zu kommen. Und wenn die Schwummel gar nichts mehr taugte, ging das Schwimmen ohne sie.

In der Nähe der Seeweid gab es nicht viele und keine grossen Binsen. Man musste sie weiter seeaufwärts holen. Mama versprach aber, dass die Kinder Schwummeln bekommen sollten.

»Nur müsst ihr noch eine Weile warten, bis sie hoch und dick gewachsen sind«, sagte sie. »Dann fährt Fritz Völklein oder Sophie einmal mit euch hinaus. Bis dahin zappeln Marianne und Lotti halt noch eine Weile im Wasser herum, so gut es geht.«


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